Matthias Becker, haben Männer noch nicht genug Rechte?

Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:10-9#
Hannah Diemer: Hallo und Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. Mein Name ist Hannah Diemer und ich sitze heute im Büro von Matthias Becker. Matthias Becker ist Sozialpädagoge und ist in Nürnberg der Ansprechpartner für Männer in der Gleichstellungsstelle in Nürnberg. Matthias Becker, wie wird man den Ansprechpartner für Männer? #00:00:49-8#
Matthias Becker: Das ist eine gute Frage. Das ist keine Berufsausbildung. Wahrscheinlich qualifiziert mich, dass ich lange Jahre mit dem geschlechtsspezifischen Thema zu tun habe. Ich habe kurz nach dem Studium Anfang der 90er Jahre schon damit angefangen, Jungenarbeit zu machen, mit Jungen zu arbeiten, Jungengruppen zu machen, habe einen Arbeitskreis mit Kollegen gegründet und so fing das Ganze an und entwickelte sich eigentlich über Jahrzehnte weiter. Sowohl für politische Strukturen in diesen Bereichen zu kämpfen, als auch Themen für Jungen und Männer zu setzen. Und aus der Arbeit mit Jungen, ist die Arbeit mit Vätern geworden. Wo klar war, den Jungens fehlt, sind auch männliche Vorbilder oder Kontaktpersonen. Und aus der Väterarbeit, wie wir in Kontakt mit den Vätern der Jungs gekommen sind, haben wir gemerkt, dass diese genauso viel Bedürfnisse haben, nach Austausch und Gespräch wie die Jungs. Und so ist quasi aus der Väter Arbeit dann Männerarbeit geworden. Da war ich da viel unterwegs. Und dann wurde hier eben dieses Angebot gemacht, da mal ein Projekt umzusetzen oder die Idee zu testen: Braucht es denn einen männlichen Ansprechpartner, um Gleichstellungsthemen umsetzen zu können für Männer. Und ich habe gesagt, ich mache das jetzt und habe gesagt: Gut, ich lass mich da mal drauf ein, habe mit ein paar Stunden nur angefangen, mit sieben am Anfang vor vier Jahren und so hat sich das entwickelt und der Bedarf war mehr als groß und stark bis heute. #00:02:18-1#
Hannah Diemer: Jetzt sind sie zusätzlich auch noch Fortbildungsreferent für Genderpädagogik. Was ist denn Genderpädagogik? #00:02:25-3#
Matthias Becker: Das ist eine gute Frage. Also. Setzt sich zusammen aus dem Begriff Gender und Pädagogik. Ganz einfach und mit Gender. Das ist mir immer ganz wichtig. Das ist mittlerweile ein leider so verballhornter und auch politisch verbrämter Begriff geworden. Gender kommt aus der Kombination, dass es im Englischen zwei Begriffe für Geschlecht gibt Sex und Gender. Sex meint übersetzt das biologische Geschlecht und Gender meint das soziale Geschlecht. Das heißt, in einer Genderpädagogik thematisiere ich im pädagogischen Kontext, das sozial hergestellte, das gesellschaftliche Geschlecht, die sogenannten Rollen, Stereotype. Und das ist eben wichtig, auch in der Pädagogik. Dieses Gender Geschlecht zu berücksichtigen, darauf zu achten. Also wenn wir dieselbe Aufgabe hätten. Mit Jugendlichen agiere ich als Mann wahrscheinlich schon ganz anders als Sie als Frau zur derselben Thematik. Das heißt, mein eigenes Geschlecht, meine Sprache, wahrscheinlich meine nonverbale Ausdruck, meine Bewertung von Äußerungen werden anders sein, zum selben Sachverhalt den Jugendliche vielleicht äußern. Und ich habe mit Jungs und Mädchen zu tun. Und die sind nicht nur Jugendliche oder Kinder, sondern die werden eben bei uns auch schon von ganz früh auf geschlechtlich sozialisiert. Und darum geht es. Und Genderpädagogik fängt schon im Kindergarten an. Nach dem ersten professionellen Betreuungskontext fängt Genderpädagogik an. Zum Beispiel kann ich gleich sagen, wir haben jetzt im Oktober einen Fachtag, wo es genau darum geht, um Geschlechtersensibilität und Medienkompetenz für Erzieher und Erzieherinnen. Warum Medienkompetenz? Auch um einfach zu sehen, was schauen denn schon Kindergartenkinder in Medien? Was haben die für Spiele eventuell? oder Apps auf Handys? Wie ist die Werbung für Spielsachen? Das ist Medienkompetenz. Und wie werden die da geschlechtlich geprägt? Als Mädchen und als Jungen. #00:04:25-7#
Hannah Diemer: Geht es dann auch darum, eher eine unterschiedliche Herangehensweise an die Geschlechter zu finden. Oder geht es vielleicht in die Richtung, dass man schaut, was ist besser für dieses Kind? Was ist besser für das andere Kind? #00:04:38-6#
Matthias Becker: Ja, Nein. Das ist immer schwierig. Es geht nicht ums Gleichmachen für alles, aber für alle die gleichen Möglichkeiten zu schaffen. Und dass Sie sich eben lösen können und nicht sagen: Ach, ein Mädchen macht das nicht oder ein Junge macht das nicht. Und das ist oft ja Quatsch. Also, das darf ich nicht. Warum darf ich als Junge nicht mit Puppen spielen, oder warum kann ich als Jungen nicht mit einem Rock in den Kindergarten gehen? Es wird sofort Feedback geben und wir haben da mal so Befragungen gemacht. Zu einem hohen Prozentsatz, so 75 % wird es von den Eltern schon verhindert, dass der Junge...Der Junge hat eine größere Schwester, dann sieht seine Schwester mit einem Rock und will einen Rock in den Kindergarten anziehen. Das werden 75 % der Eltern wahrscheinlich schon nicht zulassen, weil sie wissen, was im Kindergarten passiert. Um ihren Sohn zu schützen. Selbst wenn es für ihn gar kein Problem wäre. Ja, das ist so schon self fulfilling prophecy. Sie schützen ihn schon, ohne ihn das ausprobieren zu lassen. Und das sind so Kleinigkeiten, können Sie jetzt sagen. Aber das geht ja ständig so weiter, wo geschlechtlich sozialisiert wird. Was machen Jungs? Was müssen sie vielleicht auch aushalten? Was dürfen Mädchen? Und das hat mit Fordern und Fördern zu tun. Im Kindergarten fängt es schon an, dass die Mädchen Tischdecken auflegen und die Jungs, die dürfen dann die Stühle stapeln oder sowas, wenn der Raum freigemacht wird. Das ist eine ganz klare geschlechtsspezifische Arbeitsaufteilung und Zuweisung und das passiert unbewusst. Und darum geht es. Sensibilisierung der Pädagogik. Das wirklich alle das machen können...Wenn Jungs sagen: Hey, ich gehe auch lieber mit Kochen in der Küche. Dann sollen die das doch machen und ohne blöd aufgezogen und gehänselt zu werden. Auch von Erzieherinnen. Also kein negatives Feedback zu bekommen für solche Tätigkeiten oder Einstellungen. #00:06:28-7#
Hannah Diemer: Das heißt das Ziel ist eher eine Möglichkeiten und eine Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen. #00:06:34-8#
Matthias Becker: Genau. Es geht einfach darum, dass ich nach meinem Geschlecht in Tätigkeiten nicht bevor oder benachteiligt werden darf. Und das zieht sich durch. Zum Beispiel in der Berufswahl. Wenn sich anschauen, warum gibt es nach wie vor Jungen und Mädchen Berufe? Seit 20 Jahren versucht man da was zu verändern und es gibt doch ganz typische Frauenberuf. Gerade bei Ausbildungsberuf merkt man das noch ganz vehement, dass das eher Ausnahmen sind, die vermeintlich anders wählen. Theoretisch denkt man, dass ist alles offen ist. es aber offensichtlich nicht. #00:07:05-2#
Hannah Diemer: Jetzt steht auf Ihrer Webseite als Ansprechpartner für die Männer, dass sie ein Sprachrohr für die Belange von Männern und Jungen sind. Wie sieht denn sowas aus? Wie fühlt sich das an, ein Sprachrohr zu sein? #00:07:16-3#
Matthias Becker: Also ich habe das mal so formuliert, weil viele Jungen und Männer sich schwer tun, ihre Belange mal zu formulieren. Und ein Sprachrohr darum, weil ich versuche das mal zu übersetzen und dann auch in Struktur zu bringen und wenn nötig hier in die Stadt zu bringen. Oder auch Abläufe zu verändern oder es in die Öffentlichkeit zu bringen oder in Zeitungsinterviews. Wir haben da relativ viel Öffentlichkeitsarbeit. Das sind genau die Themen, wo ich mich als Sprachrohr für die Jungen und Männer verstehe. Eben für ihre Belange und das als Übersetzer. Und das mal zu bündeln und zu forcieren und zuzuspitzen und zu benennen. Und viele Männer trauen sich nicht oder können das eben nicht so benennen. Das ist diese Funktion und die hat natürlich was jetzt mit individueller Beratung von Männern zu tun. Um da zu sortieren, zu helfen, auch zu formulieren, zu fokussieren um dann die adäquate Hilfe zu finden oder Möglichkeiten zu finden. Aber es hat auch mit der Menge zu tun. Wenn ich merke, zu einem Thema kommen doch auffallend viele Männer, dann ist ganz deutlich, dass es nicht nur individuell um die Belange der Männer geht, sondern dass es oft auch Strukturen sind oder Rahmenbedingungen, an denen sie scheitern. Und das ist das, wo ich sage, das wird dann zur politischen Arbeit oder zur strukturellen Arbeit, weil Gesetze oder Rahmenbedingungen sind gegeben, aber die sind nicht Gott geschaffen, die sind auch veränderbar. Das ist beweglich. Und wenn das mich benachteiligt, weil ich ein Mann bin, also nach Geschlecht, dann ist das eine Diskriminierungsform. Weil Benachteiligung natürlich nicht sein darf und geändert werden müsste. Genau dafür setze ich mich ein. #00:09:05-3#
Hannah Diemer: Und wie kann ich mir das in der Praxis vorstellen? Woher ziehen Sie Ihren Erfahrungsschatz? Ist das, weil Sie persönlich ein Mann sind und die Erfahrungen machen? Ist es aufgrund von Beratungen oder Beobachtungen? Wie schaut es in der Praxis aus? #00:09:18-2#
Matthias Becker: Das ist eine Mischung aus professionellem Arbeiten und natürlich habe ich auch persönliche Erfahrungen, aber die spielen sekundär eine Rolle. Ich mache das jetzt wirklich seit 30 Jahren, habe mit Jungs zu tun, mit Vätern, mit Männern. Und das hat schon einen gewissen Erfahrungsschatz. Auch wie sich da was verändert und entwickelt hat. Und aus den konkreten Beratungen kommen natürlich immer wieder die Themen auf. Wo dann Belange auftreten. Das ist ein größeres Thema. Also ein großer Beratungsbereich ist nach wie vor: Ich nenne das immer, Vater sein und Vater werden. Also viele Männer kommen auch zu uns mit Fragen wie:. Wie ist es mit Elternzeit? Ich werde jetzt Vater. Was ist das? Das ist ja auch mehr als die rechtlichen Rahmenbedingungen. Oder diese sogenannten zwei Vätermonate, die eigentlich keine Vätermonate, sondern Partnermonate sind. Theoretisch könnte auch die Mutter nur 2 Monate nehmen und der Vater 12, damit ich diese 14 erreiche. Und Elternzeit ist länger als zwölf oder 14 Monate, nämlich drei Jahre. Das sind viele Sachen, die vielen gar nicht so bewusst sind, sondern diese erste Zeit ist nur Elterngeld. Und dann gibt es verschiedene Fragen, die wir da haben. Auch inhaltlich, weil sie da selbst verunsichert sind. Kann ich das denn? Was muss ich machen? Oder meine Frau will nicht, dass ich das länger mache. Sie will das in 2 Monaten machen, sonst will sie zu Hause bleiben. Da sind sie unzufrieden. Oder auch Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber oder in der Arbeitlung, diese 2 Monate zu nehmen. Das ist immer noch so, auch wenn es ein Rechtsanspruch ist, wo dann doch immer noch gesagt wird: "Na ja, überleg mal, da müssen die Kollegen deine Arbeit machen" oder "Das ist dann so, wenn du nicht Karriere machen willst." Das ist nach wie vor noch ein Thema. #00:10:58-2#
Hannah Diemer: Und die Männer kommen auf Sie zu und stoßen auf die Internetseite und denken sich: Oh, ich würde gerne mal in die Beratung. Oder werden die einzelnen Männer eher geschickt? #00:11:07-9#
Matthias Becker: Nein, geschickt habe ich wenig Fälle. Also empfohlen, durch andere Institutionen. Es gibt andere Kollegen, Kolleginnen, Beratungsstellen oder auch mal vom Jugendamt, von Anwälten. Manche empfehlen mich so schon, dass sie kommen. Manche werden durch die Zeitungsartikel auf mich aufmerksam, das ist ja auch meine Absicht. Innerstädtisch habe ich ja noch mal andere Möglichkeiten über die ganzen Newsletter. Ich stelle mich auf Personalversammlungen vor oder es gibt ja die stadtinterne Zeitung oder das Intranet. So wissen da viele Kollegen einfach, dass hier die Gleichstellungsstelle für Männer ist. Wo sie theoretisch schon immer war, aber jetzt ist sie nochmal verstärkt für sie zuständig oder für ihre Themen. Die Männer kommen eigentlich von außerhalb. bzw. habe ich eher das Problem, dass ich ja bundesweit Anfragen bekomme, weil das ja nicht nur lokale Medien sind, sondern auch überregionale. Und ich kriege auch sonst noch Anfragen, denn es gibt nicht sehr viele Männer bis keine Männer in diesem Kontext. Also gibt es fast keine Männer Beratungsstellen in der kommunalen Gleichstellungsstelle. Schon gar nicht explizit mit diesem Themenbereich . #00:12:23-4#
Hannah Diemer: Jetzt haben Sie vorher gesagt, dass ein großer Arbeitsschwerpunkt Ihrer Arbeit auch die Jungen sind oder die jugendlichen Männer. Wie schaut denn da jetzt so eine Beratung aus oder so eine Arbeit mit Ihnen? #00:12:34-9#
Matthias Becker: Ja, das war früher so. Momentan muss ich mit Jugendlichen nichts machen, weil es in Nürnberg das Jungen Büro gibt und wir da dann eine gute Zusammenarbeit haben. Das Jungenbüro, ist vom Schlupfwinkel Verein Nürnberg. Welches auch mittlerweile jahrzehntelange Erfahrung hat. Und die beraten Jungs und machen Angebote für Jungs, für Eltern, für Multiplikatoren in der Arbeit. Da haben wir höchstens die Schnittmenge, denn die dürfen als Jungenbüro ja nach Gesetz, also nach SGB VIII, auch bis 27 Jahre beraten. Die werden danach gefördert. Und da haben wir so eine Schnittmenge. Eigentlich schwerpunktmäßig bis 18 Jahre und die zwischen 18 Jahren und 27 Jahren, da sprechen wir uns dann immer ab. Wer dann da berät, bearbeitet, unterstützt aber ansonsten bearbeiten wir jeden der unter 18 Jahre alt ist. Manchmal auch ab 16 Jahre oder bei Fällen wo ich dann vielleicht mit einsteige oder wo Eltern eine Rolle spielen. Das sind alles so Schnittmengen, aber das bearbeitet eher das Jungenbüro. #00:13:37-4#
Hannah Diemer: Jetzt kann ich mir vorstellen, dass aus den ganzen Beratungen und Gesprächen und Erfahrungen auch ein politisches Interesse entsteht. Wie äußert sich das denn? Arbeiten Sie auch politisch und wenn ja, wie? #00:13:49-5#
Matthias Becker: Na ja, was ist politisches Interesse? Also ich arbeite erstmal strukturell. Und natürlich braucht man für manche Anliegen, auch die politische Ebene. Oder es kommen die Anfragen oder die aufgezeigten Bedarfe aus dem Stadtrat. Aber politisches Arbeiten ist zum Beispiel bei der Stadt Nürnberg, welche gesagt hat: Wir haben einen Gleichstellungsaktionsplan innerhalb der Stadt, wo praktisch Gender Mainstreaming als Querschnittsthema umgesetzt wird. In der ganzen Stadtverwaltung, soll dieses Thema umgesetzt werden. Das initiieren wir. Da beraten wir und begleiten wir. Das kann man jetzt als verwaltungsinternen Akt betrachten, aber auch als politischen Akt. Da zu sensibilisieren und eben zu unterstützen und dazu aufzurufen Projekte in den einzelnen Referaten und Dienststellen umzusetzen. Denn es gibt eigentlich in allen Arbeitsbereichen bei der Stadt geschlechtsspezifische Aspekte. Selbst im Baureferat oder so, auch wenn man im ersten Moment nicht draufkommt. Aber sich trotzdem das mal anzuschauen. Das wäre so etwas wie politische Arbeit. Aber wichtiger ist die Öffentlichkeitsarbeit. In dieser wirksam zu sein und dabei auch Themen zu benennen, die Benachteiligungen sind. Das ist dann vielleicht auch politische Arbeit und da etwas zu bewirken. Also ein Riesenthema noch, vielleicht ist das auch politische Arbeit, Männer, wo Kinder unterwegs sind, im Kontext von Trennung und Scheidung zu unterstützen. Da ist auch ein riesen Beratungsbedarf, sowohl individuell als auch strukturell. Weil es da ganz viele Schräglagen und Missverständnisse gibt. Das ist wohl das einzige, was man mal weiß aus den Medien, die ganzen Trennungsväter, welche keinen Unterhalt zahlen. Da gibt es leider viele. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, sage ich immer. Es gibt auch ganz viele, die zwar zahlen, aber ihre Kinder nicht sehen, weil die Mütter den Umgang nicht ermöglichen. Da gibt es auch zahlreiche Fälle. Also es gibt ganz viele Facetten von Ungemach oder sowas und von Möglichkeiten. Ja und genau. Und da ist unsere Gesetzgebung in Deutschland sowie auch manche Einstellung bei Gerichten und Jugendämtern noch ein bisschen altmodisch. Das ist noch nicht so gesellschaftlich adäquat. Das ist ein Problem, das wir da haben. Also was ich damit meine, ist dass oft so ein bisschen die Haltung da ist, dass Kinder bei den Müttern am besten aufgehoben sind. Das ist zu einseitig. Rechtlich ist es aber ganz schwierig zu sagen, wir teilen uns das jetzt nach einer Trennung oder Scheidung auf, weil Unterhalt und Umgangs- oder Betreuungszeiten nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen nicht miteinander anders berechenbar sind. Das kann ich zwar individuell vereinbaren, aber nicht im Streitfall. Wenn jetzt ein Jugendamt oder ein Gericht eingeschaltet wird, dann wird es immer sehr prekär. Dieses sogenannte Wechselmodell. Das sind alles so Sachen, die da diskutiert werden und das ist eben politisch, auch wo man sich dann positioniert. #00:16:58-6#
Hannah Diemer: Jetzt haben Sie angesprochen, dass da Öffentlichkeitsarbeit einen großen Teil einnimmt und dass viele auch außerregionale Persönlichkeiten auf sie zukommen und sie ansprechen. Warum ist es so? Warum gibt es noch nicht so viele Männerberatungsstellen oder Ansprechpartner für Männer? #00:17:15-3#
Matthias Becker: Ich würde sagen, das jetzt, in wie lange man es auch betrachten will 30, 40, 50 Jahren Gleichstellungsarbeit oder Emanzipation Feminismus außer Acht gelassen worden ist. Die Belange von Männern, sind indirekt bei der Gleichstellungsarbeit mit gemeint gewesen und bei Männern ist es leider oft so angekommen, als ob ihnen jetzt was weggenommen werden soll. Das heißt, es ist negativ konnotiert gewesen. Die haben nicht gesehen oder wollten nicht sehen, da will ich mich gar nicht festlegen, dass dieser ganze Prozess auch Vorteile für sie hat. Und darum habe ich es auch neben dem Sprachrohr sein mal so formuliert: Man muss Männer als Adressaten und auch Akteure von Gleichstellungspolitik wahrnehmen. Ich muss die mit ins Boot holen und es muss ihnen klar werden, was sie gewinnen in diesem Prozess. Und nicht nur, dass sie was verlieren. Ja, und dieses Verlieren führt eben auch zu extremen Männern Netzwerken verschiedenster Couleur , weil sie sich angegriffen fühlen, es wird ihnen was weggenommen, das die Frauen jetzt Macht über sie ergreifen und sonstiges. Und nur bevor ungerecht bevorteilt werden durch die Emanzipation oder Gleichstellung. Das sind so Sachen, die angekommen sind und das ist leider auch politisch viel zu lange nicht gesehen oder beachtet worden. Und das ist, glaube ich, das Problem. Alle Stellen, die es gibt, müssen irgendwann mal geschaffen oder finanziert werden oder irgendwie anfangen. Und da gibt es zweierlei Gründe. Also A gab es das nie etwas vergleichbares wie bei den Frauen. Eine Männerbewegung gab und gibt es nicht. Also es gibt da keine solidarische Männerbewegung, sondern es gibt einzelne Gruppierungen, die für bestimmte Teilbereiche kämpfen, sich einsetzen, das thematisieren. Aber es gibt nicht insgesamt, einen Prozess. Insofern gibt es auch ganz wenige Vereine, Netzwerke, die sich dafür einsetzen und die paar, die es gibt, die wurschteln sich auch irgendwie durch. Und die kriegen auch immer mal irgendwelche Finanzierungen zustande, aber es gibt keine Regel Finanzierungen. Das hat erst in den letzten zehn Jahren angefangen. Vor zehn Jahren, war schon ein großer Wendepunkt, wenn man sich das rückblickend anschaut, denn es hat sich auf Bundesebene, sowohl eine Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendarbeit gegründet als auch das Bundesforum Männer mit einer Geschäftsstelle in Berlin. Und die haben dann beide auch eine Förderung im Bundesfamilienministerium bekommen. Da ist dann auch gleichzeitig eine Abteilung für Jungen und Männer eingerichtet worden. Auch wenn sie es nicht im Namen führen. Das heißt immer noch Bundesministerium für Familie, Frauen, Jugend und Senioren. Aber es gibt die Abteilung für Männer und da gibt es auch Ressourcen und das aber erst seit zehn Jahren und in deutlich geringerem Umfang. Darum gibt es da nicht zu viel. #00:20:16-9#
Hannah Diemer: Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass die Männer bisher meist in den Machtpositionen waren und meist ihre Interessen schon vertreten bekommen haben. Warum ist denn die Feminismus Bewegung dann so positiv für die ganzen Männer? Wieso wird den Männern denn dann nichts weggenommen? #00:20:34-5#
Matthias Becker: Es sitzen nicht alle Männer in Machtpositionen. Es ist entscheidend das zu begreifen. Auch wenn wir sagen, wir leben in einem Patriarchat. Das sind viele. Das ist der berühmte Begriff der weißen, alten Männer. Das kann man ja politisch auch gut sehen, was da gerade passiert. Aber diese Männer, die sind ja nicht nur Frauen gegenüber, rücksichtslos und respektlos, sondern sie sind auch Männern gegenüber rücksichtslos und respektlos. Die setzen ihre eigenen Interessen durch oder ihre Machtinteressen. Und das muss man auch immer sehen. Das Patriarchat heißt nicht sofort: Für alle Männer ist das ein Vorteil. Ich habe ganz viele marginalisierte Männergruppen in diesem System. Warum ist schwul sein heute immer noch schlimmer als lesbisch sein? Da werde ich gerade in der männlichen Community massiv ausgegrenzt. Wie viele Männer habe ich in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder Arbeitsmigration. Das sind marginalisierte Männergruppen. Warum sind 95 % der Wohnungs- und Obdachlosen, Männer? Das ist mal spannend, sich das mal genauer anzuschauen usw usw.. Das heißt, dieses System benachteiligt auch massiv bestimmte Gruppen, Arten, Charaktere von Männern. Die da nicht damit klarkommen und dann nicht anerkannt sind. Und die könnten alle von diesem Gleichstellungsprozess, oder meinetwegen vom Feminismus in diesem Begriff, der ja eigentlich nicht nur für Frauen da ist wenn man den genau nimmt, profitieren und gewinnen. #00:22:12-0#
Hannah Diemer: Jetzt steht in einem der Männerforen in Nürnberg auf der Webseite mit dabei: Wir würden uns gerne gegen die Verunglimpfung und Benachteiligung von Männern wenden. Was glauben Sie, ist hier jetzt gemeint? Spielt es genau auf solche Themen an? #00:22:27-4#
Matthias Becker: Ja, also konkret kann ich das nicht sagen. Da müsste man die Kollegen vom Männerforum genauer fragen. Aber bei den Benachteiligung von Männern ist das, was ich schon erwähnt habe wirklich ein Problem, manchmal berechtigte Anliegen oder wo man sagt, da sind Männer, strukturell oder individuell benachteiligt. Es zu benennen, weil dann oft so ein Argument kommt, wie sie es gerade gefragt haben: Warum? Was wollt ihr denn? Leben ist so im Patriarchat. Männer sind eben an der Macht. Wo sind die denn benachteiligt? Die sind nur bevorteilt. Das ist so ein Punkt und das ist manchmal ganz schwierig. Oder man wird in so eine Ecke gestellt: Dass ich hier wieder das Patriarchat stärken will oder so ein Macho bin oder ein Antifeminist bin, wenn ich jetzt von Benachteiligung von Männern rede und das ist ganz schwierig. Und dagegen wollen die sich auch einsetzen. Man muss das mal benennen können. Also man muss sagen können, dass Jungs in der Schule momentan offensichtlich nach den Ergebnissen eher benachteiligt sind oder nicht entsprechend gefördert werden. Woran liegt es? Oder man muss bei Trennung und Scheidung oder Sorgerecht den Sachverhalt ansehen, denn so wie das geregelt ist, sind Männer eher benachteiligt. Das mag geschichtliche und gesellschaftliche Gründe haben, aber die Entwicklung ist eine ganz andere. Da ist das Gesetz nicht adäquat. Und das muss ich benennen können. Also da wollen wir in einen konstruktiven Diskurs gehen und das ist manchmal schwierig. Und dann wird man schnell verunglimpft, als Antifeminist oder als Macho oder sonst irgendwas. Und dagegen wollen sie sich einsetzen und auch Benachteiligungen von Männern thematisieren oder auch Sprachrohr sein. Wie ich es auch bin, für diese Männer und Jungen-Themen. #00:24:09-1#
Hannah Diemer: Wo Sie das Stichwort Antifeminismus ansprechen. Wie vernetzt sind Sie in der Szene? Sind Sie in dieser Szene mit drinnen? Könnten Sie unseren Hörer|innen ein bisschen erklären, was es für Gruppierungen gibt? Kann man mit denen zusammenarbeiten? Sind die ernst zu nehmen? Was passiert denn da gerade alles? #00:24:28-0#
Matthias Becker: Also so genau kann ich es nicht erklären. Ich habe da so gut wie keinen Kontakt und bin auch in den Szenen nicht drin. Klar ist, dass sich das alles sehr viel im Internet abspielt. In verschiedenen Blogs, auf verschiedenen Social Media. Und da schon viele Gruppierungen oder auch manchmal einzelne Männer ihr Unwesen treiben. Das Problem daran ist, dass da viele aus Sachverhalten, wie ich sie gerade benannt habe, die Hauptschuld oder den Grund dafür sehen, dass da Frauen die Verursacherin sind und wenige Anteile bei sich selber sehen. In diesen Kontexten welche vielleicht dazu geführt haben oder Anteile im System liegen, die zu solchen Konstellationen führen. Und das führt dann bei vielen dieser Gruppierungen zu einem Antifeminismus, oder manchmal zu einem Frauenhass. Die formulieren das auch so, dass sie nicht meine Worte. Wenn man sie fragt, was sie für ein Frauenbild haben, dann sagen die letztendlich: Ich hasse Frauen. Weil sie das für sie der Sinn, das Sinnbild ist für all das Ungemach ist, was ihnen letztendlich widerfährt. Dass sie keinen Job bekommen, dass sie keine Freundin haben, dass sie keinen Sex haben. Also gibt es ja so viele Gruppierungen aus verschiedensten Gründen. Aber so werden andere Themen auch instrumentalisiert. Da wird zum Tei dann eine Ideologie darauß gemacht und das ist das Gefährliche. Da werden Rückschlüsse gezogen aus Gleichstellungsthemen oder Fragen, die unsachlich sind, letztendlich polemisch sind, falsch sind. Da werden auch Statistiken einfach falsch interpretiert und instrumentalisiert und das macht es so gefährlich. Das sie mit nicht zufrieden sind. Oder auch ein Riesenthema momentan. Gewaltschutz von Männern. Und ich finde, wir sind so wahnsinnig viel in den letzten ein, zwei Jahre vorangekommen in diesem Thema. Dass das in der Öffentlichkeit gesehen wird, dass es bei der Polizei, in der Politik gesehen wird. Wir haben Männerschutzwohnung, wir kriegen Beratungsstellen. Es ist ein Anfang und es ist noch nicht adäquat. Aber es ist ein Anfang, Es wird gesehen, da werden Gelder bereitgestellt und das ist positiv. Und es langt vollkommen, mit den Zahlen zu arbeiten, die wir momentan haben. Wir wissen das ungefähr 1/5, also jeder fünfte Mann, Opfer von häuslicher, partnerschaftlicher Gewalt ist. Das sind 20 %. Und das sind eben keine Einzelfälle und es sind nicht 2 % und auch nicht 0,2. Das heißt, das ist schon eine Menge. Das ist eine Gruppe, die man mal benennen kann und die auch spezielle Angebote braucht. Und jetzt wieder zu sagen, das ist Quatsch und gefälscht und zu sagen, es sind mindestens die Hälfte, wenn nicht noch mehr. Das ist nicht konstruktiv, nicht weiterführend. Das kann sein, weil Forscher sagen in beiden Bereichen, sowohl Frauen sowie auch Männern, wissen wir noch lange nicht, wie groß der Umfang wirklich ist, was wirklich rauskommt. Wie viele suchen wirklich Schutz? Wie viele gehen wirklich zur Polizei? Wo wir das mitbekommen in irgendwelchen Statistiken? Wie viele regeln das selber? Wie viel erdulden das weiterhin, weil sie da nicht rauskommen? Das wissen wir alles nicht. Aber die Zahlen, die wir haben, sind ja schon erschreckend genug, um damit zu arbeiten. Und so könnten wir andere Felder auch weiter anführen, wo die einfach immer so verballhornt und instrumentalisiert werden, was einfach schade ist. Ich sag immer, das verbrennt manche Themen. Ich werde auch in den Blogs oftmals zitiert oder so verbrämt und da heißt es dann: Ich mache mich quasi mit dem Frauenmob gemein oder sowas. Und passe mich da jetzt an und bin da assimiliert worden und was weiß ich, was da alles passiert. Kann man so sehen. Ich sehe das nicht so, weil es ist wahnsinnig viel passiert. Das sind vielleicht kleine Schritte. Das geht denen aus deren Sicht nicht schnell genug oder ich dramatisiere manches nicht genug. Aber insofern ist auch ein Kontakt ganz, ganz schwierig da. Denn das ist immer ein Schwarz oder Weiß. Entweder ganz oder gar nicht. Und das geht nicht und differenziert wird es nicht gesehen, insofern kommen wir da nicht zusammen. #00:28:46-9#
Hannah Diemer: Das heißt, Sie gehen eher weg von diesen ganzen Internetforen, wie zum Beispiel der Insel Bewegung oder der Red Pill Bewegung, weil Sie sagen: Okay, in den Internetforen sind so viele unterschiedliche Meinungen, aber nichts ist wirklich fassbar und wir sollten uns eher darauf konzentrieren, was haben wir für Zahlen?Was haben wir für Daten und wo können sie tatsächlich vor Ort helfen? Habe ich das richtig verstanden? #00:29:07-5#
Matthias Becker: Genau. Ich habe ja genug andere Themen. Zum Beispiel Incels. Ich weiß ja nicht, wie viel Hörerinnen und Hörer das wissen, was das heißt. Übersetzt auf Deutsch auch eine amerikanische Bewegung wie Red Pill. Die sagt dass es ein unfreiwilliges Zölibat gibt. Also wo sich Männer beklagen, dass sie keine Sexpartnerin bekommen, weil die Frauen irgendwie ja nach bestimmten Auswahlkriterien vorgehen und hässliche Männer, wie auch immer ihnen nicht gut genug sind usw. Also ich kann das gar nicht zusammenfassen. Das ist so eine Bewegung und da ist halt manchmal die Frage, das ist ja differenziert: Wie kann ich denen helfen? Wollen die überhaupt Beratung? Wollen sie nicht auf anderen Wegen Aufmerksamkeit bekommen. Das ist zum Beispiel eine Bewegung, die man relativ klar altersmäßig eingrenzen kann. Die ist schwerpunktmäßig so von 18 Jahre bis 28 Jahre. Das ist so eine Phase, wo in der da fast alle Akteure sind. Und ich habe nicht das Gefühl, dass die tatsächlich Unterstützung wollen. Dass die praktisch schon in so einem Tunnel sind, wo sie sich selbst genug sind und Aufmerksamkeit machen. Wie gefährlich sie tatsächlich sind, weiß ich nicht, kann ich nicht einschätzen, denn allein so einer Bewegung anzugehören, wird noch nicht, weil es ja zitiert wird, zu Amoklaufen führen. Dabei spielen wahrscheinlich andere Gründe und Kriterien auch noch eine Rolle. Aber das ist etwas, da kommt man nicht ins Gespräch. Ein Kollege hat das mal so formuliert, er hat gesagt: Da brauche ich nicht mehr zu beraten, die muss ich einfach stoppen. Da muss ich Grenzen setzen. Und das ist dann eher so ein Punkt, wo er auch sagt: Nein, da muss ich mich klar davon abgrenzen. Die Interessen, in dieser Form, kann ich nicht vertreten. Aber wir haben so viele andere Themen. Letztes Jahr in den Männerwochen zum Beispiel, die wir hier mit dem Netzwerk in Nürnberg initiiert haben, haben wir auch Themen angesprochen. Ob das die Lesung war, mit Björn Süfke, wo wir zum Beispiel gesagt haben: Was sind denn Männerthemen? Oder wie ist das denn jetzt Gleichstellung, Emanzipation von Männern und Feminismus. Bis hin zu Thema sexueller Missbrauch von Jungen und zwar durch ihre Mütter. Und da wissen wir mittlerweile, das sind 10%-12 %. Täterinnen, die Jungs, die ihre Jungen in der Familie missbrauchen. Sich so einem Thema mal zuzuwenden. Da habe ich die Zahlen. Das ist auch kein Einzelfall mehr. Da vermutet man noch wesentlich höhere Dunkelziffer. Das war ganz spannend, das mal zu thematisieren. Das sind Tabuthemen. Das ist so etwas, wo man gut mal ansetzen kann. Oder männliche Beschneidung. Letztendlich ein ganz heikles Thema. Kann man Kinder beschneiden lassen? Also einerseits ist es Körperverletzung, andererseits gibt es die Freiheit oder die Religionsfreiheit, die das in diesem Kontext mit verlangt oder vorsieht oder sowas. Ganz heiße Themen. Die strittig sind. Bei Frauen sind sich alle einig, dass Beschneidung nicht geht, bei Jungs ist man sich nicht so einig oder lässt Ausnahmen zu. Warum? Also das zu thematisieren und da gibt es genügend Zahlen und Betroffene, denen es damit ganz schlecht geht usw.. Also wir haben genügend Themen und wir wollen das immer in einem kritischen Diskurs machen. Ich will es benennen, aber auch diskutieren im offenen Diskurs. Das ist das Wichtige aus meiner Sicht. #00:32:27-0#
Hannah Diemer: Jetzt haben Sie vorhin auch schon das Thema häusliche Gewalt angesprochen in der Richtung von Müttern gegen ihre Söhne. Dann ist natürlich das weitaus populärere Thema: Gewalt von Ehemännern gegenüber Ehefrauen. Wie stehen Sie dazu? Was gibt es denn da gerade für Arbeitsansätze? Was macht man denn in Nürnberg? #00:32:44-1#
Matthias Becker: In Nürnberg sind wir jetzt gerade relativ gut aufgestellt. Im letzten Jahr ist, wie ich es gerade erwähnt habe, politisch folgendes passiert: Wir haben eine Schutzwohnung für Männer, die jetzt in Nürnberg ist, aber die im Prinzip für Nordbayern zuständig ist. Die hat mittlerweile vier Plätze für Männer. Auch für Männer mit Kindern. Die ist, glaube ich, Ende Januar eröffnet worden und war vier Wochen später voll. Also so viel zum Thema Bedarf. Vorher hat man lange diskutiert: Wie lange müssen wir die jetzt offen halten, bis Männer sich trauenDas ging sehr zügig. Das habe ich eigentlich auch so prophezeit, dass das so gehen wird. Und die in Augsburg, die es jetzt erst durch Corona Verzögerung, im März eröffnet worden mit zwei und jetzt drei Plätzen und die ist auch mit zwei Männern belegt. Also das geht schnell und die ist für Südbayern zuständig. Wir haben eine Beratungsstelle für von häuslicher Gewalt betroffenen Männer. Wir haben beim Jungen Büro Präventionsprojekte, für Jungs, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren und diese erlebt haben. Und was ganz wichtig ist und da bin ich sehr, sehr froh, dass die Politik das auch erkannt hat ist, dass wir jetzt in Bayern auch Beratungsstellen für Männer haben, die in ihrer Kindheit und Jugend sexuell missbraucht worden sind und das bis heute nicht benannt haben. Das wird ein riesen Bereich sein oder Komplex. Das wissen wir aus diesen großen Fällen wie den Regensburger Domspatzen oder Kloster Ettal oder Odenwaldschule usw. Jetzt haben wir wieder kleinere Fälle gehabt, wo wir wissen, welche Dimensionen das hat und dass Männer manchmal erst nach 20 Jahren durch ein Deja vu Erlebnis in der eigenen Familienentwicklung, wenn sie selber Kinder bekommen oder sonstwas, wieder drüber sprechen oder merken, was sie da belastet, was sie in ihrem Rucksack da mit sich rumschleppen. Und das ist ein riesen Themenbereich, wo es deutlich noch mehr Beratungsstellen und Unterstützung braucht. Also nur so Zahlen zu den Regensburger Domspatzen. Die katholische Kirche hat damals immer gesagt, das sind Einzelfälle, die können sich gerne an uns wenden und beraten. Und diese Männer, die das damals vor zehn Jahren mal angefangen haben, wollten ja unbedingt eine unabhängige Beratungsstelle. Haben sie dann nach langem Streit ja auch bekommen. Und wissen Sie, wie viel wie viele Männer sich jetzt da gemeldet haben, seitdem es die gibt? Möchten Sie mal raten? #00:35:09-9#
Hannah Diemer: Ich tu mir ganz schwer. Ich weiß es nicht. #00:35:12-4#
Matthias Becker: Da haben sich über 500 Männer gemeldet, nachdem es die unabhängige Beratungsstelle gegeben hat. Also nur soviel zu diesem Kontext. Das waren nur in Anführungsstrichen diese Jahre seit den 70er, 80er, 90er Jahren Regensburger Domspatzen. Das heißt, wir haben da Themenkomplexe, die sind so tabuisiert, überhaupt und nicht angeschaut. Keine Beratungsstellen, nichts. Ja, und die braucht natürlich keiner mehr für Kinder und Jugendliche, sondern das sind erwachsene Männer, denen das in der Kindheit passiert ist. Was brauchen die? Wir brauchen Traumaberatung, Traumatherapien, wahrscheinlich psychologische Begleitung. Wenn sie es sich anschauen, Psychologen und Psychologinnen, ist ein Beruf, der zu 85 % von Frauen ausgeübt wird. Viele Frauen sagen: Mit diesen Männerthemen fühle ich mich überfordert. Wenn ein Mann da hingeht und möchte quasi solche Vorkommnisse besprechen wie, meine Mutter hat sexuell missbraucht, kann es gut sein, dass sie da wieder weggeschickt werden. Dass sie sagen: Das ist mir zu heiß, das mache ich nicht. Das heißt dann, daran merken Sie, dass diese ganzen Themen, was einerseits auch professionell fachlich ist, wenn eine Psychologin sagt: Das schaffe ich nicht selber. Aber andererseits: Wo sind sie dann? Es bräuchte dann vielleicht Männer oder andere Frauen, die das explizit angeben oder sich auch bewerben. Ich mache auch Psychotherapie oder psychologische Begleitung und Beratung für Männer. Da finden sie fast nichts. Ich habe viele Männer, die da sitzen, die das versucht haben und wirklich ganz schreckliche Erfahrungen gemacht haben in diesem Kontext, sich da Hilfe zu suchen. #00:36:38-5#
Hannah Diemer: Es ist ja ganz jüngst erst bekannt geworden, dass es genauso große sexuelles Missbrauchsfeld gibt, in Sportvereinen und in Kinderjugendeinrichtungen. Dann haben wir ja doch wieder die Jugendlichen oder die Jungen, mit denen man da spricht und mit denen man arbeiten kann. Was würden Sie denn jetzt vorschlagen sind so präventive Schritte, dass sowas überhaupt nicht passiert oder vielleicht so ein Schweigen aufgehoben werden kann? Wie können wir unseren Kindern sagen, dass man auch über solche Themen sprechen kann? Und wie können die das? Wie macht man es? Was sind das für Tools, wie man denen an die Hand geben kann? #00:37:11-6#
Matthias Becker: Na ja. Wir haben das ja praktisch vor zehn Jahren erlebt, dass im SGB acht, mit der Einführung dieses Avatars, wo dann die Konsequenz war, dass ehrenamtliche Jugendleiter, aber auch hauptberuflich in der Jugendarbeit, jährlich polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen müssen. Wobei es in diesem Kontext von Missbrauch Übergriffigkeit, schon Vorfälle gab bei anderen Arbeitgebern. Und um dann dem: Ich wechsle einfach den Arbeitgeber und dann weiß das keiner mehr, vorzubeugen und das abzusichern. Aber das kann es alleine nicht sein. Das ist faktisch noch mal so eine rechtliche Schutzmaßnahme gewesen. Für mich ist viel relevanter, dass es Thema sein muss in jeder Kinder- und Jugendeinrichtung, in jedem Sportverein. Also es muss offen thematisiert werden, dass es eine Gefahr ist. Es müssen Vertrauens- und Ansprechpersonen benannt werden, die da sind. Ich nenne es immer so, es gibt so eine Selbstverpflichtungserklärung, die eigentlich jeder unterschreiben müsste, die offen aushängt. Wir als Sportverein stehen für folgende Werte und grenzen uns dagegen ab. So was wäre wichtig. Jeder Junge, jedes Mädchen, das eintritt, müsste sein kleines Kärtchen bekommen. Soetwas gibt es alles schon, in Facheinrichtungen wie Zartbitter in Köln. Sowas könnte ich verteilen und sagen: Das ist nicht okay, wenn das jemand macht oder das ist ein Geheimnis, das du nicht für dich behalten musst usw.. Ein generelles Thema, was ich immer habe, sage ich auch in meinen Hochschulkursen, wo ich sage: Wir klären zu spät auf, wir thematisieren zu spät Sexualität oder Körperlichkeit und sind selber so ein bisschen eine sprachlose Gesellschaft. Wir tun so, als wären wir so aufgeklärt und offen. Sind wir aber, meiner Meinung nach, nicht. Und Jugendliche wissen nicht, mit wem sie darüber sprechen können oder an wen sie sich wenden können, wer da nicht peinlich berührt ist davon oder sowas. Da kenne ich genügend Szenen. Ein 12-jähriger, der hat erzählt, er geht zum Beispiel zu seinen Eltern oder zu einer Lehrerin und sagt: Wir haben jetzt da einen Fußballverein. Und dann hat der Trainer in die Dusche geschaut und er hat dann so eine Beule in der Hose gehabt und hat dann mit der Hand rein angefasst. Ich weiß gar nicht, was das bedeutet. Die Lehrerin wird dann rot und fragt deine Eltern zu Hause. Das ist natürlich eine Reaktion. Tut er nicht. Warum ist er zu ihr gekommen? Und das sind die Sachen. Wird er es noch mal probieren, irgendjemand zu erzählen, wenn ein Erwachsener so reagiert hat? Das ist die Frage in dem Moment. Und da müssen wir viel aufgeklärter sein. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen sagen: Was ist in Ordnung, was ist nicht in Ordnung. Wir wissen sowohl von Mädchen als auch von Jungens, dass die oft denken: Ich habe gedacht, das ist normal. Diese Fälle von sexuellem Missbrauch bei den Jungs. Zehn erwachsene Männer erzählen mir: Ich habe gedacht, das ist normal, dass meine Mutter mich beim Baden noch wäscht usw. Ich habe gehört, dass es bei allen so. Das heißt sie haben kein Normativ gehabt. Man tauscht sich in der Pubertät nicht aus und auch unter Mädchen nicht. Aus unterschiedlichen Kontexten. Die wussten nicht, was ist normal. Die Erwachsene, die werden schon wissen, was in Ordnung ist. Die beschützen mich ja. Die versorgen mich ja und das muss man viel früher ansprechen. Was ist in Ordnung? Was ist nicht in Ordnung? Das ist. Da gibt es Bücher, Materialien. Es traut sich keiner ran. Da haben wir auch rechtliche Rahmenbedingungen, die es schwierig machen. Bis 14 Jahre müssen die Eltern ihr Einverständnis geben zur Aufklärung. Was man mit Kindern macht in institutionellen Einrichtungen wie Schule oder Sportverein oder Jugendarbeit oder sowas. Das darf ich gar nicht ohne Einverständnis der Eltern. Ich erlebe das auch immer wieder, dass Eltern sagen: Nee, ich möchte nicht, dass meinem Kind Flausen in den Kopf gesetzt werden. Da reden wir dann von 12, 13-jährigen Mädchen und Jungen. Denen werden keine Flausen in den Kopf gesetzt. Die haben Tausende von Fragen, die unbeantwortet sind. Das ist das Thema. Da sehe ich einen riesen Bedarf und Potenzial. #00:41:26-5#
Hannah Diemer: Vor allem, wenn man jetzt auf das Stichwort Generation Porno eingeht. Wenn ja viele Jugendliche schon durch das Internet und die Smartphones viel früher mit sexuellem Content in Berührung kommen. Also fordern sie quasi eine frühere sexuelle Aufklärung für Kinder und Jugendliche? #00:41:40-3#
Matthias Becker: Ja, definitiv. Wir müssen damit spätestens in der Grundschule anfangen. Das gibt es auch schon: Wir können im Kindergarten anfangen, schon im Vorschulalter anfangen, es gibt Sprachregelung. Ich kann das ja Stück für Stück machen, aber ich muss etwas zum Körper beibringen: Was ist in Ordnung? Wir wissen ja auch, dass dieser Missbrauch schon im Kindesalter anfängt. Wir müssen es auch benennen. Und da sind auch Jungs betroffen. An dieser Kinderpornografie, so wird das immer genannt, diese neuen Fälle, die jetzt kommen, auch diese Internetpornographie, die da um Pädophilie. Aber das sind ganz viele Jungs auch betroffen. Das sind nicht nur Mädchen, die da im Kindes- und Jugendalter missbraucht werden und werden. Die wissen alle nicht, was ihnen geschieht. Das machen Erwachsene. Wir müssen als Erwachsene viel hellhörig sein. Was macht mein Nachbar? Ich sage da manchmal so provokante Sätzewie: Für ein 14 jähriges Mädchen ist es wahrscheinlich viel gefährlicher, zum 70. Geburtstag des Onkels mitzufahren, als heute Nacht um 10:00 allein durch die Stadt Nürnberg zu laufen. Das wird viel gefährlicher sein. Das sagt die Statistik. Dass das der gefährliche Hort ist. Für Jungs sind die institutionellen Einrichtungen momentan gefährlicher, zumindest 50, 60 % und das private Umfeld nicht so sehr. Aber das sind Nuancen. Aber das muss man sich mal so übersetzen und gewahr machen. #00:42:58-7#
Hannah Diemer: Jetzt haben wir ganz viel gesprochen über Jungs und Männer, auch in der Opferrolle. Wie schaut es denn aus mit der Täterberatung? Ist ja auch ein großer Schwerpunkt ihrer Arbeit. #00:43:07-3#
Matthias Becker: Meine Arbeit weniger. Das ist so ein Bereich. Das wird ja unterschieden zwischen Weisungen und Selbstmeldern. Dass Männer sich aufgrund ihrer Täterrolle direkt Hilfe suchen, ist schon selten oder seltener. Die kommen fast nie bei mir an! Da haben wir in Nürnberg jetzt schon seit 20 Jahren die Gewalt Beratung, die sich dem Thema annimmt. Männlicher Täter und das ist auch jetzt politisch angekommen. In ganz Bayern wird gerade vom Sozialministerium in jedem Regierungsbezirk eine Täterberatungsstelle eingerichtet. Für Täter häuslicher Gewalt. Und das bezieht eben beides mit ein. Da gibt es Standards. Es gibt auch schon eine Bundesarbeitsgemeinschaft. Täterarbeit, wo es bestimmte Standards gibt, Vorgehensweisen, Qualität sowohl der Fachkräfte als auch In welchem Kontext kann ich da arbeiten? Das ist sicher ein wichtiger Punkt. Das weiß man alles. Es gibt verschiedene Tätergruppen. Es gibt Männer, die nutzen das, um ihre Macht zu demonstrieren, auszuüben, das zu bekommen, was sie wollen, gerade im familiären Kontext. Es gibt aber auch Männer, die dieser Situation sehr ohnmächtig gegenüberstehen, eigentlich nicht glücklich sind. Die haben kein anderes Handwerkszeug. So nenne ich das dann immer und haben es vielleicht nicht anders gelernt. Wie auch immer, es gibt einen Konflikt, der muss jetzt geregelt werden oder es wird von mir eine Meinung verlangt und ich weiß es nicht. Und das sagen die dann auch. Das formulieren sie so: Dann habe ich zugeschlagen, dann war Ruhe. Dann frage ich auch: Was dann? Ja, ich weiß schon, das ist nicht gelöst aber es war Ruhe. Es war beendet. Die sagen: Ja, ich weiß auch am nächsten Tag geht es weiter und... Das ist diese Ohnmacht. Ich weiß aber trotzdem nicht, wie ich mich anders verhalten soll. Und das sind natürlich Männer, denen man helfen kann. Da sage ich: Was ist denn da los? Oder was brauchst du denn? Oder was hat dich denn da so wütend gemacht oder so ohnmächtig gemacht? Oder warum musstest du denn da zuschlagen? Oder warum kannst du nicht anders für Ruhe sorgen? Und das ist wirklich so, dass das oft, in dem Moment, impulsgesteuert ist. Und dass das Männer aber auch erlernen. Das lernen wir in der Jugend schon so. Konflikte werden auch körperlich ausgetragen, dass das ein, wie soll ich das sagen, legitimes Mittel der Konfliktbewältigung ist. Das wird manchmal von Männern ja auch erwartet, irgendwie. Siehe Bundeswehr und sonst irgendwo. Männerdomänen in diesem Bereich. Da wird von Männern ja auch Gewalt erwartet. Auch interessant ist, es werden jetzt immer mehr Frauen bei der Bundeswehr, aber auch bei der Polizei eingesetzt. Jetzt schauen Sie sich mal die Gewaltvideos von der Polizei an. Ob in Amerika oder in Deutschland. Wir haben es jetzt als großes Thema. Auch da kniet man offensichtlich auf Rücken und Hälsen. Haben Sie da schon eine Frau dabei gesehen? Interessant, oder? Das finde ich auch. Warum sind das jetzt Männer, die so martialisch da die Staatsgewalt durchsetzen müssen? Das hat einen Grund. #00:46:14-7#
Hannah Diemer: Und ihre Aufgabe oder ihr Arbeitsbereich wäre dann auch wieder Bereiche zu schaffen, in denen man darüber sprechen kann, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen und vielleicht zu Aktionstage zu starten, oder? #00:46:28-6#
Matthias Becker: Ja, da geht es jetzt mal darum. Aktionstage ja, aber hauptsächlich Öffentlichkeit. Es gibt jetzt andere Stellen, auch Männer zu ermuntern. Hey, wenn du da, wenn dir das passiert, dass du zu schlägst und du willst das eigentlich nicht, dann such dir doch Unterstützung und Beratung. Dann änder das doch. Und gleichzeitig zu sagen: Das ist nicht in Ordnung, wenn du das machst, mit deinen Kindern, mit deinen fünf Frauen, schon gar nicht. Also überhaupt ist es nicht in Ordnung zuzuschlagen, um Diskussionen, Konflikte zu lösen oder Gewalt anzuwenden, auch psychische Gewalt nicht. Das kann man thematisieren. Und dann hoffe ich und ich glaube auch, da passiert auch etwas, wenn man sagt, auch als Mann oder wenn Männer sich da solidarisieren: Das ist nicht in Ordnung, ja. Manche wollen vielleicht nicht, aber es gibt auch Hilfe, du musst sie nur annehmen. Du musst den einen Schritt tun. Und das ist aber halt andererseits auch ein langer Weg. Das haten wir auch beim Björn Süfke letztes Jahr. Solche Erfahrungswerte, die finde ich immer erstaunlich. Zugänge von Männern oder auch von Jungen zum Teil ins Hilfesystem oder ein Thema von mir ist noch: Männer und Jungen Gesundheit. Und überall stellt man fest, dass Jungen und Männer so viel länger brauchen, zeitlich gesehen, bis sie andocken an Hilfesystem. Das ist unglaublich. Das geht manchmal das fünffache oder siebenfache. Eine Frau sucht sich vielleicht im Stress Hilfe bei uns, in einem halben Jahr. Und Männer brauchen 3, 4, 5 Jahre, bis sie sich überwinden, sich irgendwohin zu wenden und leiden so lange oder viel zu lange, was auch Ärzte berichten. Wann dann Männer kommen oder auch Jungs. Unglaublich. Die müssen schon unsägliche Schmerzen erlitten haben, bis sie dann gekommen sind. Da geht dann gar nichts mehr. Ja, und so ähnlich ist es wahrscheinlich auch bei psychischen Sachen, bei solchen Verhaltensweisen. Das wird nach wie vor viel mit den Gesetzen in unserer Gesellschaft, mit den Rollen Stereotypen zu tun haben. Wenn ich nicht funktioniere, wenn ich nicht leistungsfähig bin, bin ich auch automatisch kein Mann mehr. Wenn ich Hilfe, Unterstützung brauche, ich das nicht alleine geregelt bekomme, ist das gleich unmännlich. Immer noch so konnotiert. Minderwertig. Keine Anerkennung. Ich diskutiere dann auch gerne mit Frauen. Das ist so lustig. Diese typische Männergrippe. Ja, das ist so ein ganz heikles Thema, finde ich immer. Ja, es gibt Männer, die ganz furchtbar leiden. Interessant ist nur, Klammer auf, Es gibt tatsächlich Unterschiede in bestimmten Grippeformen rein medizinisch. Ich kann nicht feststellen, ob die den menschlichen Organismus anders angreift als den weiblichen. Das ist ganz interessant, kann ich biologisch fassen. Aber, und das ist das ganz Spannende ist, was passiert, wenn die Frauen, sich jetzt die Freundin sich dann so richtig lustig darüber macht, im Sinne von: Dann zieh bei deiner Mutter wieder ein. Irgendwie kommst du überhaupt nochmal von der Couch runter? oder bist du schon gestorben? Wir können das ja durchexerzieren. Was macht das denn bei dem Mann? Indirekt. Der zeigt jetzt mal Schwäche und sagt: Mir geht's nicht gut und es wird sofort negativ konnotiert. Der wird sich auch in der Beziehung bei seiner Frau, Freundin nicht mehr trauen, Schwäche zuzugeben. Jetzt kann sie sagen: Das ist doch lächerlich. Nein, ist es nicht. Er hat einmal, zweimal diese Erfahrung gemacht, dass das sofort negativ konnotiert wird. Männlich, praktisch eher abgewertet wird. Nicht jetzt in dieser individuellen Situation, sondern eher als Person und Mann. Das heißt, das wird er nicht mehr machen. Das wird er einfach verstecken, wenn er mal Schmerzen hat, am Herzen und sonst irgendwas, wird er nicht sagen, bis er umkippt. Weil es wird ja lächerlich gemacht und nicht ernst genommen. Das ist seine Erfahrung gewesen. Jetzt kann man sagen: Es ist absurd, aber so ist es. Das sind die Tatsachen. Und da braucht es eben mehr. Ich brauche ein Selbstbewusstsein, als Mann auf mich zu achten und auch danach vorzugehen, egal, was die anderen sagen. Was die Fremdeinschätzung, die Fremdbewertung sagt. Das wäre das Wichtige. #00:50:21-7#
Hannah Diemer: Jetzt gibt es auch ganz wunderbare Projekte, wie zum Beispiel das Heroes Projekt, das in Nürnberg durchgeführt wird. Könnten Sie das kurz erklären? Was ist dieses Projekt und worum geht es genau? #00:50:31-2#
Hannah Diemer: Auch das ist fast eine kleine Überforderung. Aber die Heroes sind natürlich Mitglied bei unserem Netzwerk Junge Männer in Nürnberg. Heroes ist ganz explizit ein Projekt, was sich in der Regel an männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund richtet. Einer bestimmten Altersgruppe, die sie ausbilden, zu Multiplikatoren, die dann an Schulen gehen und wieder mit Jugendlichen, mit ganzen Klassen arbeiten, aber gezielt auch männliche Jugendliche ansprechen wollen. Und da geht es eben um so Begriffe wie Ehre oder Familienehre und auch das ganze Rollenverständnis von Mann und Frau in einer Beziehung. Und solche Themen werden da besprochen und thematisiert und das ist sehr erfolgreich. Das Spannende ist eben der Hintergrund oder Auslöser, dieses ganzen Projekts. Der war in Berlin, da gibt es jetzt diesen Film dazu. Der Auslöser diser Vorkommnisse nur eine Frau. Wo ein damals noch Minderjähriger, also der jüngste Bruder einer Familie, seine Schwester erschossen hat, auf offener Straße. Weil sie sich eben die Familienehre beschmutzt hat und sich nicht konform in ihrer weiblichen Rolle verhalten hat. Und das war der Auslöser. Das kann nicht sein, dass da schon die Brüder von so einem Familiensystem instrumentalisiert werden und richten aus Ehrgedanken. Also das ist schwierig. Das heißt dann Ehrenmord. Bei uns heißt das Familiendrama. Auch das ist spannend. Wie wird sowas in der Öffentlichkeit oder in Medien bezeichnet? Das sind auch so interessante Sachen. Aber das ist so ein Projekt, wo es genau um so Konflikte geht. Ehre? Was ist Ehre? Dabei stellt man fest, dass das auch bei uns ein merkwürdiger Begriff ist, der immer noch mitschwingt in vielen Kontexten und nicht nur bei Familien, Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Also das ist ein spannendes Projekt. #00:52:22-5#
Matthias Becker: Wie würden Sie sich denn die perfekte Zukunft vorstellen, wenn es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen geht? #00:52:30-2#
Hannah Diemer: Ich würde das immer so nennen. Schön wäre es, wenn irgendwann Geschlecht keine Rolle mehr spielt, bei Berufswahl und sonst was. Also wenn das keine Einschränkungen mehr ist, bei Bezahlung und sowas. Also wenn das einfach egal ist. Ja oder auch im Kindergarten, bei Spielsachen, bei Verhaltensweisen usw.. Wenn jeder so sein kann, wie er ist, unabhängig von seinem Geschlecht. Wenn das nicht mehr so ein dominanter Marker in unserer Gesellschaft ist und Rollenzuweiser oder Platzhalter. Das wäre für mich so die ideale Zukunft. Denn Konflikte wird es weiter geben zwischen Männern, zwischen Frauen, zwischen Männern und Frauen. Das wird es ja weiter geben. Aber wenn die Auslöser oder Gründe, eben so markant aufs Geschlecht zurückzuführen sind, das ist halt das Traurige. #00:53:19-9#
Matthias Becker: Werden bei Ihnen in der Männerberatung auch transsexuelle Männer mit einbezogen? #00:53:24-6#
Hannah Diemer: Die wenden sich ganz wenig jetzt auch an mich, weil wir jetzt auch diese Koordinierungsstelle LSBT haben. Das macht die Kollegin und insofern sind da Zugänge bzw. wir arbeiten hier mit den Einrichtungen in Nürnberg zusammen, die da auch Anlaufstellen sind, also wie zum Beispiel Flieder, nicht die es gibt oder Gender und die Pro Familia hat ja Beratungsstellen oder so. Da gibt es andere Kontakte auch nochmal, aber letztendlich auch ein Thema. Klar. #00:53:56-0#
Matthias Becker: Wie schauen denn die nächsten Monate oder die nächsten Jahre für Sie als Ansprechpartner für Männer aus in Nürnberg? #00:54:03-4#
Hannah Diemer: Das weiß ich auch noch nicht. Vieles entwickelt sich ganz aktuell. Also wie gesagt, wenn Sie mich vor einem Jahr gefragt hätten oder vor anderthalb Jahren, hätte ich nicht gewusst, wie viel jetzt gerade in Bayern mit der bayerischen Politik...Dass die Männer und jungen Männer erkannt haben, wie viele Projekte da möglich waren Ich auch mit involviert war, in der Entwicklung und in der Beratung. Also was auf jeden Fall ein Thema sein wird, ist Jungen- und Männergesundheit, weil es jetzt zusammen mit dem Gesundheitsamt ein Projekt gibt. Dazu eine Koordinierungsstelle um Männergesundheit, wo wir gerade in der Bestandserhebung und Bedarfsanalyse stecken. Da ist jetzt ein Kollege, den wir einstellen konnten im Gesundheitsamt mit 25 Stunden. Und ich habe ein paar Stunden Anteile, wo wir zwei, drei Jahre mal schauen, was dieses Thema bringt, was wir da entwickeln können oder was an Themen jetzt auch hochkommt. Ansonsten ist für mich das Thema dass wir die Väterwochen weiter in Nürnberg geben und wir planen gerade jetzt mit dem Netzwerk Die Männerwochen im November. Zum Weltmännertag am 03.11 und zum Internationalen Männertag am 19.11. Da ist in Bayern weiter Fachtag, auch in Kooperation mit Sozialministerium und Emanzipation heißen wird. Mit Mann groß geschrieben in Emanzipation, wo es um Gleichstellung von Jungen und Männern geht. Und eben, was ich schon gesagt habe: Welchen Vorteil hat denn das? Oder ist Feminismus nur für Frauen da? Ja, das werden so Themen sein. Insofern, ist das das, was so die überschaubare Zukunft bringt. #00:55:41-0#
Matthias Becker: Schlägt Ihnen der eigentlich auch manchmal Gegenwind entgegen? Von zum Beispiel feministischen Seiten, wenn Sie es Ansprechpartner für Männer gelten? #00:55:47-6#
Hannah Diemer: Ja und Nein. Also es war mal mehr. Ich finde, die Akzeptanz wächst ganz deutlich. Manchmal habe ich das Gefühl: Manche Frauen müssen noch mal ganz klar sagen, wie hoch die Bedarfe für Frauen und für Mädchen sind. Was für mich außer Acht ist, also das ist gar keine Frage. Das finde ich immer so schwierig, dass es manchmal so verstanden wird, wenn ich jetzt von jungen Männern rede oder für deren Belange mal eintrete, will ich damit nicht in Abrede stellen, dass es da bei Mädchen und Frauen etliche Themen gibt, die noch zu wenig beachtet sind. Hilfsstrukturen, die unterfinanziert sind. Das müssen wir gar nicht diskutieren. Ich sage nur aber... Und das müssen wir gleichzeitig und nicht nacheinander machen. Es gibt auch etliche Themen für Mädchen, die wir beachten müssen. Und wo ich manchmal das Gefühl habe, in so einer zweistündigen Sitzung oder Treffen, ist es für manche Frauen manchmal schwierig auszuhalten, wenn man mal zehn Minuten in diesem Kontext nur von jungen Männern redet. Da merkt man dann auch, dass das wirklich noch schwierig ist, was dagegen kommt. Aber ansonsten erlebe ich auch sehr viel offene Ohren und konstruktive Zusammenarbeit. #00:57:07-4#
Matthias Becker: Matthias Becker Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich für dieses Gespräch, für die Einblicke in Ihre tägliche Arbeit und bin ganz gespannt, was das für die Zukunft bringt und wie unsere Gleichstellung in Zukunft aussehen wird. #00:57:19-9#
Hannah Diemer: Sehr gerne! Vielen Dank für das Interesse. #00:57:22-4#
Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Matthias Becker, “Männerberater” für männerpolitische Anliegen preist die Gleichstellung der Geschlechter und findet klare Worte zu Antifeminismus und sexueller Gewalt.
Trigger Warnung: In dieser Folge wird auch über sexuelle Gewalt und Kindesmissbrauch gesprochen.
Matthias Becker ist der Ansprechpartner für Männer in der Gleichstellungstelle in Nürnberg und Referent für Genderpädagogik. Im Gespräch erklärt er, was Genderpädagogik ist und warum wir diese dringend brauchen.
Wir sprechen über Feminismus und männerpolitische Anliegen von Jungen, Männern, Vätern und warum wir unsere Kinder schon im Kindergarten über Sex aufklären sollten. Warum das Patriachat die meisten Männer ebenfalls benachteiligt und die daraus resultierenden Sorgen und Probleme der Männer beschreibt Matthias Becker eindringlich an Beispielen aus seiner jahrelangen Erfahrung. Auch vor schwierigen Themen wie sexuellen Missbrauch von Kindern und häusliche Gewalt (sowohl von Männern, als auch von Frauen) schreckt Matthias Becker nicht zurück und bietet Präventions- und Handlungsideen.
Was es mit den “Incels” und anderen Antifeministischen Gruppierungen auf sich hat und wieso er sich klar von diesen abgrenzt und sich nicht instrumentalisieren lassen will - hören Sie selbst, in der 13. Folge KontaktAufnahme!
Ansprechpartner für Männer in der Gleichstellungstelle in Nürnberg
Beratung für Jungen im Jungenbüro Nürnberg
Männerschutzwohnungen für betroffene Männer häuslicher Gewalt:
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Aufgenommen am: Mittwoch, 19. August 2020
Veröffentlicht am: Donnerstag, 17. September 2020
Moderation: Hannah Diemer
Im Gespräch: Matthias Becker
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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Jede Woche, immer donnerstags, veröffentlichen wir ein neues Gespräch.
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