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Philipp Mattheis, warum wissen wir so wenig über Chinas Völkermord an den Uiguren?

Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:10-9#

Katharina Mittenzwei: Herzlich willkommen bei einer neuen und in diesem Jahr auch letzten Ausgabe der KontaktAufnahme. Mein Name ist Katharina Mittenzwei und ich hatte die große Ehre, eine ganz besondere Veranstaltung zu moderieren. Im Rahmen unserer Reihe "Sachbuch des Monats" stellte der Autor Philipp Mattheis sein 2022 erschienenes Buch "Ein Volk verschwindet. Wie wir China beim Völkermord an den Uiguren zuschauen" vor. Sie hören nun eine Mitschnitt dieser Buchvorstellung und Fragen des Publikums wurden im Nachhinein aufgesprochen und dazu geschnitten. Herr Mattheis, ich würde Sie ganz gerne kurz vorstellen, damit wir Ihnen und Ihrem Buch so ein bisschen näher kommen. Sie sind Korrespondent, Buchautor und Journalist und alles begann mit einem Philosophiestudium in München, Sie gingen dann auf die Deutsche Journalistenschule. Von 2012 bis 2016 waren Sie China Korrespondent der Wirtschaftswoche. Von 2016 bis 2019 berichteten Sie aus Istanbul über die Türkei und den Nahen Osten. Und dann waren Sie von 2019 bis 2021 Ostasienkorrespondent des Sterns. Sie sind Herausgeber von Bling Bling, einem Newsletter, einem wöchentlich erscheinenden, über Bitcoin, Geld und Freiheit und haben mit einem Ihrer Kollegen "Kryptopia" herausgebracht, ein Buch über die Zukunft von Bitcoin und Blockchain. Bevor wir jetzt zu unserem eigentlichen Thema kommen und um Sie noch ein bisschen näher kennenzulernen wie kommen Sie denn darauf, sich mit den philosophischen Hintergründen von Wirtschaftsfragen zu beschäftigen? #00:01:50-3#

Philipp Mattheis: Das ist eine gute Frage, da müsste ich jetzt nachdenken, lange nachdenken. Aber das waren immer, ich meine, Sie haben das jetzt auch schon vorgelesen, ich kann mir vorstellen, dass wenn jemand diese Biografie hört, dass der sich dann denkt, so, was hat denn jetzt China und die Uiguren mit Bitcoin und Geld zu tun? Aber tatsächlich sind es einfach so zwei Stränge in meinem Leben, die mich immer interessiert haben. Ich habe von klein auf immer Wirtschaft interessiert, mich haben fremde Länder interessiert und mich haben, zu einem gewissen Teil, auch immer philosophische Fragen interessiert. Und manchmal treffen sich diese Interessen sehr gut und manchmal treffen sie sich weniger gut, dann läuft es eher so parallel oder entwickelt sich in verschiedene Richtungen. Aber zurzeit trifft sich das irgendwie so ganz gut, hab ich das Gefühl, weil ich schon immer auch dann entdecke, bei diesem Buch könnte man auch etwas über Geopolitik und Wirtschaft reden, vielleicht kommen wir dazu noch. Es hat auch eine wirtschaftliche Komponente, die zumindest Teile erklärt. Insgesamt habe ich, gucke ich mir gerne die Welt unter so einer, unter so einer eine Perspektive an, weil ich den Eindruck habe, es erklärt oft mehr. Und manchmal sind das auch so Ebenen, die vielleicht eher so ein bisschen zu kurz kommen, auch in der alltäglichen Berichterstattung. #00:03:06-7#

Katharina Mittenzwei: Das ist eine ganz wunderbare Überleitung zu Ihrem Buch "Ein Volk verschwindet: Wie wir China beim Völkermord an den Uiguren zuschauen". Sie haben gerade gesagt ein Thema, das vielleicht ein bisschen zu kurz kommt, damit wir in unser Kernthema ein bisschen besser hineinfinden, können Sie uns, wie Sie das auch in dem Buch machen, einen kleinen geografischen und auch kulturhistorischen Abriss über die uigurische Minderheit in China geben? #00:03:31-1#

Philipp Mattheis: Sehr gerne. Das ist auch, glaube ich, ganz gut, wenn ich da so frei spreche und das nicht vorlese. Im Buch gibt es einen Artikel, was ein Kapitel, was sich dezidiert damit auseinandersetzt, aber sonst glaube ich, wird das so eine Geschichtsvorlesung, die manchmal auch sehr langweilig sein kann. Aber jedenfalls, es geht um die Provinz, die die Chinesen "Xinjiang" nennen. Das heißt auf Deutsch übersetzt "neue Grenze". Die Uiguren, die diese Provinz seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden bewohnen, nennen es einfach Turkestan bzw Ostturkestan. Und wenn man sich auf der Karte anguckt, ist das dieses, man hat so diesen, diesen, diesen diesen Bauch Chinas, der so Richtung Japan ragt und dann Xinjiang ist dann diese Region die wirklich so in den in den westlichen Teil fast schon nach, also grenzt an Kasachstan, also grenzt an Russland, Kasachstan und viele zentralasiatischen Staaten und ähmu und dann kommt man, glaube ich auch sehr schnell zu den Geschichte der Uiguren. Das ist ein Turkvolk und unterscheidet sich wenig von den Ethnien, die in Zentralasien leben. Also Turkvolk spricht eine Turksprache, wenn man dort ist, also es fällt auch auf, dass die Leute kaum chinesische Gesichtszüge haben, sondern ähneln manchmal auch Leuten, wie sie in der Türkei aussehen, selbst die Kleidung ist ein bisschen ähnlich, das Essen ähnelt, sie hat alles ein bisschen mehr Ähnlichkeiten zum Türkischen, als man das so in der Region erwarten würde, ja. Ich glaube, ganz wichtig ist auch noch, dass die Uiguren muslimisch sind sind ungefähr im elften, elften Jahrhundert haben sie sich zum Islam bekehrt und waren eigentlich vor allem immer Teil des, wie sagt man turkstämmigen, islamischen Kosmos in Zentralasien. Es hatte sehr viel mit der Seidenstraße zu tun, also viele Städte sind dort reich und größer geworden, eben durch den Handel. Also das war, die Seidenstraße verlief von Ost China, durch Xinjiang, über Zentralasien in die heutige Türkei und wer dort angrenzt, also wer auf dieser Straße lag, hat von diesem Handel oft profitiert und sind teilweise sehr große Städte entstanden und eigentlich ist die Region erst so wirklich im 18. Jahrhundert ungefähr in chinesischen Orbit geraten. Also da sind dann Truppen des damals noch der Mandschus, also der Qing- Dynastie, haben das Land besetzt. Lange Zeit hat das nie wirklich groß Interesse in Peking gehabt. Es gab sogar noch, ende des 19. Jahrhunderts gab es noch Überlegungen, ob man die Provinzen nicht vielleicht einfach wieder räumen sollte, weil der Unterhalt der Beamten und Soldaten eigentlich mehr gekostet hat, als die Provinz eingespielt hat. Also das war wirklich so einen eigentlichen Hinterhof des Kaiserreichs. Das hat sich dann natürlich ein bisschen geändert mit der mit der maoistischen Revolution 1949. Damals hat man dann den Bereich sehr viel stärker integriert und das war, glaube ich, sehr wichtig, es war der Beginn dann auch, nach 1949, der Siedlungspolitik, wo man dann Han-Chinesen in Xinjiang angesiedelt hat. Es waren damals noch relativ überschaubare Zahlen, hat dann ab 1980, 1990 noch mal sehr stark zugenommen, so dass man jetzt in manchen Teilen des Landes eigentlich schon eine Han-Chinesische Mehrheit hat, also wo die Uiguren quasi so zur Minderheit in ihrer in ihrer Stammheimat geworden sind, ja. Also noch mal um Eckdaten, das glaube ich, wenn man jetzt hinreisen könnte, sieht man das auch sehr schnell, dass die Menschen, die dort leben, anders sind. Sie unterscheiden sich einfach physisch, optisch und auch kulturell sehr stark von dem, was man eigentlich so als Europäer von China im Bild hat. Also es sind, die Leute haben oft äußerlich einfach, ähneln eigentlich mehr so das, was man sich unter Türken vorstellt, also auch die Kopftücher, Kleidung ist ähnlich, das Essen ist ähnlich und die Sprache ist auch ähnlich. Also das ist vielleicht so ein, ich glaube, es ist ein bisschen mehr entfernt als Deutsch und Holländisch, aber zumindest die Zahlen sind ähnlich und so einfache Wörter wie Farben sind auch noch ähnlich wie im Türkischen. Und ich glaube, darüber werden wir dann gleich mehr sprechen, es geht Peking seit ungefähr zehn Jahren sehr stark darum, eigentlich da eine kulturelle Angleichung stattfinden zu lassen, die halt sehr brutal umgesetzt wird. #00:08:23-3#

Katharina Mittenzwei: Können wir da darüber weiter sprechen? Warum denn? Warum hat die chinesische Regierung so ein Interesse daran, die Minderheit auszulöschen? #00:08:34-3#

Philipp Mattheis: Ich glaube also, es gibt einen ganz allgemeinen Hintergrund. Ich glaube, dass der, der, das Herrschaftsverständnis der Kommunistischen Partei einfach auf Kontrolle abzielt und dass da sehr wenig Verständnis erstmal für Andersartigkeit, Diversität, oder in irgendeiner Form von Nichtkontrolle ist. Ja, das glaube ich, war schon immer so, ich glaube, das haben auch autoritäre Systeme einfach so an sich, dass man ein großes Interesse hat zu kontrollieren und dass dadurch alles, was anders ist, erst mal suspekt ist, glaube ich eine andere große Rolle spielt, vor allem seit 2001 dann auch die Religion, dass man in Peking denkt, man hat da, man hat da quasi ein ein metaphysisches Element, auf das man keinen Zugriff hat. Also Leute folgen anderen Werten, als sich das die Partei so ausgedacht hat. Ich glaube, das ist das, das ist mal so der, der der allgemeine, eher so philosophische Hintergrund, warum man eigentlich kein Interesse hat, dass es dort eine andere Minderheit gibt. Und dann, ich glaube, der zweite Punkt, warum das jetzt in den letzten Jahren so zugenommen hat hat hat dann tatsächlich eine wirtschaftliche Perspektive, nämlich dass Xinjiang jahrelang oder jahrzehntelang Hinterhof von Peking war und plötzlich sehr stark in den Fokus gerückt ist. Das hat sehr viel zu tun mit der Neuen Seidenstraße, das ist mein aktuelles Buchprojekt, das sich sehr stark mit den Auslandsinvestitionen von China beschäftigt und die Provinz Xinjiang, ich müsste jetzt noch mal nachzählen, aber ich habe es, ich habe es im Buch auch geschrieben, also ohne Xinjiang, ohne diese Provinz hätte China, ich glaube, acht oder neun Ländergrenzen weniger. Ja, also das ist. Plötzlich ist das nicht mehr Hinterhof, plötzlich ist es so Tor zu Asien. Und es ist extrem wichtig für die Energieversorgung von Gesamtchina, weil sehr viel Gas und Öl aus Zentralasien via Pipelines durch Xinjiang transportiert wird. Und Xinjiang ist auch selbst sehr wichtig geworden, weil das quasi auch die rohstoffreichste Provinz Chinas ist. Es gibt sehr viel Kohle dort, es werden, es werden, 80 % der Solarzellen, die auf der Welt produziert werden, kommen aus China und 60 % davon werden in der Provinz Xinjiang produziert. Also es hat einen, gerade im Hinblick auf Energiesicherheit ist das eine sehr wichtige Provinz. Und ich glaube, dann hat man sich so ab 2014, die Idee der Seidenstraße ist 2012, 2013 entstanden. 2014 ist dann Xi Jinping nach Xinjiang gereist und hat dort vermutlich sehr zu seinem Erschrecken festgestellt, dass die Leute dort immer noch nicht voll auf quasi, also immer noch nicht chinesisch geworden sind. Und dann hat man sich überlegt, okay, das kann so nicht weitergehen, wir können uns da einen, gerade in dieser Provinz können wir uns einen Kontrollverlust auf keinen Fall leisten. Und dann ist es zu diesem kulturellen Genozid gekommen, der in den letzten Jahren stattgefunden hat. #00:11:53-9#

Katharina Mittenzwei: Ihr Buch hat eine ganz spannende Struktur, finde ich. Sie schreiben immer abwechselnd über Zusammenhänge mit thematischen Foki. Sie schreiben über Freiluftgefängnisse, fangen an mit was wir wissen. Und diese Kapitel wiederrum wechseln sich ab mit Kapiteln, die sich nennen "Uyghur Tribunal", durchnummeriert, 1, 2, 3 bis 6 und die sich dann Einzelschicksalen widmen. Erstens habe ich das richtig ausgesprochen "Uyghur Tribunal" und zweitens ,was ist das? #00:12:28-0#

Philipp Mattheis: Das Uyghur Tribunal ist eine Veranstaltung, die in London, ich glaube insgesamt dreimal jetzt stattgefunden hat und das ist sozusagen die umfangreichste Sammlung von Zeugenberichten, also von Leuten, die in den Lagern waren und die dort vor Publikum aussagen und ihre Erlebnisse schildern. Und das ist ganz besonders wichtig, weil die chinesische Regierung eigentlich bis heute versucht, die Lager zu leugnen und sagt, dass es sowas nicht gibt. Und das ist Einzelzeugen, natürlich ist es immer ein bisschen leichter, Einzelzeugen zu diskreditieren zu sagen na ja, der oder diejenige übertreibt, ist traumatisiert, ganz so war es schon nicht, usw. Beim Uyghur Tribunal hat man sich die Arbeit gemacht, einfach alle Zeugen, die Aussagewillig waren eben einzuladen und dort, die dort vor Kamera und vor mehreren Leuten ihre Erlebnisse schildern. Und ich glaube, wenn man sich das angehört, kann es auch, ich kann es nicht, ich kann es nicht unbedingt empfehlen, weil es tatsächlich auch echt einfach schockierend ist und deprimiert. Aber wer sich dafür interessiert, also die, die gibt es auch immer noch auf YouTube und man kann sich das kann sich das angucken, wo diese Leute teilweise unter Tränen halt ihre Berichte schildern und ich glaube, dadurch kriegt man auch so ein bisschen Gefühl, weil natürlich kann man jetzt einen Einzelzeugenaussagenbericht nicht, also nicht als, als Basis nehmen, ein Buch zu schreiben oder überhaupt die Behauptung, sondern das sind hunderte, Tausende von Leuten in diesen Lagern. Aber ich glaube, was das Uyghur Tribunal schon zeigt, dass sich die einfach, die, die Anzahl und Masse der Berichte sich so ähnelt, dass man da, glaube ich, schon mittlerweile sehr belastbare Aussagen darüber machen kann, was dort passiert. #00:14:17-9#

Katharina Mittenzwei: Darf ich Sie bitten, da vielleicht mal einen Teil vorzulesen? #00:14:21-8#

Philipp Mattheis: Ja. #00:14:22-3#

Katharina Mittenzwei: Beispielsweise Seite 29. #00:14:24-1#

Philipp Mattheis: Okay, das ist super, ich muss gar nichts machen [unverständlich] #00:14:29-9#

Katharina Mittenzwei: Super. #00:14:30-3#

Philipp Mattheis: Also das geht, das ist ein Augenzeugenbericht von Sumret Dawud, die 1982 in Ürümqi in Xinjiang geboren wurde und die dort eben folgendes erzählt. Also das ist jetzt in dritter Person geschrieben. "Sumret Dawud heiratete 2005 einen Pakistani und das Paar bekam drei Kinder. 2016 beantragte die Familie Visa für die USA. Daraufhin wurden im August 2017 ihre Reisepässe von den chinesischen Behörden eingezogen und ihre biometrischen Daten erfasst. Sie erinnert sich, dass die Überwachungsmaßnahmen 2016 massiv zunahmen. Sie musste auf dem Handy eine App installieren, die ihre Gespräche abhörte. Jedes Mal, wenn ich etwas über Religion sagte, erhielt ich plötzlich einen Anruf von den Behörden, die genau wissen wollten, was ich gesagt hatte, erzählt sie. Etwa zeitgleich forderte man im Ausland lebende Uiguren auf, in ihren Geburtsort zurückzukehren. Die Polizeipräsenz in Ürümqi wurde massiv erhöht. Laut Dawud entstand nun alle 300 Meter eine Polizeistation. Die Wachleute waren meist Han-Chinesen aus anderen Provinzen. Bei Routinekontrollen musste sie ihr Smartphone zeigen. Wer Apps wie WhatsApp oder Facebook installiert hatte, bekam Probleme. Auch Bilder der türkischen Flagge reichten als Grund. Ihre Wohnung bekam ein QR-Code, den Sicherheitsleute alle zwei Tage scannten. Und ihr Internetrouter wurde durch ein Gerät der Behörden ersetzt. Am Vormittag des 31. März 2018 erhielt Dawud einen Anruf, sie möge sich bei einer Polizeistation einfinden. Ihr Ehemann war während dieser Zeit nicht daheim. Auf dem Revier nahm ihr die Polizisten das Smartphone ab und führten sie in den Keller, wo sie gezwungen wurde, auf einem "Tiger Chair" Platz zu nehmen, ein Metallstuhl mit Fesseln für Hände und Füße, die angelegt wurden. Anschließend begann ein Verhör, das bis zum Morgen des nächsten Tages dauern sollte. Die Beamten fragten sie, warum sie eine pakistanische Nummer gewählt habe, weshalb sie Geld nach Guangzhou überwiesen habe und weshalb sie nach Japan und Singapur gereist sei. Dawud erzählt, sie habe wegen der Schmerzen an ihren Hand- und Fußgelenken zu weinen begonnen. Als sie bat, die Toilette benutzen zu dürfen, forderten die Beamten sie auf, vor ihnen zu urinieren. Am 1. April brachte man Dawud zurück ins Erdgeschoss. Sie sollte graue Kleidung anziehen, dann wurde ihr Blut abgenommen, Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen. Im Lager angekommen, erinnert sich Dawud noch an die Zellennummer, 28. Die Zelle war 25 Quadratmeter groß. Es roch sehr streng, wie auf einer Toilette. In dieser Zelle waren mehr als 30 Frauen. Die Hälfte von ihnen lag in Betten und die andere Hälfte stand. Ich merkte bald, dass sich die Frauen alle drei Stunden mit Liegen und Stehen und Stehen abwechselten, erzählt sie. Als sie am nächsten Morgen erwachte, wurde sie dazu genötigt, Medizin zu nehmen, von der sie nicht wusste, was es war. Wächter kamen, um die Zelle zu desinfizieren, indem sie alle Frauen mit Desinfektionsmittel besprühten, was bei einigen Hautreizungen verursachte. Dawud erinnert sich an eine ältere Frau, die an Diabetes litt. Als sie ein Stück von ihrem Brot gab, kamen sofort Wächter und schlugen sie. Jede Kommunikation zwischen den Gefangenen war untersagt und ohnehin dadurch erschwert, dass die Gefangenen fast täglich die Zellen wechselten. Alle zwei Wochen wurde ihnen Blut abgenommen, so viel, dass Dawud für einige Stunden schwindlig war. Täglich wurde sie verhört. Ich wurde zum Beispiel gefragt, ob ich an die Existenz Allahs glaube. Als ich die Frage nicht verneinte und schwieg, schlugen sie mich. Die Lagerwachen verglichen Allah mit Xi Jinping und erklärten, dass Allah nicht existiert. Xi Jinping aber existiere und habe viele gute Dinge für uns getan. Anschließend mussten wir mehrmals schreiben, wie viele gute Dinge Xi Jinping getan hat. Dawurd erzählt, auch von noch kleineren Zellen, die nur einen Quadratmeter groß waren und in denen man weder stehen noch liegen konnte und die manchmal Insassen zur Strafe gebracht wurden. Dawud, sagt, sie sei selbst nicht vergewaltigt worden, allerdings habe sie oft beobachtet, wie die Wachen junge, hübsche Frauen mitnahmen. Als die Frauen nach Stunden wieder in die Zelle kamen, weinten sie und hatten blauen Flecken und Wunden am Körper. Am 2. Juni wurde Dawud aus dem Lager zurück zu einer Polizeistation gebracht. Sie erzählt, die uigurischen Polizisten seien freundlich zu ihr gewesen und hätten ihr Tee angeboten. Ihr Mann erschien ebenfalls auf der Wache und musste ein Dokument unterschreiben, das besagt, er hätte seine Frau freiwillig in ein Lager eingewiesen. Ihr Mann erzählte ihr, dass er zunächst bei allen Polizeistationen in der Nähe nach ihr gefragt hatte. Später reiste er zweimal nach Peking und drohte den Behörden den Fall an internationale Medien weiterzugeben. Wieder in Freiheit aber wurde Dawud und ihrer Familie eine Han-Familie zugeteilt, die zwei Erwachsenen und zwei Kinder schliefen und aßen jeden Monat zehn Tage lang bei Dawud. Sie musste sie verpflegen und Besorgungen für sie erledigen. Die Chinesen stellten immer wieder Fragen über Religion, um zu überprüfen, ob die Umerziehung erfolgreich war. Außerdem war es von nun an Pflicht, jeden Montagmorgen einer Flaggenzeremonie beizuwohnen. Nach einer dieser Veranstaltung wurde Dawud und 200 anderen Frauen aufgefordert, noch länger zu bleiben. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie sich sterilisieren lassen müssen. Die Prozedur fand im November 2018 statt. Nach ihrem Krankenhausaufenthalt wurde Dawud von den bei ihr einquartierten Chinesen darüber befragt, ob sie die Operation auch für sinnvoll erachtet habe. Am 27. Januar 2019 erhielt Dawud und ihre Familie schließlich ihre Pässe zurück. Kurz darauf flogen sie nach Islamabad in Pakistan und von dort aus weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort begann Dawud mit amerikanische Medien über ihr Schicksal zu sprechen. Kurz darauf bekam sie einen Anruf von ihrem Bruder in Ürümqi. Er sagte, ich solle damit aufhören, die Polizei hätte unseren Vater inhaftiert. Am 23. September 2019 sagte Dawud vor den Vereinten Nationen in New York aus. Die chinesische Regierung bezeichnete sie daraufhin öffentlich als Lügnerin. Am 12. Oktober erfuhr sie, dass ihr Vater gestorben war. Mein Vater war ein gesunder Mann, ich bin mir zu 100 % sicher, dass die chinesische Regierung ihn körperlich und seelisch misshandelt hat und so für seinen Tod verantwortlich ist, sagt sie. Dawud fühlt sich bis heute nicht sicher. Sie leidet noch immer unter den körperlichen Folgen der Operation. #00:21:35-6#

Katharina Mittenzwei: Diese Aussage zu machen, muss unheimlich viel Mut erfordern. Erstens Mut, das natürlich auszusprechen. Zweitens Mut, denn es bedeutet, man bringt die eigene Familie in Gefahr. Wie leben die Überlebenden? Wie schaffen sie es, diesen Mut aufzubringen? Und welche Folgen kann das haben? #00:21:58-6#

Philipp Mattheis: Schwierig. Also ich kann dazu natürlich jetzt nicht, ich kann auch nicht in die Leute reingucken. Ich habe, ich glaube nur, dass da tatsächlich einfach so zwei sehr gegensätzliche Emotionen in den Leuten herrschen. Also dass sie natürlich auf der einen Seite sehr viel Angst haben und sich um ihre Verwandten Sorgen machen. Auf der anderen Seite, glaube ich, gibt es auch wirklich einfach ein sehr starkes Bedürfnis nach, ja, nicht, gar nicht mal nach Gerechtigkeit, aber zumindest um halt das irgendwie in die Öffentlichkeit zu bringen. Also ich habe ihn in Istanbul, Türkei, das ist so die größte uigurische Diaspora, dort mit Leuten geredet und das ist schon so eine Form von Traumatisierung, aber auch irgendwie so ein ewiger Kampf irgendwie, ja, zumindest ein bisschen gehört zu werden. Also das ist tatsächlich sehr, sehr schwierig. Ich glaube, also, was man nicht vergessen darf bei den Leuten, die die jetzt aussagen, die die haben es natürlich irgendwie geschafft, also die sind schon, haben ein gewisses Maß an Sicherheit erreicht, die haben auch oft, tatsächlich beziehen sich sehr viele, sehr viele Aussagen kommen von Leuten, die einen kasachischen Pass haben, also die sind ethnische Uiguren, aber haben in der Provinz Xinjiang gelebt, aber halt, haben eine kasachische Staatsbürgerschaft und denen hat man dann eher eine Ausreise gestattet als denen, die quasi nur eine chinesische Staatsbürgerschaft hatten. Viele haben natürlich immer noch Verwandte da, aber mittlerweile so ungefähr seit zwei Jahren, sind Kontakte eigentlich fast komplett abgerissen. Also die Leute, mit denen ich gesprochen habe, die haben eigentlich alle gesagt, dass sie seit Anfang 2016 2017 waren, auch so ein bisschen Kontakt möglich. Seit 2018 ungefähr kommt einfach gar nichts mehr. #00:23:58-0#

Katharina Mittenzwei: Was ist denn Ihre Erklärung dafür, dass die Welt davon bisher so wenig wusste? #00:24:03-9#

Philipp Mattheis: Hm. Das ist auch eine gute Frage. Also jetzt so als Journalist kann ich schon sagen, dass es natürlich immer wieder so Trendthemen und Modethemen gibt, ja die immer wieder mal so aufflackern und das hat dann hat dann auch ganz verschiedene Gründe, warum gerade was in der, also warum die Weltaufmerksamkeit gerade auf ein bestimmtes Thema ist und warum gerade nicht. Also nur als Beispiel, also ich meine so Ende der 90er haben wir uns alle wahnsinnig viel mit Tibet beschäftigt. Da ist ja nichts besser geworden. Also die Situation in Tibet hat sich ja eigentlich eher verschlimmert, aber wir reden halt nicht mehr so viel darüber. Ja, derzeit gucken wir aus guten Gründen sehr genau hin, was, was in Russland passiert, ja. Und tatsächlich, also das ist auch ganz interessant irgendwie mit der Aufmerksamkeit für dieses Buch. Es war natürlich, es ist mal so kurz hoch geflattert und jetzt habe ich das Gefühl, seit ein paar Monaten ist es gerade die Aufmerksamkeit, also wir haben, wir haben, wir gucken, wir beschäftigen uns gerade mit anderen Sachen, also es scheint gerade wichtigere Sachen zu geben. Ein anderer Punkt ist sicherlich auch, dass das alles eine politische Komponente hat. Also seit, unter Trump ging es los, dass man das man China, dass man da auf Konfrontationskurs gegangen ist. Mittlerweile ist es ist es parteiübergreifend amerikanische Linie, dass man das man China härter anfasst. Und seitdem hört man auch aus Amerika ein bisschen mehr zu dem Thema. In Deutschland ist es halt immer noch so, dass wir halt einfach sehr gute Geschäfte mit China machen, dass wir zu einem gewissen Grade auch sehr abhängig sind von China und darüber sprechen wir vielleicht noch. Aber es gibt halt auch einige deutsche Firmen, die dort produzieren und die jetzt auch nicht so ein großes Interesse haben, dass man da mit einem Spotlight hinguckt, was dort genau passiert. Und dann, glaube ich, gibt es noch einen dritten Grund. Der ist jetzt einfach den Lockdowns in in China geschuldet, nämlich dass auch die wenigen Korrespondenten, die noch vor Ort sind, halt entweder in Peking und Shanghai sitzen und das war schon immer sehr schwierig, in Xinjiang zu recherchieren. Momentan ist es eigentlich völlig unmöglich, also das, es gibt, es gibt kaum Korrespondenten, die überhaupt jetzt gerade ihre, also ihre Base quasi, also Shanghai oder Peking verlassen. Also das ist einfach unglaublich schwierig geworden, weil jeder ständig Angst hat, dass er vielleicht in irgendeinen Lockdown, in irgendeiner Provinzstadt von einem Lockdown erfasst wird und dann nicht mehr wegkommt. Und so sind halt aktuellere Recherchen in Xinjiang auch kaum möglich. #00:27:08-5#

Katharina Mittenzwei: Sie sprachen über große deutsche Firmen, widmen ja auch in Ihrem Buch ein ganzes Kapitel VW. Welche Macht hat Volkswagen? Oder wer muss wie viel Druck auf Volkswagen ausüben, um da politisch etwas zu erreichen? Volkswagen sagt, Sie beschäftigen keine Zwangsarbeiter*innen. Dann ist es ja okay, dass Sie da sind, oder nicht? #00:27:32-8#

Philipp Mattheis: Also ich glaube, man muss vielleicht erst einmal mit einem Missverständnis, das hin und wieder aufkommt, aufräumen. Sie haben es schon gesagt, also, tatsächlich beschäftigt Volkswagen keine Zwangsarbeiter, ja, das ist jetzt nicht das Problem, dass die in irgendeiner Weise an dem von dem Lagersystem direkt profitieren. Es ist sogar im Gegenteil so, ich habe es in dem Buch noch geschrieben, das ist zwar ein bisschen länger her, aber als ich dort war und das war kurz nach der Eröffnung des Werks 2013 und da ist Volkswagen ist ein begehrter Arbeitgeber, also der will, viele Uiguren wollen sehr gerne dort arbeiten, weil sie wissen, die Bedingungen dort sind sehr gut und sie verdienen relativ gut im Vergleich zu den dortigen Unternehmen. Also das muss man, bevor man darüber spricht, glaube ich, noch mal ganz klar sagen. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, dass die Zwangsarbeiter beschäftigen. Aber dann muss man sich natürlich auf einer moralisch ethischen Ebene die Frage stellen, wenn man weiß, was für ein massives Ungerechter geschieht und in was für einer, was für ein Ausmaß das geschieht, also kann man wirklich einfach noch so tun, als als sei da nichts und munter Autos weiter zusammenschrauben? Ja, also das, das finde ich schon irgendwie, das finde ich schwierig. Ich will mich da auch gar nicht jetzt, ein endgültiges Urteil erlauben, wie man damit umzugehen hat, weil ich glaube, das ist dann auch insgesamt aber eine Frage, die sehr schwer zu beantworten ist, aber man kann sich das ja nur mal vorstellen, was wäre denn, wenn man jetzt selbst Leiter von diesem Werk wäre, ja, man wird von Volkswagen dorthin entsandt und sitzt dann in Ürümqi und weiß, was in, was in dieser Provinz, in dieser Region passiert. Also ich finde das schon sehr schwierig und als und als Volkswagen, als Konzernleitung finde ich das auch sehr schwierig, gerade mit dem nicht nur, aber auch mit, mit dem Hintergrund, mit der Geschichte von Volkswagen, die ja doch eine Zwangsarbeiter, also eine Historie aus dem Dritten Reich dort noch haben. Also ich glaube, es wäre, es ist, ich glaube, da kann man schon, da kann man schon von den Unternehmen verlangen, zumindest ein Zeichen zu setzen und nicht so zu tun, als wüsste man nichts. Das würde ich übrigens auch dem damaligen VW Chef vorwerfen, der hat noch 2019 im Interview mit der BBC gesagt, er wisse davon nichts. Also das meine ich, war mindestens gelogen und wenn es nicht gelogen war, dann fragt man sich auch also, wie kann jemand den Job machen und und davon nichts mitkriegen? #00:30:18-1#

Katharina Mittenzwei: Gibt es denn unter der Han-Chinesischen Bevölkerung auch Menschen, die Solidarität für die unterdrückte Minderheit zeigen? #00:30:25-8#

Philipp Mattheis: Leider also leider fast gar nicht. Also tatsächlich ist jetzt, wenn man in Shanghai oder Peking ist, wissen die meisten Chinesen einfach nichts davon. Und wenn man sie darauf anspricht, dann ziehen sie sich eher auf den Standpunkt "Naja, das ist doch westliche Propaganda, das stimmt doch alles gar nicht" zurück. Also ich würde, ich würde es, ich würde es mal so formulieren, ich glaube, so was wie Solidarität kann irgendwie gar nicht entstehen, also wirklich, dass das Internet, die Internetzensur nochmal in China so massiv zugenommen hat, dass die Leute einfach die Informationen nicht haben und und dann ist es natürlich auch noch mal so, glaube ich, wenn man das erfährt ich meine, das schockt ja sogar uns, wenn man, wenn man darüber erfährt, was dort passiert. Ich glaube, als Chinese ist es noch mal schockierender und nochmal nochmal schwerer zu glauben, dass das, was im eigenen Land passiert, ja. Und gleichzeitig unternimmt die Regierung auch sehr, sehr viel in Richtung Gegenpropaganda. Also man, man beschäftigt irgendwie Internetblogger und und organisiert Reisen, die sozusagen das schöne, exotische Xinjiang zeigen. Und dann sieht man ein paar Uiguren in, in, in, in ihrer Tracht tanzen und und vermittelt den so das Bild, ja, du kannst ja mal den exotischen Teil Chinas erleben und es ist alles wunderbar und interessant dort. Also ich glaube tatsächlich, dass es als Chinese sehr sehr schwierig ist, sich davon ein adäquates Bild zu machen und dann im zweiten Schritt irgendwas irgendwie sowas wie Solidarität zu entwickeln. Mir kommt jetzt es auch gerade beim Sprechen natürlich, es wäre schon interessant, wie, wie es mit den Han-Chinesen in Xinjiang aussieht, also da habe ich wenig mitbekommen jetzt, wie, weil die natürlich in irgendeiner Weise eher davon etwas merken, weil sie konkret vielleicht im Alltag merken, dass ein Nachbar seit Monaten fehlt, ja, aber es war damals schon auch immer so, dass das schon eine Parallelgesellschaft ist. Also die Chinesen und die Uiguren haben quasi nichts miteinander zu tun, die leben wirklich in getrennten Welten. Und ich glaube, dass es auch dort viele Leute einfach nicht mitkriegen, nicht hinschauen wollen, das einfach nicht bemerken. #00:32:47-1#

Katharina Mittenzwei: Zu sagen, Solidarität ist nicht möglich, das ist natürlich schon eine starke Aussage. Und Sie schreiben darüber auch in Ihrem Buch, bzw. schreiben, dass die nationalistische Stimmung in China ansteigt. Wie nehmen Sie denn diesen Anstieg des Nationalismus wahr und vor allem auch Sie und andere China-Beobachter*innen. #00:33:07-0#

Philipp Mattheis: Also eine, mir ist das sehr stark aufgefallen, ich war ja zweimal in China. Also ich bin Ende 2015 weg aus Shanghai und kam dann kam dann Ende 2019 wieder. Und den Unterschied fand ich, fand ich schon frappierend. Also abgesehen davon, dass in Shanghai wirklich alles mit Überwachungskameras zugepflastert war. Also wir standen an einer Kreuzung und haben aber gezählt und ich glaube es waren zwölf Kameras, die auf eine Kreuzung geschaut haben. Ja, und dann, genau eine, eine Anekdote fällt mir auch noch gerade ein, also, das war, ich bin, ich bin dann im Herbst 2019 in Shanghai angekommen und habe mir erstmal ein Airbnb genommen, also für die ersten Wochen, um mir dann in Ruhe eine Wohnung suchen zu können und hatte dann irgendwie zufällig, habe einen Vermieter gefunden der der konnte Deutsch, also der hat acht Jahre oder so in Berlin gelebt und hat Architektur studiert und und von so jemand würde man ja, würde man ja eigentlich erwarten, naja, okay, der hat zumindest mal eine andere Perspektive auf die Sachen bekommen. Und zu der Zeit waren gerade die die Unruhen in Hongkong. Also das war damals sehr in den Medien präsent und damals sind die noch alle auf die Straße gegangen. Und ich habe mich so mit dem ganz gut verstanden, wir waren jetzt nicht irgendwie befreundet oder sowas, aber es war so ein ganz, ganz angenehmer, netter Kontakt und ganz nett, dass es so ein Vermieter ist, der auch dort ein bisschen deutsch kann und so und dann, und dann weiß ich noch, dass er mir so nach ein paar Tagen so unaufgefordert ein Video geschickt hat, wo Hongkonger Demonstranten also recht brutal auf Sicherheitskräfte einprügeln. Und im Prinzip war so seine Message so von wegen "Guck mal, das passiert wirklich, die Demonstranten sind alle Randalierer, die die wollen gar keine Demokratie, Das sind alles Gewalttäter und ihr kriegt, also ihr kriegt von der westlichen Propaganda immer nur, ihr werdet da belogen, quasi und ich weiß es besser". Und das fand ich, war so eine kleine Anekdote, aber das fand ich so recht schockierend und ich denke, so jemand, der eigentlich eine viel weitere Perspektive haben müsste schwenkt total auf diese nationalistische Note ein. Dann gab es natürlich noch, also es gab noch viele andere Sachen, einfach, dass, die, das ging 2014, 2015 schon los, dass irgendwie so die Straßen mit, mit immer mehr Propaganda Sprüchen zugepflastert waren und sich das immer mehr auf Xi Jinping, auf die Person auch zugeschnitten hatte. Und man hat es einfach auch, man hat es auch so gespürt, also das, will es jetzt gar nicht irgendwie glorifizieren, aber wenn man, also wenn man so um das Jahr 2010 als Ausländer nach China gekommen ist, dann war man so was unglaublich Besonderes. Das war schon auch, sagen wir mal, so ein positiver Rassismus, dass man da hingekommen ist und alle fanden ein ganz toll und super aufregend. Also 2019, 2020 in Shanghai hat ein so auf gut Deutsch niemand mehr mit dem Arsch angeschaut. Also es war weg, es war nichts mehr besonderes [unverständlich] es hatte eher so das Gefühl, das hat eher so ein Touch ins Negative gehabt. Das ist jetzt, das sind jetzt alles nur so, so Gefühle, die man so hat, wenn man in der Stadt rumläuft, aber man hat, das war schon einfach spürbar, ja. Mit Corona hat es noch mal zugenommen, weil dann quasi den Leuten erzählt wurde, dass es die Ausländer sind, die das Virus bringen. Und dann war es zum Beispiel auch einfach wahnsinnig schwer, ein Taxi zu kriegen, weil Taxifahrer gesagt haben, ne, Ausländer, nehmen sie nicht mit, ihr habt ja, ihr habt ja das Virus. Also das sind lauter, lauter so Sachen. Jetzt sind es lauter so Mosaiksteine, aber das hat definitiv zugenommen, ja und das würde ich sagen, war schon, das hat letztlich mit dem mit dem Regierungsantritt von Xi Jinping zu tun. Also 2013, glaube ich, ging das los und ich habe es dann halt sehr stark gemerkt. Durch den Kontrast, einfach durch die vier Jahre, die ich nicht dort war, ist mir das aufgefallen. Sonst ist es, glaube ich, wäre es tatsächlich vielleicht doch eher wie so einen, der, der Frosch im Wassertopf, wo das Wasser langsam wärmer wird, ja, also dann verändert sich das halt langsam und dann fällt einem das nicht so drastisch auf. Ich habe immer noch Freunde, auch die seit 10, 15 Jahren dort leben, die, die habe ich eher das Gefühl, dass es denen nicht so drastisch auffällt. Die würden eher sagen na ja, dafür sind andere Sachen besser geworden usw. #00:37:35-5#

Katharina Mittenzwei: Und jetzt wurden Bilder an uns herangetragen vom letzten Wochenende. Große Proteste in vielen unterschiedlichen chinesischen Städten. Ganz viele Leute sind auf die Straße gegangen. Ich glaube, man sprach auch von den wohl intensivsten Protesten. Und das Erstaunliche an diesen Protesten ist ja offenkundig, dass obwohl es weder NGOs gibt noch soziale Medien, auf denen man sich vernetzen könnte, trotzdem voneinander wussten und die gleichen, wie soll ich sagen Bedürfnisse, oder viel stärker ausgedrückt, Beschwerden sozusagen äußerten, heftig. Das heißt, es scheint doch Schlupflöcher zu geben, es scheint doch Vernetzung möglich zu sein, es scheint doch zu eine Art freien Geist zu geben. Wie stark ist denn die Macht der Bevölkerung? #00:38:19-7#

Philipp Mattheis: Also mich haben die Proteste auch persönlich sehr überrascht. Ich fand das auch sehr bemerkenswert, weil das wirklich, ja, man kann schon sagen, das sind, also es sind, waren es die größten Proteste seit 1989. Also das hat so in dem in dem Ausmaß einfach nicht stattgefunden in den letzten 30 Jahren. Das ist schon sehr bemerkenswert. Und dazu kommt, dass die, der chinesische Zensurapparat im Prinzip jetzt immer so funktioniert hat, dass man, also Proteste gab es immer wieder in China, ja, davon kriegen wir aber oft nichts mit. Das sind halt oft sehr lokale Geschichten. Das ist auch nicht so, dass das Protest überhaupt nicht zugelassen wird. Es gibt immer wieder mal ein Dorf, das sich was ich gegen eine Chemiefabrik wehrt, oder es gibt Arbeiter, die protestieren, weil ihre Löhne nicht gezahlt worden sind. Das findet alles statt und das wird dann auch nicht nur brutal niedergeknüppelt, sondern es wird auch dann gelöst, ja, aber wovor die Partei furchtbar Angst hat und immer noch hat, ist, dass sich die Proteste in irgendeiner Weise über mehrere, im ganzen Land vernetzen und dass daraus eine Bewegung entsteht und am Ende vielleicht sowas wie ein charismatischer Führer kommt und weil da, glaube ich, fürchtet man dann wirklich sehr um um die eigene Macht und und so funktioniert auch die Zensur. Also die Zensur greift jetzt auch nicht jeden regierungskritischen Post heraus und löscht den, aber man guckt sehr genau darauf, inwiefern was vernetzt wird, inwiefern sich wie oft was geteilt wird. Und das wird dann irgendwie unterbunden. Und dann und, ja, also ich fand es tatsächlich dann auch wirklich sehr bemerkenswert, dass das passiert ist. Ich bin vielleicht jetzt auch, ich wäre jetzt auch nicht zu zu optimistisch im Sinne, dass da wirklich neue Demokratiebewegung heranwächst. Also ich glaube, dass sich da einfach jetzt in den letzten Monaten oder Jahren so viel Frust aufgestaut hat, der sich jetzt erst mal einfach spontan entladen hat, also. Ich kann noch eine kurze Anekdote erzählen, also ein Freund von mir ist mit einer ist mit einer Chinesin verheiratet und deren Oma lag jetzt im Sterben und daraufhin ist sie für sechs Wochen nach China gereist und sie wissen ja wahrscheinlich, wie schwierig das gerade ist, das sind immer so unglaublich viele Tests und also Coronatests und sonst alles Mögliche über sich ergehen lassen, dann muss man in diese Quarantäne und dann kommt noch dazu, dass die Flüge unfassbar teuer sind, also ein paar tausend Euro kosten zurzeit. Und sie ist dann trotzdem eben hingeflogen und dann war die Oma im im Krankenhaus und wollte danach wieder nach Hause, dann ist sie wieder nach Hause und dann ist sie, ging es ihr wieder schlechter, sie ist wieder ins Krankenhaus und dann gab es ein Lockdown und während diesem Lockdown ist die Oma gestorben im Krankenhaus, also es konnte niemand zu ihr, man hat niemanden hin gelassen und ein paar Tage später war dann die Beerdigung und dann war plötzlich der QR-Code von einem Health Code von einem Sohn war auf rot gestellt worden, dann haben sie den nicht zur Beerdigung gelassen und, also die Frau von meinem Bekannten ist zurückgekommen, hat gesagt sie ist heilfroh, dass sie da wieder raus ist aus dem ganzen Wahnsinn. Aber ich glaube, tatsächlich auch jetzt nur, um das zu verstehen, also ich glaube, mittlerweile hat in China einfach jeder so eine Erfahrung, die unglaublich viel Frust und Wut erzeugt und ich glaube, das hat sich, das hat sich jetzt am vergangenen Wochenende entladen in vielen Städten. #00:41:56-5#

Katharina Mittenzwei: Wie sieht Ihre Arbeit als Korrespondent und Journalist vor Ort eigentlich aus? #00:42:01-1#

Philipp Mattheis: Das ist eine gute Frage, ich habe mich das auch oft gefragt. Nein, also es war das, ich kann so, ich kann so ein bisschen ausholen. Es war tatsächlich, weil es auch viel über das Land erzählt, also ich bin, glaube ich 2008, 2009 bin ich zum Ersten Mal nach China und ich hatte damals, der Grund war eigentlich, ich hatte eine chinesischstämmige Freundin damals und die hat mir das so nahe gebracht und dann war ich dort und das war dann irgendwie ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, war ganz aufregend und es war tatsächlich auch eine Zeit, wo China unglaublich weltoffen war. 2008 waren die Olympischen Spiele, 2010 war die Expo in Shanghai und, also Shanghai war damals, das war irgendwie so eine hippe Stadt, ja, es war cool, das war In. Also das war so ein internationales Dorf. Damals haben, ich glaube, 250.000 Ausländer in Shanghai gelebt. Und die alle sammeln sich in dieser ehemaligen französischen Konzession. Die sieht auch ganz nett aus, weil das ein von Franzosen gebautes Viertel ist. Das ist mit Platanen bewachsen und und stehen nette alte Häuser rum, die ganz gut renoviert sind. Alles ist voll mit Restaurants und Bars, man kann zum Italiener gehen, man kann zum Japaner gehen. Also das war wirklich, das war auch ganz abgesehen von der Arbeit erstmal war es ein aufregendes, super aufregende Zeit in meinem Leben. Das war wirklich toll und es hat sich damals irgendwie die Welt getroffen, so hatte man das Gefühl, ja. Und was die Arbeit betrifft, ist es halt, naja, also, also Teil des, der Journalistenarbeit wie hier ist einfach sehr viel lesen, man sitzt dort und liest sehr viel. Und dann geht man ab, dann macht man ab und zu Recherchereisen und dort geht es halt dann darum, man arbeitet schon meistens mit, mit einer chinesischen Assistenz, also jemand, der die Sprache spricht, ich sprech chinesisch ein bisschen, aber das reicht nicht aus, um jetzt Interviews sicher zu führen. Dafür brauche ich auch jemanden, der mir, der mir, der mich da unterstützt. Und dann macht man Termine und guckt sich Sachen an und spricht mit Leuten und fährt wieder nach Shanghai zurück und schreibt dann. Es ist tatsächlich nicht einfach, man muss sehr viel organisieren und planen. Und dann, glaube ich, ist es tatsächlich auch so, dass diese Fixer oder Producer, wie man die nennt, tatsächlich einen unglaublich wichtigen und guten und oft auch den gefährlicheren Job machen. Die tauchen in keinem Artikel auf, die tauchen, die haben keine Autorenzeile, aber ich glaube, ohne diese Leute wäre ein Großteil dessen, was wir in Berichten lesen gar nicht möglich, ja. Die begeben sich tatsächlich in Gefahr, aber man darf auch das glaube ich, auch nicht vergessen. Also Arbeit in China ist jetzt nicht völlig ungefährlich, aber man hat natürlich schon immer so den Schutz der Botschaft oder den, man weiß, wenn einem jetzt wirklich, wenn man jetzt wirklich irgendwie zwei, drei Tage ins Gefängnis kommen sollte, dann gibt es zumindest hinter den Kulissen eine kleine diplomatische Verwerfung oder sowas, ja. Also da ist dem, man ist dem nie komplett ausgeliefert. Aber die Assistenten, die mit den Journalisten arbeiten eben schon, weil die haben eben keine Botschaft oder so die, die da im Extremfall interveniert. Also ich glaube, die machen tatsächlich einen sehr, sehr wichtigen und oft auch den gefährlicheren Job, die also den Journalisten aushelfen sind. Also es ist in vielen Ländern so, Türkei ist es auch nicht sehr viel anders. Das sind oft die Leute, die exponierter sind, aber die halt in den Artikeln nicht auftauchen. #00:45:38-5#

Katharina Mittenzwei: Lassen Sie uns einmal über Wissenschaftskooperationen sprechen. Wir alle kennen die Konfuzius Institute, auch wir hier in Nürnberg-Erlangen haben eins. Diese Institute sind häufig angeschlossen an Universitäten wie bei uns an die Friedrich-Alexander-Universität, bieten Sprachkurse an, aber auch Veranstaltungen der kulturellen Bildung treiben Forschungen voran. Nun gibt es städtischer Seits relativ hohe jährliche Fördersummen von der Stadt an die Institute und seit längerer Zeit immer wieder Aufrufe, seit kürzerer Zeit sehr dringliche Aufrufe, diese Förderungen städtischer Seits zu unterlassen. Haben Sie denn auch den Eindruck, diese Institute seien unterwandert? #00:46:26-2#

Philipp Mattheis: Würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, das beurteilen zu können. Die Konfuzius-Institute sind Instrumente der Kommunistischen Partei Chinas. Also ich glaube, das muss man sich klarmachen. Das heißt auch nicht, dass es alles schlecht ist, was sie machen. Ich habe auch meinen Chinesisch Kurs dort gemacht und man kann dort wahrscheinlich auch viel über die [unverständlich] oder chinesisches Essen lernen, das ist okay. Aber man muss sich schon bewusst machen, dass die tatsächlich ein verlängerter Arm der KP sind. Da wird, da wird Einfluss genommen, da wird in Deutschland Einfluss genommen. Mit der Sinologie, also ich würde jetzt nie so weit gehen und sagen, dass die deutsche Sinologie in irgendeiner Weise unterwandert ist, keine Ahnung. Ich glaube halt schon auch, dass, naja, also sagen wir mal so ich, meine alles, was was in China passiert ist halt von der Partei kontrolliert. Und natürlich sind es die Unis auch. Und wenn man jetzt eine Wissenschaftskooperation mit einer chinesischen Uni hat, dann muss man sich glaube ich, schon auch hin und wieder mal fragen, ist denn die Lehre oder die Forschung dort wirklich so frei, wie sie tun und ich, oder ich würde es mal anders aufziehen. Also ich glaube, die Partei ist sehr gut darin, diese Karte zu spielen "Wir vertreten China nach außen und wir erzählen euch, wie China ist, ja und wenn jemand anderes sagt, wie China ist, dann stimmt es nicht. Wir haben quasi das Monopol auf China und wir können euch immer sagen, wann ihr mit einer gewissen Äußerung, die die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt", ja. Das ist so eine Karte, die immer sehr gern gespielt wird, wenn man dann so Kritik ausübt und sagt "Oh, Sie können jetzt nicht das über China sagen, über Tibet sagen, da verletzen Sie die Gefühle von ganz vielen Chinesen", ja. Und ich finde, das ist immer so, dass das, das sollte eigentlich kein Argument sein. Und dann finde ich was, was man immer sehr gut machen kann, also ich meine, es gibt ja ein zweites China, was demokratisch ist und was NGOs hat und und was eine Zivilgesellschaft hat und das ist Taiwan und ich glaube, da könnte man um dem entgegenzuwirken, könnte man dort einfach die Kontakte ausbauen und sich mal mit Taiwan beschäftigen. Kann auch nach wie vor jedem empfehlen, mal nach Taiwan zu reisen, weil man dort tatsächlich wirklich noch die alte chinesische Kultur kennenlernen kann. Und zwar nicht das, was platt gemacht wurde durch die, durch die Kulturrevolution und und durch den Kommunismus und dann durch den Staatskapitalismus, sondern in Taiwan hat sich eigentlich fast alles erhalten und es ist eine nach wie vor sehr faszinierende und und unglaublich reiche Kultur. #00:49:09-0#

Katharina Mittenzwei: Ein ganz anderes Kapitel, das ich auch unbedingt noch anreißen möchte, ist das Thema Digitalisierung aus verschiedenen Perspektiven. Auf der einen Seite Digitalisierung instrumentalisiert durch eine sehr starke Überwachung, Sie haben es schon erwähnt. Dann hatten Sie erwähnt die, ich müsste nachlesen, die Reiseblogger, die die Kulisse aufrechterhalten. Welche, welche Rolle spielt die Digitalisierung hier in der Beherrschung der der Bevölkerung, aber natürlich auch bezüglich des langen Arms in die Welt. #00:49:40-7#

Philipp Mattheis: Also erst mal innerhalb Chinas ist es das schon extrem geworden, was also wie Digitalisierung für Überwachung genutzt wird, ja. Also man muss sich das noch so vorstellen, man hat in China diese App namens "WeChat" und bezeichnet man so als Taschenmesser aller Apps, weil die einfach alles macht. Also das ist quasi WhatsApp, Twitter, Facebook, Instagram, PayPal alles in einem und es gibt keine Konkurrenzprodukte dazu. Das heißt, wenn die WeChat App abgestellt wird, dann ist man quasi auch abgeschnitten. Was dann noch passiert, so sind viele Sachen, die sind so ein bisschen im Wagen. Es gab letztens Berichte, dass diese PCR Test dann auch genutzt genutzt werden, um einen, also die chinesische Bevölkerung genetisch komplett zu erfassen, weiß man nicht genau, was. Was damit dann angefangen wird oder was da noch kommt. Dann Überwachungskameras haben wir schon angesprochen, also das ist wirklich, ich glaube, es gibt jetzt, die Zahl, jetzt schwirren immer so monströse Zahlen rum, aber ich glaube, das letzte, was ich gelesen habe, waren irgendwie 700 Millionen Kameras für für 1,3 Milliarden Chinesen. Also eine für, für zwei Personen. Ja und in Xinjiang gibt es auch so Sachen diese "Facial Recognition" also wo dann die Kameras quasi schon, die Software von den Kameras die Gesichter erkennen kann und auch emotionale Regungen erkennen kann. Und dafür, also vieles von dem, was dann später im ganzen Land Anwendung findet, wird in Xinjiang auch also erprobt, das ist auch so ein bisschen das Labor Pekings um diese ganzen Techniken, also diese Firmen wie zum Beispiel Hikvsion usw. probieren dort ihre Produkte aus oder füttern die Algorithmen mit den entsprechenden Daten, um sie dann später weltweit anzuwenden. Was das weltweit betrifft, also ich finde es sehr gut, dass man Huawei aus den, aus den Netzen hier ausgeschlossen hat, das finde ich eine richtige Entscheidung. Ich glaube, in Großbritannien hat jetzt auch die Zusammenarbeit mit einem Kamerahersteller beendet. Also ich, ich, ich glaube, dass das eine gute Sache ist, dass man sich da diese, diese, quasi diese Backdoor schließt, die chinesische Technik oft hat. Also muss man auch noch mal sagen, es geht im Prinzip nicht, es geht nicht gegen, gegen chinesische Privatunternehmen, die machen oft großartige Arbeit und bringen Investitionen, das ist nicht das Problem. Das Problem bei solchen Konzernen wie Huawei ist, dass sie eigentlich letztendlich der Partei gehören und in deren Sinne fungieren, ich glaube, das muss man sich dann immer wieder bewusst machen. Das zweite, was, was ich mich oft gefragt habe ist, das hat jetzt nichts mit der Technik zu tun, das hat so ein bisschen was mit unseren Werten zu tun. Also China, glaube ich, erzeugt bei vielen Menschen immer auch so eine Ehrfurcht oder so eine Faszination des Machbaren. Ja, also von wegen guck mal, die können so einen schnellen Zug bauen, oder die können so schnell Daten erfassen. Und meine Meinung das ist, darüber kann man sicherlich sehr lange und sehr gut streiten, aber ich habe mir das auch bei den Lockdowns gedacht. Also warum, warum kopiert man ausgerechnet ein totalitäres System bei der Seuchenbekämpfung? Also das, und das war also der Lockdown in Wuhan war eine chinesische Erfindung, das war vorher leider nicht in den Pandemierichtlinien der WHO, das hat man von China kopiert und das ist, war glaube ich auch dort so, das ist glaube ich auch nicht unbedingt böser Wille, aber ich glaube, dass dann Entscheider im Westen auch dasitzen und und sich denken "Wow, guck mal, was die Chinesen, die machen das einfach, die greifen einfach richtig durch und so funktioniert es und so müssen wir es auch machen!". Und da glaube ich, vergisst man dann zu schnell, was der Preis für sowas ist. Ja, ich glaube, das sind so diese zwei Sachen. Das eine ist das technische Konkrete und das andere hat tatsächlich mehr mit, mit Werten zu tun und mit, vielleicht auch dem, dass man vergisst, welcher welcher Preis denn Machbarkeit hat, die Kontrolle hat, ja. #00:54:17-3#

Katharina Mittenzwei: Und jetzt, Sie schreiben darüber auch in Ihrem Buch, was können wir jetzt tun, außer uns zu informieren, außer vielleicht die ein oder andere Technik zu boykottieren? #00:54:25-0#

Philipp Mattheis: Das ist schwierig. Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, Sie haben es schon gesagt, ich finde, was man tun kann, ist sich informieren und ich finde, ich finde, was unsere Politik machen kann, das klappt ja jetzt sozusagen ein bisschen besser als unter der Vorgängerregierung, dass man die Missstände deutlich anspricht und sie artikuliert. Ich glaube, das ist schon mal ein wichtiger Schritt, denn ich glaube, auch davor war es ein bisschen chinesische Strategie zu sagen "Ja, in China äußert man Kritik nicht öffentlich, deswegen bitte nun Hinterzimmern" und dann hat man sich dem angepasst, hat dann immer nur dann ist Merkel und so noch nach Peking geflogen und hat dann eine nette Pressekonferenz gegeben und dann hieß es mal "Naja, aber wir haben schon im, Hinterzimmer haben wir schon auch die Menschenrechtslage angesprochen". Ich weiß nicht, ob das, ob man sich da nicht irgendwie der chinesischen Strategie auf den Leim gegangen ist, weil, also meine Erfahrung ist, dass das diese ganze Geschichte mit dem mit dem Gesicht verlieren oder man darf niemand öffentlichen öffentlich kritisieren ist absolut Blödsinn. Also Chinesen kritisieren sehr sehr gerne öffentlich und machen teilweise sich auch einen Riesenspaß daraus, jemanden irgendwie vor allen anderen zu blamieren. Also zu behaupten, das sei irgendwie nicht Teil der Kultur, also das glaube ich, ist nicht so, ja. Ich glaube, was auch ein guter Schritt ist, ein konkreter Schritt, dass dieses Lieferkettengesetz, dass man einfach genauer hinguckt, wo die Produkte herkommen. Und ich glaube, man kann das als Verbraucher einfach tun. Man kann seine eigenen Konsumentscheidungen dementsprechend anpassen. Ob man jetzt aus Regierungssicht ein Unternehmen dazu bringt, kann man lange drüber streiten. Ich glaube, in dem Fall ist es schon gut, weil einfach die Missstände so offensichtlich sind, dass man auch einfach von einem Unternehmen, also dass man das nicht nur sagt, naja, das müsst ihr selbst entscheiden, ob ihr das machen wollt, sondern dass man da eben auch mit Gesetzen entgegenwirkt. Es ist schwierig. Ich rede gerade auch mit Bekannten darüber, die jetzt sagen, sie haben das Gefühl, dass es schon wieder, dass das Pendel zu sehr in eine andere Richtung schwingt. Also dass man China, das man früher sehr, sehr viel oder zu viel Geschäfte mit China gemacht hat und sich da auch eine Abhängigkeit begeben hat, das würde ich auch bestätigen, also ich glaube, da war man auch blauäugig. Manche haben jetzt schon das Gefühl, dass es wieder ins andere Extrem geht, dass man sagt jetzt, wir sollen jetzt gar keine Geschäfte mehr mit China machen, ja. Das, damit tue ich mir auch so ein bisschen schwer, weil wenn man, wenn man die Welt dann nur so betrachtet mit "Wir machen nur Geschäfte mit, mit, mit Staaten, die unsere Werte 100%ig teilen, dann glaube ich, wird es halt einfach auch dann einfach sehr, wird die Welt irgendwann sehr klein und das ist auch nicht immer, nicht immer sinnvoll. Also deswegen glaube ich, ich finde, es ist eine ganz gute Mischung, weiter wirtschaftlich aktiv zu sein und gleichzeitig aber einfach dann auch Missstände direkt und aktiv anzusprechen. #00:57:51-6#

Katharina Mittenzwei: Jetzt war ja vor einigen Wochen, fünf, vor fünf Wochen oder so was diese große Diskussion um die sukzessive Teilhabe von Hafenteilen in in Hamburg und auch in anderen europäischen Städten. Wir sprechen jetzt nicht nur von deutschen Städten, sondern auch ganz Europa. Dem wurde ja, wenn ich richtig informiert bin, zugestimmt. Also ich frage mich schon, wie es dann doch irgendwie immer wieder zu Chinafreundlichen Prozessen kommen kann. Beispielsweise auch die Austragung der der Olympischen Winterspiele in Peking Anfang des Jahres. #00:58:22-6#

Philipp Mattheis: Also was die Investition betrifft, damit setze ich mich gerade sehr intensiv auseinander, weil mein neues Buch, das im Mai erscheint, sich genau damit beschäftigt. Das kann man auch differenziert betrachten. Also China hat sehr, sehr viel in Schwellenländern investiert, in Afrika, in Sri Lanka gibt es ein ganz drastisches Beispiel, wo man großzügig Kredite verteilt hat und damit ein Hafen gebaut hat und als Sri Lanka dann Probleme hatte, den Kredit zurückzuzahlen, hat man den Hafen einfach konfisziert, also der ist jetzt in chinesischer Hand. Es gibt ähnliche Tendenzen in Kenia, wo man eine Zugstrecke gebaut hat und da kommt dann oft der Verdacht auf, dass Peking vielleicht mit Absicht mit diesen Investitionen andere Länder in eine Abhängigkeit bringt, um sich dann irgendwann die Infrastruktur zu krallen. Da muss man, würde ich jetzt sagen, beim Hamburger Hafen ist das nicht unbedingt das Problem, ja, also weil es ist jetzt schon ein bisschen schwieriger, jetzt die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt abhängig zu machen als ein Land wie Sri Lank, was also einfach, weil dann, weil sich da um ganz andere Summen Prozentual dreht. Und man hat ja auch bei der Hafenbeteiligung das jetzt so gestaltet, dass die ist die Stimmanteile da keine Rolle spielen. Ich glaube dazu zwei Sachen, also ich glaube, man muss sich dessen einfach mal bewusst sein, das ist auch Teil der chinesischen Strategie ist. Man, finde ich, sollte einen starken Unterschied zwischen Privatunternehmen und Staatsunternehmen machen. Und das andere ist jetzt wieder auf einer moralischen Ebene. Also ich tue mir sehr schwer damit, wenn man jetzt auf einmal alle Firmenbeteiligungen oder alle Investitionen, die deutsche Firmen in Russland getätigt haben, sagt "Oh, das ist ja eine Riesensauerei und das hätten wir nie machen sollen.". Und dann gleichzeitig akzeptiert man ein paar Milliarden von dem nächsten großen autoritären System, ja. Also das finde ich, ist einfach, da verliert man einfach an Glaubwürdigkeit, ja. Also ich finde schon, dass vielleicht eine Strategie notwendig ist, dass man sich irgendwie überlegt, wie viel solche Art von Investitionen wollen wir haben und und wie viel, wie viel Moral wollen wir bei einer Wirtschaftspolitik auch haben. Aber ich meine, in dem Fall fand ich persönlich fand es wirklich absurd, also wenn man dann noch mal eben bei Siemens ganz genau hinguckt, die haben eine Turbine für "Nord Stream 1" gebaut und das war eine Riesensauerei, hätte man nie machen dürfen und dann gleichzeitig nimmt man, nimmt man die Investitionen aus Peking und den Hafen, die sich dort den Hafen einkaufen. Also das passt für mich nicht zusammen, ja. #01:01:10-4#

Katharina Mittenzwei: Sie haben gerade von Ihrem neuen Buch gesprochen, Sie waren dazu in Kasachstan und Usbekistan, erzählen Sie. #01:01:16-7#

Philipp Mattheis: Unter anderem. Also, wie gesagt, es geht um die, um die neue Seidenstraße. Ich habe ja vorher auch kurz erwähnt, das ist ein Grund, warum sich Xinjiang dann auch so in den Vordergrund getreten ist. Aber im Prinzip geht es darum, dass seit 2012, also es Strategie Pekings ist, zu investieren und zwar außerhalb des Landes zu investieren. Das ist auch recht neu. Und da geht es vor allem um Infrastrukturinvestitionen in, sehr viel in Schwellenländern, also dort will man, dort will man zum einen die Infrastruktur schaffen, um dann besser chinesische Waren verkaufen zu können und gleichzeitig geht es halt sehr viel um Rohstoffe und Energie. Also gerade in Kasachstan, Usbekistan, Usbekistan weniger, aber Kasachstan vor allem ist sehr wichtig, um Energie nach China zu liefern. Ich war in Sri Lanka und Kenia in den letzten Monaten, da geht es um andere Sachen. In Afrika geht es auch sehr viel um Rohstoffe. In Sri Lanka geht es, geht es mehr um geostrategische Verbindungen, ging es um den Hafen und, ja, also darüber wird das nächste Buch gehen. Und ich versuche dort halt mir das genauer anzugucken und dort vielleicht auch ein bisschen zu differenzieren zwischen den Investitionen, die gut laufen, und denen, die schlecht laufen. Aber de facto ist es tatsächlich für jemand, der sich damit noch nicht beschäftigt ist, würde ich sagen, ist es wahrscheinlich recht überraschend, wie groß der Einfluss Pekings in der Welt mittlerweile schon ist. #01:02:50-5#

Katharina Mittenzwei: Und allerletzte Frage: Werden Sie noch mal nach China reisen? #01:02:56-3#

Philipp Mattheis: Ähm, ich. Ich glaube, die lassen mich jetzt nicht rein. Ich würde gern noch mal hin. Ich vermisse trotz allem auch sehr vieles in China. Aber ich müsste halt, ich müsste halt ein Visum beantrage und ich glaube nicht, dass ich das bekomme und außerdem müssten halt, müsste halt diese irre "zero-COVID"-Politik vielleicht mal ein Ende finden. #01:03:19-3#

Katharina Mittenzwei: Dann wünschen wir Ihnen, dass sie dann doch vielleicht noch mal bald rein dürfen. #01:03:25-5#

Philipp Mattheis: Danke schön. #01:03:26-1#

Katharina Mittenzwei: Okay, herzlichen Dank, Herr Mattheis. #01:03:28-3#

Philipp Mattheis: Ich danke. #01:03:28-7#

Katharina Mittenzwei: Das war sie. Die letzte KontaktAufnahme des Jahres 2022. Wir, das Redaktionsteam, tauchen nun in eine kurze Winterpause ab und sind am 26. Januar 2023 wieder für Sie und euch da, bringen spannende Menschen und Geschichten mit. Bis dahin, alles Gute. #01:03:51-1#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de

„So etwas wie Solidarität gibt es nicht.“ Philipp Mattheis im Gespräch über die kulturelle Auslöschung der Uiguren und Chinas langen Arm in die Welt.

Philipp Mattheis berichtet in seinem Buch „Ein Volk verschwindet. Wie wir China beim Völkermord an den Uiguren zusehen.“ über das, was Europa und die Welt dringend sehen sollte. Der frühere China-Korrespondent zeichnet mit diesem Bericht die Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang nach: Überwachungstechnologie und Assimilierungspolitik, Diskriminierung und Internierung, Folter und Vergewaltigung, Sterilisierungen und Zwangsadoptionen. Zwischen der Schilderung individuellen Leids anhand der Betroffenenberichte des Uyghur Tribunal, der Aufklärung über global-politisches Versagen und der Darstellung von wirtschaftlichen Zusammenhängen zeichnet Mattheis ein lebendiges wie erschütterndes Bild der aktuellen Menschenrechtslage in China.

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Aufgenommen am: Donnerstag, 01. Dezember 2022
Veröffentlicht am: Donnerstag, 15. Dezember 2022
Moderation: Katharina Mittenzwei
Im Gespräch: Philipp Mattheis

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
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