Chiara Seidl, ist Kunstsammeln einer Elite vorbehalten?

Katharina Mittenzwei: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge unserer Kontaktaufnahme. Mein Name ist Katharina Mittenzwei und ich darf mich heute unterhalten mit Chiara Seidl. Hallo Frau Seidl! #00:00:31-9#
Chiara Seidl: Hallo! #00:00:32-0#
Katharina Mittenzwei: Von meiner Seite aus ganz kurz und bündig, um Ihre Person vorzustellen: Sie sind promovierte Kunsthistorikerin und arbeiten als Kunstberaterin zwischen New York und Nürnberg. Voller Bewunderung für das, was ich gerade hinter Ihnen sehe, Frau Seidl, verraten Sie uns bitte, was Sie sehen, wenn Sie aus dem Fenster schauen. #00:00:49-6#
Chiara Seidl: Also, wenn ich aus dem Fenster schaue, dann sehe ich, man würde sagen, instagramwürdig. Ein wunderbarer Ausblick über die Häuser von New York. Auf der linken Seite der Hudson River. Also das Schöne ist auch, dass man nicht nur Häuser über Häuser sieht, sondern ein bisschen Natur, die hier übrig geblieben ist, auch noch. Auf der linken Seite der Hudson River, auf der rechten Seite ein ganz kleiner Fleck, wo ich sagen kann, ich gucke über den Central Park. #00:01:21-0#
Katharina Mittenzwei: Jetzt muss man natürlich fragen, wie kam das? Der Reihe nach. Sie sind in Nürnberg zur Schule gegangen, sind Kunsthistorikerin. Wie kam es, dass Sie jetzt im, ich sage mal, 69. Stockwerk eines New Yorker Apartments sitzen? #00:01:34-3#
Chiara Seidl: Ja, also, ich bin deutsch-italienischer Herkunft, also ich vereine zwei Welten in einer Person, die zwar sehr nah beieinander liegen, aber doch, wie wir alle wissen, sehr unterschiedlich von der Kultur her sind. Und ich glaube, das ist auch das, was mir schon so in die Wiege gelegt worden ist, dass ich mich für andere Kulturen interessiere und es für mich ganz natürlich kam, dass auch ich wieder woanders in eine andere Kultur reinkomme. Was die Kunst betrifft, ja, im Grundstudium, da habe ich, oder beziehungsweise, eigentlich muss ich noch viel früher anfangen. Ich bin in Nürnberg zur Schule gegangen, ich hatte dort einen ganz tollen Lehrer, den ich viele Jahre später auch wieder getroffen hatte und dem ich sehr viel zu verdanken hab, der mich überhaupt auf die Schiene der Kunst gebracht hat. Und dann bin ich auf eine Kunstschule gegangen, auch in Nürnberg, und habe dort gelernt und habe eben die unterschiedlichsten Techniken gelernt, von Malerei, über Zeichnung, bis hin zu den verschiedensten Drucktechniken oder Fotografie in der Dunkelkammer. Das habe ich alles erlernen können und das fand ich wahnsinnig spannend. Aber ich muss sagen, zu diesem Zeitpunkt war ich so ausgebrannt vom Produzieren der Kunst, dass ich dann auch überhaupt gar nicht mehr künstlerisch tätig war und für mich aber in dieser Zeit festgestellt hatte, dass ich eigentlich an der Untersuchung an Kunst interessiert bin. Das heißt, das Schreiben, das Lernen, der Austausch über Kunst, das ist das, was ich wahnsinnig toll finde und wo ich dann gesagt habe, da möchte ich weitermachen. Und so kam es dann, dass ich mich für ein Kunstgeschichtsstudium in Wien eingeschrieben habe. Das heißt, mit 18 bin ich dann schon weggegangen aus Nürnberg. Für mich war das ganz wichtig, ich wollte was anderes sehen, ich wollte eine andere Umgebung haben. Und genau, und so kam es dann, dass ich dort studiert habe. Ich bin dann weiter nach Rom gezogen, habe dort noch weiter studiert. Ich hab Kunstgeschichte, Archologie und später dann noch Museum Studie studiert. Das heißt, auch unterschiedliche Richtungen. Ich habe ein bisschen meine Fühler ausgestreckt. Und in Rom, da war dann so der ganz große Punkt, wo ich wusste, das ist meine Spezialisierung in der Kunst. Das ist die Fotografie, also die Fotografie, die im neunzehnten Jahrhundert die ganze Kunstwelt auf den Kopf gestellt hat. Und eigentlich ist es total witzig, weil jeder, der nach Rom geht, der denkt: Ah, Michaelangelo, Leonardo da Vinci und Sixtinische Kapelle, und ich meine, ich habe mir das natürlich auch alles angeguckt, aber irgendwie Fotografie, 19. Jahrhundert, das war das, was ich dann für mich festgestellt habe, was überhaupt nicht nach Rom passt. Ich bin dann aber wieder zurück nach Nürnberg und hab mich ganz neu in Nürnberg verliebt und hab Nürnberg ganz neu wieder für mich entdeckt und wirklich diese historische Wichtigkeit dieser Stadt für die Geschichte, für die Kunst und überhaupt alles und habe dann angefangen, neben dem Studium dort auch zu arbeiten und hab gelehrt, hab Führungen gemacht im Germanischen Nationalmuseum, im Stadtmuseum Fembohaus, also hab mich da sehr wirklich für die Geschichte der Stadt interessiert. Und dann, wie das immer so ist im Leben, man hat immer dann so Phasen und dann zieht es einen wieder weg. Und das ist eigentlich das, was mein Leben prägt. Also, ich bin immer wieder zurück nach Nürnberg und habe eine ganz starke Verbindung zu Nürnberg, aber ich bin eben so ein Ausreißer, der auch in diesen anderen Städten und anderen Kulturen sich dann hingezogen fühlt. Und während meiner Promotion, wo ich dann eben über Fotografie geschrieben habe, da bin ich dann verstärkt immer wieder nach New York und so kam das dann auch mit der kunstberaterischen Tätigkeit und jetzt sitze ich hier und bin sehr glücklich. #00:05:34-4#
Katharina Mittenzwei: Das ist nicht schwer, Ihnen das zu glauben. Noch mal in die Richtung Museum zu gehen. Ich sag jetzt mal, ein üblicher Weg einer promovierten Kunsthistorikerin könnte ja vielleicht sein, sich ein hübsches Museum auszusuchen und da als wissenschaftliche Mitarbeiterin, als Direktorin zu arbeiten oder eine akademische Laufbahn einzugehen. Warum haben Sie sich dagegen entschieden? Oder wie ist so die Entscheidung gekommen, ich werde Kunstberaterin? Das ist ja jetzt nun doch ein Beruf, der nicht zwangsläufig auf der Hand liegt. #00:06:01-9#
Chiara Seidl: Da haben Sie vollkommen recht. Das stimmt, und es ist eher außergewöhnlich, würde ich sagen. Ich habe natürlich auch damals viele Praktika im Museum gemacht und habe diese Landschaft für mich ausgekundet und versucht zu sehen, was es da denn alles für Möglichkeiten gibt. Denn Museum per se ist ja nicht nur, okay, ich arbeite im Museum und das wars, sondern auch in einem Museum, was eine große Institution ist, da gibt es so viele verschiedene Dinge, die man da machen kann. Man ist ja nicht immer nur dann die Direktorin oder die Sammlungsleiterin, sondern man kann ja auch Impression Öffentlichkeit gehen und Provenienzforschung. Da gibt's ja so viele verschiedene Dinge, die man dort auch machen kann. Dass ich mich dann aber für eine andere Richtung entschieden habe, das war gar keine bewusste Entscheidung im Sinne von: Ich will jetzt Kunstberaterin werden! Weil das Schwierigste ist auch dabei, wo kriegt man seine Kunden her? Sondern das ist eher etwas, was mir eigentlich in den Schoß gefallen ist oder was ich - in den Schoß gefallen hört sich vielleicht bisschen blöd an. Aber es hat sich so entwickelt und irgendwann hat man sich dann gedacht so, huch, ich glaube, ich bin jetzt eine Kunstberaterin. Es war eher so rum. Aber man muss natürlich eine Affinität für den Kunstmarkt entwickeln, was ein ganz anderer Bereich ist als der akademische Bereich. Und ich meine, ich habe ja eine akademische Ausbildung, auch mit der Promotion, und habe Erfahrungen gesammelt, was immer gut ist und was immer hilfreich ist. Aber diese Affinität zum Kunstmarkt, die hat sich eigentlich schon im Grundstudium herauskristallisiert bei mir. Also da bin ich schon mit dem Kunstmarkt in Berührung gekommen. Ich habe damals großes Glück gehabt, schon im zweiten Semester, also ich war noch ganz, ganz am Anfang, da hatte ich ein Praktikum bei einem internationalen Aktionshaus in Wien und das war de facto eigentlich mein erstes Praktikum, das ich überhaupt jemals absolviert habe und dann eben gleich bei so einem internationalen Führenden. Und wie man sich vorstellen kann, hat das großen Eindruck bei mir hinterlassen und Spuren hinterlassen und führte dann schließlich dazu, dass ich später in Frankfurt nochmal für dieselbe Firma tätig wurde. Das heißt, ich habe schon immer so einen Hang zum Kunstmarkt gehabt und fand diese Welt absolut faszinierend einfach. Und auch das, was die Menschen daraus machen. Also, es ist ja jetzt nicht so, dass Kunst und Geld per se was miteinander zu tun haben. Es beißt sich ja eigentlich auch, also dieses Konstrukt, das gebildet wird, dass man so einer Sache einen Preis gibt. Also für mich ist das abstoßend und anziehend zugleich. Und das ist, glaube ich, die Kombination, die so eine Faszination in mir auslöst. Wie geht das überhaupt? Wie kann denn das sein, dass jetzt da so ein Gemälde da für so und so viel verkauft wird oder Menschen bereit sind, es da hinzulegen? Und was bedeutet das eigentlich? Also, das ist, glaube ich, das ist so der Kernpunkt, wo ich sage, wow, ich muss mehr darüber erfahren. Und die Frage ist, kann man das jemals beantworten? Kann man das jemals greifen? Ich glaube, das darf gar nicht die Frage oder die Ambition sein, sondern man muss es einfach nehmen für das, was es ist. Und diese mysteriöse Blase des Fasziniertseins genießen. #00:09:21-5#
Katharina Mittenzwei: Ja, Sie werfen da so ein ganz spannendes Thema in den Raum. Also diese Spannung zwischen Preis und Wert der Kunst. Können Sie uns vielleicht diese Fragen, die Sie jetzt gerade selbst gestellt haben, auch beantworten? Wer bestimmt denn den Preis von Kunst? Und was ist der Unterschied zwischen Wert und Preis? Und gibt es ungerechtfertigte Preise? Darf man sagen, dieser Preis ist falsch? Wie können sich Preise verändern? #00:09:46-1#
Chiara Seidl: Also, ich glaube, es gibt generell kein richtig und kein falsch, sondern es ist, was es ist und es ist das, was die Menschen daraus machen und der Preis orientiert sich nach Angebot und Nachfrage und was Menschen bereit sind zu zahlen. Das ist ja das, was keinen Sinn macht. #00:10:05-9#
Katharina Mittenzwei: In vielen Bereichen. #00:10:11-4#
Chiara Seidl: Das ist ja so interessant einfach, wie kommt es jetzt dazu? Aber dann muss man natürlich sagen, spielen natürlich viele Umstände eine große Rolle und man muss immer den Zeitgeist im Blick haben. Also was ist im Moment auch vielleicht Trend, ja? Trend ist temporär. Was ist langfristig? Was für eine Wichtigkeit hat vielleicht eine gewisse Phase oder auch ein gewisser Künstler oder eine Gruppe? Wie können das stellvertretende Personen sein für eine gesamte Entwicklung, für eine Bewegung, ein Movement? Also, ich glaube, das ist das. Und das ist auch das, was so das Schwierige am Kunstmarkt ist, man kann das nicht lernen. Dieser Beruf, Kunstberaterin, dafür geht man nicht zur Schule. Es ist kein Studium, es ist nicht, ich absolviere irgendwo ein Kurs und jetzt bin ich Kunstberaterin, so wie das ist, wenn ich jetzt, keine Ahnung, Medizinstudium mache oder wenn ich Anwalt werden möchte, sondern es ist ein stetiger Lernprozess. Und es ist eine sehr, sich schnell bewegende, verändernde Welt, wo man immer dabeibleiben muss. Man muss immer am Ball bleiben, man muss immer gucken, man muss immer netzwerken, man muss immer mit Augen und Ohren offen sein. Deswegen sage ich auch, dass mein Beruf oder der Beruf einer Kunstberaterin, das ist kein Beruf, sondern das ist ein Lifestyle. Man hat kein Wochenende, man hat keinen Urlaub, sondern da vermischt sich Geschäftliches mit Privatem. #00:11:51-9#
Katharina Mittenzwei: Wir sind ja jetzt relativ schnell in diese Thematik der Kunstberatung gekommen und für mich ist es ein sehr, sehr neues Thema. Können Sie uns denn einmal beschreiben, wie so ein klassischer Tag aussieht? Wahrscheinlich haben Sie keinen klassischen Tag, wahrscheinlich sieht jeder Tag anders aus. Aber wir schreiben Sie uns doch mal, was morgen zum Beispiel passiert. #00:12:10-4#
Chiara Seidl: Also, morgen habe ich was sehr Spannendes eigentlich. Das ist witzig, dass Sie jetzt genau fragen, was morgen passiert. Ich habe im Moment ein ganz tolles Projekt in Upstate, New York und bin dort mit einem Sammler zusammen, der beginnt zu sammeln. Und das ist so die Nadel im Heuhaufen. Weil normalerweise hat man mit mit Leuten zu tun, die normalerweise schon eine Sammlung haben und man erweitert die oder man verkleinert die oder man verändert sie. Da gibt es ganz, ganz viele unterschiedliche Dinge, die man damit anstellen kann, je nachdem auch was es für Bedürfnisse gibt. Aber mit jemanden komplett auf diesen neuen Weg zu gehen, zu sagen, das finde ich spannend, aber ich habe keine Ahnung. Und es gibt so viel. Also wenn Sie sich vorstellen, wie viele Künstler und Künstlerinnen es da draußen gibt, wie viele Institutionen, wie viele Galerien. Wo fängt man an? Klar, man kann natürlich auch auf eine Kunstmesse gehen, da hat man schon so ein bisschen die creme de la creme, das ist schon mal ein bisschen eingegrenzt, aber selbst auch da, das schafft ja kein Mensch. Und da braucht man jemand, der einem so ein bisschen hilft, so ein bisschen anleitet, aber - und das ist das, was mir auch so wichtig ist in meiner Tätigkeit -, ich höre zu. Ich rede, aber ich höre auch vor allem zu. Und es geht nicht darum, dass ich das, was mir gefällt oder was ich gut finde, jemand auf die Nase binde, sondern dass ich das rauskitzel bei einem Menschen, dessen Weg in die Kunstwelt. Denn ich bin der Meinung, jeder hat diese Verbindung. Es gibt ja auch viele Menschen, die sagen, also, Kunst, damit kann ich gar nichts anfange. Und das stimmt nicht. Ich glaube, jeder kann damit was anfangen und jeder hat einen Zugang zur Kunst. Die Frage ist nur, man braucht die richtige Person, die das ein bisschen rauskitzelt. Und das ist da so ganz, ganz spannend. Denn ich gehe morgen eben zu diesem Kunden hin und das ist ein größeres Projekt. Es wird eine neue Sammlung angelegt, es wird ein Haus gebaut. Das vermischt sich auch schon ein bisschen mit Interior Design. Und da ist man natürlich dann auch mit vielen anderen Kollegen und Kolleginnen in einem Team zusammen, mit denen man arbeitet. Jeder hat so seinen Teilbereich. Ich bin mehr für die Kunst zuständig, aber wenn man sagt, man lebt mit der Kunst, dann muss das in dem Interior Design, oder auch morgen zum Beispiel treffe ich jetzt Landscape-Designerin. Also, wir sprechen über potenziell eben Skulpturen im Garten. Da muss man natürlich gucken, wo wäre ein idealer Ort? Was braucht man da? Ist es eine Skulptur, die einfach nur dasteht? Ist es was Interaktives? Ist es etwas, das vielleicht Strom oder Licht braucht? Wie kann man das beleuchten? Also diese ganzen Facetten, das muss man dann auskatteln und das eben nicht nur mit dem Sammler oder der Sammlerin, sondern eben auch mit den ganzen anderen Personen, die ihren Schwerpunkt und ihre Expertise haben. #00:15:07-4#
Katharina Mittenzwei: Sie sprachen jetzt viel von dem New York Lifestyle und von Interior Design und von Landschaftsgärtnerinnen, mit denen Sie zusammenarbeiten. Das meint ja sozusagen, das Kunstsammler*innen über ein gewisses Kapital verfügen. Ist denn Kunst der Elite vorbehalten oder kann man auch Kunst sammeln, wenn man ein einfacher Student, einfache Studierende ist? #00:15:28-1#
Chiara Seidl: Also ich würde sagen, Kunst ist definitiv nicht der Elite vorbehalten. Kunst ist für alle da und kann von allen betrachtet, besprochen und auch gekauft werden. Es gibt immer etwas für jeden Geldbeutel. Ich finde in meiner Tätigkeit, was für mich auch spannend ist, ist, nicht nur mit den absoluten Großverdienern zusammenzuarbeiten. Das ist natürlich eine tolle Sache, wenn man kein Limit hat oder man eben in einem sehr, sehr mehrstelligen Bereich sich mit diesen Dingen umgibt, dass ist wahnsinnig attraktiv. Aber es ist auch für mich ganz wichtig und sehr attraktiv, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten, die vielleicht sagen: Ich würde gerne sammeln und Kunst, das finde ich ganz ansprechend, aber ich kann mir das gar nicht wirklich so leisten. Ich kann jetzt nicht einfach mal hier 50.000 € auf den Tisch legen für einen Berg, sondern vielleicht nur ein paar 100 € oder, keine Ahnung, 2000 €. Auch das ist doch spannend. Weil jeder fängt ja irgendwo mal an. Und da diesen Weg gemeinsam zu gehen, so eine Kundschaft aufzubauen, die wächst, die nicht schon ganz oben ist, sondern mit denen man den Weg gemeinsam bestreitet, mit denen man, denen man auch beim Wachsen zusehen kann, wo sich vielleicht dann tatsächlich auch was verändert und der eine oder andere oder die eine oder andere auch irgendwann sich etwas Teureres leisten könnte beispielsweise. Teuer heißt ja auch nicht immer gleich gut. Es geht ja auch nicht darum, dass das Ziel ist, viel Geld auszugeben, sondern es geht darum, das Geld so auszugeben, dass es einen glücklich macht mit dem, was man dafür bekommt. Deswegen ist Kunst nicht per se der Elite vorbehalten. #00:17:14-2#
Katharina Mittenzwei: Warum sammeln Menschen denn Kunst? Also es gibt ja Kunst um der Kunst willen. Ich denke jetzt einfach an Kunst im öffentlichen Raum, die so wichtig ist für unsere Gesellschaft und so viel auslösen kann, so wichtig ist für unsere Städte. Und es gibt Kunst, die einen Preis hat. Warum sammelt man Kunst? Um Investitionen zu tätigen? #00:17:38-5#
Chiara Seidl: Es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen und es ist eine absolut individuelle Sache. Es gibt natürlich die Kundschaft, wo ich sage, die würde ich eher als Investoren bezeichnen. Da geht es vielleicht weniger darum, was das tatsächlich für ein Werk ist und von wem das ist und wie das platziert ist. Also da würde ich sagen, das ist eher sekundär, sondern da geht es um eine Marktpreissteigerung auf mögliche Spekulation. Ich meine, das machen Menschen die ganze Zeit. Mit Wertpapieren, mit Immobilien, man spekuliert und man versucht zu investieren. Man hat ein Portfolio und man versucht, sich möglichst breit aufzustellen und neben Immobilien, Wertpapieren und, und, und. Oder in irgendwelche Firmen zu investieren, von denen man sich erhofft, dass man dann eben was zurückbekommt - ist eben Kunst auch ein Teilaspekt. Das ist eine Sache, das ist eine Herangehensweise. Aber dann gibt es natürlich das, was ich als Sammler bezeichne. Das heißt, da muss schon auch so eine gewisse Liebhaberei auch mit dabei sein. Und das ist, was - Menschen haben schon immer gesammelt. Also wenn man an die Kunstkammern denkt und an diese ganzen Dinge, das hat ja eine ganz, ganz lange Historie, dieses Sammeln, sich die Welt erklären, Verbindungen zu schaffen. Und da spielt der Designfaktor, das heißt tatsächlich, passt das Teil jetzt über meine Couch und sieht gut aus? Das ist auch nur ein Teilaspekt. Das ist gar nicht das Wichtigste, sondern da geht es um so viel mehr. Es geht um Fragen und es geht um Verstehen und es geht um den Austausch und es geht um Kommunikation und es geht auch um diesen sozialen Aspekt. Wenn man ein Kunstwerk, ich sag mal, im Essbereich hängen hat und man veranstaltet ein tolles Dinner, das ist immer etwas wo eine Frage gestellt wird. Man kommt darüber mit Menschen ins Gespräch, also von demher, Sammeln, es gibt unterschiedliche Arten von Sammeln, es gibt auch unterschiedliche Bedürfnisse. Und das hat nicht immer nur was rein mit Investitionen zu tun und es hat auch nicht immer nur was rein mit Liebhaberei zu tun sind. Das sind Beifaktoren. Die können zusammenkommen, müssen aber nicht. #00:19:55-8#
Katharina Mittenzwei: Jetzt hatten wir diese zwei Positionen recht stark besprochen. Die Sammler*innen und die Kunstberater*innen. Was ist denn mit den Künstler*innen? Wenn ich es richtig verstehe, ist es auch so ein Dreigestirn. Und gibt es bestimmte Verhaltenskodizes unter diesen drei Positionen? Plaudern Sie mal ein bisschen aus dem Nähkästchen. #00:20:16-3#
Chiara Seidl: Ich glaube, Verhaltenkodizes ist vielleicht sogar ein bisschen übertrieben, weil das ist schon sehr so regelbuchmäßig. Aber ich würde sagen, dass jeder die Position und die Rolle des anderen respektieren muss. Das ist, glaube ich, so das A und O von diesem Dreigestirn oder von noch mehreren Gestirnen, wenn man so möchte. Weil Kunst kann ja nicht nur direkt vom Künstler oder von der Künstlerin akquiriert werden, sondern eben auch durch Galerien, durch Art dealers, durch Auktionshäuser. Da gibt's ja noch viele andere Institutionen. Aber ich denke, das Wichtigste, wenn man sich wirklich die Frage stellt, was ist das Wichtigste, dass ist wirklich dieser Respekt, seine Rolle einzunehmen und die Rolle des anderen zu respektieren. Und jeder sollte im besten Fall natürlich auch voneinander profitieren, sodass es eben so eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten gibt. Also man kann sich zum Beispiel vorstellen, wenn jetzt ein Werk verkauft wird, dann ist der Sammler oder die Sammlerin, ist glücklich, ein neues Werk zu besitzen, egal ob das jetzt dann auch daheim aufgehängt wird oder nicht, aber man hat es. Der Künstler oder die Künstlerin ist glücklich, weil das Werk im besten Fall eben in guten Händen ist und weil der- oder diejenige eben dann auch damit Geld verdient hat, was bedeutet, dass man weiter das machen kann, was man macht. Es geht gar nicht darum, dass man dann sich ein großes Boot und Haus und sonst was kauft, sondern es geht darum, dass man einfach weitermachen kann und dass man das Geld, das man verdient, wieder investieren kann, um weitere Werke und das, was man liebt, einfach zu machen. Und ich bin glücklich, weil ich zwei Welten miteinander vereinen konnte, ja schon fast wie so eine Art Heirat eigentlich, wenn man möchte und ich eben von dieser Tätigkeit natürlich auch leben kann. Und man hat neue Menschen kennengelernt, man ist um Erfahrungen reicher und insgesamt würde ich sagen, ist es ein wirklich sehr positiv besetzter Beruf. #00:22:24-5#
Katharina Mittenzwei: Was gibt es Schöneres, als Künstlerin durch ein Haus zu laufen oder durch einen verwilderten Garten und man sieht da sein Werk. Wer findet wen? #00:22:36-9#
Chiara Seidl: Das ist eine sehr gute Frage. #00:22:37-7#
Katharina Mittenzwei: Die Kunst den Mensch oder der Mensch die Kunst? #00:22:39-8#
Chiara Seidl: Also ich bin der Meinung, mich finden immer die Dinge. Das geht mir aber auch bei Büchern so. Ich glaube nie, dass ich tatsächlich selber ein Buch finde, sondern die Bücher immer mich finden zur richtigen Zeit. Und genauso ist es mit Kunstwerken auch. Ich begegne den Werken, für mich selber, aber auch für andere richtige Zeitpunkt zum richtigen Ort, richtige Leute. Man bringt da die Welten zusammen. Mensch und Werk, die sich vielleicht gar nicht begegnet hätten. Und das ist auch das, was ich so spannend an meiner Tätigkeit finde, dass ich zwischen zwei Welten bin und ich die immer wieder vereine, manchmal stärker, manchmal ist es auch nur so ein Momentum. Manchmal sind es gar nicht die Menschen an sich, sondern das überträgt sich auf dieses Werk, das ja auch stellvertretend für den Menschen sein kann. Das kommt auch wieder auf den Rezipienten drauf an. Aber für mich, also ich sammel selber auch, für mich sind die Werke stellvertretend für die Menschen, die ich auch in der Regel kenne. Also in der Regel, wenn man über zeitgenössische Kunst spricht, oder das ist jetzt, sag ich mal, für mich so, dann habe ich, ich lebe mit diesen Werken. Ich lebe mit diesen Menschen. Ich lebe mit dieser Energie, die ja auch in den Werken steckt und die sich auch verändern, wenn sich der Raum verändert, wenn sich das Licht verändert, wenn aber auch ich mich verändere, wenn ich mich anders fühle, dann verändern sich auch die Werke. Also man ist im Prinzip, mit Kunst ist man eigentlich nie alleine. Man kann als Fazit oder als Schlussfolgerung sagen, mit Kunst ist man nicht allein, man ist immer in Gesellschaft. #00:24:24-2#
Katharina Mittenzwei: Sie haben ja eine Website, die Website von CS Art Partners, und Sie empfangen Ihre Besucher*innen mit dem Satz: Art is communication. Was bedeutet denn Kunst für Sie ganz persönlich? #00:24:37-4#
Chiara Seidl: Für mich ist die Kunst das Mittel, um mir die Welt zu erklären und das ist ein ganz innerer Drang und ein innerer Antrieb. Und das mit anderen Menschen zu teilen, das ist, glaube ich, das, was ich am Schönsten finde. Jetzt nochmal zurück auf den Aspekt der Kommunikation. Also die Kommunikation ist ja das A und O im Leben generell, aber eben vor allem in der Kunst und die Frage ist halt nur, wie man kommuniziert. Und es gibt, wenn man jetzt über Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen nachdenkt, dann kommunizieren manche in schriftlicher Form, über Bücher, über Publikationen. Oder es gibt welche, die eher das als Lehrtätigkeit machen oder eben, ja, Kommunikation als Kunstberaterin für mich, mein Hauptwerkzeug, eben auch ganz, ja, einfach das Teilen, durch Sprechen, durch Zeigen, durch Lehren, aber vor allem auch für mich durch das Zuhören und dieser Austausch über Kunst. Und das bedeutet Austausch übers Leben, weil hinter jedem Kunstwerk, hinter jeder Bewegung stehen Menschen und das ist die Reflexion dessen, was wir eigentlich erleben, da das Künstler und Künstlerinnen anders verdauen, sag ich mal. Die saugen ja die Welt auf und dann ziehen sie sich zurück und dann passiert irgendeine Magie und dann könnte man schon fast sagen, dann spucken die das wieder aus, bringen das in eine visuelle oder auch in eine auditive oder performative Form. Da gibt es ja auch unterschiedliche Formen, die so einzigartig sind, die uns eigentlich den Spiegel vorhalten. Das, was in dieser Zeit passiert, was beschäftigt die Leute, was zeichnet diese Zeit jetzt aus? Wir denken immer über die Vergangenheit nach und wir denken über die Zukunft nach. Aber dieser präsente Moment, was ist jetzt hier eigentlich? Was ist da eigentlich los? Und es ist auch im Moment sehr spannend. Natürlich stellt man sich auch die Frage mit der Pandemie beispielsweise. Das ist ja auch ein einschneidendes historisches Erlebnis. Was bedeutet das denn? Und vielleicht können wir das gar noch nicht beantworten. Vielleicht können wir das gerade noch gar nicht fassen. Es dauert Zeit, bis man das verdaut und bis man dann reflektiert. Aber das ist, Kunst ist einfach essenziell. Und es ist ganz massiv wichtig, dass das gefördert wird und dass die Wichtigkeit dessen anerkannt wird. Wir können uns heutzutage sehr viel aus der Vergangenheit erklären durch Kunst, egal, wie sich die Menschen gekleidet haben, was sie gegessen haben, Kriege. Also all das, was passiert ist, worauf man ja heute sich auch dann beruft und daraus lernt, das als Anstoß nimmt. Also ohne die, ich sag jetzt mal, ohne die Gemälde, ohne die Aufzeichnungen, wüssten wir das ja alles gar nicht. Genauso ist es, wenn man drüber nachdenkt. In 100 Jahren, dann schauen auch vielleicht die Leute zurück und denken sich: Was ist denn das da gewesen? Pandemie 2 Jahre? oder vielleicht länger. #00:28:08-4#
Katharina Mittenzwei: Was war denn da 2020, 2021 los? #00:28:10-9#
Chiara Seidl: Was haben die Menschen da gedacht und gefühlt? Man fragt sich ja immer, was war denn da los mit den Menschen? Was haben die gegessen? Was haben die erfahren? Waren die glücklich? Waren die nicht glücklich? Und wir sind so, äh, Masken. #00:28:27-4#
Katharina Mittenzwei: Und sagen Sie, was denken Sie: die Menschen in 100 Jahren. Die schauen sich ein Kunstwerk an aus dem Jahr 2020, 2021? Was sehen die Menschen? Wie ist die Pandemie geprägte Kunst? #00:28:45-4#
Chiara Seidl: Ich weiß es nicht, was sie denken. Vielleicht denken sie, oh mein Gott, was haben die Leute denn da gemacht? Oder es wird mystifiziert oder es wird etwas ganz Herausragendes? Also ich meine, ich denke, und da bin ich nicht die einzige, dass natürlich diese ganze, sage ich mal, das digitale spielt natürlich eine große Rolle. Und das hat ja schon vor, keine Ahnung, 20, 30 Jahren hat das ja schon angefangen, diese digitale Veränderung, die ja immer mehr zunimmt. Das kann ja jeder bei sich selbst auch feststellen, wie viele Geräte wir haben und es ist nicht mehr ein Gerät, sondern zwei, drei, vier, und ohne geht gar nicht mehr. Und das gab es ja früher auch nicht. Und das nimmt natürlich die Kunst auch in Anspruch. Und jetzt auf den Kunstmarkt hat sich natürlich auch viel verändert in Form von, wie man auch an Kunst kommt oder wie Kunst produziert wird. Beispielsweise gibt es ja auch diese ganzen NFTs jetzt, die es vorher auch gab, aber die durch die Pandemie noch mal so einen ganz anderen Schub bekommen haben. Also, das könnte natürlich gut sein, dass man da in 100 Jahren drüber spricht, vielleicht aber auch gar nicht. #00:29:59-9#
Katharina Mittenzwei: Können Sie uns erklären, was NFTs sind? Das ist, ich finde, eine relativ komplexe Angelegenheit. Es geht also um digitale Kunst, die in irgendeiner Art und Weise lizenziert wird. Für Käuferinnen und Käufer. Ist das richtig? #00:30:13-8#
Chiara Seidl: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin jetzt keine Expertin. Ich versuche, mich da auch noch irgendwie einzuarbeiten, weil es doch irgendwie ganz anders ist. Mich interessiert eher die Frage, wird es überleben oder nicht? Oder wird es parallel zu dem, was wir als klassische Kunst bezeichnen, parallel existieren und leben oder wird das tatsächlich irgendwann vermengt, vermischt? Oder würde es das ganze ersetzen vielleicht sogar? Also, das sind eher die Fragen, die ich mir stelle. Es ist natürlich etwas rein Digitales. Also es sind digitale und das sind diese lizenzierte, ich meine, es gibt viele Fragen, wie kann man die Autorenschaft eines Werkes - das muss aber nicht unbedingt ein Kunstwerk sein im Sinne von ein Gemälde, sondern das kann ja auch ein Papierstück sein. Ich kann auch ein Foto von meiner Kaffeemaschine machen und mache ein NFT draus. Ich kann ja alles als NFT machen, es ist käuflich zu erwerben, es ist in digitaler Form und die Sinne werden angesprochen, die ein digitales Endgerät bereitstellen kann. Das heißt, auditiv und visuell. Du kannst es nicht schmecken, du kannst es nicht riechen und du kannst deinen Bildschirm anfassen, aber der fühlt sich halt immer gleich an. Genau, also zwei Sinne werden eigentlich angesprochen damit. Das, was halt ein Endgerät bereitstellt. Ob sich das verändert in der Zukunft, das ist eine gute Frage, das kann natürlich möglich sein. Wir haben ja bis vor einigen Jahren auch nicht gedacht, dass wir mit so einem Handy rumlaufen, das einen Riesenbildschirm hat. Also, es ist ja, glaube ich, immer Luft nach oben, dass auf alle Fälle. Aber das besondere an diesem NFT ist eben, dass die Autorenschaft dessen, wer das erstellt hat und wer das gekauft hat, das ist lizenziert und das ist in einem Code, der dann auch mit Cryptocurrency erworben werden kann, alles festgelegt. Weil, wenn wir jetzt über die Kunst sprechen, da gibt es ja im Kunstmarkt auch viele Fakes, viele Scharlatane, die auch nicht so gute Dinge damit getrieben haben, wo man, je nachdem, mit was man handelt oder mit welchen Dingen man sich umgibt, sind das, keine Ahnung, impressionistische Werke oder was auch immer, dann muss man natürlich Provenienzforschung betreiben. Man kann immer nur bis zu einem gewissen Grad seine Meinung abgeben und sagen, ich denke das ist echt oder ich habe da meine Zweifel, weil die eine oder andere Information fehlt. Das versucht man mit NFTs ein bisschen klarer zu strukturieren. Deswegen kann man auch ein Werk, das es so gibt, als NFT umwandeln und dann hat man es als NFT und dann bräuchte man halt einen Bildschirm und da kann man es dann drauf spielen lassen. Vielleicht wird sich das aber auch verändern. #00:33:24-5#
Katharina Mittenzwei: Lassen Sie uns noch einmal zu dem Standort New York zurückkommen, weil mich die Skyline von hinten so anlacht. Wie dürfen wir uns das New Yorker Leben für Kunstliebhaber denn vorstellen? Jeder kennt das Metropolitan, das Moma, das Guggenheim. Sind das noch Häuser, die für Sie als Kunstliebhaberin spannend und interessant sind? Oder haben sie ganz andere, kleinere Häuser, kleine Orte, an die Sie immer wieder zurückkommen, um neue Kunst zu sehen, um Kraft zu tanken? Oder sind es tatsächlich die klassischen Häuser? #00:33:54-7#
Chiara Seidl: Also ich denke, die klassischen großen Häuser, die sind natürlich immer atemberaubend und es ist immer eine absolute Freude zurückzugehen, sich das dort anzuschauen. Es ist ja nicht so, dass da was drin ist und es bleibt so für immer, sondern es wird ja auch immer ständig verändert und sie haben neue Ausstellungen. Also da ist immer spannend zu sehen, was denken sich diese Menschen aus? Welche Schwerpunkte legen sie? Was soll gezeigt werden? Welche Themen sind interessant? Also, es ist immer eine absolut große Freude, in die großen Häuser zu gehen. Aber es gibt natürlich auch viele kleine Einrichtungen. Und das Schöne an New York ist, das es eben sehr, sehr, sehr, sehr viel gibt und man immer etwas anschauen kann. Man muss auf nichts warten, sondern man geht zu jedem Zeitpunkt, zu jeder Tageszeit irgendwohin und man wird immer mit Kunst beglückt werden. Was auch schön ist, ist natürlich diese ganze Galerieszene. Also es gibt ja verschiedene Bereiche in der Stadt, wo eine Galerie nach der anderen ist, was sehr angenehm ist für Kunstliebhaber, weil ich muss nicht eine halbe Stunde irgendwo hinfahren, sondern ich kann mir viele tolle Kunst auf einem relativ gebündelten Areal ansehen und kann da einfach reingehen. Und es gibt ja auch immer, donnerstags gibts diese Galerie Night. Das ist was, was ganz normal ist. Jeden Donnerstag haben die Galerien länger offen und man geht einfach rein. Das ist auch die Zeit, wo die Eröffnungen stattfinden. Wenn man Glück hat, hat man sich vorher informiert oder eben auch nicht, dann poppt man einfach rein, dann ist da gerade eine Öffnung, dann trinkt man ein Gläschen Wein, man connected, man spricht ein bisschen mit den Leuten oder man guckt einfach nur zu und geht irgendwann wieder. Es ist so, alles ist in Ordnung. Man muss nicht unbedingt so gezwungenermaßen sich irgendwie bestimmt anziehen oder eine Eintrittskarte. Das braucht man alles nicht. Sondern jeder ist willkommen und es ist total leger und offen und man darf es einfach genießen. Da zahlt man natürlich dann auch kein Eintritt. Also wenn man ins Museum geht, und das hat sich tatsächlich ein bisschen verändert in New York, früher war das alles suggested donation, also man konnte so viel zahlen wie man wollte. Das hat man dann irgendwann umgeändert. Jetzt ist es nur noch für die Residence, also die Leute, die hier leben und für Studenten und diese ganzen Ausnahmen, aber alle anderen, die müssen einen gewissen Beitrag dann zahlen. Das hat sich leider verändert. Ich fand das eigentlich immer ganz schön, dass das so für alle offen war. Aber ich würde sagen, die Mischung macht's in New York. Man hat diese großen, tollen Ausstellungen, absolut überwältigend. Und dann hat man die kleine Galerieszene oder eben auch viele, viele andere Institutionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Mit Schwerpunkt auf Frauen in der Kunst, mit Schwerpunkt auf regionale Künstler und Künstlerinnen. Es gibt ein Museum, da geht es um Kulinarik und Kunst. Auch sehr spannend. Also man sieht auch ganz andere Themenbereiche, was man alles so mit Kunst noch machen kann, worüber man vielleicht gar nicht so drüber nachdenkt, sondern ganz fernab vom Klassischen. Und was kann Kunst denn überhaupt noch alles sein? #00:37:19-5#
Katharina Mittenzwei: Das heißt, Sie haben heute Abend auf jeden Fall schon was vor. #00:37:24-2#
Chiara Seidl: Ja. #00:37:26-8#
Katharina Mittenzwei: Und jetzt noch ein kurzer Flug über den Teich. Also Sie sind ja auch Nürnbergerin. Sie haben auch eine Wohnung in Nürnberg, arbeiten projekthaft, teilweise in Nürnberg, Sie sind ja auch Dozentin bei uns am Bildungszentrum. Fiese Frage: Was ist denn Ihr Lieblingshaus in Nürnberg? #00:37:43-7#
Chiara Seidl: Natürlich ist das Germanische Nationalmuseum grandios. Und die Werke, die dort ausgestellt werden, die machen tolle Ausstellungen, also das ist überhaupt gar keine Frage. Aber ich finde auch die Kunstvilla wahnsinnig charmant und mit den regionalen Künstlern und Künstlerinnen, die auch immer tolle Ausstellung machen. Das Fembohaus ist doch super mit der einzigartigen Geschichte. Auch das Haus, das da vorgestellt wird und natürlich muss die Geschichte der Stadt Nürnberg auch erzählt werden. Aber dann gibt es das Kunsthaus, die Kunsthalle ist natürlich auch, die machen super Ausstellungen. Also ich kann nicht sagen, das Haus ist mein Lieblingshaus, weil sie alle unterschiedlich sind und auf ihre eigene Art und Weise so wahnsinnig charmant und einladend. #00:38:33-0#
Katharina Mittenzwei: Sie haben eingangs gesagt, die Kunstberaterin ist kein Beruf für Sie, sondern es ist eine Art Lifestyle. Ist denn dieser Beruf der Kunstberaterin auch auf Deutschland zu übertragen? Also sprich, arbeiten Sie in Amerika ausschließlich? Arbeiten sie international? Oder arbeiten Sie auch auf dem deutschen Kunstmarkt? #00:38:53-4#
Chiara Seidl: Also, es gibt natürlich schon einen Unterschied zwischen dem deutschen Kunstmarkt und dem amerikanischen Kunstmarkt. Es gibt natürlich da auch immer den Unterschied, was gibt es für eine Art von Kunden und was sind die finanziellen Mittel, die natürlich schon unterschiedlich sind zwischen diesen beiden westlichen Welten. Aber ich bin auf beiden Seiten tätig und mir ist vor allem diese Verbindung auch ganz wichtig, dass nicht nur das amerikanische, sondern das aus Deutschland auch. Also Nürnberg und Deutschland ist meine Heimat und ich liebe Nürnberg wie keine andere Stadt. Es hat eine ganz besondere Magie und ich denke, die Kunst in Deutschland hat natürlich auch eine wahnsinnig lange Tradition und kann definitiv mithalten, das auf alle Fälle, und ist international renommiert und war es auch schon immer und die Blicke gehen auch immer wieder auf Deutschland. Und deswegen ist mir das ganz wichtig, diese Welten miteinander zu vereinen. Und in Amerika hab ich natürlich den großen Vorteil, dass ich die Sprache spreche, was als Kunstberaterin immer praktisch ist, weil man dann einfach viel besser kommunizieren und vermitteln kann. Aber ich würde um die Frage, ich hoffe, ich beantworte die zureichend, ja, auf beiden Märkten bin ich tätig. Beides ist mir wichtig und vor allem, das Miteinander zu vereinen ist spannend. Und ich beobachte beides und ich gehe auf die Kunstmessen in Deutschland, in Amerika. Das sind schon so meine Schwerpunkte. Oder ich würde eher vielleicht sogar auch sagen, der deutschsprachige Raum. Auch in der Schweiz und in Österreich, war jetzt erst die Viennacontemporary, auf der ich war. Das ist ganz, ganz wichtig und das vereint sich da auch sehr, diese Städte und diese Länder. #00:41:08-4#
Katharina Mittenzwei: Sie haben uns schon ganz deutlich dargelegt, dass Kunst nicht nur was ist, was man kauft, was Geld kostet, was schön ist, was man sich irgendwo hinhängt, sondern dass Kunst auch Gefühle, Momente und ganz wichtige Statements ausdrückt. Sie werden sich am 28. November als Dozentin im Bildungszentrum der spannenden Frage widmen, hat Kunst Lösungen für eine nachhaltige Transformation? Das zielt darauf ab, dass wir als Gesellschaft gerade an einer Wegkreuzung stehen. Schaffen wir es also, gemäß der Nachhaltigkeitsziele eine zukunftsfähige Welt für nachfolgende Generationen sicherzustellen oder machen wir weiter wie bisher? Die Politik scheint, ja, womöglich erstarrt ob der Frage nach einer reellen Transformation. Wir brauchen also für jede und jeden von uns eine Umdenken aus uns selbst heraus. Gibt es denn, und da spreche ich Sie jetzt hier als Kunsthistorikerin an, rückblickend in der Geschichte der Menschheit einen Moment der kollektiven Veränderung, die sich durch Künstler*innen und ihre Werke, durch ihren Intellekt und durch ihr Engagement, durch die die angeteasert wurden, Veränderungen, die dadurch entstanden sind? #00:42:24-2#
Chiara Seidl: Absolut. Also die Frage würde ich definitiv mit Ja beantworten, denn Kunst kann politisch aufgeladen sein, muss aber nicht. Kunst kann kritisch sein, muss aber nicht. Und wenn wir jetzt in die Vergangenheit zurückblicken, hat Kunst wahnsinnig viel ausgelöst. Kunst hat Kriege ausgelöst, Kunst hat Bewegungen hervorgebracht, Kunst hat etwas ausgelöst oder das, was ohnehin schon da war, intensiviert, um Fragen zu stellen, um Dinge ans Tageslicht zu bringen, um aber auch vielleicht kritisch zu sagen, hey, was ist da los? Ja? Wir müssen hier eine Lösung finden. Es ist eine Art der Kommunikation auf visuelle Art und Weise, die einem wie einen Spiegel vorhält. Und ich denke, wir Menschen, wir hören oft viel und eigentlich hören wir nicht zu oder wir wollen es nicht hören. Oder manchmal müssen wir es erst sehen und fühlen. Und das ist das, was Kunst in dem Zusammenhang mitbieten kann, dass es etwas vielleicht auch versucht vorzubeugen. Es muss nicht erst passiert sein und dann muss Kunst gemacht werden. Vielleicht ist einfach der Hinweis darauf, dass ist das, was Menschen zum Nachdenken anregt. Also ich würde jetzt, wenn ich im Zeitgenössischen mir überlege, was bei mir auch so ein bisschen den Eindruck hinterlassen hat, aber auch tatsächlich eine Show hier in New York. Da bin ich reingegangen und alles, weil wir jetzt auch gerade über Umwelt gesprochen haben oder Sie das angesprochen hatten, alles, diese Räume, das waren immersive Räume und alles war aus Plastik aus dem Meer gestaltet. Und es waren wunderschöne Räume. Es war wahnsinnig toll inszeniert. Es war eine wunderschöne ozeanische Welt, die dort gestaltet wurde, aber hatte eben auch diesen aufklärenden Moment, zu sagen, schaut mal her, was das eigentlich ist. Und das ist von hier und hier und das ist von da und da und wo hat man das herausgefischt und was bedeutet das überhaupt? Oder Mikroplastik, solche Dinge. Das hinterlässt einen Eindruck. Das ist ein Gefühl. Da ist man fasziniert und geschockt zugleich und ich denke, das ist eben der große Vorteil an Kunst, was man auch heute machen kann. Und in der Vergangenheit hat Kunst auch sehr viel natürlich ausgelöst, gar keine Frage! #00:45:09-9#
Katharina Mittenzwei: Sie widmen sich noch einem anderen Thema sehr verstärkt, und zwar den künstlerischen weiblichen Positionen der Gegenwart. Sie sagen nämlich, dass zwar die Akademien, die Kunstakademien, voll weibliche Absolventinnen sind, die dann aber letztlich auf dem Kunstmarkt kaum mehr zu finden sind oder wenig vertreten sind. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? #00:45:33-7#
Chiara Seidl: Also, wir leben definitiv in einer männerdominierten Welt. Ich glaube, das ist etwas, das man gar nicht anzweifeln oder diskutieren muss. Das hat sich natürlich über die letzten Jahrzehnte, würde ich sagen, verbessert und wir sind auf einem guten Weg und da bewegt sich sehr viel und Frauen werden auch immer mutiger und stärker und gehen ein Kollektiv auch ein, um für ihre Rechte zu kämpfen. Ich glaube, da muss ich jetzt keine Details aufzählen, aber in der künstlerischen oder in der Kunstwelt per se wird es besser, aber wir sind immer noch nicht da, wo wir sein sollen. Und das sind nicht nur die Künstlerinnen, sondern das sind auch die Kunsthistorikerinnen. Also das ist übergreifend. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Frauen und Männer in gewissen Institutionen tätig sind, welche Positionen sie vor allem einnehmen, prozentualer Anteil in den Universitäten, an den Akademien und dann der Erfolg hinterher. Das heißt, welche Position nehmen sie ein? Nicht immer nur unbedingt in die Breite gedacht, wie viele sind darin tätig in dem Feld, sondern auch als was sind sie denn da tätig? Und das ist einfach etwas, das muss man einfach anerkennen, das muss man einfach sehen und muss einfach versuchen, seinen Beitrag da zu leisten, damit das ausgeglichen wird, damit es nicht so ist und bleibt, wie es seit sehr vielen Jahren und Jahrhunderten eigentlich geebnet wurde. Und ich denke auch, dass wir Frauen auch zusammenhalten müssen. Genauso wie es die Männer auch tun. #00:47:41-9#
Katharina Mittenzwei: Ich denke auch, dass Solidarität da ein ganz großer Schlüssel ist, ja. Eine ganz andere Frage Frau Seidl: Sie haben in Ihren jungen Jahren ja schon wahnsinnig was geschafft. Aber gibt es denn noch ein Projekt, von dem Sie träumen? Also, das klingt jetzt so, als würden Sie übermorgen aufhören, um Gottes Willen! Was steht denn vor Ihrem geistigen träumenden Auge? #00:48:03-5#
Chiara Seidl: Was ich mir definitiv wünsche, ist, diesen transatlantischen, diesen Transfer, diese Welten zwischen Sammler, wobei Sammler ja immer nicht nur private Sammler, sondern es können ja auch institutionelle Sammlungen sein und Künstler*innen und auch Besucher und und Interessierte, dass man einfach diese Welten weiterhin miteinander vereint in tollen Projekten, dass ich mit einem tollen Team arbeite, dass sich das Team erweitert und dass ich aber trotzdem große sowie kleine Projekte immer mitfördere und man den Blick nach rechts und links nicht verliert. Ich glaube, das ist eher so das, was mir wichtig ist. Jetzt ein Projekt per se, zu sagen, hier Metropolitan Museum of Art, und dafür will ich was machen. Natürlich wäre das toll. Keiner würde da Nein dazu sagen, an Bord von diesen Museen zu sitzen, gewissen Einfluss, ein gewisses Sagen zu haben, eine Stimme zu haben, diese äußern zu dürfen, ernstgenommen zu werden. Das ist ein großer Ansporn, um auch die Dinge, die man für wichtig hält, die Themen, die Bereiche, die Menschen, dass man die präsentieren darf, dass man das zeigen darf, dass man Menschen damit in Berührung bringen darf. Ich weiß jetzt nicht, ob es sehr zufriedenstellend ist, was ich sage. #00:49:15-6#
Katharina Mittenzwei: Es ist zufriedenstellend, wenn Sie mir versprechen, sobald Sie am Metropolitan Museum of Art arbeiten, immer noch am BZ tätig sind. #00:49:22-9#
Chiara Seidl: Hatten dann eine tolle Reihe aufstellen. #00:49:27-5#
Katharina Mittenzwei: Also, das wäre ganz wichtig für mich. Ja, Frau Seidl, also ich bedanke mich ganz herzlich für dieses spannende Gespräch und ich freue mich auf Ihre Veranstaltungen, die Sie ja in diesem Jahr auch noch bei uns haben werden. Zum Schluss noch ein Hinweis zu Ihren Veranstaltungen am Bildungszentrum. Ab dem 11. November starten Sie einen fünfteiligen Kurs mit dem Titel: Hinter internationalen Kulissen. Dahinter verbirgt sich ein neues Konzept im Sinne von digitalen Ateliergesprächen. Das meint, fünf deutschsprachige Künstler*innen, verstreut über den gesamten Globus, öffnen das erste Mal auf digitale Weise ihr Atelier und treten in ein Gespräch mit Ihnen, Frau Seidl, und vielleicht auch mit Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer. Also melden Sie sich an! #00:50:11-2#
Chiara Seidl: Ich freue mich auch wahnsinnig und es ist immer schön, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und mit den tollen Zuhörer*innen und auch in den verschiedenen Formaten, die ich anbiete, wo ich auch immer auf Feedback mich freue und vielleicht auch Anregungen, was tatsächlich die Menschen am Bildungszentrum bewegt, für was sie sich interessieren, dass man da weiterhin spannende Formate einfach aufstellt und freue mich da sehr drauf. #00:50:39-5#
Katharina Mittenzwei: Das machen wir. #00:50:40-4#
Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

„Mit Kunst ist man nie alleine“ – Chiara Seidl über das Phänomen „Sammeln“, den New York-Livestyle und die Schlagkraft der Kunst.
Von Nürnberg nach New York – Dr. Chiara Seidl hat den Sprung über den Teich gewagt. Die promovierte Kunsthistorikerin arbeitet als Kunstberaterin in NYC und lebt damit in der Welt zwischen Kunst, KünstlerInnen und SammlerInnen. Als Vermittlerin moderner Werke taucht sie in Lebenswelten ein, die uns in Nürnberg meist wohl eher unbekannt sein dürften. Kunstberaterin sei kein Beruf, sondern ein Lifestyle, so die junge Frau. Für Seidl ist Kunst Kommunikation und sie verrät dabei, dass auch sie sammelt, denn „mit Kunst ist man nie alleine“. Doch nicht nur die Galerielandschaft und High Society der Megametropole ist ihr Zuhause. Gleichermaßen ist sie noch in Nürnberg daheim. Sowohl die Liebe zu den Nürnberger Häusern wie dem Germanischen Nationalmuseum und dem Fembo Haus, aber auch die Faszination für Geschichte und Charisma der Stadt lässt sie immer wieder zurückkehren.
Gemeinsam mit der Kunstexpertin gehen wir den Fragen nach, worum es sich bei dem Begriff „NFT“ handelt, wie groß die Schlagkraft der Kunst in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche sein kann und wovon man in NYC träumt. Und wer weiß, vielleicht hat das Bildungszentrum Nürnberg bald eine Dozentin am Metropolitan Museum of Art.
Weitere Informationen:
Mehr über Chiara Seidl erfahren Sie hier
Virtuell das Metropolitan Museum of Art besuchen? Hier lang!
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Aufgenommen am: Freitag, 14.10.2021
Veröffentlicht am: Donnerstag, 28.10.2021
Moderation: Katharina Mittenzwei
Im Gespräch: Dr. Chiara Seidl
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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
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