Nicole Grochowina, wie lebt es sich zwischen Früher Neuzeit und Notfallseelsorge?
Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:10-8#
Anne Wasmuth: Herzlich willkommen zu einer neuen KontaktAufnahme. Mein Name ist Anne Wasmuth und meine heutige Gesprächspartnerin führt gefühlt mehr als sieben Leben. Historikerin, Privatdozentin und Projektmitarbeiterin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ordensschwester, Dozentin für die unterschiedlichsten Themen vom Mittelalter bis zu Tod und Sterben. Vom Rat der Evangelischen Kirche Deutschland berufenes Mitglied der 13. Synode. Ökumene, Engagierte Europäerin, Notfallseelsorgerin und St. Pauli Fan. Das alles ist Schwester Nicole. Herzlich willkommen. #00:01:03-7#
Nicole Grochowina: Ja, danke. Moin und hallo. #00:01:05-7#
Anne Wasmuth: Moin. Sagt es ganz gut. Es verrät deine Herkunft. Du bist ein Hamburger Kind. #00:01:13-4#
Nicole Grochowina: Ja, also zumindest, nicht ganz offiziell Hamburger Kind. Hamburger Kind, bist du ja, wenn deine Eltern auch in Hamburg geboren sind. Meine Eltern kommen aus Schleswig-Holstein, aber geboren bin ich tatsächlich in Hamburg. #00:01:25-4#
Anne Wasmuth: Ja, deine Biografie erzählt zunächst die Geschichte einer Frau, die loszog, Historikerin zu werden. In den 1990er Jahren hast du in Hamburg Geschichte, Japanologie und Ethnologie studiert, anschließend promoviert, bist dann nach Jena gegangen und hast dort später auch habilitiert. In deinen Forschungsgebieten dieser Zeit ging es nicht unbedingt friedlich zu, zumindest in thematischer Hinsicht. Deine Arbeiten lesen sich eher wie Beiträge zur Rechtsgeschichte. Als erstes waren die "ollen Ostfriesen" dran. #00:02:01-1#
Nicole Grochowina: Die "ollen Ostfriesen", ja und insbesondere war die Frage dran, warum diese ollen Ostfriesen im 16. und 17. Jahrhundert nicht in die Kirche gehen. Damals wusste ich noch nicht, dass es eine total zeitgemäße Frage auch für die Gegenwart ist. Aber tatsächlich ging es darum, was hält sie eigentlich davon ab, in einer Grafschaft, die ja eigentlich relativ unspektakulär ist im Alten Reich, weil die nicht besonders riesig ist, aber konfessionspolitisch hochgradig interessant. #00:02:30-5#
Anne Wasmuth: Du hast über Indifferenz und Dissens in der Grafschaft Ostfriesland geschrieben. Worüber haben die sich denn gestritten? #00:02:37-5#
Nicole Grochowina: Na, gestritten haben sie sich gar nicht so viel, sondern sie hatten eher die Herausforderung, dass es so viele Möglichkeiten gab für sie, ihr religiöses Sinnsystem zu leben und zu etablieren. Also wir haben Reformierte, wir haben Lutheraner, wir haben ein paar Katholiken, wir haben Unmengen an Mennoniten, täuferische Bewegung und und und, und die kamen in verschiedene Regionen Ostfriesland, sondern saß der Otto Normal Ostfriese dort und hat gesagt okay, wir haben ganz viele Möglichkeiten ein Glaubenssystem zu leben und wir leben in einer Zeit, wo es hochgradig wichtig ist, die in Anführungszeichen richtige Entscheidung zu treffen für das Seelenheil. Und das sorgt für Verwirrung oder es sorgt für Indifferenz und Indifferenz, in diesem Kontext, bedeutet, dass die verschiedenen Angebote auf dem Markt der Sinnstiftung als gleichrangig verstanden werden. Also der Mennonit ist genauso wichtig wie der Katholik und das sorgt natürlich für eine riesen Wahlmöglichkeit und dann irgendwann auch für den Punkt zu sagen, gut, dann entscheide ich nichts, weil ich nichts richtig entscheiden kann. Also gehe ich möglicherweise zu nichts hin. Oder ich gehe dorthin, wo die charismatischten Menschen sind, weil sie besonders beeindruckend sind. Klingt ja auch alles recht modern, möchte man sagen. #00:03:47-7#
Anne Wasmuth: Ja, absolut. Tatsächlich. Man hat immer so ein bisschen das naive Weltbild, nach wie vor, auch wenn man es eigentlich besser weiß, dass alles immer so linear verläuft und man man lernt voneinander oder aus der Geschichte. Aber dem ist mitnichten so! #00:04:04-2#
Nicole Grochowina: Nein, dem ist nicht so und das ist nicht das einzige Territorium im Alten Reich, wo es so war, sondern gerade auch so Oberpfalz und Territorien, die nah an den Niederlanden dran sind. Da hast du immer Konfessionswechsel drin, auch im, also sozusagen in der Obrigkeit. Und dann, damit herrscht keine Klarheit, was die Erkenntnis weiterträgt, wenn von Seiten der Obrigkeit, in welcher Zeit auch immer keine Klarheit über die eigene Haltung ist, wird es schwierig für alle, die mit der Obrigkeit zu gehen haben. #00:04:33-4#
Anne Wasmuth: Hm, in deiner Jena Zeit weg von den Ostfriesen, hin zu den Frauen. #00:04:40-3#
Nicole Grochowina: Ja. #00:04:41-1#
Anne Wasmuth: Da ging es dann aber schon um Streitigkeiten. #00:04:44-0#
Nicole Grochowina: Da ging es um Streitigkeiten und es ging um die spannende Frage, wenn eine Frau, die im 18. Jahrhundert ja kein Rechtssubjekt ist und deswegen auch nicht eigenständig vor Gericht auftreten kann. Wenn sie aber jetzt mit einem Rechtsdokument ankommt in einer zivilen Auseinandersetzung, also ein Testament oder ein Ehevertrag oder sonst irgendetwas, und sie ist in einem Streit, mit einem Rechtsstreit mit einem Mann was bedeutet das für das Verhältnis von Klagenden und Beklagten, wenn plötzlich Rechtsdokument da ist, was die Frau zu einem Rechtssubjekt macht, die aber eigentlich kein Rechtssubjekt sein soll? Das war die Frage der Arbeit. Also wie entfaltet sich das und wie entfaltet sich das entlang von Eigentumsstreitigkeiten? Denn Eigentum ist das, worüber wir am ehesten streiten, glaube ich. Die Hecke vom Nachbarn wächst auf meinen Bereich. Da latscht irgendjemand über Wegegerechtigkeit über meine, über mein Territorium, oder ich erbe etwas und es kommt Streit. Also das kennen wir ja bis heute dann auch. Und das war die Auseinandersetzung. Und wir sind im 18. Jahrhundert in einer Zeit, wo sich das Verständnis von Recht wandelt und wo nationales Recht überhaupt erst etabliert werden soll und wo damit auch die Rechtssubjektsfrage noch mal diskutiert wird. Und das vor dem Hintergrund, kulturhistorisch gedacht Geschlechterverhältnis Wie werden eigentlich Geschlechterrollen, Geschlechterhierarchien ausgehandelt? Da ist das 18. Jahrhundert tatsächlich ein guter Ort, um sowas zu erforschen. #00:06:09-9#
Anne Wasmuth: Ja, wann wurde die Frau dann zum Rechtssubjekt? #00:06:13-8#
Nicole Grochowina: Das ist schwierig zu sagen, weil du könntest im Grunde sagen, bis ins 20. Jahrhundert war sie es nicht vollständig, wenn sie nicht eigenständig über ihre Arbeit entscheiden kann. Oder Stichwort Kontovollmacht, Stichwort Wahlrecht, was ja erst 1919 eingeführt worden ist, zur Frau. Das gehört ja in diesen ganzen Kontext mit hinein. #00:06:34-0#
Anne Wasmuth: Und als sie das noch nicht war und dann diese Streitigkeiten, du hast es erwähnt, worum es so ungefähr ging, wie gingen die Sachen dann meistens aus? Hatten die Frauen überhaupt eine Chance vor Gericht? #00:06:47-2#
Nicole Grochowina: Das hing immer von dem jeweiligen Richter ab. Ich will jetzt nicht sagen, dass es ein Willkürsystem war. Aber es ist schon so, dass die Richter, die wir in den Gerichten in der Zeit haben, alles Laien waren. Das wiederum bedeutet, dass sie und das waren dann meine Quellen, dass die an die Fakultäten diese ganzen Fälle geschickt haben, an die juristischen Fakultäten, und gesagt haben: "Hier, ihr seid die Profis, schreibt uns ein Gutachten dazu" und dann hängt es davon ab, an welchen Gutachter du kommst. Also habe ich dort ein eher, sagen wir mal schwer traditionelles Verständnis von Geschlechterordnung und Geschlechterhierarchie. Dann wird sich das dort im Gutachten auch widerspiegeln. Habe ich da jemand, der sagt "Nein, nein. Also naturrechtlich müssen wir davon ausgehen, dass Männer und Frauen gleich sind, also müssen wir sie auch ein bisschen nach vorne bringen", dann wird das Gutachten entsprechend ausfallen. Und die Richter, die dann das Gutachten gekriegt haben, haben ja nicht durchgeguckt und gesagt "Leuchtet uns ein oder leuchtet uns nicht ein", sondern sie haben gesagt "Wunderbar, hier ist das Gutachten, das ist quasi unser Urteil und wir packen es aus und wir lesen es vor.", so war es. Es hing mehr am Gutachter und da an den persönlichen Präferenzen. Weil das Recht und die verschiedenen Rechtsformen und Rechtsmassen, die wir im 18. Jahrhundert haben, hat viele Möglichkeiten mit sich gebracht. #00:08:04-2#
Anne Wasmuth: Es hört sich fast so ein bisschen gruselig an. #00:08:07-4#
Nicole Grochowina: Ein bisschen schon, ja. #00:08:09-1#
Anne Wasmuth: Also ich meine, wir sprechen zwei Tage nach dem Internationalen Frauentag. In Nürnberg ist auch protestiert worden. Reibst du dir da manchmal die Augen, gerade als Historikerin mit dem Wissen der vergangenen Jahrhunderten, was jetzt auch so gerade in der Gegenwart passiert? #00:08:27-0#
Nicole Grochowina: Ja, das tue ich. Und ich reibe mir auch deswegen die Augen, weil ich feststelle, dass wir mit der Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zwar gut unterwegs sind, aber nicht gut genug unterwegs sind. Weder in staatlichen Stellen, obwohl wir zum Beispiel an der Universität ja gute Systeme haben, um das zu fördern, aber auch in der Kirche ist da, glaube ich, ein signifikantes Maß an Nachholbedarf einfach dort. Und wir haben ja auch immer das Problem, also wir haben Strukturen, die helfen, aber wir haben immer noch das Phänomen der gläsernen Decke, Wir haben immer noch das Phänomen des Pay Gap, was ist, der jetzt vielleicht bei 18 % liegt, aber auch das ist ja eine signifikante Größe. Und ja, da reibe ich mir die Augen und frage mich, was hindert uns eigentlich, da zur vollen Gleichberechtigung zu kommen? Und was uns hindert sind glaube ich ein paar Narrative bis hin zu, ja, es gibt ja nicht so viele qualifizierte Frauen und diese ganzen Geschichten, wo ich immer denke, was ist das für ein vermeintliches Argument. Da geht es ja eher darum, dass nicht hinreichend Mentoring und Förderung gemacht wird, weil dann hätten wir ja die Frauen an den entsprechenden Stellen. Also wir reden, glaube ich, eher über Narrative, die basieren auf einer Vorstellung von Geschlechterrollen und damit auch von Geschlechterordnung. Wo es aber, weil es kulturelle Muster sind, braucht, bis die dekonstruiert werden. Insofern bin ich ganz sehr für Lobbyarbeit, die auf diese Chancengerechtigkeit abzielt. War auch selbst lange genug Frauenbeauftragte, um das im Rahmen meiner Möglichkeiten zu fördern und finde es ganz wichtig, dass Lobbygruppen da ganz laut sagen "Hier, es ist noch nicht weit her mit Chancengerechtigkeit" und dann schaue ich in die USA, wenn ich das noch sagen darf, dann schaue ich in die USA, wo diese Programme auch Diversitätsprogramme zurückgefahren werden noch und nöcher. Und da kann ich nur sagen, das wird einer Gesellschaft unmöglich dienen, wenn ich das in dieser Weise mache. #00:10:19-7#
Anne Wasmuth: Ja, auch da gibt es Studien, was du wirtschaftlich auch eigentlich schlechter abschneidet, wenn du nicht auf Diversität setzt. #00:10:27-5#
Nicole Grochowina: So ist es, so ist es. Und wir könnten ja durchaus in die Geschichte gucken und schauen, was diese vermeintliche Homogenität dann mit sich bringt. Und insofern finde ich es gut, dass als dieses Bild durch die Presse gegangen ist, von dieser Männerrunde in den Sondierungsgesprächen für die Koalition das gesagt wurde. Was ist da eigentlich los? Das ist nicht zeitgemäß und es ist sogar unangemessen. #00:10:48-6#
Anne Wasmuth: Hm. Bleiben wir noch ein bisschen bei der Vergangenheit, bzw. fragen wir auch nach wie vor, was die Vergangenheit mit uns heute zu tun hat. Ein Ereignis aus der Vergangenheit war ja auch Aufhänger, dass wir dich heute eingeladen haben. In Nürnberg fanden vor 500 Jahren die sogenannten Religionsgespräche statt. Nürnberg begeht dieses Jubiläum mit einer Tagung im Historischen Rathaussaal, der Stadtführung und zahlreichen weiteren Veranstaltungen natürlich unter anderem auch in der Evangelischen Stadtakademie und im Caritas Pirckheimer -Haus. Bei vielen anderen noch kurz zusammengefasst zwischen dem 3. und 14. März 1525 trafen sich auf Beschluss des Nürnberger Inneren Rates Sachverständige wie der Pfarrer von St. Lorenz, Andreas Osiander für die Lutheraner und der Franziskaner Lienhard Ebner für die Altgläubigen im heutigen historischen Rathaussaal, um Religionsfragen zu diskutieren. Am Ende wird die Reformation in Nürnberg nach der Lehre Martin Luthers eingeführt. Martin Luther selbst sagte über Nürnberg, es sei das Auge und Ohr Deutschlands. Kannst du das für uns einordnen? Was ist da passiert? Warum war das so ein Schlüsselereignis für die damalige Zeit? Bzw. eben warum sind diese Ereignisse der damaligen Zeit es wert, dass wir uns heute wieder damit beschäftigen? #00:12:11-9#
Nicole Grochowina: Gleich mehrere Aspekte dazu. Ein Aspekt ist, Nürnberg Das Auge und Ohr Deutschlands, also die Bedeutung Nürnbergs, ist nicht zu unterschätzen, glaube ich im reformatorischen Geschehen. Wir reden ja bei den Städten immer davon, dass wir eine verdichtete Sakralgemeinschaft haben. Das heißt, das, was in den Städten passiert, ist ein verdichteter Prozess dessen, was möglicherweise auch auf dem Land passiert. Und das bedeutet in der Konsequenz, dass Auseinandersetzung zum Beispiel über eine neue Lehre oder eine neue Konfession, dass wir dort Prozesse ablesen können innerhalb einer Stadt, weil es eben so verdichtet ist, die wegweisend sein können. Heißt also, wenn es Aufruhr gibt, potenziell, weil Menschen einen neuen Prediger wollen, aber die Obrigkeit es nicht will, dann können wir davon ausgehen, dass dies nicht nur in einer Stadt zu Unruhen führt, aber da sehen wir es halt schneller. Gleichzeitig sehen wir schneller die Kommunikationsstruktur. Wie wird etwas sozusagen weitergegeben? Welche Möglichkeiten? Buchdruck, Flugschriften, das gehört ja alles in die Zeit, haben wir, ebenfalls wichtig und wir sehen die Auswirkung für den jeweiligen wirtschaftlichen Zweig oder die gesamte wirtschaftliche Entwicklung. Insofern war es wichtig und das lernen wir, glaube ich, aus der städtischen Reformation, war es wichtig, schnell eine Klarheit herbeizuführen. Dafür sind Religionsgespräche in der Zeit natürlich super, auch wenn sie, wenn wir zum Beispiel nach Zürich gucken, die Gefahr in sich bergen, dass dann städtische Obrigkeit nicht nur dazu einladen, sondern auch das Urteil sprechen, dort zwar ermutigt von Zwingli, aber gut. Das Ziel dieser ganzen Geschichte ist aber, Klarheit zu haben und zu sagen, was geht und was nicht geht, in der Hoffnung, dass dann sozusagen klar ist, in welche Richtung es geht und dass dann Ruhe ist, weil die Gefahr, die ich in einer Stadt immer habe, ist, dass wenn alle auf einem Haufen sind, das ich dann auch eine potenzielle Gefahr von Aufruhr habe und deswegen also solche Gespräche. Und was sagt uns das heute? Es sagt uns heute, dass man das Ohr am Gleis haben muss an den Entwicklungen, die dran sind und dann aber auch unterscheiden muss, Wo braucht es tatsächlich die offizielle öffentliche Bühne, weil es so wichtig ist, dass man darüber sprechen muss? Und wo ist es? Aber nur ein großes Geschrei, was ein Sturm im Wasserglas ist und dann morgen schon nicht mehr bedeutsam sein wird? Reformation. Das reformatorische Geschehen geht sicherlich über den Sturm im Wasserglas deutlich hinaus. Und das ist natürlich auch in Nürnberg zur Kenntnis genommen worden. Natürlich auch mit Blick darauf Wer sind unsere Nachbarn Territorial und wer könnte sozusagen das nicht gut finden? Und das waren ja eine Menge, wer könnte das nicht gut finden, wenn wir hier die Reformation einführen. Aber da das Ohr am Gleis zu haben und natürlich, das würde ich der Obrigkeit, der städtischen Obrigkeit auch attestieren, festzustellen, wenn wir das jetzt laufen lassen, könnte es auch uns sozusagen davon spülen, also im Modus des Aufruhr. Also ich denke, der Übertrag, den wir für heute machen können, ist, das virulente Themen an die Öffentlichkeit gehören, ausgehandelt werden müssen. Da muss natürlich klar sein, wer die Expertinnen und Experten sind, die das aushandeln und alles andere ist sozusagen qua Ordnung zu sortieren. Insofern ich würde Nürnberg nicht so super hoch hängen, es gibt noch genug andere konfessionelle Reichsstädte, die wichtig sind in der Zeit, aber da können wir es zumindest sehr gut ablesen. #00:15:37-2#
Anne Wasmuth: Und es hing ja doch an ein paar Männern, die sich zusammengefunden haben, die sich unter so einem humanistischen Zeitgeist zusammengefunden haben. Vielleicht kannst du da noch mal ein bisschen was dazu erzählen, warum da auch so ein Nährboden da war und was das dann auch für praktische Auswirkungen hatte. #00:15:57-7#
Nicole Grochowina: Na, der Nährboden war ja durchaus die Vorstellung, dass etwas anders zu werden hat im Umgang mit Kirche und das die Weltsicht und das Weltbild und damit ja auch das Gottesbild eine signifikante Veränderung erfahren hat. Und dann zu sagen okay, also da, das ist ja eine Strömung, die das westliche Europa grundsätzlich ausgemacht hat, in der Zeit, dahin zu schauen und zu sagen, wir können uns dadurch breiter aufstellen, auch innerhalb einer Institution und notfalls auch gegen eine Institution. Aber das war ja erst sozusagen die spätere Folge. Jetzt ging es ja erst mal um die Reform, das heißt mehr auf den Menschen hin sich zu bewegen, mehr sozusagen an dem Weltbild zu stricken, was zeitgemäß ist. Das ist ja durchaus eine Bewegung gewesen von den belesenen und gebildeten Männern, in diesem Fall aber einige Frauen sicherlich auch dazwischen, wenn wir an Caritas Pirckheimer und solche Gestalten denken, die, die virulent gewesen ist, und das ist ja auch ein, wenn man so will, ein Netzwerk gewesen, das Reformen vorangetrieben hat. Also wenn Melanchthon nach Nürnberg kommt und sich dann erst mal mit den ganzen Humanisten, also auch mit Pirckheimer, also nicht mit mir, sondern mit ihrem Bruder auseinandersetzt und dort eine gemeinsame Basis findet und dann mit ihnen überlegt, wie machen wir es denn mit der Reform? Und plötzlich bleibt das Kloster von Caritas Pirckheimer beispielsweise bestehen, dann ist das ja der Ausdruck eines Netzwerks, eines reformorientierten Netzwerkes, das gesprächsbereit ist und das auch die Kraft hat, Veränderungen einzuleiten. Und da passt sich Nürnberg ein in eine Entwicklung, die wir in Westeuropa als solches beobachten. #00:17:37-8#
Anne Wasmuth: Du hast jetzt mehrere Stichworte eigentlich geliefert. Also das eine ist Melanchthon. Wir haben in Nürnberg das erste humanistische Gymnasium in Deutschland. Also das ist ja wirklich eine Veränderung, die wir bis heute eigentlich spüren. #00:17:54-4#
Nicole Grochowina: So ist es, ja. #00:17:55-4#
Anne Wasmuth: Also er hat, soweit ich weiß, an der Schulordnung mitgeschrieben. Er sollte auch Rektor werden, aber hat das abgelehnt? Völlig unverständlich, nicht. #00:18:03-6#
Nicole Grochowina: Vollkommen unverständlich natürlich. Aus welcher Perspektive? Aber vielleicht aus der Perspektive des Reformators, der noch Großes vorhat, nicht ganz so unverständlich. #00:18:12-1#
Anne Wasmuth: Melanchthon war ja auch im engen Austausch mit Martin Luther. Was waren das so für Gedanken, die Martin Luther nach Nürnberg gebracht hat? Er selbst ist ja nur so hier auf der Durchreise gewesen. Albrecht Dürer hat ihn zu seinem Leidwesen nie persönlich kennengelernt, aber war auch sehr am Anfang, angefacht von diesen Ideen, später dann eher auch enttäuscht. Naja, also darin zeichnet sich gerade in Dürer so ein ambivalentes Bild wieder der Zeitgenossen davon ab. Aber erstmal war so eine Begeisterung in Nürnberg. Was sind das für reformatorische Ideen, die Luther mitgebracht hat nach Nürnberg? #00:18:46-4#
Nicole Grochowina: Ja, ich finde das völlig verständlich, dass da eine große Begeisterung war, denn wir haben ja spätestens 1520, im Jahr 1520 die verdichtete Einschätzung oder Lehre Luthers in drei großen Schriften. In der Freiheit eines Christenmenschen, in der Schrift von der babylonischen Gefangenschaft und in der Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation. Und da bilden sich ja ganz viele Ebenen ab, da bildet sich das ab, was ein befreiender Moment für den einzelnen Menschen ist, also Freiheitsschrift, wir haben die Kritik an der Kirche in der babylonischen Gefangenschaft, und wir haben den Aufruf, an der Reformation mitzutun. Und der geht dann sozusagen an die Adeligen in dem Wissen darum, dass die Institution Kirche im höchsten Maße reformbedürftig ist, Gerade auch mit Blick auf den Einzelnen und die Seelsorge Kompetenz gegenüber dem Einzelnen, dass eben andere Player reinkommen müssen, wenn zum Beispiel Klöster, wo Luther ja nicht so der Riesenfan von gewesen ist, Klöster in Schulen beispielsweise umgewandelt werden sollten, um dann die Lehre sozusagen ganz von unten unterzubringen. Und ich glaube, wir dürfen die Idee, auch wenn die evangelische Kirche das immer überbetont hat und ich da ein bisschen kritisch bin, aber egal, wir dürfen die Idee der Freiheit, die da drin steckt, auch der evangelischen Freiheit, die da drin steckt, nicht unterschätzen. Und das Potenzial der Rechtfertigungslehre, also dass wir allein aus Gnade, aus Gottes Gnade heraus aufgehoben sind, übersetze ich das mal eher für mich und daraus leben können und daraus agieren werden und dann, wie Luther in der Freiheitsschrift sagt, nicht umhinkommen, dem anderen Menschen der Christus zu werden, der Christus uns geworden ist, was ja einer der wunderschönsten und stärksten Sätze der Freiheitsschrift ist, also das wir, das dürfen wir nicht unterschätzen, welche Kraft das hat. Auch vor dem Hintergrund des Settings, in dem wir sind, im frühen 16. Jahrhundert auch in Nürnberg, in der Stadt, in der wir sind, im frühen 16. Jahrhundert mit der Kritik an der Kirche, natürlich auch mit den wirtschaftlichen Herausforderungen, mit der Vorstellung, die Zeit ist zu Ende, also Christus kommt gleich wieder und es wäre gut, wenn wir gut aufgestellt sind, mit der Papstkritik, mit der Beobachtung, dass hier Seelsorge vonseiten der Priester überschaubar ist und so etwas einsetzt, was wir in der Forschung die Ökonomisierung des Heils nennen. Also es kostet alles Geld, und das alles zusammengenommen hat, glaube ich, diese Aufruhr-, nicht Aufruhr-, Aufbruchsstimmung, potenziell auch Aufruhr-, aber Aufbruchstimmung gefördert. Und das ist natürlich kongenial so verdichtet, diese Ideen einzuführen und sie dann ja auch, wie er es mit seinen Thesen, mit seinen 95 Thesen gemacht hat, gleich zu übersetzen und also die Popularisierung ja auch mitzudenken. Das ist natürlich ein geschickter Schachzug gewesen, denn ansonsten hätten ja die lateinisch sprachigen Thesen im akademischen Diskurs verweilen können, aber da auch schon gleich nachzuschieben und sagen "Ich schicke jetzt eine Übersetzung oder ich mache einen Sermon, der die Buße noch mal aufgreift" und dann drei Jahre später im Grunde fast schon die ganze Theologie at hand zu haben, das sind eben die Ideen, und ich denke, das hat in Bewegung gesetzt, natürlich durch die Hände und Füße der Prediger vor Ort, die natürlich ihr eigenes Verständnis mit eingetragen haben, Nürnberg hat ja auch nicht nur homogen lutherische Prediger gehabt, sondern auch noch andere Richtungen sozusagen in sich aufgenommen. Aber dass dann Leute tatsächlich da waren, die gesagt haben, das ist etwas, was mich vorantreibt und dafür verlasse ich vielleicht auch ein Kloster und werde ein entsprechender Prediger. Also wir haben es mit einer größeren Bewegung zu tun, mit einer kraftvollen Bewegung und einer breiten Bewegung, wie uns ja spätestens 25, 24, 25 die Bauernkriege auch zeigen. Das hängt sicherlich auch und gerade mit dieser Idee von Freiheit zusammen. #00:22:41-0#
Anne Wasmuth: Ja, und wie du es sagst, was mir dadurch noch mal deutlich wird diese Bewegung von innen heraus. Also Luther war Augustinermönch, auch in Nürnberg gab es dieses Augustinerkloster und da war eben auch diese Versammlung dieses Kreises und die haben sich als erstes 1524 aufgelöst, bevor dann nach diesen Religionsgesprächen auch die anderen Klöster aufgelöst wurden. Verweltlicht, wenn man so will. Also der Reichtum fiel dem Rat zu und damit auch das ganze Almosenwesen, also auch das eine ganz starke Wandlung, was man in St. Lorenz zum Beispiel sieht, das sind später Handwerkerstühle gebaut worden, weil die Handwerker als seriöseKollekteneintreiber sozusagen dann da die Kollekte eingesammelt haben. Also das finde ich ein unglaublich spannendes Kapitel dieser Zeit. Wie stellen wir uns auf, wie ist das Sozialwesen aufgestellt? Aber es gab ja eben auch Widerstand. Du hast sie erwähnt Caritas Pirckheimer. #00:23:41-5#
Nicole Grochowina: Ja, und erstes Mal ist es erstaunlich, wie schnell das ging mit den Klöstern in der Stadt, dass es so auflösbar war, weil man würde ja vermuten und du hast es ja angedeutet, dass es dort feste Strukturen gibt und dass die eingebettet sind und und und. Und Das sind natürlich auch die Punkte, die den Widerstand dann erklären. Aber dafür brauchst du halt auch einen Menschen, der in der Lage ist, diesen Widerstand zu artikulieren. Und das hat Caritas Pirckheimer ja, in bemerkenswerter Weise, wie wir aus den Quellen wissen, tatsächlich geschafft, weil sie offensichtlich weder das Gespräch noch das klare, offene Wort gescheut hat. Wenn dann plötzlich die Eltern vom Klarissenkoster stehen und sagen "Wir holen unsere Kinder hier ab" und sie gesagt "Nee, geht jetzt hier gar nicht", also sich dann auch davor stellt und das dann ja auch verschriftlicht und eine Öffentlichkeit dort schafft und ja auch sozusagen Obrigkeiten und Melanchthon soweit überzeugen kann das, zu einem sehr hohen Preis, muss man fairerweise sagen, zu einem sehr hohen Preis die Gemeinschaft weiterbestehen kann, aber eben nicht zur Eucharistie kann, keine Leute mehr aufnehmen kann und dann am Ende ja letztlich ausstirbt. Trotzdem, es bleibt der bemerkenswerte Widerstand um der Sache willen. Also ich denke nicht, dass sie ihre Position war Reformation braucht kein Mensch. Aber ihre Position war eben unser Kloster, das wird eben auch gebraucht, nicht nur zur Ehre Gottes, sondern eben auch zur Bildung und zur Unterstützung der Frauen, die dort drin sind. Das ist nicht zu unterschätzen und ich denke, beides hat ihre Motivation ausgemacht. #00:25:16-2#
Anne Wasmuth: Ja, wie war das dann bei den Nonnen, die in dem Kloster waren? Ich meine, du hast es geschrieben. Ja, die. Die Mütter standen vor der, oder die Eltern standen vor der Klostertür, haben angeklopft, wollten ihre Töchter holen. Wollten die eigentlich gerne gehen oder bleiben? #00:25:33-3#
Nicole Grochowina: Beides. Aber wir haben ja nur die Quellen von Caritas Pirckheimer. Und sie sagt natürlich sehr deutlich, die wollten natürlich bleiben. Sicherlich sind auch ein paar gegangen, aber die Frage ist, welche Perspektive hast du, wenn du ein Kloster verlässt? Erstens mal schleppst du dich damit ab, dass du möglicherweise, wenn du schon endgültige Gelübde gehabt hast, dann als jemand gilt, die Gott und das Miteinander mit Gott verraten hat. Und das ist natürlich problematisch. Und dann ist die nächste Frage. Ich komme zurück in eine Familie, die möglicherweise mich ja auch ins Kloster gegeben hat, um sich wirtschaftlich zu entlasten. Also bin ich jetzt wieder da. Dann gibt es ja auch Geschichten aus, auch aus Nürnberg, Anna Tucher zum Beispiel, die das Kloster verlassen hat und dann zurück zur Familie wollte. Die Familie hat gesagt "Sorry, das geht jetzt leider gar nicht. Also du musst schauen, dass du woanders unterkommst". Also das heißt, die Versorgungsfrage ist plötzlich wichtig und die Frage ist, wer heiratet denn überhaupt so eine Frau? Das heißt, das eine ist, zu wissen in einem Kloster wie bei Caritas Pirckheimer, in so einem Klarissenkloster habe ich die Möglichkeit, verschiedene Formen von Bildung zu erlangen. Aber ich habe auch meinen Platz, und zwar einen gesicherten Platz. Das ist nicht zu unterschätzen. Und ich denke, auch daraus speist sich die Motivation für den Widerstand. Das heißt, selbst wenn ich das System Kloster nicht gut finde als Frau überall, muss ich mir fünfmal überlegen, ob ich es hinter mir lassen will aus diesen Gründen. #00:27:02-2#
Anne Wasmuth: Das ist schon ganz schön umwälzend, was da passiert ist oder was das auch mit Biografien gemacht hat in der Zeit. #00:27:08-4#
Nicole Grochowina: Auf jeden Fall. #00:27:09-6#
Anne Wasmuth: Wenn man sich dann diese reformatorische Geschichte anschaut, dann heißt das gerade evangelische Ordenshäuser sind ja wirklich keine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt sie, doch, jetzt, im 21. Jahrhundert. Du selbst bist in einer Communität der so genannten Christusbruderschaft. Erzähl uns, was ist die Christusbruderschaft? #00:27:34-7#
Nicole Grochowina: Die Christusbruderschaft ist in der Tat ein evangelischer Orden, gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg, also inoffiziell sozusagen Karfreitag 1948, offiziell am 1. Januar 1949. Wir haben im Augenblick 90+Schwestern und noch ein paar Brüder. Vorher war es einigermaßen paritätisch. In Hochzeiten waren es, glaube ich, 180, 190 Geschwister, die dort in dieser Gemeinschaft ist. Die Gemeinschaft hat ihren Hauptsitz in Selbitz und damit in Oberfranken, in der Nähe von Hof, aber auch ein paar Orte, zum Beispiel in der Nähe von Hersbruck und dann in Ostdeutschland noch drei Konvente. Und die Idee sozusagen von der Christusbruderschaft, die übrigens Christusbruderschaft heißt, weil Christus der Bruder ist, insofern macht es nichts, dass wir so viele Schwestern sind. Die Idee ist, das Dreifache zu leben, nämlich was wir immer LMD nennen, also Liturgia, Martyria und Diakonia, also das Gebet, die Verkündigung und die diakonische Tat, und das eben im Modus einer Ordensgemeinschaft. Und ja, wie alle anderen evangelischen Ordensgemeinschaften, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden sind, es gibt ein paar Ausnahmen von Gemeinschaften wie die Michaelsbruderschaft, die schon 1931 gegründet worden ist und und und war für uns auch die Frage "Wird die evangelische Kirche mit uns zurechtkommen?". Und die Antwort war zuerst Nein, tut sie nicht. Sie ist deswegen mit uns zurecht gekommen, weil unser Gründerehepaar Hannah und Walter Hümmer, weil Walter Hümmer ein Pfarrer der bayerischen Landeskirche gewesen ist. Und das hat offensichtlich dafür gesorgt, würde ich mal sagen, dass er durch das Aufgehobensein in diesem pfarrbrüderlichen Netzwerk erstmal so etwas wie ein Vertrauensvorschuss hatte. Aber evangelische Ordensgemeinschaften per se hatten sich immer mit der Frage auseinanderzusetzen stehen Sie auf biblischem Grund, das kann einem bisweilen heute noch begegnen, diese Frage und stehen sie auf reformatorischen Grund, also im Anschluss an das, was wir eben gesprochen haben. Und es hat bis 1976, 1979 gedauert, bis ein paar Bischöfe sich die Frage gestellt haben, also Fake Bischöfe von der Vereinigten Evangelisch Lutherischen Kirche Deutschlands, und gesagt haben "Lasst uns mal darüber intensiver nachdenken" und dann kamen sie zu dem Schluss, könnte sein, dass die da auf dem Boden stehen. Und das war sozusagen der Paradigmenwechsel 1979. aber nicht, weil sie plötzlich gesagt haben, wir werfen über Bord, was Luther über Klöster gesagt hat, der übrigens Klöster an sich nicht schlecht war, der hatte nur das Problem, wenn die Gelübde nicht freiwillig eingegangen worden sind. Also es war nicht die Vorstellung, wir werfen das jetzt über Bord, sondern 1979 oder späte 70er Jahren war die evangelische Kirche in einer schwierigen Situation, weil sie festgestellt habe, dass insbesondere viele junge Menschen ein anderes Bedürfnis nach Spiritualität hatten als das, wie es überkommen war innerhalb der evangelischen Kirche. Und in diesem Zuge hat man sich erinnert, da waren doch noch solche Gruppierungen, Möglicherweise können die einen Impuls dazu geben und dann hat es immer noch mal gedauert. Und 2007 gibt es eine Schrift der EKD, Verbindlich leben und da durften dann auch verstärkt Menschen aus Communitäten mitschreiben. Und ich denke, ab 2007 können wir sagen jetzt ist safe und heute sind Communitäten teilweise auch in die Kirchenverfassung mit aufgenommen, gelten als vierte Sozialform. Aber es war ein langer Weg und es ist gar nicht so lange her, dass da die volle Anerkennung ist. Und in einigen Gesprächen ist noch heute so zu hören: "Wozu braucht euch eigentlich und ist das nicht total unlutherisch?", aber das kann man ja dann historisch alles klären. #00:31:12-7#

Anne Wasmuth: Ja, spannend, dass das so lange gedauert hat. Das Bild von Klöstern ist trotzdem das überlieferte Bild aus dem Mittelalter. Das sind Klostermauern, also hinter Klostermauern, alles dahinter. Man weiß eigentlich nicht so genau, und das so eine eigene, geschlossene Welt. Wie ist das bei euch? Habt ihr Regeln? Wie sieht so ein Alltag aus bei euch? #00:31:36-1#
Nicole Grochowina: Ja, man kommt natürlich rein und nie wieder raus. Nein, das stimmt nicht. Wir sind ein sehr, also sehr offenes Haus. Bei uns ist letztlich alles öffentlich die Gemeinschaft, die Gebetszeiten, die Gottesdienste. Wir haben ein Gästehaus. Es ist, jeder Mensch ist hoch Willkommen zu Seminaren oder zu Auszeiten und selbst zu solchen Programmen wie Kloster auf Zeit, wo Frauen bei uns im Haus direkt im Ordenshaus mitleben können und den Rhythmus teilen. Und der Rhythmus ist eben gestaltet von drei Gebetszeiten morgens, mittags und abends von gemeinsamen Essenszeiten. Und dazwischen liegen die Arbeitszeiten. Und so sortiert sich jeder Tag entlang des Kirchenjahres, entlang der besonderen Wochen, mit denen wir unterwegs sind. Das heißt, es hat eine hohe Regelhaftigkeit in dem Rhythmus, den wir leben, was für viele Menschen und auch für uns als heilsam und als konzentrationsförderlich erachtet wird. Und ja, auch wir haben eine Regel, inzwischen, sie ist von 1999, also gar nicht so früh entstanden, weil in der Bewegung der Gründung und solange die Gründer tatsächlich gelebt haben, war klar, dass das Wort derjenigen, die es gegründet haben, eine hohe Kraft hat, auch eine hohe geistliche Kraft hat. Aber im Zuge einer Entwicklung einer Gemeinschaft und bei uns war es so, dass die Gemeinschaft sich 1984 getrennt hat, nach dem Tod der Gründer, als dieses Vakuum entstanden ist, wo dann die Frage ist, wie geht es weiter und wie geht es auch zeitgemäß weiter? Das war sozusagen der Impuls, die Gebetszeiten zum Beispiel wegzunehmen von diesem, es ist entscheidend, wer die Liturgin vorne ist und das Wort, was sie spricht, ist entscheidend, hin zu ganz normalen Stundengebeten, wie wir sie heute beten. Also mit Psalmgesang, mit Lesung, was dann nicht mehr ad personam ist, sondern auf die Sache zielt. Und in diesem Zuge haben sich auch erste Anzeichen gezeigt, dass es eine Regel braucht, die dann 1999 festgestellt worden ist. Anders als katholische Gemeinschaften können wir tatsächlich eine Regel selbst schreiben. Denn es ist versucht worden, in der katholischen Kirche schon seit dem 16., 17. Jahrhundert die vielen Ordensgründungen einzudämmen, indem man gesagt hat Ihr könnt euch zwar gründen, durchaus auch als Säkularinstitut, aber dann müsst ihr euch an eine bestehende Regel anhängen, zum Beispiel die Regel Benedikts oder der Augustiner und so etwas. Das gilt bei uns kirchenrechtlich natürlich nicht, weil wir ganz anders verortet sind. Wir haben Eigenrecht als Communitäten, und wir haben entschieden, mit der Kirche unterwegs zu sein. Und im Zuge dessen haben wir eine Regel formuliert, die ganz unserer Spiritualität entspricht, die natürlich auch die evangelische Freiheit atmet und die so manches mobiles Element der franziskanischen Spiritualität in sich trägt. Insofern, es ist geradezu klassisch einerseits vom Ordensleben, aber gleichzeitig, finde ich, ist es auch sehr modern, so dass das Bild vom Mittelalter in dem Sinne nicht mehr taugt. Und unser Bau ist aus den 50er Jahren, 1950er Jahren. Also da ist nichts mit mittelalterlichen Klostermauern. #00:34:37-1#
Anne Wasmuth: Trotzdem, wenn man deinen Lebenslauf anschaut, ist dein eigener Schritt in die Kommunität eine Zäsur. Also zumindest hört dann erstmal deine wissenschaftliche Tätigkeit auf. #00:34:52-8#
Nicole Grochowina: Ja. #00:34:53-5#
Anne Wasmuth: Wie war dein eigener Weg? #00:34:54-9#
Nicole Grochowina: Ja, das hört tatsächlich auf. Denn wer sich entscheidet, in eine Ordensgemeinschaft zu gehen, finde ich, darf keine Hintertür haben. Und die Tatsache, dass ich jetzt wieder in der Wissenschaft tätig bin, war nicht intendiert, sondern mir war klar, wenn ich rausgehe, bin ich raus. Also einmal wegen der grundsätzlichen Entscheidung und zum anderen, wer länger aus der Wissenschaft raus ist, ist halt einfach auch raus. Weil die geht natürlich weiter und in guter Weise und aus gutem Grund geht sie weiter und trotzdem habe ich es gemacht, weil einfach, tja, es hat sich aufgedrängt ist nicht das Richtige, weil es war durchaus meine freiheitliche Entscheidung. Es gab mal eine Situation, wo ich tatsächlich den Eindruck hatte, dass beides in Ordnung wäre, also in der Wissenschaft weiter zu gehen und dann auch die Vertretungsprofessur anzunehmen, um die es dann ja auch konkret ging, wäre sehr in Ordnung und voller Segen gewesen. Und genauso der Weg in die Ordensgemeinschaft voll in Ordnung und voller Segen. Und damals habe ich in meinem Wohnzimmer alleine auf meiner Couch gesessen und habe ganz stark gespürt, es braucht, da waren ja schon zwei Jahre, die ich die Gemeinschaft kannte rum, es braucht von meiner Seite aus eine freie Entscheidung und habe damals auf dem Sofa gesagt "Ja, ich mache e!", nicht wissend natürlich, das weiß ja keiner, was dann konkret an gemeinschaftlichen Leben auf einen zukommt und wie es ist, plötzlich mit 50, 60 Frauen unter einem Dach zu leben und solche Sachen, also da hat man vielleicht eine Ahnung und vielleicht auch eine gruselige Vorstellung, aber es hat halt auch viel Schönheiten. Aber letztlich, in letzter Instanz weißt du nicht, was da auf dich zukommt. Aber das war die freiheitliche Entscheidung und ich habe sie getroffen, nachdem ich die Gemeinschaft kennengelernt hatte, weil ich selbst in einer großen persönlichen Krise war und dort Begleitung erfahren habe, sehr hilfreiche, sehr lebensdienliche Begleitung, was aber nicht der Grund ist, dann einzutreten, weil ich dachte, dann bin ich ertüchtigt für das wissenschaftliche Leben weiterhin. Aber es ist ja auch so, wenn man seine eigenen Baustellen bearbeitet und auch in möglichst guter Weise bearbeitet, tun sich plötzlich Möglichkeiten auf, die irgendwo in einem geschlummert haben und dann werden die plötzlich zu realen Möglichkeiten und dann muss man sich damit auseinandersetzen und so war es für mich auch. Also nachdem alles einigermaßen unter den Füßen war, was lange genug gedauert hat festzustellen, oh, es ist ja auch ein besonderer Ort und vielleicht auch ein besonderer, oder ein Ruf, der in diesem Ort steckt. Und daraufhin habe ich beschlossen, ich gehe mal nach Selbitz, weil ich war vorher in einem Außenkonvent, ich gehe mal nach Selbitz und das schreckt mich bestimmt ab. Und dann war ich also dort und hatte leider das Gefühl, dass ich nach Hause komme. Also "leider" in Anführungszeichen, "leider" in Anführungszeichen und hab gedacht "Ach du lieber Vater", also dann muss ich wirklich ernsthaft darüber nachdenken. Ja, mit allen Verdachtsmomenten, weil du ja nicht weißt, was kommt. Und das hat noch ein bisschen Zeit gedauert, aber dann, weißt du, irgendwann musst du springen. Du kannst dich alles von links nach rechts und dann wieder zurück usw., also irgendwann muss die Entscheidung her, nach bestem Wissen und Gewissen. Das ist jetzt 16 Jahre her. Ich bin froh drum, diese Entscheidung in dieser Weise gefällt zu haben. #00:38:08-3#
Anne Wasmuth: Ja, seitdem trägst du auch Tracht, bist auch äußerlich als Ordensschwester erkennbar im Alltag. Wie ist das? Wie begegnen dir Menschen? #00:38:18-7#
Nicole Grochowina: Ja, im ersten Jahr bist du noch in Zivil unterwegs, wie wir sagen, weil das ist der Postulat und da kannst du von jetzt auf gleich im Grunde letztlich auch gehen. Aber dann, genau mit dem zweiten Jahr, gibt es, wenn du ins Noviziat gibst, gibt es eine Tracht, die sieht ein bisschen anders aus als die, die ich heute trage. Und dann gibt es so verschiedene Schritte zeitliche Profess nach acht Jahren, wenn es gut läuft, endgültige Profess und und und. Wie sieht es im Alltag aus? Unterschiedlich. Also eine Tracht ist eine große Projektionsfläche. Also ich treffe auf Menschen, die Kirche abgrundtief, abgrundtief schrecklich finden und meinen einen Menschen in der Tracht, müssen sie es mal in aller Deutlichkeit und in einer Sprache Ihrer Wahl, gern auch gepaart mit Vulgarismen sagen. Das gibt es durchaus. Genauso gibt es Leute, die sich davon ermutigt fühlen, von sich zu erzählen, also auf mich zuzukommen und zu sagen "Schwester", also Sie müssen ja noch nicht mal meinen Namen kennen und dann haben sie entweder eine Frage oder sie erzählen etwas. Und dann gibt es aber auch die Menschen, die meinen, man sei nicht so ganz alltagstauglich und etwas lebensfremd und sie müssten einem jetzt die Welt erklären. Das ist so ein Typus, den ich nicht so haben kann, sind übrigens fast ausschließlich Männer, die so etwas machen. Ältere Männer sogar, die dann meinen, sie müssten ihre Weltsicht ungefiltert an mich weitergeben und erwarten von mir, dass ich die teile. Und in dem Moment, wo die allerdings eine lebensfeindliche und menschenfeindliche Dimension bekommt, ist es natürlich meine Aufgabe, dem entgegenzutreten. Also, du hast alles. Es ist eine große, große Projektionsfläche. Meine Studierenden übrigens, weil ich lehre ja auch an der Universität in Tracht, erleben es, glaube ich, so, dass Sie am Anfang des Semesters immer denken, wenn ich reinkomme "Oh, wir sind hier falsch", also, weil in der Geschichtswissenschaft erwartest du das ja nicht. Und dann steht meist die Hälfte auf im Seminar und will rausgehen, aber das haben wir dann nach einer Viertelstunde meist relativ klar, was Sache ist im Seminar. #00:40:24-9#
Anne Wasmuth: Da ist die Tracht dann auch Rüstung gleichzeitig, dass du auch weißt, wie du reagieren musst oder worauf du eingehst, wo du nicht darauf eingehst. #00:40:34-0#
Nicole Grochowina: Sie ist zumindest ein Schutz, weil sie verunsichert ja auch meist mein Gegenüber, weil dann auf einmal Erwartungshaltungen kollidieren. Also da gibt es bestimmte Bilder von Ordensmenschen, jetzt ist diese Frau nicht so, das ist alles schwierig und damit ist für mich die Tracht natürlich tatsächlich in Teilen ein Schutz. Das ist gleichzeitig ein Signal und in manchen Situationen ist es einfach auch super, super hilfreich. Du hast vorhin gesagt, ich bin ja auch Notfallseelsorgerin. Das heißt, ich muss noch nicht mal was gesagt haben, wenn ich in eine Familie komme oder an eine Unfallstelle oder Todesnachricht überbringen. Schon allein die Tracht macht deutlich "Oh, hier kommt jemand, die kennt sich aus zwischen Himmel und Erde und selbst wenn es nicht stimmt und es stimmt ja im Detail auch nicht, ist das etwas", also da fassen Menschen Zutrauen. Das bringt natürlich eine andere Verantwortung mit sich. Aber das ist ja die Verantwortung in jedweder Seelsorge, dass die immer zurückhaltend geschehen muss. Weil da steckt natürlich auch ein Machtpotential drin in den Bildern, die mit dieser Tracht assoziiert werden. #00:41:37-5#
Anne Wasmuth: Genau danach hätte ich jetzt gerne gefragt. Also gerade diese Situationen, wenn du als Notfallseelsorgerin unterwegs bist, löst das dann immer das aus, was du gerade beschrieben hast, dass da was ist, dass die Menschen sich fallen lassen können oder kommen dann auch so Widerstände? #00:41:56-8#
Nicole Grochowina: Es gibt beides, aber es überwiegt, weil ich komme ja nur in super prekären existenziellen Situationen. Also wenn die Rettungskräfte sagen, hier muss jemand her und muss mit den Leuten sprechen. Also meist löst es wirklich Erleichterung aus. Da ist jemand jetzt da und sie hat nichts mit Krankenwagen, Polizei und sonst was zu tun, sondern ist einfach da. Aber es gibt natürlich auch Leute, die super schlechte Erfahrung mit Kirche gemacht haben, das habe ich auch schon erlebt und die dann nichts, aber auch wirklich gar nichts mit mir anfangen können. Da ist dann auszuloten, braucht es jemand anderes oder in meinem Fall, war es ein Ehepaar, da braucht es erst mal ein Gespräch mit der Frau und mit dem Mann schauen wir dann mal und und und. Aber es gilt natürlich immer, wenn die Leute sagen, sie wollen mich hier nicht haben, dann gehe ich wieder. Also das ist ja völlig klar. Das ist ja nichts, was ich [unverständlich]. Aber letztlich glaube, das das gängige oder was ich häufiger erlebe ist das, ich mach es mal an einem Erlebnis mit einem jungen Polizisten fest, als ich noch ganz am Anfang dieser Tätigkeit war. Da kam ich zu einem vermeintlichen Suizid. Und dieser junge Polizist stand unten an der Tür und musste also gucken, wer kommt und und und, und dann kam ich um die Ecke und dann guckt er mich an und sagt "Ach, Gott sei Dank, Sie sind da". Also da, das steckte so dieses Ganze, jetzt wird es irgendwie geordnet oder so, wobei ich ja auch, ich habe ja auch keine Überkräfte, also aber der Vorteil von Notfallseelsorge ist, dass wir wirklich Zeit haben und dass wir da sind und dass wir mit den Leuten sprechen oder, oder auch schweigen, dass wir da sind, wenn sie weinen, dass wir die Übersetzungsleistung von dem machen können, was die Polizei sagt oder der Bestatter sagt oder oder oder. Dass wir einfach da sind und alle, alle Kurven mitgehen, die die Menschen in dieser Zeit mitgehen. Und ich glaube, durch dieses, im Laufe der Zeit, das sind ja immer so drei vier Stunden, durch dieses entsteht dann auch so etwas wie Vertrauen. Aber noch mal, das ist immer von meiner Seite aus sehr vorsichtig zu händeln, weil es eine ganz fragile Situation ist, die ich mehr begleite. Also ich kann die nicht an die Hand nehmen und sagen "Verstehen Sie jetzt das so und so und so", das wäre missbräuchlich, es in dieser Weise zu tun. Aber ich bin da, das ist meine Kernaufgabe und ich glaube, da herrscht viel Dankbarkeit. #00:44:15-9#
Anne Wasmuth: Jetzt muss ich sehen, wie ich den Schwenk zur nächsten Frage hinbekomme. Oder vielleicht machen wir so den Umweg über den Lebenslauf mit deinen vielen Identitäten, die du sozusagen mitbringst, die aber doch so in in einem Mensch sich versammeln. Und ich lasse jetzt mal die Europäerin aus, die sich ökumenisch engagiert, die sich in dem Koordinationsteam Miteinander für Europa engagiert, aus. Man kann dich in den verschiedensten Kuratorien erleben, in den verschiedensten Gremien, Gruppen usw. Was aber ganz wichtig ist in deinem Lebenslauf, was ich bisher verschwiegen habe. Dort steht und ich habe es vorhin nur angeteasert: Seit 1986 St. Pauli Fan. #00:45:04-4#
Nicole Grochowina: Ja. #00:45:05-2#
Anne Wasmuth: Das ist nicht dein Geburtsjahr. Wieso kannst du das so klar benennen, wann das angefangen hat und vor allem der Nachsatz "Seitdem ausgeprägtes Engagement in Kirche und Gesellschaft für Demokratie und Menschenwürde". Wieso? #00:45:20-6#
Nicole Grochowina: Ja, ich war 14 in dem Jahr und ich bin Fußballfan, seit ich vier bin. Und zu meiner Biografie gehört es, dass ich von 4 bis 11 beim HSV war, was man als St. Pauli Fan ja gar nicht so laut sagen darf, aber so war es halt. Das Stadion war bei uns um die Ecke und deswegen war ich dort. Und dann habe ich mit elf irgendwie gedacht so "Ne, irgendwie anders" und dann war ich kurz bei Altona 93 und, also so diese kleinen Stadtteilvereine. Und Pauli hat damals in der Oberliga gespielt und wir sind dann mit Freunden in der Zeit angefangen, zu Pauli zu gehen. Und Pauli hat damals schon, also heute ist es ja noch sehr viel ausgeprägter, aber Pauli hat damals schon sich massiv eingesetzt, also gegen Rechts im Stadion, gegen diese Affenlaute, gegen die Sprüche, die es dort gibt. Also war ein sehr, sehr engagierter Stadtteil und ein sehr engagierter Verein. Und das hat sehr meinem Bemühen, an meinem damals noch sehr amorphen Bemühen gegen Rechts entsprochen und so bin ich dann geblieben. Und ich habe es auch gemocht, dass wir eigentlich, das ist ja bis heute so, wir haben nie eine hinreichende Chance, irgendwas Großes zu gewinnen oder so auch in der aktuellen Saison. Wir spielen ja sowas von gegen den Abstieg und werden wahrscheinlich auch absteigen und und und. Aber ich mochte immer die Atmosphäre und ich möchte die Atmosphäre an einem Beispiel festmachen. Es gab mal eine Zeit, da hatten wir nicht mal mehr hinreichend Geld für die Lizenz und dann hat es ja durch den DFB Pokal, weil wir ganz viele, also da sind wir erstaunlich weit gekommen, aber es hat auf dem Kiez auch eine Aktion gegeben, die hieß "Saufen für die Lizenz" und das heißt, viele Kneipenbesitzer haben auf das Bier aufgeschlagen, Geld aufgeschlagen und haben das dann St. Pauli gegeben. Oder diese T Shirts "Weltpokalsiegerbesieger" als wir gegen Bayern München, die damals Weltpokal gewonnen haben. Natürlich haben wir die gekauft und diese Form von Solidarität zusammen genommen mit einem Menschenbild, was sehr auf Gleichheit ausgerichtet ist und was es nicht duldet, diese Menschenfeindlichkeit, die von rechter Seite und rechtsextremer Seite formuliert, gelebt und gelebt wird, die das nicht duldet, das fand ich super attraktiv. Und natürlich habe ich auch ein Herz für Underdogs und das sind wir ja auch weiterhin, auch wenn wir uns inzwischen als Marke etabliert haben. Das gefällt mir. Und die Klarheit, die darin steckt, jetzt auch zum Frauentag, "Feminism is unstoppable", hängt man dann mal eben, also Feminismus ist unaufhaltsam, nicht zu stoppen, hängt man dann eben in die Kurve mit hinein. Also diese Klarheit oder dass im Stadion steht, kein Mensch ist illegal usw., das entspricht sehr meinem Weltbild. Und mit 14 beginnt glaube ich so, also langsam die auch politische Bewusstseinsbildung. Vielleicht ist es heute früh, aber bei mir war es halt so und im Zuge dessen habe ich mich da sehr aufgehoben gefühlt. Insofern ja, ich kann es tatsächlich auf 1986 datieren. #00:48:17-6#
Anne Wasmuth: Also ihr habt natürlich recherchiert und ihr seid gerade nicht auf einem Abstiegsplatz, habe ich gesehen. #00:48:23-7#
Nicole Grochowina: Richtig. Richtig. Aber wir sind zwei, drei Punkte nur weg auf der vom Relegationsplatz. Insofern, die Saison wird ja noch ein bisschen dauern. #00:48:31-3#
Anne Wasmuth: Ja, man wird es sehen. Vielleicht begegnet ihr dann wieder dem FCN. Wie ist das Verhältnis? #00:48:39-1#
Nicole Grochowina: Zum FCN? #00:48:39-1#
Anne Wasmuth: Ja. #00:48:39-1#
Nicole Grochowina: Also ich war jetzt bei zwei Spielen, wo wir gegen Nürnberg gespielt haben. Wir haben beide Spiele gewonnen. Ich war mit Freunden da, die alle Clubberer waren, die waren nicht ganz so glücklich. Und dann habe ich zu ihnen gesagt, neben der Tatsache, dass wir vorm Stadion ständig angesprochen worden sind, so von wegen "Pauli spielt mit Gottes Hilfe" und das sei ja ungerecht usw., usw. Und dann sind wir nachher mit der Bahn gefahren und dann erzählt ich so in Hamburg, haben wir in der U-Bahn, sind wir auf und abgesprungen, haben gesagt wippen bis die Achse bricht. Das war nicht so dienlich für die Freunde, mit denen ich unterwegs war. Also das Verhältnis ist freundschaftlich distanziert, so würde ich es mal sagen. #00:49:14-2#
Anne Wasmuth: Okay, dann hoffen wir, dass wir heute einen Beitrag zu einer größeren Verständigung hier leisten. Ich war zumindest schwer beeindruckt von den Leitlinien, die sich St. Pauli auch selber gegeben hat, die man auf der Webseite nachlesen kann. Also das ist wirklich beeindruckend und sehr, sehr klar und am Ende, ja, so einfach. #00:49:38-9#
Nicole Grochowina: Ja, so einfach bis in die Finanzierung hinein. Also für den Verein ein Genossenschaftsmodell auf einmal nach vorne zu stellen und zu sagen Finanzierung geht eben auch anders und nicht als Aktiengesellschaft. Das sind solche Punkte, wo ich denke "Wow, wow!". Also da überhaupt daran zu denken und es dann auch einfach zu machen, das schätze ich sehr. #00:49:58-3#
Anne Wasmuth: Ja. Über eins müssen wir noch sprechen, bevor du weiter musst. Deshalb musste ich vorhin so ein bisschen auf die Tube drücken mit meinen Fragen, weil du bist terminlich unglaublich eingetaktet. Du bist im November in den Rat der EKD berufen worden. #00:50:16-9#
Nicole Grochowina: Gewählt, gewählt. #00:50:17-8#
Anne Wasmuth: Gewählt, gewählt, genau. #00:50:19-3#
Nicole Grochowina: In die Synode berufen, aber in den Rat gewählt. #00:50:22-0#
Anne Wasmuth: Kompliziert. Erklär uns kurz, nicht jeder weiß das. Was ist die Synode, was ist die EKD und was macht der Rat der EKD? Und dann will ich wissen, wie hat das deinen Alltag verändert? #00:50:33-2#
Nicole Grochowina: Okay, die Synode ist das Kirchenparlament und das Kirchenparlament der EKD ist das Kirchenparlament für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland. Das heißt, wir haben Landessynode in den einzelnen Kirchen und die wählen für die EKD Synode. Und dann gibt es noch ein paar Leute, die berufen werden, weil man meint, diese Perspektive braucht man. In meinem Fall hat man wahrscheinlich gedacht, die Perspektive der Gemeinschaften und Bewegungen braucht man da noch mit zu. Das heißt, wir haben ein paar Jahre miteinander jetzt gearbeitet, drei, dreieinhalb Jahre miteinander gearbeitet. Und dann gibt es den Rat der EKD, denn die Synode trifft sich nur einmal im Jahr, im November, und der Rat sorgt dafür, dass unter dem Jahr die evangelische Kirche auch repräsentiert ist und dass Entscheidungen getroffen werden, zusammen mit dem Kirchenamt. So im Grunde so etwas wie das Kabinett der Kirche, wenn man so will. So, und dann war es im November tatsächlich so, dass drei Plätze neu zu besetzen waren und es gab vier Kandidierende. Und die Synode hat mich auch gewählt. Was bedeutet, dass ich jetzt einmal im Monat in Hannover bin, davor eine wirklich signifikante Anzahl an Dokumenten lese und versuche zu verstehen, um dort nach bestem Wissen und Gewissen auf dieser ja dann letztlich höchsten Ebene der evangelischen Kirche mit dem Rat und mit der Ratsvorsitzenden zu Entscheidungen zu kommen, von denen wir hoffen, dass sie für die evangelische Kirche und nicht nur für die, sondern auch darüber hinaus okay sind oder gut sind. Und wie hat es meinen Alltag verändert? Ja, es ist, es ist halt ein monatlicher Termin mit viel Vorbereitung und es ist, hat auch dafür gesorgt, was interessant ist, also wir haben wirklich hochinteressante Themen und es hat eben auch dafür gesorgt, dass Menschen mich anmailen, wie soll ich sagen, in unterschiedlicher kommunikativer Qualität, um ihre Sicht auf die Kirche und auf die entsprechenden Themen deutlich zu machen. Womit ich dann natürlich auch zu tun habe. Es ist jetzt für drei Jahre, dann ist die Legislaturperiode zu Ende und ich finde es schön. Ich habe es damals bei der Synode auch gesagt, dass jetzt jemand aus den Gemeinschaften, wir sprachen er über die Anerkennung schon, dass nun plötzlich jemand aus den Gemeinschaften und aus den Ordensgemeinschaften, aus den Communitäten mit im Rat ist und dass die Synode nach dreieinhalb Jahren gemeinsamer Arbeit mir das Vertrauen ausgesprochen hat und gesagt habe "Die kennen wir, die macht das okay, die wollen wir da drin haben.". Das, finde ich, sind auch schöne Personen für mich als Person, die für Ordensgemeinschaften steht. #00:53:03-0#
Anne Wasmuth: Ich habe mir das Video der Wahl angeschaut und deine so aus dem Herzen kommende Freude und Ungläubigkeit, dass du da gewählt worden bist, das war wirklich einfach total schön anzusehen. Du hast gesagt die evangelische Kirche Deutschland. gleichzeitig haben wir über diese ganze Ordensgeschichte auch gemerkt, wie, wie differenziert das eigentlich ist, dass man eigentlich von der Kirche eben gar nicht sprechen kann. Du bringst dort eine ganz eigene Geschichte mit. Man sagt häufig Glauben und Zweifeln, das gehört zusammen. Kennst du den Zweifel? #00:53:38-5#
Nicole Grochowina: Oh ja. Oh ja. Nicht im Allergrundsätzlichsten. Aber so "Ist das so?" und "Stimmt das so?" und "Was ist, wenn gar nichts ist?", oh ja, das sind tatsächlich Geschwister, Glaube und Zweifel. Und das ist ja auch gut. Also mich würde ein eindimensionaler, völlig überzeugter Glaube, der es auch nicht erlaubt, dass die Welt sozusagen und mein Innerstes Anfragen stellt, da hätte ich Zweifel, ob da, ob das so gut ist. Aber ich möchte grundsätzlich davon ausgehen, dass ich in einer Beziehung mit Gott lebe, in einem Lebensgespräch mit ihm bin. Und da hat sowas eben auch Platz. Also angesichts meiner eigenen Endlichkeit, angesichts der Entwicklung der Welt, jede Warum-Frage ist ein Tor für den Zweifel und ist dienlich, um weiter zu denken, weiter zu leben, weiter zu hoffen, natürlich und weiter zu glauben. Aber das ist errungen. Das ist in vielen Punkten tatsächlich errungen. Insofern ja, das gehört für mich unzweifelhaft zusammen. #00:54:38-5#
Anne Wasmuth: Mit der Familie gestern auf die Woche geschaut und was steht so an und da kam eben das Gespräch auch auf, mit wem spreche ich und Reformation und was da eben in Nürnberg passiert ist und worum ging es da und da waren meine Töchter schlichtweg entsetzt, dass quasi der Rat der Stadt entschieden hat Nürnberg wird jetzt evangelisch, wo die sagten das können doch, sozusagen Politiker können doch nicht bestimmen, was ich bin. Und das ist ja gut so, dass es heute nicht mehr so ist. Wir haben diese Trennung. Wie ist so dein Blick auf Kirche, Kirche in der Gesellschaft, wie wünschst du dir Kirche für die Zukunft? #00:55:21-7#
Nicole Grochowina: Also erstmal, ich bin auch ein Fan von dieser Trennung, weil es uns möglich macht, als Kirche ganz das Eigene zu leben und dann auch einzubringen. Also es nützt ja nichts, wenn sozusagen verwässerte Formen durch Unklarheiten letztlich in, in Chaos miteinander oder in Zwiespalt miteinander geraten. Das ist das eine. Das zweite aber ist, dass ich denke, dass wir als Kirchen, egal wie groß und klein wir sind und wir sind ja jetzt inzwischen zahlenmäßig eine Minderheit, aber es geht um das Charisma, es geht um das, was uns als Garde ausmacht, also dass wir die Aufgabe haben, das hochzuhalten, was wir verstanden haben vom Evangelium. Und da ich das Evangelium für hochpolitisch halte in seiner Setzung, weil es hochgradig Menschenorientiert ist und auf eine Form von Gerechtigkeit zielt, die wir vorhin schon adressiert haben, halte ich es für hochgradig wichtig, dass genau dies auch nicht nur gelebt wird vonseiten der Kirche, sondern auch eingespeist wird. Ich weiß aus der Debatte zum § 218 und aus der Migrationsdebatte, das kann ich auch an meinen Emails angucken, ich weiß, dass das nicht von politischer Seite überall goutiert wird, aber es wäre seltsam, wenn wir als Kirche nicht sagen würden "Das und das ist das, was wir vom Evangelium verstanden haben in dieser Frage und wir verweisen inständig darauf, dass dies eine Handlungsmaxime auch für politisches und gesellschaftliches Handeln ist.". Nun könnte man sagen, das ist eine moralische Überhöhung der Kirche, was bilden die sich eigentlich ein? Die haben doch schließlich gerade selbst ein Vertrauensproblem. Richtig. Also Forum Studie, Missbrauch, all dieses sind Vorzeichen, vor denen diese Botschaft des Evangeliums heute und künftig weitergegeben wird. Und trotzdem, wir müssen beides angucken. Wir müssen die Hausaufgaben zu Hause machen, wir müssen zu Hause unsere innere Renovierung machen und gleichzeitig müssen wir aber auch jenseits von unserem Zuhause eben das aufrechterhalten und hineintragen in Gesellschaft und Politik, was ich eben benannt habe. Das ist die Aufgabe und ich glaube, dass diese Aufgabe heutzutage dringender denn je ist, weil wir auch erleben, wie religiöse Sprache und religiöses Sein auch vereinnahmt wird und auch klein gemacht wird und damit seiner Menschenzugeneigtheit beraubt wird von der Grundaussage. Und da braucht es entschiedenes Eintreten und sagen "Leute, so geht das nicht. Also dann müssen wir uns ernsthaft darüber unterhalten, wie ihr den Kern des Evangeliums versteht, aber ich verstehe ihn als Ausdruck eines sehr, sehr, sehr menschenfreundlichen Gottes, der jeden einzelnen Menschen meint und deswegen eine Form von Hierarchisierung und auch von Funktionalisierung, wie wir sie bisweilen heute beobachten, nicht mittragen würde!". #00:58:07-5#
Anne Wasmuth: Schwester Nicole, ich danke dir von Herzen, dass du dir die Zeit genommen hast. Du bist, du hast es mir bei meiner Anfrage geschrieben, ich bin so krass unterwegs, dass du dich da freigeschaufelt hast, dass wir diese Stunde Zeit hatten miteinander. Wir kennen uns von früher, du warst am Bildungszentrum als Dozentin unterwegs. Wir kannten uns schon von davor. Ich war mal bei dir in einem Seminar, was du gegeben hast, aus dem ehrenamtlichen Kontext sozusagen heraus. Ich freue mich, dass wir uns wieder begegnet sind hier in dieser KontaktAufnahme. Ich wünsche dir das Aller, Allerbeste. Und egal, wo du auftauchst, dass du Gutes bewirken kannst mit dem, was dich bewegt. Und ich hoffe trotzdem auch auf gute Spiele für den St. Pauli natürlich. #00:58:55-8#
Nicole Grochowina: Das hoffe ich auch. Und ich danke dir für das Gespräch. Das war eine super kurzweilige Stunde mit dir. Danke Anne dafür. #00:59:03-0#
Anne Wasmuth: Dankeschön. #00:59:04-5#
Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Die Historikerin und Ordensschwester über ihre Passion für Wissenschaft, Communität und den FC St. Pauli.
2025 jährt sich zum 500. Mal das Nürnberger Religionsgespräch, welches zu den Schlüsselereignissen des Reformationsgeschehens zählt. Die dadurch ausgelösten radikalen gesellschaftlichen, theologischen, kulturellen sowie stadträumlichen Veränderungsprozesse wirken bis heute nach. Anlass genug, um mit einer Expertin ins Gespräch zu kommen: PD Dr. Nicole Grochowina oder kurz Sr. Nicole. Im Podcast gibt die gebürtige Hamburgerin Einblick in ihren Weg von der Wissenschaft in eine evangelische Gemeinschaft in Oberfranken. Heute ist sie beides: Schwester eines evangelischen Ordens und Historikerin. Ihr Alltag wird bestimmt vom unterwegs sein: als Privatdozentin am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg, als Engagierte in zahlreichen Ausschüssen und Netzwerken in und außerhalb der Kirche, als Notfallseelsorgerin in existentiellen Situationen oder als Fan im Fußballstadion. In der Folge geht es um Frauen als Rechtssubjekte, die Tracht als Projektionsfläche und ihr neues Leben als Person von öffentlichem Interesse – im November 2024 wurde sie in den Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) gewählt.
Links:
Die Communität von Sr. Nicole: https://christusbruderschaft.de/de/
Informationen zum Rat der EKD: https://www.ekd.de/Rat-10774.htm
Zu den Veranstaltungen im Rahmen des Jubiläums der Nürnberger Religionsgespräche: https://www.nuernberg.de/internet/nuernbergkultur/500_jahre_nuernberger_religionsgespraech.html
Zu den im Gespräch erwähnten Leitlinien des FC St. Pauli:
https://www.fcstpauli.com/verein/leitlinien/
Und als Bonus:
Die Geschichte der erloschenen Nürnberger Klöster kann in einem Spaziergang zu den ehemaligen Standorten wiederentdeckt werden. Die kostenlose LiteraTouren-App hält einen Audio-Guide und ausreichend Bildmaterial bereit, um die damaligen Klöster zu visualisieren. Der Rundgang wurde zusammengestellt von Dr. Christine Sauer, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg.
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Aufgenommen am: Montag, den 10. März 2025
Veröffentlicht am: Donnerstag, den 3. April 2025
Moderation: Dr. Anne Wasmuth
Im Gespräch: PD Dr. Nicole Grochowina
Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Jede zweite Woche, immer donnerstags, veröffentlichen wir ein neues Gespräch.
Wen sollen wir noch befragen - haben Sie Ideen und Anregungen? Oder möchten Sie Ihre eigenen „Glücksmomente“ (manchmal am Ende des Interviews zu hören) an uns schicken? Schreiben Sie uns an!