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Ulla Wittenzellner, Christoph May, was sind toxische Männlichkeitsbilder?

Grazyna Wanat: Herzlich willkommen zu diesem Podcast, der die Aufzeichnung eine Veranstaltung vom 15. März 2023 im Bildungszentrum darstellt. Die Veranstaltung trug den Titel „Toxische Männlichkeit, kritische Männlichkeit": ein Gespräch über Rollen, Bilder und Umbrüche. An der Diskussion nahmen: Christoph May und Ulla Wittenzellner teil. Moderiert wurde sie von Tobias Lindemann. Im Anschluss wird auch das Publikum einbezogen. Diese Veranstaltung fand im Rahmen des Bildungszentrums Themenreihe „Das starke Geschlecht" statt. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Zuhören. #00:01:00-1#

Tobias Lindemann: Einen schönen guten Abend und Herzlich willkommen! Ich freue mich sehr, dass Sie hier zu einer Diskussionsrunde in der Reihe „Das starke Geschlecht" sind. Mein Name ist Tobias Lindemann, ich habe mich sehr gefreut, dass mir Grazyna Wanat diese Reihe verantwortet und mich gefragt hat, zu diesem spannenden Thema heute den Abend zu moderieren. Aber jetzt freue ich mich erst mal auf die beiden Gäste, die heute nach Nürnberg gekommen sind. Ulla Wittenzellner und Christoph May . Schön, dass ihr da seid. Auf der linken Seite, von Ihnen aus gesehen, Ulla Wittenzellner. Sie ist tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Fortbildnerin. Themen, zu denen Sie Forschung arbeitet, sind unter anderem Extrem Rechte und Geschlecht, Antifeminismus, die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit, nicht Geschlechter reflektierte Pädagogik, sexualisierte Gewalt und Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit in digitalen Räumen/ Hass im Netz. Sie hat an der Humboldt Uni Berlin studiert und dort einen Bachelor in europäische Ethnologie und Volkswirtschaftslehre sowie einen Master zum Thema Erwachsenen Pädagogik und lebenslanges Lernen gemacht, und sie arbeitet mit am Boykott Magazin, von dem es zwei Ausgaben inzwischen schon gibt. Eine dritte ist gerade in Arbeit, und dieses Magazin richtet sich primär an Männer und soll gemeinsam mit Ihnen ausloten, wie ein pro feministisches oder Feminist ich Herrschafts, dekonstruierendes Handeln und ein Selbstreflexionsprozess für Männer aussehen kann. Schön, dass du da bist, und Christoph May ist Männer, Forscher, Berater und Dozent. Er hat 2016 gemeinsam mit der Schriftstellerin Stefanie das Institut für kritische Männer Forschung gegründet. Er hält Vorträge, gibt Workshops zu toxischer Männlichkeit sowie Seminare über Männerbünde, Männerbilder und kritische Männlichkeit. Außerdem ist es sehr aktiv in den sozialen Medien, würde ich mal behaupten, und studiert hat der Literaturwissenschaften, Komparatistik und alte Geschichte. Schön, dass du da bist. Ja, fangen wir doch mal mit dem großen Begriff an, der quasi drüber steht über dem Abend heute: „Toxische Männlichkeit". Für Leute, die den Begriff jetzt das erste Mal begegnen, wie würdet ihr ihn definieren? #00:03:42-9#

 Christoph May: Ich hab gerade mal geguckt, was das bedeutet. Nur ich kann es jetzt nicht aus dem Effeff. Deswegen lese ich es einfach hier von unserer Webseite: „Überall dort, wo Männer unter sich bleiben, da entwickeln sich toxische Monokulturen, die Gift sind, um im Bild zu bleiben, für Geschlechtervielfalt, Gift für die unzähligen Varianten. Gift für Geschlechtervielfalt, Gift für unzählige Varianten sozialer Beziehung, fernab Binäre und Hiro, normativen Beziehungen eben und Lebensformen, und auch Gift für diverse Erzählung, Gift für kulturellen Reichtum". Männliche Monokulturen können per Definition keine Diversität hervorbringen. Die kann nur von Außen kommen, und deshalb entstehen da die immer gleichen Gewaltgeschichten, die immer gleichen Storys, und das ist toxisch. Vielleicht als Nachtrag noch, wird oft nach meiner Erfahrung falsch verstanden, sehr schnell persönlich genommen, der Begriff von den Männern, weshalb man immer wieder sagen muss, es gibt keinen Grund, es persönlich zu nehmen, weil es um strukturelle und institutionelle Kritik an Männlichkeit geht und Toxizität. #00:05:07-6#

Ulla Wittenzellner: Ich kann da an deinem letzten Satz ganz gut anschließen. Ich verwende den Begriff nicht, ich finde den nicht hilfreich. Ich finde, dass der ganz irreführend ist, weil er genau ganz viele Bilder aufruft, die eine bestimmte Form von Männlichkeit kritisieren. Aber es gibt, was prinzipiell in sozusagen der Struktur, eine zweigeschlechtlichen Struktur, die hierarchisch aufgebaut ist. Das ist unsere Gesellschaft, die daran problematisch ist und das liegt nicht nur an den einzelnen Männern, es liegt auch nicht an den einzelnen Frauen oder anderen Geschlechtern, sondern an der Struktur, in der wir leben, und das Projekt, toxische Männlichkeit abzuschaffen. Das wirkt so, wie wenn wir sagen, dass die drei Sachen sollen Männer nicht mehr machen und dann ist alles cool. Und so funktioniert es nicht meiner Meinung nach, sondern es geht viel grundsätzlicher darum, eine Binäres System oder zweigeschlechtliche System zu verändern und diese Hierarchie abzubauen. Und das ist mit „Toxischer Männlichkeit", also mit dem Begriff meiner Meinung nach nicht zu machen. Der hat allerdings gerade Konjunktur, also irgendwie die Toxische Menschlichkeit ist irgendwie in aller Munde und Leute sprechen darüber und können damit was anfangen, irgendwie, und deswegen finde ich den strategisch auch sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel für so einen Abend, weil dann kommen Leute und denken sich, oh, ich lerne jetzt was über toxische Männlichkeit. Das ist total sinnvoll und gleichzeitig, wenn wir da stehenbleiben, würde ich sagen, verpassen wir eigentlich den Kern dessen, worum es geht. #00:06:23-9#

Tobias Lindemann: Okay, aber Christoph hat jetzt ja gerade auch schon das strukturelle Problem quasi angesprochen. Also, es ist ja schon quasi auch die Komplexität, die dahinter steckt, wird da ja sichtbar. Fangen wir doch mal an, dass ein bisschen aufzudröseln. Du hast jetzt schon Begriffe genannt wie „Vielfalt" und eben auch, dass es in einem „Binären quasi Geschlechter Denken" zum Beispiel hängen bleibt. Was würdest du sagen? Wie wirkt es sich aus, oder was ist die Basis, auf der das Problem quasi so entstehen kann? #00:06:56-1#

 Christoph May: Das Fundament für alle Formen von männlich dominierten Umgebung oder männlichen Monokulturen sind Männerbünde, könnte man sagen, ist die Abwehr alles Weiblichen, die Abwehr alles Diversen, die Abwehr alles Fremden, das hat Rolf Pohl schon 2004 in seinem Buch „Feindbild Frau" sehr gut gezeigt, dass die Abwehr alles Weiblichen fest zur Männlichen Identität gehört. Also, da kann sich wirklich niemand ausnehmen. Und, ähm, genau, Männerbünde, wir machen die Erfahrung, dass es wirklich Sinn macht in unseren Seminaren. Dafür werden wir auch oft angefragt, überhaupt die Strukturen erst mal durchzuzählen und Männer zu zeigen, dass die Gesellschaft noch männlich wie männlich dominiert die Gesellschaft noch ist, weil die meisten Männer irgendwie davon ausgehen, dass wir schon faktische Gleichstellung haben. Ich glaube, die UN hat doch jetzt kürzlich gesagt zum internationalen feministischen Kampftag, dass es noch 300 Jahre dauern wird, zurückgeworfen durch Putin, zurückgeworfen durch Trump, zurückgeworfen durch antifeministische Männer durch Rechtsbewegung und so weiter und so weiter. Weiß man jetzt nicht, ob das gerade erst losgeht. Susanne Kaiser hat ein gutes Buch jetzt gerade rausgebracht „Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen", wo sie im Grunde die These aufstellt, je mehr Raum sich Feminist*innen erkämpfen und je mehr sichtbarer sie werden in allen gesellschaftlichen Bereichen, desto größer wird wahrscheinlich die Gegenwehr werden. Das kann man auch schon überall beobachten. Also es noch lange nicht ausgemacht, dass es auch so weitergeht, dass wir auch wirklich dann irgendwann eine faktische Gleichstellung haben werden in 300 Jahren. Also Männer zu zeigen, wie die Strukturen sind, das ist wirklich sinnvoll, weil Männer müssen sich nicht damit auseinandersetzen, weil es für uns so unsichtbar ist, einfach weil wir diese Privilegien haben, wir ständig davon profitieren, und deshalb sehen wir das einfach nicht. Die meisten Männer denken, wir haben ja gar kein Problem mehr, wir sind alle schon schon super! #00:09:07-8#

Tobias Lindemann: Ich würde gerne noch kurz anschließen an das, was du gleich als erstes gesagt hast, der Begriff „Männerbünde". Ich habe so eine landläufige Vorstellung ist dann ja vielleicht so, man denkt so an „Burschenschaften" oder sowas, aber ich glaube, du verstehst es schon auch noch anders. Das fängt viel früher an, erst nicht da, wo sich dann wirklich so zum geschlossenen Geheimbund oder so verdichtet. #00:09:38-1#

 Christoph May: Nee, genau das meine ich eigentlich, klar. Es gibt viele antifeministische Männerrechtsbewegungen, Rechte, Fundamentalisten, Autoritäre Involuntary, dass sind unfreiwillig zu libertär lebende Männer. „Pick-Up Artists" ist eine rießen Community in Deutschland von Hunderttausend Männer, also, das sind so männlich dominierte, und aber gesamtgesellschaftlich. Also, ich hab da immer so meine Zahlen, die ich dann so runter rattert. Aber 91 Prozent aller Gemeinden und Städte in Deutschland werden von Männern geführt. Wir haben mehr Bürgermeister, die Thomas heißen als Bürgermeister*innen und in der Regionalpolitik, genau in den Redaktionen der Regionalzeitung, also die, die über männliche Politik berichten und auswählen, was wir zu lesen bekommen, sitzen 92 Prozent Männer. Ich meine, das sind Zahlen. In der Bundeswehr haben wir 88 Prozent. Seit 2001 dürfen da Frauen bei der Bundeswehr teilnehmen, Universitäten werden 75 Prozent von Männern geleitet und so weiter. Filmbranche, das ist so ein bisschen mein Forschungsschwerpunkt, 90 Prozent aller Drehücher wie Netflix oder Amazon, alles, was wir uns Abends angucken, werden von Männern geschrieben und und so weiter und so weiter. Als wenn man erstmal anfängt durchzuzählen, ich habe Facebook, wo ich immer durchzähle, dann hat man es einfach direkt vor Augen, immer schön den Männeranteil benennen, durchzählen und sagen, wir sind zu viele, wir sind das Problem. #00:11:18-2#

Tobias Lindemann: Ja, aber daraus ergibt sich ja, was du jetzt also sehr stark auch als ein komplexes strukturelles Konstrukt oder was vielleicht sich ergeben hat oder da ist, bezeichnen würdest. Wie würdest du es beschreiben? #00:11:39-1#

Ulla Wittenzellner: Ähm, ich könnte das jetzt von vielen Seiten aufzählen. Ich glaube, der eine Punkt, den ich total wichtig und richtig finde, ist klar: Strukturen sind ganz stark von Männern besetzt, und das muss ich ändern. Und gleichzeitig Strukturen ändern, sind die sich nicht zwangsläufig allein dadurch, dass nicht nur Männer da sind. Also, ich würde sozusagen sagen, Männlichkeit und das Problem, das wir damit haben, oder anders gesagt, das Problem, was wir mit dem Patriarchat haben, weil darum geht es schließlich, um die Herrschaft von Männern und nicht um Männer an sich oder so, lässt sich nicht einfach dadurch verändern, dass, jetzt weiß ich nicht, Angela Merkel eine Frau ist als ehemalige Bundeskanzlerin, weil auch ihr Handeln weiterhin nach männlichen Logiken funktioniert hat. Wir sind in der Gesellschaft im Moment, die ganz stark nach Männlichkeitsbildern funktioniert, die aus den bürgerlichen Revolutionen gekommen sind. Also so Vorstellungen von der Mensch, der Mann in diesem Falle gleichgesetzt ist, rational, unabhängig und souverän, und das ist ein Bild, was sozusagen angelegt wird an alle Leute, und nachdem irgendwie Logiken in dieser Gesellschaft funktionieren und auch Strukturen funktionieren sollen, sozusagen. Wer Anerkennungen möchte, muss diesen Logiken entsprechen und das gilt nicht nur für Männer, sondern für alle anderen, die in dieser Gesellschaft irgendwie Status bekommen wollen, Ressourcenzugänge haben wollen, Macht haben wollen. Mit anderen Worten, und das ist die Logik, die wir durchbrechen müssen meiner Meinung nach. Das passiert unter anderem dadurch, dass andere Leute in Positionen kommen, in denen sie andere Arten von Handlungen anlegen können und gleichzeitig müssen dann alle Menschen begreifen, keiner von uns ist unabhängig, wir alle sind abhängig gewesen voneinander und diese Suche danach muss zwangsläufig in Dominanz und Gewalt münden. Was ist denn unser Ziel? Ich möchte gerne eine Gesellschaft, die schöner ist als die, in der wir heute leben und dafür brauchen wir andere Formen von Geschlechterverhältnissen, nämlich welche die Hierarchie ärmer sind, und derzeitige Formen von Männlichkeit und von Männerbünden stehen dem eklatant im Wege, was ich jetzt in Anlehnung an meinen Kollegen Andreas umformuliert gesagt habe, so. #00:14:00-0#

Tobias Lindemann: Ähm, ich würde da gerne noch mehr drauf eingehen. Aber ein Thema, das glaube ich, dann schon nochmal eine andere Dimension hat, und wo es ja oder oder vielleicht eine akute Dimension hat, sage ich jetzt mal, spielt da ja auch mit rein, nämlich du hast schon den Antifeminismus genannt, den sozusagen Susanne Kaiser zum Beispiel auch so analysiert, und das sind ja dann häufig Umgangsformen oder Angriffe, auch sexualisierte Gewalt, die da draus realisiert, wo es ja um akute Taten geht oder um ja eigentlich auch um ein politisches Vorgehen, nicht um sonst fällt es ja häufig dann auch mit rechter Politik zusammen. Also, wie ist es denn möglich, da quasi in eine, vielleicht auch eine Szene, die sich da gerade jetzt radikalisiert, da hineinzukommen oder irgendwie zumindest eine Öffentlichkeit oder Problembewusstsein dafür zu schaffen für diese Problematik? #00:15:13-4#

Ulla Wittenzellner: Ich würde gerne auch hier alles von der anderen Seite aufzeigen. Ich finde nämlich, das ist ein bisschen eine Debatte. Die kennen wir aus der Debatte um extreme Rechte oder Rechtsextremismus. Wenn man immer nur auf die guckt, die vermeintlich ganz Rechts stehen, ändern wie die Strukturen nicht aus denen die Hervorkommen: Sexismus, sexualisierte Gewalt, das sind nicht Probleme von den Rechten, das gibt es überall, das gibt es in allen Gesellschaftsschichten, das gibt's auch in der Linken und in einer sehr reflektierten Akademischen Kultur. Also so zu tun, als wäre das ein Projekt. Problem vom rechten Rand und von Rechten Männern, würde ich sagen, trifft den Kern nicht, weil dann wieder sich abgearbeitet wird an den anderen. Das ist so ein Phänomen, das wird gerade hoch und runter diskutiert, weil das auf eine Art und Weise exotisch ist. Die sind wirklich richtig seltsam, keine Frage. Man kann die so belächeln und als die komischen am Rand irgendwie angucken. Faktisch ist diese Art von wahnsinnig Frauen abwertenden Misogynie überhaupt alle anderen Geschlechter überhaupt nicht keine Existenzberechtigung gebenden Logiken, welche, die in unserer Gesellschaft total da sind, die sich gar nicht an diesen Rand abschieben lassen, und ich glaube, deswegen zu fragen, wie kann ich in diese ganz Rechten Szenen oder diese sehr antifeministischen Szenen intervenieren? Genau, fängt meiner Meinung nach einem falschen Punkt an. Solange wir, weiß ich nicht, eine CSU haben, die sich dann sehr gerne diese ganzen „Ach Gendersprache ist, doch jetzt Cancel Culture oder sowas bedient", brauchen wir uns überhaupt nicht wundern, dass diese Szenen nicht stehen. Genau und gleichzeitig, was wir aus der Rechtsextremismusprävention wissen, ist eine Art, die Extremen oder sehr menschenfeindlichen Logiken entgegenstehen, ist immer das Empowerment der anderen. Deswegen würd ich auch sagen, eine ganz wichtige Sache ist, andere Formen von Männlichkeiten und andere Formen von feministischen und queeren Bewegungen stark zu machen und das ist im Zweifelsfall der beste Schutz vor rechten Männern. #00:17:04-1#

Tobias Lindemann: Okay, dann gehen wir doch mal rein in die Praktische Arbeit, die bei dir auch da ist. Du gehst ja in Institutionen. Du gehst in Firmen und wirst da angefragt, eben zu diesem Thema Workshops zu machen. Da landest du jetzt dann vielleicht nicht bei den Incels, sondern eben so bei einer ganz normalen Belegschaft oder so. Wie arbeitest du dann mit den Leuten da vor Ort? #00:17:34-8#

 Christoph May: Ja, man muss wirklich immer auch bei den Basics anfangen. Ich versuch, so niedrigschwellig wie möglich zu arbeiten. Wir werden am meisten angefragt von Gleichstellungsbeauftragten, von Diversity Manager*innen, Personalwesen und so weiter. Heute habe ich eine bekommen von Rewe Group, die haben Diversity Monat im Mai und dann haben die gesagt, dass müssen wir jetzt auch mal zum Thema machen, und ich bin diesen Frauen super dankbar, dass sie das machen. Die meisten berichten aber dann auch gleich, dass sie das Thema haben und ob wir das jetzt nicht ganz so krass formulieren, weil da gibt es schon Gegenwehr von unseren Chef oder von unseren männlichen Kollegen. Da sage ich, ich finde jetzt nicht, dass wir Männer da jetzt unbedingt extra abholen müssen also liegt im Wesen der Sache, dass da jetzt ein bisschen Gegenwind kommen wird. Dann wird mir aber auch gleich gesagt, ok nee, hast du Recht. Klar, wenn du das im Seminar oder Workshop mit toxischer Männlichkeit über oder alleine über die kritische Männlichkeit, es scheint mega der Triggerpunkt zu sein. Selbstkritik und Männlichkeit, Riesenproblem! Genau also, und da gibt es weniger Unternehmen, wo man merkt, dass ist eher alles so Gender-Marketing, aber dahinter die Strukturen sind fest und da passiert nichts. Alle haben sie diese Charta der Vielfalt unterschrieben aber letztlich ist es dann doch nur eine Unterschrift. Ich frage dann immer mal nach, wie seid ihr aufgestellt? Und dann wird schnell klar, dass es wie im Rest der Gesellschaft ist, ganz oben sitzen die mächtigen und sind alles Männer und unten kommt langsam was. Natürlich werden wir nicht von CDU, CSU oder FDP angefragt, die AfD wird sich in Zukunft jetzt nicht bei uns melden. Keine Frage, also, diese Männer, die diese konservativen traditionellen Männlichkeiten, ältere Männlichkeiten, die haben natürlich kein Interesse daran, jetzt noch irgendwas zu verändern. Vor zwei Wochen war ich in Duisburg beim Ultra Verein „Zebras" und da habe mich die Männer angefragt, weil da gab es Übergriffe und die Frauen haben 10 von 110 Frauen, von 100 Personen, also 90 Männern, haben gesagt: Das ist nicht unsere Aufgabe! Sucht euch da mal einen kritischen Männlichkeitsforscher, ihr müsst das ändern und dann haben wir mit denen darüber gesprochen. Wie, habe ich den erst mal klargemacht, dass sie nur männlich sind, und ob das jetzt wirklich sein muss, jetzt am nächsten Tag wieder mit 120 Männern nach Oldenburg zum Spiel zu fahren und ob die nicht lieber auch zur Frauenmannschaft fahren können und die unterstützen können, ob sie sich das irgendwie vorstellen können. Okay, und dann habe ich gefragt, ob sie ihre Mütter und ihre Tante und ihre Töchter einfach mit zu den Spielen nehmen können, um es einfach aufzubrechen. Weil natürlich sind Ultras sehr männlich dominierte Vereine, und ich sehe es genau wie Ulla, dass das nämlich nicht die Aufgabe der Frauen sein kann es, sich in diesen Männerbünde nach oben zu kämpfen, so wie Angela Merkel, oder dann auch noch diese Eigenschaften zu übernehmen. Es ist ja eigentlich absurd, aber die haben natürlich keine Wahl seit 120 Jahren, und aber es sollte andersrum sein. Eigentlich sollte es die Aufgabe der Männer sein, und den männlich gelesene Personen diese Macht abzugeben, diese Privilegien abzugeben, sich die durch den Schirm zu holen, wie eben diese „Ultra Männer" sozusagen, wir ändern das und wir sorgen dafür, dass das Flinterpersonen sich bei uns Wohl fühlen soll. #00:21:20-8#

Ulla Wittenzellner: Ich hab einen kleinen Einwurf. Es gibt nämlich durchaus Gruppen, in denen Selbstkritik und Männlichkeit ganz fantastisch zusammenpassen, nur nicht unbedingt in einem positiven Sinne. Also aus den Szenen, aus denen ich komme, da sind alle Männer wahnsinnig reflektiert und haben super keine Ahnung, markieren sich alle die Fingernägel und vermutlich verstehen sie das dann unter eben „ich bin kritisch reflektiert", und das ist es halt auch nicht. Selbstkritik gerade in so nem akademisch linken Milieu, super männlich! Nur, dass diese Männer das genau, da weiß ich nicht, es wahnsinnig viel Aufdeckung sexualisierter Gewalt gab in den letzten fünf bis zehn Jahren. Also, ich würde nicht sagen, dass zumindest eine bestimmte Form von sehr oberflächlicher Reflexion und Selbstkritik nicht ganz fantastisch gerade im Moment Männlichkeits Punkte bekommt, sozusagen. #00:22:08-8#

 Christoph May: Was ich eher meinte, ist das allgemeine Selbstkritik und Kritik. In weniger akademischen Kreisen, sagen wir, Unternehmen und überall da, wo man eine niedrigschwellig arbeiten muss. Da ist natürlich in so linken Ultragruppen und so keine Frage. Aber ich erlebe das halt so, dass allein selbstkritisch zu sein, oder wenn man von Kritik an Männlichkeiten spricht, dann ist schon die große Frage, wie man mit denen redet. Der scheint immer die große Frage zu sein. Manchmal habe ich auch das Gefühl, ich werde eingeladen, weil die mal sehen wollen, wie ein feministischer Mann aussieht, der kritisch über Männlichkeit spricht und mit den Männern im Raum noch gemeinsam Männlichkeit kritisiert, ohne dass die gleich aus dem Raum rennen. Das scheint mir so die große Herausforderung zu sein des 21. Jahrhunderts. Also wie kriegt man Männer dazu, kritisch über Männlichkeit zu sprechen. Dieser Selbstkritik Diskurs führt oft dazu, dass sich dann die Männlichkeitsgruppe gründet, und dann wird man festgeschrieben, warum man jetzt nur wieder unter Männern bleiben muss und dafür gibt es gute Gründe, keine Frage, aber ich versuche das zu vermeiden. Ich arbeite nicht mit Männern zusammen, sondern wir sagen immer, wenn jetzt eine Vätergruppe anfragt, dann ist das erste, was ich mache. Könnt ihr euch vorstellen euren Partner mitzunehmen oder könnt ihr euch vorstellen es aufzubrechen. Es scheint irgendwie plausibel zu sein, dass man nur mit Männern jetzt erstmal arbeitet, und dafür gibt es gute Gründe. Man darf den Frauen nicht die Veränderung, emotionale Arbeit auch noch überlassen, gibt Lösung für sowas. Aber es ist super wichtig. Es geht halt auch nicht ohne, die weiblichen Perspektiven mit im Raum zu haben. Bei diesen linken Gruppen erlebe ich, dass dann immer so, erst mal „Große Männer Theorie" oder erst mal Judith Butler gelesen wird oder je nachdem. Aber das ist eigentlich keine neuen Männer Theorien jetzt erstmal braucht, und dass man eigentlich ist, es ist ja schon alles da. Die feministische Bewegung hat ja schon alles gemacht, so verbereitet, sowas braucht jetzt keine neuen Theorien. #00:24:08-1#

Grazyna Wanat: Eine Teilnehmerin aus dem Publikum fragt nach einer Begriffserklärung zu den Begriffen Flinta-Person und Incel. #00:24:16-9#

Ulla Wittenzellner: Incel ist ein Zusammenzug von involuntary celibacy (Zölibat) und das ist mittlerweile gar nicht mehr so kleine Community von vor allem weißen heterosexuellen Männern, die so eine sehr eigene Logik der Weltsicht haben und ein bisschen der Kern dieser Weltsicht ist, sie haben keinen Sex und bekommen keine Beziehungspartnerin ab, weil ein Feminismus die natürliche Ordnung zwischen den Geschlechtern zerstört hat. Früher gab es sozusagen sowas wie gleich attraktive Status, gleiche Personen, die sich dann anziehend fanden, und der Feminismus und die Dekadenz und die achtundsechziger Bewegung und so weiter haben das zerstört. Und jetzt wollen diese Frauen alle nur noch mit den statushöheren Männern Beziehungen anfangen, und deswegen bleiben sie unfreiwillig zölibatär alleine, genau ganz oft, total vermischt mit so antisemitischen Verschwörungstheorien, super oft wahnsinnig rassistisch. Da sind sehr gewaltvolle Sprache und Kommentare, also wirklich, wo sich krasseste Gewaltfantasien ausgedacht werden, und das Absurde an dieser Szene, und deswegen, glaube ich, würde die gerne auch von außen so als dieses am „Weirdos " am Rand hingestellt ist, dass die mit einer wahnsinnigen Selbstabwertung einhergeht. Also diese, die unfreiwillig zu libertären, die Incel von sich selber sagen ganz häufig, sie sind auch nicht lieben oder lebenswert und also wahnsinnig gewaltvoll in alle Richtungen, ist sozusagen diese Online Kultur. #00:25:56-3#

 Christoph May: Veronika Kracher hat da viel zu gemacht. Die hat eigentlich das Buch dazu geschrieben. #00:26:00-3#

Ulla Wittenzellner: Und Flinta, das ist so ein Akronym, eine Buchstabensuppe aus F für Frauen, L für Lesben, inta nicht binäre Transpersonen und Agender Personen. Genau inta, Trans. Ja, ich weiß nicht, wie ausführlich ich dieses Konzepte erklären soll. Mittlerweile gibt es ja den dritten Geschlechtseintrag, Divers, da wo eine Interperson durchgeklagt hat. Auf biologischer Ebene macht diese Trennung in zwei Geschlechter keinen Sinn. Das stimmt einfach wissenschaftlich nicht. Es gibt Inta Personen, das ist das "i" in Flinta, das "n" eben nichtbinär eben als eine der großen Überbegriffe zu geschlechtlichen Geschlechter: Vielfalt an Personen, die sich nicht als Mann oder Frau, männlich oder weiblich verstehen, und Trans, auch einer dieser großen Überbegriffe, der sowohl von Personen verwendet wird, die sich als nichtbinär verstehen, und aber auch von binären Transpersonen, also Personen, die Männer sind, aber bei Geburt das Geschlecht weiblich zugewiesen bekommen haben, oder Transfrauen, also Frauen, die bei Geburt das Geschlecht männlich zugewiesen haben. Genau und Agender Personen, die in erster Linie, also für die Geschlecht, entweder keine besondere Rolle spielt oder die sagen, sie haben keins oder keinen Bezug dazu. #00:27:10-3#

 Christoph May: Ist Agender gleichbedeutend mit asexuell? #00:27:13-1#

Ulla Wittenzellner: Nein, weil das eine hat mit Geschlecht und das andere mit Sexualität zu tun. #00:27:16-6#

Tobias Lindemann: Ähm, ich wollte nochmal zurück zu deiner Praxis, was du vorhin angefangen hast zu erzählen. Was hast du denn für ein Gefühl, also vielleicht auch in den unterschiedlichen Situationen, in denen du bist, mit was dann da die Leute rausgehen, sage ich jetzt mal aus solchen Workshops. Also ist es dann halt auch manchmal so, dass die zum Beispiel da schon so ein Bewusstsein dafür haben, vielleicht dann sich ein bisschen bestärkt fühlen oder dass mehrere Leute auch anfangen so kritisch nachzudenken. Oder es ist in manchen Firmen dann vielleicht auch eher so eine, naja, ich weiß nicht Kosmetik Veranstaltung, wie du jetzt vorhin schon meintest? #00:27:52-3#

 Christoph May: Ich freue mich immer, wenn die das verpflichtend machen können. Da ist es super, dann müssen die alle kommen. Aber natürlich und es muss natürlich eine Grundbereitschaft geben, sich überhaupt irgendwie mit dem Thema auseinanderzusetzen. Also, ich sehe es jetzt nicht als meine Aufgabe, mit Antifeministen und Rechten zu reden. Ich rede auch nicht mit Nazis, irgendwie nicht. Ich hab keine Kraft und keine Energie dafür, Leute, die gar nicht wollen, irgendwie zu überzeugen, finde ich, ist nicht so ratsam. Natürlich haben wir auch gelegentlich dann, jetzt war ich letzte Woche in Ingolstadt, und das war ein kulturelles Zentrum und da waren viele jüngere Leute dabei, aber auch die Gleichungstellungsbeauftragte, und da hat man gemerkt, dass sie zweite feministische Welle war. Sie hat dann so angefangen, die Männer zu verteidigen und so, das hatten wir auch oft mit drin und dann haben aber jüngere Leute haben dann, natürlich ist es ein Generation Ding, also traditionelle Männlichkeiten ab 40, 50 aufwärts schwierig, sehr schwierig, die überhaupt in so ein Seminar zu kriegen, habe ich ja vorhin schon gesagt. Das ist so die große Herausforderung. Wie kriegen wir die da hin, und wie redet man mit denen ohne das die gleich wieder raus gehen und da haben die Jüngeren dann aber ihre Väter mitgebracht. Das war ganz spannen. Wir hatten diesen Generationenkonflikt komplett im Raum, und und ich muss da nicht viel machen, weil immer, wenn die Väter dann ihre typischen Abwehrstrategien sagen wie zum Beispiel "aber die Frauen, aber die anderen, und so", dann haben die Töchter so hervorragend, die Väter quasi zurückrufen und immer dagegenhalten, und da habe ich nur gedacht wow. Ich bin dankbar dafür, dass die Kids diese Arbeit machen und man merkt Generationenproblem auch noch darin, dass die einen enormen Wissensvorsprung haben. Die sind alle in diesen ganzen Diskursen zu Hause. Das ist für die nichts neues, so antifeministische Diskurse, feministische Diskurse, das kennen die alles. Aber die Generation meiner Mutter, meine Eltern, die sind alle ich mit Handy in der Tasche aufgewachsen. Die sind es nicht gewohnt, zu googeln und ständig in Social media alles zu scrollen und zu sichten und so. Da merkt man das halt einfach Unwissen im Raum ist, und deshalb muss man gerade mit älteren Männern immer bei den Basics anfangen. Bei den jüngeren hab ich immer das Gefühl, ist ein Heimspiel. Also den brauchst brauche ich auch nichts zu erzählen. Da geht es ja mehr um die Frage, wenn ihr wirklich wollt, es ist nicht eure Aufgabe, wenn ihr wirklich eure Väter verändern wollt dann. #00:30:14-7#

Tobias Lindemann: Genau aber da ist vielleicht auch nochmal der Schritt. Du sagst, die sind da, die kennen die Begriffe und die sind in den Diskursen, aber trotzdem gibt es ja keine Ahnung. Also ich kenne das aus unterschiedlichsten Kontexten, wo es auch junge Leute gibt, die unter sich sind eigentlich, wo es Übergriffe gibt, wo es Diskussionen gibt. Also eigentlich ist ja von der, von den Basics, von denen du jetzt sprichst, dann ja manchmal so im Handeln ja doch nichts angekommen. #00:30:40-3#

 Christoph May: Ja, unbedingt! Also, das muss man auch mal sagen. Ich glaube die meisten unterschätzen auch die Macht von Prozessen, das merke ich immer wieder. Also selbst wenn man das Gefühl hat, man hat jetzt irgendwo nicht so viel erreicht bei dem Workshops, und die Väter gehen jetzt nach Hause eher so grummelig und mussten es aber irgendwie schlucken, weil die Töchter daneben saßen, dann höre ich doch, zwei bis vier Wochen später kommt dann eher so Feedback, dann merkt man das dringt durch. Wenn man erreichen kann, dass die nach Hause gehen, und dann im Kino merken, ich mache denen auch ganz viel Lust darauf. Ich mache den Lust auf weibliche Flinterperspektiven. Ich zeig denen, was die alles verpassen, wenn die ihre männlichen Umgebung nicht verlassen. Das war auch mein Erweckungserlebnis, sag ich mal, das hat paar Jahre gedauert, aber einfach den Medienkonsum umstellen auf nicht männliche Perspektiven, und das ist ein kultureller Reichtum, den man da verpasst und meinem Partner und meine Schriftstellerin die hat mich mit Perspektiven vertraut gemacht, und die konnte witzigerweise, deshalb bin ich da auch rein kommen. Die konnte witzigerweise mit dem, was ich mochte, am Anfang null was anfangen, und ich hab mal so gefragt, wieso kannst du nichts mit Graffiti anfangen, das bedeutet mir voll viel und sie meinte dann, bleib mal von mir weg damit! Das ist so männlich und so langweilig. Und wieso kannst du nicht mit linker politischer Arbeit und sie antwortete, sie kann schon, aber also männlich immer" und dann habe ich gefragt, was sind denn deine Perspektiven? Ich habe mich gefragt, warum findet sie das, was ich mache, so langweilig und wenn ich dann ihre Lektüre, was sie mir empfohlen hat, was sie gesagt haben, was ich schauen soll, was ich mir angucken soll, 1000 Gespräche mit ihr, haben wir deutlich gemacht, welche Perspektive sie hat, und dass das eine Perspektive ist, die mich nicht nur emotional, sondern auch kulturell so viel mehr abholt. Und ich bin froh, dass sie ich noch 40 Jahre hab, da leben zu dürfen. Ich bereue es jeden Tag, dass ich die ersten 30 Jahre meines Lebens mit dieser männliche dominierten Umgebung zu tun hatte. So muss jetzt nicht im Detail eingehen, wo ich da sozialisiert worden bin. Aber das war ein typische Männer Umgebung und das ist leider so. Ich wäre gerne in der diversen Gesellschaft groß geworden, die in der das nicht mehr Thema ist, alles keine Frage, in der wir nicht Frauen, Männer Fußball haben, sondern ein Diverses Fußball. #00:32:51-9#

Tobias Lindemann: Ulla, du hast dich auch sehr stark mit Pädagogik auseinandergesetzt mit dieser Thematik. Wo siehst du denn da Anknüpfungspunkte oder Möglichkeiten, quasi da reinzukommen? #00:33:05-7#

Ulla Wittenzellner: Ich finde total interessant, dass du magst, wenn die Leute verpflichtet werden. Ich arbeite eigentlich nur mit freiwilligen Gruppen, weil ich irgendwie gar keine Lust habe, meine Energie darauf zu verpulvern, mich so an Leuten abzuarbeiten. Ich glaube, es gibt wirklich genug Leute, die Interesse haben und die was anderes machen wollen und das ist ja auch, wie unser Magazin entstanden ist, aus so nem Bedürfnis raus von Männern, die sagen, hey, wir haben tatsächlich auch keinen Bock auf diesen wirklich ungleichen, nicht auf Augenhöhe sich begegnen können Scheiß. Wir wollen gerne was anders machen. Aber wie? Und mit denen arbeite ich gerne und auf die habe ich auch Bock, weil ich glaube, es ist auch dann nicht so leicht. Wir alle haben irgendwie so diese diese Art von gesellschaftlicher Struktur, von Geschlechterverhältnis, von Gewaltverhältnis total verinnerlicht und das braucht Hilfe, da raus zu kommen. Ich finde ganz interessant, dass für mich das Arbeiten zum Thema Männlichkeit ein eigentlich schon ein Hintertürchen ist, weil, worum es mir eigentlich geht, ist das Arbeiten an Sexismus. Ich möchte gerne eine Gesellschaft, die weniger sexistisch ist. Wenn ich aber Workshops zum Thema Sexismus anbiete, kommt überhaupt kein einziger Mann und wenn ich ein Thema zu Männlichkeiten anbiete, schon. Das heißt, es fühlen sich einfach nur dadurch die Männer, die ich erreichen möchte, zumindest auch angesprochen. Ich glaube, es hat auch was mit irgendwie dem Gefühl zu tun. Ach, ich weiß gar nicht, ob das dann ein Raum für mich ist. Wenn es um Sexismus geht. Darf ich da eigentlich sein, bin in einer sehr positiven Leseart, und ich glaube andererseits, weil das irgendwie trotzdem weiterhin eben, das ist halt kein Männer Thema, Sexismus, das ist halt nichts, was irgendwie uns geht. Geschlechterungleichheit vielleicht bisschen Männlichkeit. Ah ja, hier geht es um mich, und insofern ist das schon an sich eine pädagogische Strategie, auch weil ich glaube, es muss sich ganz massiv was an Männerbildern ändern und an den Formen, wie wir uns aufeinander beziehen und wie wir miteinander reden und handeln. Aber eben eigentlich geht es mir prinzipiell trotzdem um was anderes. #00:34:54-4#

 Christoph May: Die Erfahrung machen wir auch, wenn Gleichstellungsbeauftragte tatsächlich wenn die Feminismus und Gleichstellung auf ihre Flyer schreiben, dann kommen die Männer einfach nicht und wissen gar nicht, was das mit denen zu tun hat, und deshalb haben wir auch mit meiner Partnerin so versucht, ein Wording zu finden, wo die sich auch leicht getriggert fühlen. Dann kommen die meistens, weil die sehen wollen, was macht der da eigentlich schon so und irgendwie merke ich auch, dass man Männer irgendwie auch gut rein provozieren kann. Neulich hat jemand gesagt, stell erst mal einen Kasten Bier hin, dann komme ich auf jeden Fall. Wenn die erst mal da sind, dann kann man eigentlich meiner Erfahrung nach auch relativ gut mit den arbeiten, dann kommt wenig Abwehr, gerade wenn man den die Abwehrreaktion noch erklärt, dann lassen sie es auch bleiben. #00:35:32-4#

Tobias Lindemann: Okay, jetzt sind sie da mit Kasten Bier oder ohne. Ulla, wie geht es dann weiter? Also, was sind das für Seminare die du anbietest und wie sehen die aus? #00:35:41-7#

Ulla Wittenzellner: Also, die Workshops, die ich zu kritischen Auseinandersetzungen und Männlichkeiten mache, haben vor allem eigentlich so das Ziel, ganz häufig erste Anknüpfungspunkte zu schaffen. Also was hat das mit mir zu tun? Warum spreche ich darüber? Was ist überhaupt Männlichkeit? Also weil ich finde es wird ganz oft gleichgesetzt mit Mann sein. Das ist nicht das gleiche. Ich würde auch sagen, es geht in erster Linie nicht darum, jetzt den Leuten irgendwie mitzugeben, ihr seid alle scheiße, das sind sie nicht, sondern es ist ein Versuch, sozusagen überhaupt das Thema, was hat eine Gesellschaft, die Männlichkeit privilegiert und Weiblichkeit abwertet, mit mir gemacht als Mann und damit in der privilegierten Position in diesem Geschlechterverhältnis und da ist das Thema drin. Warum ist das auch für mich nicht unbedingt nur super? Was sind da irgendwie auch für mich blöde Dinge drin und gleichzeitig, diese Geschlechterverhältnisse sind für alle scheiße, aber sie sind für ein paar Leute noch ein bisschen scheißer als für andere, und das sind Frauen, Trans und nicht binäre Personen. Das nochmal sichtbar zu machen, das ist sozusagen für mich der zweite Teil meiner Workshops, also deutlich zu machen: „Guck mal, wir haben uns jetzt viel um Männlichkeit und Männer gedreht, und das aus guten Gründen, weil das braucht es auf eine Art und Weise, um Reflexion anzustoßen", und dann aber den Übertrag zu schaffen. Okay, und was hat das jetzt mit allen anderen zu tun? Um die nicht aus dem Blick zu verlieren, dass sozusagen der zweite Teil von so einem Seminar oder Workshop, den ich machen würde, genau. Deswegen mache ich auch dieses Magazin. Ich habe das Gefühl, ganz häufig gibt es dann so ein Bedürfnis von: „Ah ja, und jetzt wollen wir aber weiter", und es gibt so sehr wenig Anleitungen wie und ganz häufig erschöpft sich, in haltet einfach öfter mal die Klappe, gibt mehr Raum an anderer Leute, finde ich gut und richtig in sehr vielen Fällen. Aber es ist irgendwie auch ein bisschen wenig, also das als handlungsleitende Maßnahmen zu haben für den Rest meines Lebens, das scheint mir ein bisschen dünn, und das war die Idee hinter diesem Magazin, in die Themen ein bisschen tiefer reinzusteigen, einzelne Themen rausgreifen zu können, auch die Auseinandersetzung und den Kampf darum oder das innere Ringen darum sichtbar zu machen, weil, selbst wenn ich jetzt alles richtig machen möchte. Aber jetzt bin ich halt 35 Jahre als Mann sozialisiert worden und habe erst mal gelernt, nicht über meine Gefühle zu sprechen, dieses totale Schweigen, immer alles allein schaffen zu müssen, nicht um Hilfe bitten zu können, all das ist ja verkörperlicht, das haben wir so gut gelernt, das verlernst du nicht mal eben, weil du es jetzt gecheckt hast, und das sichtbar zu machen, wieso Scheitern funktioniert. Deswegen heißt diese zweite Ausgabe auch „Scheitern". Wie oft man da immer wieder hingehen muss und sich das noch mal anzuschauen. Genau darum geht es so ein bisschen in einem vertiefteren, sich ernsthaft mit diesen Themen auseinandersetzen, finde ich, und dafür ist es. Das lässt sich an so einem Tag Seminar nicht machen, quasi. #00:38:31-5#

Tobias Lindemann: Ihr Sprecht ja beim Magazin dann eigentlich auch von Männlichkeiten, also wo man ja dann vielleicht auch nicht wieder so festgeschriebene Rollen und Bilder oder so darunter verstehen sollte, sondern einfach, dass sich da was öffnet, dass es quasi aus einer so fest definierten Männlichkeit, die ja häufig einfach da ist, stark der Fels in der Brandung, weiß alles und kann alles so ein bisschen sich da raus bewegt. #00:38:55-2#

Ulla Wittenzellner: Beziehungsweise, ich würde sagen, auf eine Art und Weise waren Männlichkeiten schon immer vielfältig. Es gibt schon immer ganz unterschiedliche Bilder von Männlichkeiten, aber viele davon werden unsichtbar gemacht, also was natürlich auch mit Macht zu tun hat. Also dass bei dem Bild Männlichkeit in erster Linie zum Beispiel heterosexuelle Männer aufpoppen und irgendwie nicht das erste Bild ist: „Ach ja, hier ist bestimmt gerade ein schwuler Mann gemeint, sondern das erst mal davon ausgegangen wird, Heterosexualität weiß, körperlich ohne Einschränkungen, mittleres Alter oder sowas", das sind jetzt nur so Identitätskategorien sozusagen, auch eben welcher Bildungsstand da wohl dahinter ist, wie fähig die Person ist zu sprechen oder nicht, diese ganzen Verengungen, die jetzt sozusagen mit diesem Bild Männlichkeit einhergehen als erstes Mal, die blenden ja die reale Vielfalt total aus und auch die unterschiedlichen Bilder von Männlichkeiten, die es schon immer gibt. Also genau schwule Männlichkeiten sind schon seit 50, 100 Jahren total vielfältig und gibt es und sind da und auf eine Art und Weise auch als ein Klischeebild. Nur, dass das nicht das erste ist, was aufkommt, wenn die Männlichkeit sagen, und ich finde deswegen geht es bei Männlichkeiten auch darum, überhaupt sichtbar zu machen, es existieren super viele. Wir sollten auch ein bisschen aufhören uns darauf zu konzentrieren, als wäre das so in dieser schmale Grad, auf dem alle gleich sind. Das stimmt halt überhaupt nicht, und gleichzeitig geht es darum, da diese Hierarchie rauszunehmen. Also, wenn jetzt, das ist wieder was, was mein kluger Kollege Andreas eher mal gesagt hat, wenn wir jetzt davon ausgehen, es gibt ganz viele verschiedene Männlichkeiten und trotzdem sind halt die einen die richtigen Männer und alle anderen nicht, dann haben wir auch von der Vielfalt nichts. Wenn wir jetzt alle total viele verschiedene haben, aber die müssen dann trotzdem ganz stringent in ihrer Kategorie stimmig sein, haben wir davon auch nichts, sondern es geht darum, eben wenn es überhaupt darum geht, Männlichkeiten zu verbreiten, vielleicht geht es auch darum, einfach auch nicht Mann sein zu müssen. Immer dann ist vielleicht das eher das Ziel, genau Männlichkeit überhaupt nicht, als so einenklaren Weg zu beschreiben oder als nur das einzige Bild irgendwie im Kopf zu behalten oder so. #00:41:05-3#

Tobias Lindemann: Ihr habt das Magazin ja gegründet mit einem Crowdfunding, das heißt, ihr habt erstmal eigentlich Leute darum gebeten, die erste Ausgabe mitzufinanzieren, und war dann ja ziemlich schnell ausverkauft, und ich glaube, das erste hat jetzt schon eine Auflage von 5000 gehabt, was so für einen Magazin, was nicht in dem Verlag ist, eigentlich eine ganz schöne Zahl ist. Jetzt gibt's ein zweites, ein drittes soll kommen. Was hast du für ein Gefühl? Was hat dieses Magazin dann nochmal so ausgelöst? Das hat natürlich euren Wirkungskreis wahrscheinlich vergrößert. Aber spürst du da deutlich was, dass es irgendwie hineinwirkt in die Männlichkeiten? #00:41:44-8#

Ulla Wittenzellner: Ich glaub, dass das größenwahnsinnig zu behaupten, dass jetzt trotzdem unsere Magazin, ändert gerade die Welt klar. #00:41:53-9#

Tobias Lindemann: Oder oder was für Reaktionen kriegt ihr da drauf? Also gibt es Leute, die sagen, oh Mann, da habe ich schon die ganze Zeit drauf gewartet, oder? #00:42:00-5#

Ulla Wittenzellner: Also, das gibt es, und ich glaube, das ist auch das, was da sichtbar wird, finde ich durch diese hohe Nachfrage danach, die uns ja völlig überfordert hatte. Also tatsächlich dachten wir einfach, sollen wir wirklich 1000 Stück drucken? Das werden wir doch nicht los. Und dann genau das sind, jetzt weiß ich nicht, dritte oder vierte Auflage mittlerweile. Also, ich glaube, das war oder ist ein Thema dieser Zeit. Ich glaube, Geschlechterverhältnisse ändern sich, dass es offensichtlich und mittlerweile so sehr, dass auch Männer nicht mehr darum herumkommen, sich damit auseinanderzusetzen, dass es eine Änderung für sie bedeutet und ich glaube, manche nehmen das irgendwie willkommen an als andere. Aber alle sind so ein bisschen am Hadern. Was heißt das denn jetzt eigentlich? Und in diese Zeit hinein haben wir dieses Magazin gemacht, ein bisschen unwissentlich dessen, dass wir genau da sind, sozusagen. Ähm, ich möchte jetzt nicht den ganzen antifeministischen Backlash ausblenden, aber ich glaube trotzdem, es bewegt sich was, es rüttelt im Karton, und das andere ist, dass, wen erreichen wir damit, finde ich eine andere Frage noch, also, sind es denn tatsächlich die Männer, die dieses Magazin kaufen? Ich würde nämlich sagen, dass ein nicht geringer Teil, mit denen ich gesprochen habe, sind Frauen, nicht binäre Personen, die das ihren Männern schenken, weil sie gerne möchten, dass sie sich mal damit auseinandersetzen. Ich weiß nicht, es gab auf unserem Instagram Profil haben wir so eine 60, 40 oder 60 Prozent Männer, 40 Prozent Frauen, also insofern schon auch die Frage ist, wen interesiert dieses Thema wirklich? Bewegt das, bei wem bewegt das eigentlich, was? Ich meine, es ist cool wenn das irgendwie dazu dient, dass ich irgendwie eine meiner Freundinnen nicht mehr den Mund sich reden muss, sondern sagt bitte lies Artikel drei auf Seite 24, dann finde ich das auch schon richtig gut. Im Zweifelsfall ist es ja auch das, was es mir wert ist, also den Baustein zu einem Empowerment von Frauen irgendwie da zuzubringen. Genau und als Reaktion gibt es ganz unterschiedliche Sachen. Ich finde ganz lustig, dass die Hauptreaktion, die zwei Hauptreaktionen sind aus so ner eher linken quer feministischen Bubble, ihr seid nicht queer genug, und aus eher so eine vielleicht bürgerlich liberalen Bubble, ihr seid zu Queer, und das sind so die Haupt Reaktionen, die wir haben, und das finde ich ganz lustig. Vielleicht queer, kurz erklärt, weil wir also so viele Begriffe und so ich verwende den Begriff als Überbegriff für alle möglichen sexuellen Orientierungen und Geschlechter, Vielfalt, die sich nicht in heterosexuell, geschlechtlich, endogeschlechtlich einsortieren lassen oder lassen wollen. #00:44:33-1#

Tobias Lindemann: Ähm, was ich an dem Magazin auch gut finde, ist diese Bandbreite. Also, es geht so von keine Ahnung, sehr persönlichen Texten, manchmal auch über theoretisches oder literarisches, ja auch bis ich sage mal, ins Lebenspraktische rein, und da hat man ja schon so. Also hatte ich auch so ein Gefühl, okay, es gibt einfach so vielleicht auch Wissen, dass halt einfach viel zu wenig bekannt ist. Also, ihr hattet in der zweiten Ausgabe etwas über männliche Verhütung zum Beispiel, also da gibt es ja auch einfach Lücken und vielleicht ja auch keine. Ich weiß nicht, Medien, in denen solche Dinge überhaupt auch mal vorkommen, also wenigstens nur mal als eine Option erwähnt werden. #00:45:13-3#

Ulla Wittenzellner: Das fand ich auch interessant. Also eine andere Reaktion wir bekommen, ist nämlich überhaupt, dass ganz viele Leute uns Einsendungen schicken, entweder Texte, aber auch zum Beispiel, habt ihr diesen Nachrichten Beitrag mal gesehen oder dieses Format auf YouTube oder so, also dass dadurch, sich diesem Thema offensiv zu nähern, mir viel mehr bewusst geworden ist, wie viel es eigentlich doch schon gibt, was trotzdem halt weiterhin ja eben, wenn man sich jetzt nur Tagesschau anguckt oder sowas, dann wird man es nicht mitbekommen. Ich finde auch also, was ja auch im ersten Magazin ist, zum Beispiel da ist ein Text aus den Achtzigern oder Neunzigern drin, vom damaligen Männerrundbrief, weil diese Themen auf eine Art und Weise nicht neu sind. Da ist total viel passiert und gedacht worden. Schon, man muss nicht immer das Rad neu erfinden, aber es ist unsichtbar, oder es wird wenig rezipiert, und das ist, glaube ich, schon auch, was, was ich sehr schätze an der Arbeit am Magazin selber, sich auch auf diese historischen Spuren begeben können. Im zweiten Magazin ist ein Interview. Das hat mein Mitarbeiter gemacht mit der den Herausgeber in der damaligen Tunten Tinte. Das war auch auf ne Art und Weise eben feministisch, männliches Magazin, das es gab, weiß heute natürlich keiner mehr. #00:46:23-2#

Tobias Lindemann: Ja, das Magazin gibt's in Papierform. Die erste Ausgabe gibt es zum Beispiel auch schon als PDF im Netz zum kostenlosen runterladen, aber vielleicht damit jetzt in Verbindung Internet. Ich denke, es ist ja einerseits eine Möglichkeit, solche, also wahrscheinlich werdet ihr mit dem Magazin jetzt auch nicht so bekannter geworden, wenn es nicht eine digitale Öffentlichkeit dafür auch gäbe. Aber zugleich ist es ja auch, habe ich manchmal das Gefühl, ein Schlachtfeld eigentlich, in der diese Themen ja häufig auch in einer sehr unschönen Art und Weise verhandelt werden, in denen sich unterschiedliche Positionen da bekämpfen. Christoph, du bist sehr aktiv, sowohl auf Facebook als auch auf Instagram. Kannst du mal deine Erfahrungen beschreiben? #00:47:17-6#

 Christoph May: Ich bin eigentlich kaum noch aktiv, aber das ist genau, weil ich einfach keine Zeit mehr habe und was mich irgendwie auch geschöpft hat. Facebook ist mittlerweile tot, mich interessiert es auch nicht mehr. Ich hab vor fünf/ sechs Jahren eine Facebook Gruppe gehabt und am Anfang war das alles gut, wir hatten neuen Moderator*innen, das war eine hochspannende Zeit aber dann hab ich einfach nicht mehr bewältigt bekommen, und dann habe ich das auslaufen lassen. Dann natürlich kam Instagram und auf Instagram wird jetzt weniger diskutiert, da wird dann eher kommentiert. Ich lese mir das auch gar nicht mehr durch, ich finde beim Online diskutieren haben wir alle erlebt, wie das so geht. Aber ich bin nicht mehr bereit, irgendwie Energie oder Kraft reinzustecken und deshalb, wenn ich irgendwie merke, dass Männer anfangen, da reinzusülzen und irgendwie dagegenzuhalten und so, sofort blockieren, einfach mal blockieren, blockieren, und das ist der Segen vom Internet, dass man einfach mal blockieren kann. Und dann habe ich auch gemerkt, für mich macht das tausendmal mehr Sinn, draußen im Real Life mit Leuten wie euch oder Seminare zu geben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in den letzten sechs bis sieben Jahren in Seminaren die in Präsenz erfolgen, ist mir jetzt noch mal so deutlich aufgefallen, dass das online für mich nicht mehr interessant ist, weil Menschen verhalten sich fair, Menschen verhalten sich okay, man kann viel besser reden, wenn man die vor sich setzen hat, dann nehmen die sich nicht das heraus, was da online abgeht. #00:48:55-3#

Tobias Lindemann: Ich habe schon das Gefühl, dass es ja, ich sage jetzt mal, für die Gegenseite also für eine toxische Männlichkeit, ja schon ein Kanal ist, wo einfach ganz viel läuft, was eine Öffentlichkeit auch manchmal gar nicht so mitkriegt. Also ich meine, ich muss mir da auch an die eigene Nase fassen, wie es um Andrew Tate ging vor ein paar Wochen, kannten den halt Menschen über 20 eigentlich nicht. Das ist ein britischer Influencer, der frauenverachtend und also wirklich in reinster toxischer Männlichkeit Hunderttausende von Followern hat, vor allem auf Tiktok, so viel ich weiß. #00:49:36-1#

 Christoph May: Ich glaube, 9 Milliarden Aufrufe auf TikTok, zweit gegoogelster meister Mann in Amerika 2022. #00:49:43-8#

Tobias Lindemann: Der hat vor allem in einer Altersgruppe zwischen, ich sage jetzt mal so 12 und Mitte 20 oder so, sein Zielpublikum hat bei Männern, und die ziehen sich das einfach rein, was der so vom Stapel lässt, und feiern den. Das hat dann auch noch was mit schnellen Autos und Prostitution und so zu tun und eigentlich war der vorher fast unsichtbar in der Öffentlichkeit. Das heißt, da passiert ja was, und es wäre eigentlich schon einfach auch gut, wenn es mehr Gegenstimmen gäbe, oder? #00:50:13-7#

Ulla Wittenzellner: Also, ich würde die einerseits Recht geben. Ich finde, das Internet hat ein ungeahntes Potenzial, junge Männer in wirklich in beschissensten Kulturen zusammenzuführen, und das ist ja von der US tatsächlich so ganz explizit als Strategie formuliert worden, die abzuholen und denen ein "Internet Zuhause" zu geben, wo sie sich dann mit ihren Problemen ernst genommen und gesehen fühlen, und denen sozusagen als Lösungsansätze genau halt wahnsinnig konservative bis rechte Strategien zu geben. Das ist ein Problem, nicht nur, weil das politisch strategisch ist, sondern eben, weil da offensichtlich diese wahnsinnige Masse ist, die irgend wie das auch mag. Ich würde aber sagen, auf eine Art und Weise hat das Internet halt auch irre Mobilisierungspotenzial für alle anderen Bewegungen auch. Also ich würde sagen MeToo ist das beste Beispiel, dass das so groß werden konnte. Das ist ja auch dieses Internet. Also, es sind nicht nur die wahnsinnig toxischen Kulturen, die sich da finden und bündeln, sondern alle anderen auch, dass es diesen, diesen dritten Geschlechtseintrag divers heute gibt. Das hat mit Inta Aktivismus zu tun. Inta war immer wahnsinnig unsichtbar, weil krass tabuisiert, dass es unter anderem durch das Internet überhaupt passiert, dass sich Intapersonen auf diese Art und Weise gelernt haben, zu vernetzen und aktivistisch zusammenzufinden. Ich glaube, diese Idee von irgendwie kommt man dann im Internet zusammen und diskutiert da, und dann wird sich eine schöne Meinung gebildet, die irgendwie die Mitte der Gesellschaft abbildet. Das, glaube ich, passiert einfach nicht, sondern es gibt so sehr abgegrenzt voneinander ganz, ganz tolle Sachen und welche, die in meinen Augen halt wirklich grässlich sind und wahnsinnig gefährlich, genau. Wie man das eine irgendwie schafft, kleiner zu halten, zu unterbinden, sonst irgendwas, ohne das andere dem anderen auch den Nährboden zu nehmen, nämlich irgendwie eine Art von freiheitlichen Austausch, das finde ich, eine dieser total großen Fragen, bei der ich gar keine Lösung habe. Null! #00:52:04-5#

 Christoph May: Ähm, und ich finde Fridays for Future hat auch gut gezeigt, dass gerade die jüngere Generation super machtvoll innerhalb kürzester Zeit Leute mobilisieren können, auf die Straße bringen können, sind dann aber zu dem Punkt gekommen, wo sie gemerkt haben: Okay, die Strukturen verändern sich nur wenig, aber tatsächlich bin ich auch super dankbar für alles, was auf Instagram passiert. Also nichts lieber als Instagram scrollen, Serien gucken und mich da so informieren. Und aber ich habe halt auch gemerkt, in den ersten Jahren, gerade am Anfang wurden wir vor allem von Linken, von grünen Gruppen, die das alles auf dem Schirm hatten, eingeladen, und mit denen war das natürlich auch dankbar zu diskutieren, und da habe ich auch viel gelernt. Aber ich habe auch gelernt, dass ich eine Art und Weise finden muss, dass es entspannt bleibt, so im Raum, dass es nicht ständig Gegenwehr gibt, weil natürlich oft wird man in so eine Position gedrückt, gerade dann als Wissenschaftler sich immer rechtfertigen zu müssen, sofort Zahlen nennen zu müssen. Ja, aber aber, und und das hat mich so viel Kraft gekostet, dass ich gemerkt habe, ich will diese Gegenwehr nicht, nicht nur nicht online nicht mehr haben, keine Lust mehr drauf, sondern auch in Real Life wie kann man Seminare so gestalten, dass alle sich wohlfühlen, dass alle Lust haben miteinander respektvoll zu arbeiten. Und da habe ich das Gefühl, ich weiß nicht, wie es dir geht aber das da die junge Generation. Die haben das so drauf, miteinander zu reden und sich ausreden zu lassen. Die haben ganz anderes Verständnis von Kritik. Übrigens, das fällt mir auch immer häufig auf. Die ältere Generation nimmt Kritik immer als nicht als einen neutralen Begriff, sondern als einen ja Angriff. #00:53:45-7#

Tobias Lindemann: Ich glaube, ein Weg, in dem es ja auch ein bisschen möglich ist, und den finde ich in eurer beider Arbeit eigentlich ist, ist auch Humor, was ja vielleicht dann auch entstehen kann, wenn eben das nicht so aufeinander clasht, sondern wenn man ja, weil ich glaube, bei Männlichkeit hinterfragen, Selbstkritik, vielleicht auch Selbstironie, das gehört ja vielleicht auch ein bisschen zusammen. Du hast ja mal auch schon viel mit Memes gearbeitet, also mit quasi mit Grafiken aus dem Internet oder Bildern, die dann häufig auch mit Humor zusammenhänge oder auch die Bilder auf deiner Homepage, auf eure Homepage finde ich auch teilweise mit sehr viel Augenzwinkern ausgesucht, und im Magazin arbeitet ihr eigentlich auch mit Humor. Also da gibt es die Serie „Virile Vollpfosten" zum Beispiel. #00:54:30-3#

Ulla Wittenzellner: Es gibt zwar noch den super Test, welcher care Typ bin, ich kann ich sehr empfehlen. Also genau englische ist care: für Sorgen, umsorgen, Sorgearbeit! #00:54:40-9#

Tobias Lindemann: Genau also wäre es nicht einfach auch toll, bei dem Thema quasi mehr damit Humor einzusteigen? #00:54:46-9#

 Christoph May: Unbedingt! Ich finde Humor, das hab ich dann auch gemerkt. Humor ist die beste Art und Weise, die schärfste Kritik an Männer zu übermitteln. Da kaufen Männer alles, und wenn es gelingt, wenn es gelingt, mit 250 Student*innen im Raum sich gemeinsam über Männlichkeit kaputt zu lachen, das macht am meisten Spaß. Deswegen arbeite ich auch mit in den Seminaren mit. Ich versuche, die niedrig schwellig abzuholen, indem ich einfach den ganzen Kram aus dem Internet einfach verwende. Das ist ja alles da. Einfach damit arbeiten, kurze Musikvideos und dann lass ich hier ein Musikvideo laufen von keine Ahnung von den „Toten Cracks im Kofferraum" spiele ich immer gerne. Bau mir einen Schrank und da ist halt so Rollenumkehr, da kann man Männer gut zeigen. Hey, Männer im Hintergrund, nicht das normale Deutsche Rap Video, wo Männer im Vordergrund, Frauen nur im Hintergrund, sondern einfach alles umdrehen. Reverse Plan, immer die Männer in die Minderheitenposition setzen, die Männer den Hintergrund, die Männer nicht zu Wort kommen lassen. So, und eine These, die ich auch seit kurzem habe, ist, ähm, ich glaube, deutscher Humor ist natürlich hochproblematisch und einfach nicht lustig, weil deutscher Humor männlich dominiert ist. Das kannst du in allen Comedy Formaten überall sehen, das ist das Hauptproblem. Die Comedy Szene in Deutschland, da sind die Amerikaner viel weiter, und selbst bei den Amerikaner also ich bin mit den ganzen Late nIght Talker John Oliver und wie sie alle heißen aufgewachsen. Selbst da ist es ja sehr männlich. Keine Frage, aber Humor ist der Weg, der einfach am wenigsten Kraft kostet. #00:56:18-1#

Tobias Lindemann: Ulla, wie sind deine Erfahrungen damit? #00:56:23-0#

Ulla Wittenzellner: Genau ich finde Humor auch total wichtig. Ich bin auch eine sehr ernste Person. Ich mag auch tatsächlich ernsthaft über die Dinge reden und ich finde auch, was meine Kollegin Katharina manchmal sagt, gerade als Frau aufgewachsen zu sein in dieser Gesellschaft, heißt ja zum Beispiel sowas wie Gefühle, Wut oder Ärger oder sowas eher nicht artikulieren lernen, und deswegen ist es für mich auch total wichtig auch durch Humor aber mich regen wirklich richtig viele Sachen auf, weil sie mir richtig weh tun und das ist wirklich, hier muss sich was ändern. Es geht hier um was, und das sieht man auch in anderen Emotionen als nur in lustig und darum geht es mir schon auch. Leute dürfen ruhig mitgekommen, dass ich wütend bin, ich brauche Humor trotzdem, weil sich einfach Sachen langsam ändern. Einen Text, den ich geschrieben habe heißt „Ich liebe Männer, was tun?" Weil ich habe ganz viele Männer in meinem Leben und ich liebe die ja tatsächlich sehr. Und trotzdem gibt es in diesen Beziehungen Sachen, die mir die ganze Zeit Probleme machen, und das aushalten zu können und weich mit Leuten zu bleiben, dafür brauche ich um Humor! #00:57:35-9#

Speaker 2: Gut, ich habe gerade mal auf die Uhr geschaut. Wir haben jetzt über eine Stunde schon gesprochen, das heißt, wir können jetzt auch mal wieder ins Publikum öffnen. #00:57:43-8#

 Christoph May: Vielleicht einen Gedanken hatte ich gerade noch. Da wäre auch meine Frage vielleicht an dich, wie geht ihr mit Emotionen im Raum um?, ich bin ständig in dieser Situation, dass ich sagen muss, hey, ich bin kein Psychologe, ich bin kein Jungs- und Männerarbeiter, ich bin kein Männercoach und so, sondern ich würde es gern hier auf einer wissenschaftlichen und strukturellen Ebene machen und so. Aber es kommt immer wieder dieser Emotions Diskurs mit rein. Mittlerweile habe ich meine Wege, es sofort zu erkennen und zu sagen, dass ist jetzt gerade nicht so interessant, ob du dich jetzt hier angriffen fühlst oder wie du dich gerade fühlst, das ist für dich gerade irgendwie zu... mhm. Also, ich erlebe diesen Emotions Diskurs, wenn er nicht mit der Kritik an den Strukturen geht, oft auch als einen neuen Abwehr Diskurs, der gesamtgesellschaftlich, wo Männner über Gefühle sprechen, überall, keine Frage! Aber aber ich habe das Gefühl, dass es gerade neuer Weg ist, nicht über die Strukturen, nicht über die Institution, nicht kritisch über Männlichkeit im Gesamten sprechen zu wollen und dann immer schön sagen: „Ja, bei mir zu Hause, da ist ja schon alles super aber ich habe ganz viele Frauen als Freundinnen" oder „Ich bin ja schon super Papa", und dann sage ich, okay, aber die Zahlen sind halt komplett anders. Können wir bitte wieder darüber sprechen? Also erlebst du auch dieses emotionale in Abwehr Diskursen? #00:59:03-6#

Ulla Wittenzellner: Ich kenne das, obwohl ich sagen würde, dass Emotionen insgesamt halt abgewertet werden, ist ja auch ein sehr männlicher Diskurs. Also, dass die ganze Zeit davon ausgegangen wird, Rationalität und irgendwie über Sachen nachdenken wie „sei höherwertiger" als irgendwas und sich auch darüber Gedanken zu machen, dass ich auch Gefühle habe und die auch berechtigt sind, das, finde ich, ist ja sehr typische Emotions Abwehr und ich mache zwei Sachen in meinen Workshops. Das ist was anderes als im Magazin, schriftlich geht das nicht so, und zwar einerseits Emotionen thematisierbar zu machen oder auch einzuladen. Also tatsächlich, ich lade das ein, Schmerz in Raum zu holen, zum Beispiel, weil ich finde, Schmerz in den Raum zu holen, also wenn Leute Schmerz empfinden oder Sachen als traurig empfinden oder auch als kränkend oder sowas, dass das durchaus Platz haben darf und deswegen das, was ich vorhin so ein bisschen beschrieben habe, mit dieser Zweiteilung, später trotzdem auch von dem weg zu gehen, ja, das ist scheiße für Männer! Viel an diesem System ist scheiße für Männer, und das genau, sich für Sachen zu schämen und irgendwie sich bewusst zu machen, was da alles an Verletzungen man anderen Leuten zugefügt hat und selber erlebt und erleben muss. Dem allen Raum zu geben und dann zu sagen, und jetzt gucken wir auf die anderen, weil das macht was mit denen, und da habt ihr auch eine Verantwortung, und ich finde, das funktioniert relativ häufig relativ gut, also sozusagen, weil nur zu sagen, ihr sollt mich jetzt nicht mit euren Problem volllabern. Das finde ich folgt einer männlichen Logik und ich finde auch noch was anderes, und zwar, das ist ja gerade auch, auf Strukturen zu gehen und zu schauen, wir müssen gemeinsam daran arbeiten. Dass es neue Strukturen gibt, ist ja auch eine Form von Entlastung auch für diese Männer, weil es heißt eben, „Du bist nicht individuell dafür schuld, dass es hier gerade alles Scheiße läuft, sondern wir leben in einem massiv ausbeuterischen, unterdrückerischen System, wo wir alle irgendwie drin verstrickt sind, und wir müssen das gemeinsam angehen, weil diese Änderungen schaffen wir nur kollektiv. Das kann überhaupt niemand alleine lösen". #01:00:56-1#

Tobias Lindemann: Das vielleicht als ein sehr schönes Schlusswort für das Gespräch, das wir jetzt hier geführt haben, aber wir haben jetzt noch ein bisschen Zeit für Fragen aus dem Publikum. #01:01:13-0#

Publikum: Mich hätten jetzt diese Abwehrstrategien interessiert, also eine hast du jetzt schon angesprochen. Was sind so die anderen? #01:01:24-2#

 Christoph May: Wir können gerne ein bisschen sammeln, welche dir auch einfallen. Ich fange mal an. Also die beliebtesten Abwehrstrategien sind, eine hat mir gerade schon genannt, das auf eine persönliche Ebene holen, also zu sagen, bei mir ist schon alles super und dann weg von den Strukturen. Eine andere ist aber die Frauen, aber die anderen also nicht beim Thema bleiben. Das löse ich immer so, dass ich immer sage, wir reden heute nur über Männlichkeit, wir reden heute nicht über Frauen oder Transpersonen. Dann kann man die mal wieder zurückholen. Und was noch Mansplaining, ist sicher vielen ein Begriff, ist eine Mischung: Kofferwort aus Man und explaining. Also, wenn Männer ungefragt ihrem gegenüber etwas erklären, ohne sicher zu gehen, ob es ihr gegenüber womöglich besser weiß, das Kommt von Rebecca Solnit, die in ihrem Buch beschrieben hat, wie ein älterer Mann auf einer Party ihr eigenes Buch erklärt, obwohl sie ihn mehrfach darauf hinweis, dass sie die Autorin des Buches ist und einfach nur, der nimmt sie einfach nicht ernst respektiert. Sinn! Ich hör einfach nicht hin, einfach nur, weil sie eine Frau ist, also dass Männer einfach dann Redezeit wollen. Natürlich, das ist auch ein großes Ding, das habe ich von den Grünen gelernt, einfach mal Redezeit, anderthalb Minuten. Ich mache das immer so, dass ich dann sage, die Männer im Raum haben anderthalb Minuten Zeit und dann schön eine Klingel auf den Tisch und „Ding" vorbei, und die Flintapersonen, die können so lange reden, wie sie wollen. Es gibt eine schöne Machtumkehr auch im Raum. Immer. Was haben wir noch? Täter- Opfer- Umkehr also von Victim Blaming . Dieses typische Bild Zeitungsnarrativ, Tone- Policing ist ziemlich weit verbreitet. Also wenn Männer inhaltlich nicht bei der Sache bleiben, sondern den Ton des Gegenübers angreifen, oder sei doch nicht so hysterisch zum Beispiel, oder fühlt sich für mich jetzt irgendwie nicht so gut an, was du da sagst. Derailing ist ein Wort, dass bedeutet „Entgleisen". Also das ist auch nicht so leicht zu erkennen, es gelingt mir auch manchmal nicht, wenn Männer so ganz subtil die Themen so vom Thema weg leiten. Das kann, das ist nicht leicht zu erkennen und die dann auch wieder zurückzuholen, ist nicht so leicht. Aber das ist nicht ein Entgleisen. Fallen dir noch welche ein? Ich kann auch nochmal überlegen. #01:03:43-3#

Ulla Wittenzellner: Ich finde also, ich finde tatsächlich die größte Abwehrstrategie, und ich glaube gar nicht unbedingt als eine bewusste Strategie, sondern auch als so ein inneres, sich vielleicht nicht wirklich mit sich selber auseinandersetzen müssen. Was ich erlebe ist, „die anderen sind schlimmer". Also dass ich ganz häufig, zum Beispiel ich spreche über, was ist an deinem Verhalten schon mal kritisiert worden? Lass uns jetzt mal über dein Verhalten sprechen, und dann sagt die Person zu mir: „ah ja, und ich möchte ja gerne besser intervenieren können, wenn jemand anders sexistisch handelt", ich denke mir aber darum geht's gerade nicht. Zu sagen wirklich bei sich selber zu bleiben. erlebe ich, ist wahnsinnig schwierig und das ganz leichter dadurch begründet wird, dass aber ja andere es schlimmer machen oder blöder sind oder weiß ich nicht, man irgendwie trotzdem schon zu den besseren Männern gehört, sozusagen genau. Ich glaube, was ich schon viel erlebt und ich weiß nicht, ob das eine Abwehrstrategie ist, ist Sprachlosigkeit, also das irgendwie dann so Punkte kommen, wo nicht mehr weiter geredet wird oder so es wirklich so ganz zäh wird, um dann irgendwie ein Gespräch wieder in Gang zu bekommen. Und ich glaube, das kann was mit Scham zu tun haben, es kann vielleicht auch mit. Eben auf einmal bin ich mit neuen Dingen konfrontiert und weiß nicht, wie ich damit umgehe oder sich nicht bloßstellen wollen oder sich nicht der Kritik zeigen wollen oder sowas zu tun haben. #01:04:56-7#

Tobias Lindemann: Wahrscheinlich beides. Ich würde es, ich erlebe das häufig so als auch, dass ich den Begriff, den ich da mal wenn es sind, männliche Schweigekultur, männliche Blockade also Stichwort katholische Kirche und so weiter, in Transparenzen. Die größte Abwehrstrategie fällt mir gerade ein, die hätte ich mal gleich zu erst nennen sollen, sind Männernetzwerk, also Männerbünde, männliche Monokulturen. Wenn du von Anfang an nicht darauf achtest, deine runde Divers aufzustellen, dann hat auch als andere andere keinen Raum und das versuche ich Männer auch begreiflich zu machen, dass es kein Problem ist, wenn ihr nur mit Männern in die Kneipe geht. Aber seid euch bewusst, dass, wenn ihr das immer macht, dass ihr auch im kleinen Teil in die Strukturen reproduziert, die ihr eigentlich im Großen verändern wollt. Es ist auch in meinem Privatleben. Natürlich müssen wir vor allem mit Männern darüber reden, wie sie sich Twentyfourseven selbstkritisch und pro feministisch verhalten und sich für Frauenrechte einsetzen und für Flinta Rechte einsetzen können. Das ist das, worüber ich mit Männern reden will und nicht über neue Männlichkeiten, ich rede ungern über neue Männlichkeiten, weil meiner Meinung nach braucht es die gar nicht, wir brauchen keine neuen Männerbilder. Susanne Kaiser sagt das auch immer, dass sobald Männlichkeit nicht mehr mit Macht und Gewalt verbunden ist, brauchen wir keine und es hat sich erledigt, dann brauchen wir den Begriff nicht mehr so. Sobald wir in einer diversen Welt leben ist Männlichkeit kein Problem mehr und da müssen wir auch nicht mehr. Es scheint plausibel zu sein, dass Männer sich erst mal mit Männern irgendwie über Männlichkeit unterhalten. Dafür gibt es Gründe, haben auch schon gesagt. Aber aber das erste, was Männer machen sollten, sind, sich Frauen zum Vorbild zu nehmen, sich Flintapersonen sich zum Vorbild zu nehmen. Solange ich bei meinen Neffen zu Hause keine weiblichen Heldinnen an den Wänden hängen habe, auf den Postern. Solange sind wir noch nicht sehr viel weiter. Das erste, was Männer tun sollten ist, dass mit weiblichen Flintaperspektiven Lebensrealitäten auseinandersetzen, das ist das spannende, das, was zählt, was du ja auch sagst, darauf denen auch nicht nur Lust machen, sondern das müssen die Vorbilder sein. Daraus neue männliche Vorbilder kann es nicht geben. Meiner Meinung nach haben, ohne mich jetzt zu sehr reinzusteigern. Ähm, meiner Meinung nach haben Männer aktuell, ehrlich gesagt, zu dem ganzen Diskurs nicht viel zu erzählen. Woher soll das kommen? Bei Männern geht diese 120 jährige feministische Selbstkritik gerade erst los. Ich erlebe da nicht viel, dass da von Männern groß was kommt, es sei denn von dir zum Beispiel. Es gibt Männer, die das machen, oder von euch, aber die Mehrheit. Sorry. #01:07:28-1#

Ulla Wittenzellner: Die Mehrheit nicht, aber ich finde tatsächlich. Also ich sitze hier als die Mitherausgeberin von diesem „Boykott Magazin". Ich arbeite Lohnarbeitsmäßig in einem Verein, der seit 30 Jahren sich profeministischen mit Männlichkeiten auseinandersetzt. Es gibt diese Diskurse, und zwar schon richtig lange, die sind nicht in der ganzen großen breiten Masse angekommen. Aber ich finde es auch nicht richtig, die unsichtbar zu machen und zwar nicht, weil ich jetzt die Männer retten möchte, sondern weil das so tut, als wäre das ein aktuelles trendiges Phänomen. Und das ist es nicht. Und eben dieser Verein ist vor 30 Jahren aus einer profeministischen Männergruppe gegründet worden. Die haben damals gesagt, wie können wir antisexistische Praxen in die Tat umsetzen und das finde ich super wichtig, das auch sichtbar zu machen. Es gibt schon richtig lange, richtig tolle Personen, die da richtig viel Arbeit reinstecken. #01:08:10-9#

 Christoph May: Ich bin mir auch nich sicher ob aber super gut, dass du sagst. Natürlich gibt es eine Tradition, aber ich bin mir auch nicht sicher. Ich habe manchmal das Gefühl, toxische Männlichkeit nimmt zu, so gerade so Fahrt auf, dass wir das alle jetzt denken. Ja, das geht auch nicht mehr weg. Und aber gerade die Männerbewegung, profeministischen Männerbewegung der 80 Jahre zeigt, dass es auch mal wieder abebben kann. Also ich finde es noch lange nicht ausgemacht, dass es wird. Wahrscheinlich auch, und am deutlichsten kann man das daran zeigen, dass Männer seit 120 Jahren nicht am Feminismus teilnehmen. Also wo sind die denn alle? Und warum sollte das jetzt ausgerechnet anders sein? Ob das wirklich jetzt gerade Fahrt aufnimmt, lässt sich nicht sagen. #01:08:53-6#

Tobias Lindemann: Wir haben noch eine Wortmeldung. #01:08:54-7#

Publikum: Ja, vielleicht darf ich da anknüpfen Ulla, also so wie ich das jetzt verstanden habe, ist ja eure Arbeit schon auch aufs Individuum ausgerichtet, aber durch euer Magazin macht ihr auch sowas. Also geht es auch um eine gesellschaftspolitische Veränderung, denn du hast ja gesagt, für dich ist es keine Angelegenheit, mit der du jetzt einzelne Männer kritisieren, vielleicht durchaus kritisieren. Aber es geht nicht darum, jetzt einzelne Männer anzugreifen, sondern die Strukturen zu verändern. Also inwiefern verstehst du eure Arbeit auch als gesellschaftspolitische, als politisch? Oder macht ja auch sowas wie wie Medienanalyse, Strukturanalyse? Also wie ist da so eure Position? Weil ich denke mir ein, es ist natürlich, dass Männer an sich selber arbeiten, aber das andere ist ja doch, dass man diese Strukturen auch politisch oder in irgendeiner Art und Weise aktivistisch angreift und verändert. #01:09:48-9#

Ulla Wittenzellner: Ähm, ich würde sagen, dass ist so ein bisschen der Kernpunkt der Kritik, die ich selber in unserem Magazin habe, weil das tatsächlich viel sich mit individuellen Männern und Beziehungen beziehungsweise vielleicht auch eher andersrum mit den strukturellen Problemen bei individuellen Beziehungen und zwischenmenschlichen Beziehungen beschäftigt und da einen großen Fokus darauf hat. Und gleichzeitig geht es darüber hinaus, würde ich sagen, allerdings, und das ist ein bisschen dadurch bedingt, wen spricht dieses Magazin an, auf eine sehr spezifische Art und Weise. Also zum Beispiel gibt es die Rubrik neulich aus der Männergruppe, weil ich finde, es gibt sehr gute Gruppe für Gründe für Männergruppen, wo Männer unter sich sind, nämlich genau das, dass da die Arbeit von wie verändern wir denn eigentlich? Wie müssen wir uns verändern, damit sich Strukturen, in denen wir existieren als Männer verändern, dass die unter Männern gemacht wird und nicht eben immer von Frauen, nichtbinären Transinterpersonen. Das ist aber natürlich, wo gibt es diese Männergruppen? Das ist eine bestimmte Art politischer linker, vielleicht auch akademischer, nicht unbedingt aber linker Szene sozusagen, wo Leute, wo Männer unter sich sowieso schon sagen, wir wollen gerne, dass sich patriarchale Strukturen in unseren Strukturen nicht so wahnsinnig weitertragen. Wie machen wir das genau? Ich glaube, darüber hinaus, finde ich also, unsere Magazine macht keine Vorschläge, zum Beispiel auf einer parteipolitischen Ebene oder einer gesetzgeberischen Ebene. Was müsste sich hier verändern, damit es zu einer größeren Gleichberechtigung käme oder so? Das ist glaube ich nicht der Wirkungskreis, den ich sehe von unserem Magazin und ich habe das Gefühl, dazu gibt es auch irre viel. Nicht aus der Perspektive von Männern, aber weiß ich nicht, dass wir tatsächlich endlich eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen brauchen. Da brauche ich, brauche ich kein neues Magazin vorausgeben. Ich glaube, das ist eigentlich allen klar, nur ist es immer noch nicht passiert, warum auch immer. Aber genau ich glaube, sozusagen auf einer auf dieser strukturellen Ebene würde ich sagen, ist das Magazin nicht wirkmächtig oder sowas und es vielleicht auch nicht wirklich das Anliegen, das wir haben. Ich weiß gar nicht mehr, wer das war, der mal gesagt hat, dass es vielleicht der beste feministische Beziehungsratgeber, den man in die Hand bekommen kann. Und vor kurzem saß ich mit einer Person von einem anderen Magazin auf einem Podium, das „Täter" das Männermagazin, die sagte, das ist ein Magazin, was dazu beiträgt, das Patriarchale Schweigen zu brechen, und das fand ich super schön. Also tatsächlich die Idee, Männer schreiben dadrin über Sachen, die kaputt sind am Patriarchat, die sie kaputt gemacht haben und durch die sie kaputt gemacht wurden. Das ist so in erster Ansatz, wo ich denke, da kann trotzdem was durch angestoßen werden und mit passieren. #01:12:35-0#

Tobias Lindemann: Weitere fragen noch von Ihnen? Dann vielen herzlichen Dank fürs Kommen, fürs Zuhören, fürs Mitdiskutieren und ganz großen Dank an euch beide, fürs Rede und Antwort stehen. Vielen dank! #01:12:51-0#

Ulla Wittenzellner: Danke dir. #01:12:51-5#

 Christoph May: Danke. #01:12:51-9#

Grazyna Wanat: Übrigens Sie hören heute die letzte Folge vor der Sommerpause. Wir verabschieden uns in die Ferien und wünschen Ihnen auch eine sehr schöne Zeit, wir hören uns wieder am siebten September, bis dann. #01:13:28-3#

Warum so gewaltvoll und ungerecht? Ein profeministisches Podiumsgespräch über unser Geschlechtersystem, an dem es einiges zu ändern gilt.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit sind sehr mächtig. Ausgehend von idealtypischen Männlichkeitsbildern entstehen kulturelle (aber auch politische) Anforderungen und Muster. Es gilt diese zu erfüllen, um als „richtiger“ Mann akzeptiert zu werden. Die in einer Gesellschaft verwurzelte Überzeugung „wie Männer nun mal so sind“ bzw. „sein müssen“ hat tatsächliche Auswirkungen auf das Verhalten von Männern und auf die ganze Gesellschaft. Seit einiger Zeit sind Männlichkeitsbilder im Umbruch, was sehr unterschiedliche Reaktionen hervorruft.

Christoph May vom Institut für Kritische Männerforschung und Ulla Wittenzellner vom BOYKOTT Magazin diskutieren in diesem Gespräch über kritische Männlichkeit und gewähren Einblicke in ihre Arbeit, die durch kritische Selbstreflexion und Handeln eine Veränderung der vorherrschenden Männerbilder und Machtverhältnisse anstrebt. Tobias Lindemann moderierte das Gespräch im Rahmen einer BZ-Veranstaltung mit dem Titel "Toxische Männlichkeit, kritische Männlichkeit, ein Gespräch über Rollen, Bilder und Umbrüche".

Links:

 

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Aufgenommen am: Mittwoch, 15. März 2023 
Veröffentlicht am: Donnerstag, 27. Juli 2023
Moderation:  Tobias Lindemann
Im Gespräch:  Ulla Wittenzellner, Christoph May

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