Marsha Cox, ist die Stimme Bestandteil unserer Persönlichkeit?

KontaktAufnahme_Cox.mp3
Anne Wasmuth: Herzlich willkommen zu einer neuen Kontaktaufnahme. Mein Name ist Anne Wasmuth und ich bin heute im Gespräch mit Marsha Cox. Sie hat zunächst Musik studiert, wechselte dann ins Schauspielfach, offiziell beurkundet durch ein Bachelor am Mills College in Kalifornien und ein Schauspieldiplom der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart. Es folgten zahlreiche Engagements an verschiedenen Theatern, Film- und Fernsehauftritte sowie Sprecheraufträge. Seit 1996 ist sie freiberufliche Trainerin für die Themen Stimme und Sprechen, Schauspiel, Persönlichkeitstraining, Souveränes Auftreten, Storytelling und vieles mehr. Kristin Linklater und Sanford Meisner spielen eine wichtige Rolle in ihrer Biografie, womit auch noch einmal das Stichwort Amerika gefallen ist. Über all das wollen wir viel erfahren und hören. Herzlich willkommen, Marsha Cox! #00:01:20-2#
Marsha Cox: Ganz herzlichen Dank für die Einladung! #00:01:22-6#
Anne Wasmuth: Sie haben seit Ende der 1980er Jahre für den Siemens Konzern gearbeitet, waren fast 20 Jahre in Vollzeit bei Siemens angestellt. Ihre Titel in dieser Zeit: Delegation Consultant und Key-Account-Manager. Was waren Ihre Aufgaben? Was haben Sie gemacht? #00:01:41-0#
Marsha Cox: Mein Siemensweg begann eigentlich in den USA. Und da war ich eingestellt, also freiberuflich, tätig als Trainerin für Deutsch und Englisch als Fremdsprachen. Und zusammen mit einem deutschen Delegate aus München, aus dem Stammhaus in München, bauten wir damals das erste interkulturelle Kommunikationstraining für Siemens Cooperation damals für die USA auf. Und in den Jahren, sechs oder sieben Jahre war ich in Atlanta, dort bei einer Tochtergesellschaft, hatte vorher überhaupt keine Ahnung von Siemens und auch gar keinen Zugang zum Business genoss die Zeit. Aber es war eine ganz spannende Zeit, auch für mich. Das Thema interkulturelle Kommunikation war, ich bin eigentlich damit aufgewachsen, aber als Begrifflichkeit war sie ganz neu zu der Zeit. Es war, dass man wirklich Werte hat, die kulturell geprägt sind und dass die von Kultur zu Kulturkreis unterschiedlich sind und dass dadurch Missverständnisse entstehen können und dass es da dann auch noch, die Xenologie wurde ja dann entwickelt als Universitätsfach, also wirklich, es war eine spannende Zeit. Aus verschiedenen Gründen bin ich dann aus den USA zurückgekehrt nach Deutschland. Größter Teil war, mein Sohn war inzwischen so amerikanisch, dass, obwohl er den deutschen Pass hat und ich den amerikanischen, wurde er so amerikanisch, dass ich gesagt habe, also ich muss hier eine Notbremse ziehen. Also er sprach auch sehr stark Südstaatenakzent. Aus jedem Vokal wurde ein Diphthong, es war ziemlich heftig. Und ich hab dann kurzerhand einfach todesmutig entschieden, ich reiß hier die Zelte runter und kehre zurück und war dann eine Zeit lang wirklich auch in Deutschland erst mal auf der Suche. Was will ich denn eigentlich machen und wo komme ich überhaupt unter? Ich hatte damals zwar ein deutsches Kind, aber keine Arbeitserlaubnis, keine Aufenthaltserlaubnis, alle solche kleinen Details, mit denen man sich dann als ausländischer Staatsbürger in Deutschland auseinandersetzen musste und hab dann eine Zeit lang beim Goethe-Institut Interkulturelle Kommunikation im Sprachunterricht unterrichtet. Das war auch eine interessante Zeit. Und irgendwie kursierte dann im Siemenskonzern mein Lebenslauf. Ich weiß nicht, wer das veranlasst hat. Auf jeden Fall wurde ich von einer Personalabteilung angeschrieben, ob ich mich bewerben wollte für einen Posten, erstmal im Stammhaus in Erlangen, amerikanische Entsandte zu betreuen, interkulturell auch zu betreuen, ihnen zu helfen, also quasi so eine Art Relocation Service, aber eben mit administrativen Aufgaben. Da habe ich sofort gesagt, das klingt spannend, und vor allen Dingen war es ein gutes Einkommen und das war damals auch ein ganz wichtiges Kriterium für mich. Und dann war ich tatsächlich bei Siemens erstmal für die Amerikaner zuständig und dann wechselte das ganze Umfeld ein bisschen und ich wurde mehr und mehr in den Aufgabenbereich Administration von Entsendungen für einen bestimmten Businessbereich von Siemens, die deutschen oder europäischen Mitarbeiter vorzubereiten. Jetzt nicht interkulturell, sondern was braucht ihr? Was ist wichtig? Wie verschaffe ich euch ein Visum? Wie sieht es aus mit der Relocation? Also richtig praktische Sachen. Und das war ganz andere Arbeit, als ich gewohnt war. Ich war auch ein bisschen fremd in dem Unternehmen, also ich merkte auch wirklich, ich war wie ein Fremdkörper da eine ganze Zeit lang drin. Aber es war auch eine sehr reizvolle Aufgabe, weil es sehr viel mit Menschen halt auch zu tun hatte. Und das heißt also, ich habe vorwiegend Entsendungspolitik vertreten und Verträge entwickelt und Gehaltdifferenzen ausgeglichen und Steuerberechnung und solche Sachen gemacht, also eigentlich alles vollkommen fremd für mein Naturell. Aber es waren schöne Jahre, muss ich sagen. #00:05:46-9#
Anne Wasmuth: Aber das heißt, Sie haben amerikanischen Topmanagern eigentlich geholfen nach Deutschland zu kommen. #00:05:52-9#
Marsha Cox: Das war in Amerika, habe ich das gemacht. Da war ich dort, da habe ich die interkulturell vorbereitet. Und als ich dann in Deutschland war, habe ich Amerikaner, das waren nicht vorwiegend, gar nicht so viele Topmanager, das waren einfach normale Mitarbeiter, die für ein Jahr Know-how-Transfer dann in Deutschland machten. Und die habe ich dann in Deutschland betreut. Und dann war die Aufgabe, dass ich deutsche oder österreichische oder Schweizer Mitarbeiter nach Amerika entsandt hab. Ich hab danach nur doch das Geschäft betrieben, nach außen zu entsenden, also in die USA, in Tochtergesellschaften dort. #00:06:27-0#
Anne Wasmuth: Dann interessiert mich jetzt die Richtung Amerika, Deutschland. Was haben Sie den Amerikanern über Deutschland erzählt? #00:06:33-5#
Marsha Cox: Also, es gibt ganz viele Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen. Und ganz viele unterschiedliche Erwartungshaltungen. Und ganz viele Wertethemen, die ganz unterschiedlich sind. Und das Wichtigste beim interkulturellen Austausch ist ja, erst mal zu erkennen, dass man eine kulturelle Brille aufhat, dass man tatsächlich die Meinung, die man vertritt, wo man denkt, jeder mit nem halben Hirn müsste doch verstehen, was ich jetzt meine, und da kommt einem so ein ungläubiges Gesicht entgegen und sagt, was redest du denn da, dass das oftmals kulturelle Prägungen sind, die ganz unterschiedlich sind. In Deutschland, ein ganz klarer Unterschied ist, Deutschland ist eine konsensgetriebene Gesellschaft. Wir diskutieren Dinge aus bis zum bitteren Ende. Und im Business war das teilweise auch so, dass es bis zu einem Quality Overkill geführt hat. Wir waren ausgereifter als jeder andere auf dem Markt, aber der Markt war inzwischen dicht, weil alle anderen schon mal reingeganen gangen sind. Und das heißt auch, Entscheidungen, die mal getroffen sind in Deutschland, sind sehr schwer zu kippen, weil dann erst wieder dieser ganze Konsensprozess passieren muss und man muss sich wieder treffen. In Amerika ist das anders. Da gibt es eine große Entscheidung. Es gibt zwar Input und der wird auch, ich habe fast das Gefühl oder hatte damals das Gefühl, das mag sich auch inzwischen geändert haben, aber der Input von allen wird mehr geschätzt in den USA. In Deutschland ist es immer mal nicht sehr vorbereitet in Meetings. Man geht unheimlich mit klaren Konzepten und festen Ideen rein, aber es kann wenig Spontanes anstehen. Das waren also immer Reibungspunkte auch zwischen Amerikanern und Deutschen in den Diskussionen, wo man sagt, wie kannst du, ihr habt ja schon eine fertige Meinung, was sollen wir jetzt noch beisteuern? Oder ich hatte auch Erlebnisse, wo amerikanische Führungskräfte nach so einem interkulturellen Seminar, ich hab die dann teilweise auch für Siemens geleitet, kam dann: Wie können die miteinander so reden, so diskutieren und dann abends zusammen Bier trinken? Also diese Trennung zwischen der persönlichen und der Sachebene, das fällt den Deutschen sehr leicht und den Amerikanern ist das sehr fremd. #00:08:54-9#
Anne Wasmuth: Ich habe das Gefühl, wenn ich Sie reden höre, das hat sich in den ganzen Jahrzehnten nicht wirklich verändert, oder? #00:09:00-6#
Marsha Cox: Wahrscheinlich nicht. Ich muss ganz ehrlich sagen, früher, diese interkulturellen Trainings, die waren wahnsinnig lang, furchtbar aufwendig, anstrengend auch, ich habe sie sehr, sehr, sehr geliebt. Und irgendwann mal, ich weiß es noch, das war am Ende eines, ich glaube, es war ein viertägiges Intensivseminar, kommt am Ende des Seminars eine deutsche Führungskraft zu mir und sagt: "Ja, ist ja alles gut und schön. Aber jetzt sagen Sie mir doch einfach, wie kriege ich die Amis dazu, das zu machen, was ich will?" Und da habe ich gedacht, okay, das war jetzt für die Füße, diese vier Tage. Und irgendwie habe ich gedacht, ja also, interkulturelle Kompetenz hat wirklich auch etwas mit sozialer Kompetenz und auch mit emotionaler Kompetenz zu tun. Und die Leute, die ich versuchen sollte zu erreichen, habe ich meistens nicht erreichen können oder oftmals nicht erreichen können. Und die Leute, die ich gut erreichen konnte, für die war so ein Training zwar interessant, aber gar nicht so wichtig. Und ich habe dann wirklich auch ganz konsequent entschieden, die Frustration da drin hab ich zu stark erlebt und hab gesagt, ich lass das jetzt und hab das auch nicht mehr gemacht. Wirklich von einem Tag auf den nächsten. Ja, solche Sätze waren klasse! #00:10:19-3#
Anne Wasmuth: Ja, das ist frustrierend, oder? Wenn man sich was vornimmt und auch so ein größeres Weltbild hat sozusagen oder eine Vorstellung von einem Thema, was sich nicht so trennen lässt und manche nehmen das nur so als Bausatz wahr und merken gar nicht die Zusammenhänge zwischen allem. #00:10:38-2#
Marsha Cox: Also kein Interesse wirklich an Synergie, sondern ich habe eine Idee, ich habe ein Konzept, ich will es durchbrauern und die Amerikaner sollen es halt fressen. Es war aber auch umgekehrt. Also die Amerikaner waren immer ein bisschen vorsichtiger. Da ist auch mehr Gesichtsverlust ein Thema, fast wie wir es in manchen asiatischen Gesellschaften kennen. Das ist beim Amerikaner auch vertreten, also dass man jemanden nicht total vernichtet, sondern man lässt ihm immer noch die Chance, sein Gesicht zu wahren. #00:11:06-3#
Anne Wasmuth: Mein totales Vorurteil gegen amerikanische Manager: Nicht auch eine gewisse Arroganz da? Ich bin Amerikaner, ich bin super? #00:11:17-4#
Marsha Cox: Ich kann das bestätigen, das Gefühl. Also vieles davon ist natürlich auch Gehabe, Gepose, das gehört so mit in das Selbstverständnis. Kinder werden auch sehr stark in einem sehr starken Selbstbewusstsein, ich bin Amerikaner und wir sind was ganz Besonderes und wir sind eine Nation, die die Demokratie verfolgt und so weiter. Also das habe ich schon auch dort als sehr, teilweise sehr anstrengend erlebt, weil da kommt man natürlich auch, also da dran zu kratzen, das ist dann schon ein schwierigeres Thema. Also, ich hab auch in den Jahren, die ich dort war, etliche sehr witzige Sachen erlebt, wo ich dachte, das passt eigentlich gar nicht mehr in unsere Zeit. Und naja, jetzt haben Amerikaner ein bisschen was lernen dürfen in den letzten Jahren. Also was Gesichtsverlust anbelangt, da sind wir inzwischen gut erprobt. Vier Jahre lang einer sehr schwierigen Administration. Und jetzt auch mal die Konfrontation wirklich zu erleben, dass das System, was so hochgepriesen wird, doch so fehlerhaft ist und so viele Probleme sind in unserer ganzen Art zu wählen und in unserem vollkommen eklatant erkennbaren Rassismus, der da immer noch herrscht. Das habe ich, als ich in Atlanta lebte, auch mit Freunden immer wieder. Ich habe gesagt, sagt mal, merkt ihr das nicht? Und da wurde mir ganz klar gesagt, nein, nein, das ist überhaupt nicht hier der Fall. Also ich habe das alles dort sehr gespürt und wahrgenommen. Und es war irgendwie, man durfte das nicht sehen, also existierte es nicht. Und jetzt ist so alles hochgekommen. Also unter Trump hat sich die ganze hässliche Unterseite unserer Gesellschaft mal wieder getraut, das gesamte Ausmaß dieser Ideologien zu zeigen. Ja, es ist Zeit zur Reflexion. #00:13:15-2#
Anne Wasmuth: Nehmen Sie das jetzt anders wahr? #00:13:17-2#
Marsha Cox: Ich lebe dort im Moment nicht, aber ich finde es zum Beispiel bezeichnend, dass meine Mutter, die, nach vielen Jahren in Deutschland lebend, dann wieder in ihr kleines Heimatstädtchen in Nord-Alabama zurückgekehrt ist, dass sie als jetzt mittlerweile, sie wird dieses Jahr 97, zum ersten Mal politisch agiert. #00:13:40-6#
Anne Wasmuth: Ja, Wahnsinn! Es ist nie zu spät. #00:13:43-0#
Marsha Cox: Nie zu spät! ...und auch gesagt hat: Das ist nicht das Amerika, das ich kenne und das ist nicht so, wie ich das möchte! Und es sind ja tatsächlich ganz verrückte Dinge, die da drüben passieren, wenn man sich überlegt - Also hier drüben sieht es immer so aus, als ob der Trump so eine Riesenzustimmung auch in der zweiten Wahl immer noch hatte. Das ist wohl so. Aber es ist halt ein ganz geringer Teil der Bevölkerung nur. Es ist ein ganz bestimmtes Areal der Bevölkerung nur. Und wir haben das Problem, dass diese Bevölkerungsteile, also zum Beispiel - ich kann jetzt die Zahlen nicht genau nennen - aber hat New York genauso viele Senatoren wie ein Staat im mittleren Westen, die einen viel geringeren Prozentsatz an Bevölkerung haben. Das heißt, die Repräsentanz stimmt in unserem Land nicht. Und was man mir halt auch schwer glauben kann, wenn man drüben keine Freunde hat und keine Familie hat, es ist ein grunddemokratisches Land. Und die meisten Menschen haben keinerlei Aktien in diesem Ruck nach rechts und in diesem Ruck nach - also sind weder rassistisch, noch sind sie in irgendeiner Weise, also nicht sozial eingestellt. Aber wir sehen halt einfach hier so das Spiel durch das Electoral Collage, wie es gewählt wird. Das ist alles eine ganz fürchterliche Sache. Und ich wünsche mir sehr, dass es zu meiner Zeit noch eine Änderung geben wird. Aber das wird nicht leicht sein. #00:15:12-0#
Anne Wasmuth: Sie sind in Niedersachsen geboren. Ihre Eltern sind beide Amerikaner, beide Künstler. Was beziehungsweise wie hat Sie das geprägt? #00:15:22-9#
Marsha Cox: Ja, also meine Mutter hat Musik studiert, sie war Pianistin, hat nie irgendwie jetzt Konzerte oder so gemacht. Es sollte eigentlich mehr dann in Richtung Unterrichten gehen. Mein Vater war Opernsänger und meine Eltern sind sehr früh nach Europa gekommen, in den 50er Jahren. Mein Vater hatte ein Stipendium bekommen mit dem Fulbright-Programm und hatte dann ein Engagement in Hamburg angeboten bekommen, an der Staatsoper, und in Kiel. Und damals war sein Spruch, und den habe ich mir auch immer wieder vor Augen geholt, er sagte: Ich bin lieber ein großer Fisch im kleinen Teich als ein kleiner Fisch im großen. Und die Entscheidung in Kiel zu starten war ganz klasse. Und wir sind dann eben in Braunschweig gelandet. Dort bin ich dann Jahre später geboren. Und um mich herum, also die Welt, in der ich aufgewachsen bin, war so, dass ich immer zweisprachig sprach. Also ich sprach weder Deutsch noch Englisch. Ich sprach beides gemischt und ich habe erst mit sechs Jahren wirklich gewusst, dass ich tatsächlich zwei Sprachen spreche, weil ein Teil der Familie, als wir dann in den USA das erste Mal waren und meine Großmutter nicht verstand, was ich sagte. Und dann wusste ich, wenn ich das sage, versteht sie es, aber wenn ich das sage, versteht sie es nicht. Ja, ich bin im Theater aufgewachsen. Ich hab meine ganze Kindheit auf der Seitenbühne verbracht, in der Gasse gestanden und im Theater gesessen. Ich war in Proben mit dabei. Ich war überall mit dabei. Es war eine wunderbare Zeit für mich. Wir sind alle - ich habe eine ältere Schwester, einen jüngeren Bruder. Meine Schwester hat Bühnenbild studiert und mein Bruder war Horn, also er ist auch Musiker. Und wir sind immer in den Theateraufführungen gesessen. Das war eine tolle Zeit. Und um uns herum viele Opernsänger, vorwiegend, aber auch Balletttänzer und auch Orchestermusiker, die in den Jahren in deutschen Theatern arbeiteten, aber zum Beispiel aus Südafrika stammten oder aus Australien. Viele aus den USA. Das waren so noch die Nachwirkungen vom Zweiten Weltkrieg, weil einfach eine ganze Generation Männer ja nicht überlebt haben. Und die, die es tatsächlich überlebt hatten, waren teilweise so geschwächt am Anfang, dass sie gar nicht singen konnten oder Instrumente spielen konnten. Das heißt, es wurde ganz viel Theater in den ersten Jahren gemacht mit viel ausländischer und internationaler Unterstützung. Und das war meine Kindheit und meine Jugend. War toll! Hat Spaß gemacht! #00:18:06-4#
Anne Wasmuth: Ja, Sie sind in Deutschland geboren, Sie haben hier viel Lebenszeit verbracht, aber eben auch in Amerika. Haben Sie diese Fragen nach den eigenen Wurzeln, von Herkommen, von Identität, hat das je eine große Rolle für Sie gespielt? Also Sie sprechen von Amerika von unserem Land und haben auch mal zu mir gesagt, ja, ich bin quasi auf der Durchreise entstanden. #00:18:33-0#
Marsha Cox: Also es ist so, dass dieses Gefühl von Heimat, da war ich immer ganz neidisch, wenn jemand sagen konnte, das ist meine Heimat, weil dieses Gefühl kannte ich nie. Also Heimat ist da, wo ich gerade bin und wo ich mich gerade hingesetzt habe oder niedergelassen habe. Und ich habe zwar einen starken Bezug zur deutschen Kultur, ich fühle mich auch in der deutschen Sprache wohler als in der englischen. Es gibt viele Themen, die ich im Englischen lieber mache, aber im Großen und Ganzen habe ich eine größere Ausdruckspalette im Deutschen. Und trotzdem bin ich nicht deutsch. Ich bin jetzt kein totaler Fremdkörper, aber ich gehöre nicht wirklich auch hierher. Und als meine Mutter nach vielen, vielen Jahren in Europa wieder nach Alabama zurückzog und ich dann anfing, diese Heimatstädte meiner Mutter und auch meines Vaters dann aufzusuchen und die Leute sich erinnerten an meinen Großvater und meinen Onkel kannten und wo dann auf einmal so ein Familienkontext da war, den ich nie erlebt hatte, da hat das was sehr vertrautes. Ich bin da auch nicht heimisch, aber es war einfach nochmal so eine ganz komische Vertrautheit, besonders halt in den Südstaaten. Das ist ganz komisch, es ist wirklich so. Und es ist ein bisschen makaber, aber der Ort, den ich am liebsten aufsuche, ist der Friedhof in der kleinen Stadt von meiner Mutter. Ich bin absolut kein Friedhofgänger, aber ich kann, wenn ich dort bin, es nicht vermeiden, dorthin zu gehen. Dann ist da mein Großvater und mein Urgroßvater und das ist irgendwie so ein Familienverband dann oder -verbund oder wie es heißt. Und da habe ich das Gefühl, dass da Wurzeln sind. Ist komisch. #00:20:32-6#
Anne Wasmuth: Ich kann das total gut verstehen. Also mein Vater und, meine Eltern sind totale Friedhofsgänger. Ich musste in Urlauben immer auf Friedhöfe gehen. Und wir haben da auch geschaut, wo kommen die Menschen her, weil noch ganz viel auf den Grabsteinen einfach drauf stand. Das ist jetzt leider einfach nicht mehr. Also, da verlieren wir auch viele Wurzeln. #00:20:53-8#
Marsha Cox: Das stimmt. #00:20:56-1#
Anne Wasmuth: Sie haben noch den amerikanischen Pass, leben in Deutschland. Ist das die amerikanische Freiheit, die Sie leben, dass Sie sich quasi auch nicht entscheiden, nicht festlegen, zwischen den Welten leben, Kontinenten? #00:21:11-5#
Marsha Cox: Das ist eine interessante Frage, weil mit der beschäftige ich mich immer wieder. Ich hab Freunde, die alle möglichen Passveränderungen durchgemacht haben. Erst waren sie Südafrikaner, dann waren sie Amerikaner, dann waren sie Deutsche, jetzt sind sie Engländer. Und ihr Selbstverständnis hängt irgendwo nicht am Pass. Ich hab auch erwogen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen und das ist auch im Moment, das schwebt noch in mir drin, aber durchgezogen habe ich es noch nicht. Ich weiß nicht warum, woran es liegt. Vielleicht doch an so einem Gefühl von Identität, ich weiß es nicht. Rätsel über Rätsel! #00:21:53-9#
Anne Wasmuth: Manches ist einfach so. Vielleicht ist es auch in Ordnung, wenn man sich da nicht entscheidet oder es gehört einfach zur eigenen Person dazu, dass es so ist. Das ist gerade, wenn die Familie verteilt ist. #00:22:11-6#
Marsha Cox: Das kann gut sein. #00:22:14-6#
Anne Wasmuth: Ihnen ist das Thema Stimme also förmlich in die Wiege gelegt worden. So haben Sie es erzählt. Würden Sie dem Satz zustimmen, Stimme ist Bestandteil unserer Persönlichkeit? #00:22:24-5#
Marsha Cox: Absolut, absolut! Die Stimme ist was Wunderbares. Wir äußern uns mit ihr, also was wir im Inneren haben, wird durch unsere Stimme in den Ausdruck gebracht und in den Raum geschickt. Und die Vibrationen der Stimme gehen ja auch in den Körper von anderen Menschen rein. Das heißt, manchmal mag man Stimmen und man mag manchmal stimmen nicht und kann gar nicht genau festmachen, woran das liegt. Das sind aus meiner Sicht Vibrationen und Frequenzen, die stimmig sind oder nicht stimmig sind für uns. Und mich hat es auch überrascht, dass das Thema Stimme in meinem Leben so wichtig wurde. Ich meine, ich war, wie gesagt, mein Vater als Opernsänger immer, immer von Stimme begeistert und großer Opernliebhaber und wirklich. Aber ich habe ganz spät erst erkannt, woran es eigentlich lag, dass ich so eine Faszination hatte. Ne Freundin hat mich gebeten, einen Kurs von ihr mal zu übernehmen, da war ich bei Siemens in Erlangen, und sagte: "Du, ich habe heute Abend einen Kurs zu unterrichten: Sprecherziehung. Du hast doch Schauspiel studiert, du kannst doch Sprecherziehung machen!" Mein Gott, wie soll ich das machen? "Keine Angst", sagt sie. "Guck dir das doch mal an! Ich muss dann zwei Kurse absagen, sonst könntest du die einfach übernehmen." Dann war ich in ihrem Training drin und habe gesagt, ja, also das kann ich auch noch. Es war also sehr viel artikulatorische Arbeit und sehr viel so Sachen, wie ich sie aus der Schauspielschule kannte. Und es ist erstaunlich, auch wenn man eine Weile davon weg war, es war doch etwas, was mir sehr klar war. Und dann merkte ich beim Unterrichten, ich habe dann die Kurse übernommen, nee, aber mich interessiert Artikulation gar nicht so. Die ist zwar wichtig und ganz besonders auch für die Bühne sehr wichtig, aber viel wichtiger ist für mich die Stimme, die die Worte trägt und hab dann angefangen zu gucken nach Trainingsansätzen, die mir gefallen würden. Und ich habe mich auch gefragt, was das ist mit diesem Phänomen Stimme, warum die so, was das so in mir auslöst. Und irgendwann mal, ich weiß nicht, da habe ich mich mit meiner Mutter drüber unterhalten. Dann sagte sie: Na ja, ist doch klar, was bei dir los ist. Dann sagte ich: Wieso? Sie sagte: Du warst ein Schreibaby! Und wir waren in Braunschweig in einer klitzekleinen Wohnung und ich habe dich den ganzen Tag versucht, ruhig zu kriegen und du hast und hast und hast dich einfach nicht beruhigen lassen. Und dann kam dein Vater abends nach der Vorstellung zurück nach Hause, ging die Treppe hoch, machte die Tür auf, ich hab dich hingestreckt, er hat dich genommen, hat dich auf seine Brust gelegt und dann haben wir uns unterhalten über die Vorstellung und über den Abend und du bist selig eingeschlafen mit der Vibration der Stimme deines Vaters. #00:25:12-4#
Anne Wasmuth: Das ist wunderschön, die Geschichte! #00:25:15-2#
Marsha Cox: Dass ich einen Knacks habe mit Opa ist klar, oder? Da muss man kein Psychologe für sein. Aber es war wirklich, das ist jeden Abend nach den Vorstellungen so passiert. #00:25:27-1#
Anne Wasmuth: Das ist ein total schönes Stichwort. Also nicht Baby, aber Kinder. Denn Kinder haben ja in der Regel ganz fantastische Stimmen. Also die wissen einfach auf eine ganz natürliche Weise, ihr Zwerchfell zu gebrauchen. Und ich hab jetzt fahrlässiger Weise keine Studie im Kopf. Es ist jetzt deshalb eine Behauptung: Kinderstimmen werden vor allem durch uns Erwachsene verkorkst, also durch zu tiefes Singen, Fixierung auf Rhythmus und das ewige "Psssst, nicht so laut. Sprich leiser!" und so weiter, also ein Festnageln in der Bruststimme. Stimmt das, dass wir häufig einfach nur unsere eigene natürliche, gesunde Stimme verlernt haben? Oder ist das Quatsch? #00:26:09-6#
Marsha Cox: Ich bin jetzt auch kein Phoniater. Ich kann das jetzt nicht mit hundertprozentiger Gewissheit sagen. Mein Empfinden da ist aber, dass wir - Also Stimme ist etwas, was angelegt ist. Wir haben also einfach ein Organ und da gibt's bestimmte Dinge, die vorgegeben werden, die Dicke und die Länge. Und ist es eher eine hohe Stimme, ist es eher eine dunkle oder eine warme Stimme? Das sind auch Sachen, die sind zum Teil einfach vorgegeben. Und dann haben wir natürlich auch, wir lernen auch das Muster unserer Eltern. Das heißt, wir nehmen Stimmmelodien ab und die Art zu sprechen ist oftmals in einer Familie, wird weitergegeben, außer man setzt sich jetzt bewusst dagegen und will auf keinen Fall so klingen wie seine Mutter oder so. Dann kann es sein, dass man einen anderen Weg findet. Es gibt auch übrigens kleine, es gibt auch Kinderstimmen, die schon Probleme haben, die also mit irgendwelchen Funktionsstörungen da sind, die auch bearbeitet werden müssen. Aber was die halt meistens haben, ist noch so ein gesundes Gefühl von, ich habe einen Impuls, ich will was sagen, ich will jetzt den Keks und zwar sofort. Und dann sagt man, ich will jetzt den Keks, und dann sagt die Mutter, nicht in diesem Ton. Und das Kind lernt immer wieder, okay, wenn ich bekommen soll, was ich haben möchte, muss ich das auf eine ganz bestimmte Art und Weise drosseln, formulieren, ich muss mich verändern, das heißt, ich unterdrücke immer mehr so ursprüngliche Impulse. Das ist ein ganz normaler Prozess beim Sozialisieren, denke ich. Aber das ist tatsächlich ein Grund, warum Stimme oftmals auch so, ja, da schwingt immer so ganz viel mit. Also in meiner eigenen Ausbildung, ich habe die Ausbildung gemacht in der englischen oder amerikanischen Tradition damals noch. Das war relativ einfaches. Viel Singen und so. In der Schauspielschule in Deutschland war sehr viel Rolf Aderhold und Coblenzer Muhar, gute Sachen mit dem Atem, aber auch sogar noch, Der kleine Hai war noch vertreten und so Zeug. Den Ansatz, den ich jetzt unterrichte, der ist eher ein ganzheitlicher, der wirklich die Psychologie auch, dieses Blockieren von unseren Impulsen mitbearbeitet, dass ich lerne, wieder loszulassen, zu mir zu stehen, authentisch zu sein, auch meine Wünsche äußern zu dürfen, um wieder frei Zugang zu meiner Stimme und zu meinem Atem zu bekommen. Ist ein anderer Ansatz. #00:28:39-4#
Anne Wasmuth: Ist das dann der Ansatz von Kristin Linklater? #00:28:43-3#
Marsha Cox: Das ist der Ansatz von Kristin Linklater. #00:28:45-0#
Anne Wasmuth: Die taucht zum ersten Mal 1998 bei Ihnen auf. Wer ist das? Erzählen Sie uns einfach. #00:28:53-9#
Marsha Cox: Kristin ist eine wunderbare Lehrerin gewesen. Sie ist letztes Jahr viel zu früh gestorben, was einen großen Ruck in all den Trainern, die wir weltweit sind, in uns ausgelöst hat. Kristin war so eine Urgewalt. Sie ist selber Schauspielerin gewesen, ausgebildet in England, in London und hat von ihrer Lehrerin dort ein ganz interessantes System an Übungen. Also System ist vielleicht, sie würde mich hauen, wenn ich das sagen würde. Es sind bestimmte Übungen, die uns pö a pö a pö a pö immer freier machen sollen, sodass der Impuls, etwas zu sagen, sofort umgesetzt werden darf und in Stimme und Äußerungen geht. Und ich hab mit Kristin angefangen zu arbeiten 1998, da war sie, glaube ich, einmal schon in Deutschland gewesen. Sie war hergeholt worden von einer Körperpsychotherapeutin, die ihre Arbeit durch irgendein Buch kennengelernt hatte. Und Kristin war jedes Jahr in Deutschland und hat uns, also ich bin komplett von ihr Ausgebildete. Ich bin also keine zweite Generation, sondern ich bin wirklich immer noch, wie wir sagen, von the horse´s mouth, direkt vom Urgestein. Sie hat vielen, vielen Schauspielern geholfen. Sie hat auch mit ganz vielen berühmten Schauspielern gearbeitet. Auch noch bis zum Tod mit Alan Rickman und Keanu Reeves. Das sind alles Leute, die auch zum Teil eben stimmliche Themen hatten und einfach blockiert waren in ihrem Ausdruck und da ist diese Methode wahnsinnig, wahnsinnig gut. Ganzheitlich, sehr eigen, aber sehr methodisch aufgebaut. #00:30:48-4#
Anne Wasmuth: Geben Sie mir mal ein Beispiel, dass ich mir das konkreter vorstellen kann. #00:30:53-4#
Marsha Cox: Wir fangen erst mal an, überhaupt darüber zu sprechen, wie es überhaupt kommt, dass man spricht, was das erste ist, was da passieren muss, damit man spricht. Und dann lernen wir den Zusammenhang zwischen Nerven, Nervenbahnen und Impulsen der Atmung. Und dann gucken wir, was ist ein freier Atem? Was ist ein natürlicher Atem? Wie äußert sich das, wenn ich wirklich loslassen darf, großzügig sein darf, verschenken darf? Und wir arbeiten eigentlich gar nicht so sehr mit einer Atemtechnik, sondern wir machen uns den natürlichen, entspannten Atem zu eigen und atmen. Also zum Beispiel ist unser Atem ein losgelassener, ein ganz einfaches Ding, was loslässt. Anders als beim Sänger, der lange Phrasen machen will. Das müssen wir als Sprecher nicht unbedingt. Und dann suchen wir die Berührung, wo uns die Stimme im Körper berührt. Wir gehen also weg vom Hören und mehr hin zum Fühlen und wir fangen mit so einem Urlaut an, der ganz einfach ist. Hah! Das ist was ganz einfaches. Unmittelbar, ganz direkt, Verbindung von Gedanke, Atem, Körper und Stimme. Und dann bauen wir darauf auf. Wir verlängern die Impulse, wir arbeiten mit Summen. Ganz toll an der Arbeit ist, wir arbeiten ganz dezidiert mit dem Stimmkanal, also Kiefer, Zunge, weicher Gaumen. Das sind Übungen, die sind also für mich das Filetstück unserer Arbeit. #00:32:30-4#
Anne Wasmuth: Ich glaub, mein Hund bellt dazwischen. Der arbeitet auch an seinem Stimmkanal. #00:32:31-0#
Marsha Cox: Der kennt das alles schon. Also Kieferlockerungsübungen, Summen, Entspannungsübungen, ganz, ganz praktische Sachen. Und dann gehen wir, da wir davon ausgehen, dass wir drei bis vier Oktaven Sprechstimme auch zur Verfügung haben, arbeiten wir mit allen Resonatoren, die uns im Körper zur Verfügung sind. Und dann geht's in die hohe Energie. Das heißt, wir brauchen auch die Höhe der Stimme, das heißt, wir brauchen mehr Atemkapazität. Und erst dann fangen wir an mit Artikulation. Dauert also eine ganze Weile. #00:33:09-0#
Anne Wasmuth: Ah, okay, das heißt, ich muss mich erst mal völlig enthemmen, eigentlich. #00:33:14-1#
Marsha Cox: Richtig. Es ist ein Sichbewusstmachen der Muster, die ich habe, mich frei von diesen konditionierten Einschränkungen zu machen und wieder in direkten Kontakt zu kommen mit meinen eigenen Gefühlsimpulsen und Gedanken. Atem ist natürlich das Wichtigste. Was ich so schön finde an der Arbeit, ist, dass es immer darum geht, nicht schön zu tönen, sondern die Wahrheit zu sagen, dass die Stimme auch das sagt, wie es mir wirklich geht. Wenn ich möchte, dass man mir das nicht ansieht oder anhört, dann habe ich Techniken, das zu verändern, aber im Großen und Ganzen, es ist ein Werk für Schauspieler, aber es ist nicht nur für Schauspieler. Man kann wirklich, ich arbeite da mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen. Ich variiere dann ein bisschen die Techniken, wie ich unterrichte, weil Schauspieler wollen da immer ein bisschen weitergehen, ein bisschen tiefer graben, ein bisschen mehr über sich erfahren und so. Die meisten Menschen, die ein bisschen limitiertere Ausdrucksstärke suchen, vielleicht falsch gesagt, aber die sich nicht so zeigen müssen, die suchen vielleicht eher mehr nach Kontrolle und nach, wie kann ich die Stimme einsetzen, dass sie nicht geschädigt wird. Und das kann man mit der Methode wunderbar machen. Ist ein wunderbares Geschenk, was ich sehr spät erst bekommen habe, diese Technik. #00:34:41-3#
Anne Wasmuth: Aber was Sie seitdem so intensiv begleitet. Und wie gesagt, ich glaube, das ist sehr prägend, wenn man auch so zur ersten Generation der Trainer in Deutschland gehört. Und stellen wir uns vor, ich wäre bei Ihnen im Kurs. Wie bekämen Sie es hin, dass ich Sie bei Übungen nicht nur nachahme, sondern dass ich zu meiner eigenen Stimme finde? Weil das stelle ich mir gar nicht so einfach vor. #00:35:11-4#
Marsha Cox: Ja, wobei, das ist eigentlich gar kein Thema, weil ich natürlich, wir arbeiten im Dialog, also ich mache sicherlich auch etwas vor, weil das Gefühl, es überträgt sich ja auch etwas. Also ich nehme zum Beispiel auch Sachen auf, die im Raum sind. Ich merke, wenn Verspannungen im Nacken bei jemanden sind. Ich sehe es oder fühle es, ich weiß es nicht. Aber ich spreche das auch an. Und ich verhindere schon, dass man - also mich imitieren, das geht gar nicht. Nein, man muss seine eigene Stimme finden und den eigenen Weg zu dieser Stimme finden. Und das wird in den einzelnen Schritten durchaus so praktiziert. Also imitiert werden darf nicht. #00:35:49-0#
Anne Wasmuth: Das heißt, Sie haben schon festgestellt, ich buche bei Ihnen einen Kurs und man sagt ja, dass, wer eine tiefere Stimme hat, der wirkt seriöser, vertrauensvoller, kompetenter. Ich bin in der Hinsicht leider ein totaler Sprechsopran. Und Sie haben gesagt, das wird einem zum Teil ja auch einfach mitgegeben mit der Geburt. Könnte ich sowas lernen, auch mit meinem Sprechsopran zu überzeugen oder eben meine Stimmlage tiefer zu machen? #00:36:20-9#
Marsha Cox: Ja, aber ich würde das gar nicht wollen. Sie sind für mich kein Sprechsopran. Sie haben zwar nicht Zugang zu all den Resonanzbereichen ihrer Bruststimme, das liegt wahrscheinlich an Körperverspannungen oder festgehaltenem Atem oder irgendetwas in diese Richtung. Ich vermute eher Muskeln. Ich vermute es sind Muskeln, die ein bisschen hier den Bereich blockieren. Aber wir brauchen ja verschiedene Register. Ich sag jetzt mal Register. Wir brauchen verschiedene Tonalitäten. Wir brauchen eine entspannte, ruhige Stimme, um beruhigen zu können, souverän ein Statement zu machen. Wir brauchen aber durchaus auch eine Stimme in der Mitte, die sagt, jetzt setz dich endlich hin, jetzt mach endlich, was ich sage. Also wir brauchen auch so eine Autoritätsstimme. Die ist ein bisschen höher, die benutzt auch andere Resonanzbereiche. Und dann haben wir natürlich die hier, die sich freut, wenn irgendwas Tolles passiert. Und wenn ich das hier unten machen würde, wäre das vollkommen falsch. Das heißt also, ich brauche die Höhe, ich brauche die Mitte - die Mitte ist immer so die purste Stimme. Das ist die Stimmlage entsprechend, die mich am meisten enthüllt. Und, Sie sind ja Sängerin, Sie wissen, die Mittellage im Singen ist, die am meisten zeigt über wie gesund meine Stimme auch ist. Die muss ich kultivieren. Und es gibt nichts schlimmeres als jemand, der versucht, im Brustton der Überzeugung einfach zu tief nach unten zu drücken. Das klingt nicht echt, dem glaube ich auch nicht. Sondern es braucht alle Teile unserer Stimme. Wir müssen da viel offener sein, der Stimme einfach den Weg lassen, sich die eigene Resonanz zu suchen für dieses Gefühl oder für diesen Gedanken, den sie äußern will. #00:38:11-5#
Anne Wasmuth: Vielleicht auch nicht so selbstkritisch sein. #00:38:14-4#
Marsha Cox: Ganz schön, ja! #00:38:16-3#
Anne Wasmuth: Nur in diesem kurzen Mini-Workshop merkt man, wo meine Baustellen sind und gleichzeitig, wie viel man bei Ihnen lernen kann. Das ist total schön! Wie lange, und ich versuche jetzt mal, von mir ein bisschen abzulenken, wie lange braucht es, wenn man mit Stimme arbeitet, damit man merkt, da passiert was? Also auch bei einem Schauspieler oder wenn ich das eben für den Beruf brauche. Wie lange ist so ein Weg? Oder ist der lebenslang? #00:38:48-0#
Marsha Cox: Im Prinzip ist der lebenslang. Aber das ist natürlich nur für Leute, die es wirklich wissen wollen. Aber das Problem bei Stimmarbeit ist - was heißt Problem? Es ist ein Unterschied, ob ich etwas weiß oder etwas kann. Ich kann ganz viel wissen über die Theorie, wie die Stimme zu klingen hat. Ich kann ganz viel wissen über Stellknorpel und, schieß mich tot, und Atem. Ich kann alles Mögliche wissen. Wenn ich es nicht umsetzen kann, bleibt es theoretisch. Die Frage, die ich immer stelle, man sagt mir oft, ja, wie lange muss ich das denn noch machen, bis die Stimme sich verändert? Dann sag ich: Ja, jetzt lass mal überlegen. Wenn du einen Tanzkurs buchst, was erwartest du nach sieben Wochen einmal in der Woche zwei oder drei Stunden Unterricht? Was erwartest du? Grundschritte, ja, kriegst du hin. Du wirst bestimmt noch, jetzt wenn es ein Tango-Kurs ist, noch keine Wettbewerbe, Milongas und so mittanzen können. Das ist einfach noch nicht so weit. Und das gleiche ist bei der Stimme. Die Kristin hat immer gesagt, das geht relativ schnell, du brauchst nur etwa 4000 bis 5000 Stunden. Und dann haben wir immer gesagt, ja, danke für das Gespräch, weil wann soll man das denn alles machen? Also, ich kann sagen, meine Stimme hat sich im Training mit ihr sehr verändert. Ich habe vier Jahre intensiv bei ihr gearbeitet. Ich habe dann auch noch zwei Jahre die Ausbildung ganz intensiv gemacht. Das erste war ja nur, erst mal Workshops belegen und Trainings absolvieren, dann war ich die anderen Jahre auch noch ganz viel und lange ihre Simultanübersetzerin in Kursen in Deutschland und dann die Ausbildung selber, das war noch mal richtig heftig. Das war mit das härteste Training, was ich in meinem Leben jemals absolviert habe. Und das ging über zwei Jahre und da war nochmal eine große Veränderung zu spüren. Aber ich werde älter, ich habe Stress oder ich habe Sorgen, das macht etwas mit meiner Stimme. Das ist kein Ding, was einmal poliert ist und dann bleibt es so, sondern da muss man immer wieder gucken. Und Frauen haben ja auch hormonelle Themen, wenn man älter wird, da verändert sich die Stimme noch mal. Männer im übrigen auch. Also, das heißt, man kann da immer weiter dran arbeiten, wenn man immer wieder sucht, wer bin ich jetzt gerade. Weil die Stimme ist für mich, das ist ein Spiegelbild von meiner Seele, wer ich bin und was ich fühle. Das zeigt meine Stimme eins zu eins. #00:41:22-2#
Anne Wasmuth: Da haben wir ganz viel über Stimme geredet. Jetzt müssen wir mal zu Ihren Schauspieltrainings kommen. Da fällt immer sehr häufig ein anderer Name, nämlich Sanford Meisner. Das ist ein Name, der muss, denke ich, nicht gleich bekannt vorkommen. Vielleicht Konstantin Stanislawski. Den Namen haben vielleicht schon mehr gehört. Oder Lee Strasberg. Da klingelt es bei noch mehr Menschen. Den Namen kennen wir aus einer Vielzahl von Schauspielerbiografien, in denen das New Yorker Actors Studio vorkommt. Strasberg wie Meisner beziehen sich auf Stanislawski. Sie haben auch gemeinsam gearbeitet. In der Folge aber unterscheiden sie sich. Auch hier die Frage, was verbirgt sich hinter der Meisner´ Technik und wie unterscheidet sie sich von Strasberg´s method acting? #00:42:10-9#
Marsha Cox: Das ist eine spannende Sache und es ist auch schon viel drüber geschrieben worden. Die zwei waren wirklich begeistert von Stanislawski, als der mit seinem Moskauer Theater durch die Lande tinggelte, auch USA besuchte. Und man hat sich auch mit ihm getroffen, man hat mit ihm gesprochen. Und er hat so seine seine Trainingsansätze und seine Ideen frei auch ausgetauscht mit den amerikanischen Theatermachern. Die waren nämlich auf der Suche nach etwas Neuem. Mit Aufkommen der Psychologie musste das Theaterspiel sich verändern. Auch mit Aufkommen des Naturalismus musste das Theaterspiel sich ändern. Es war früher so, entweder man hatte Talent oder man hatte keines und wenn man eins meinte zu haben, dann ging man zu irgendeinem Lehrer und der sagte: "Pass auf, wenn du das machst, dann stellst du dich so hin und dann sagst du den Satz in die Richtung und ziemlich laut." Das war sehr viel einfacheres Theater. Ich übertreibe und bin sicherlich sehr ungerecht, gerade, ich meine, es gab natürlich auch Sarah Bernhardt und Duse und die schon in andere Richtungen auch sich noch mit hineinbewegten. Aber mit Aufkommen der Psychologie wurde es einfach notwendig, dass man anders spielt. Und Stanislawski ist eigentlich der erste, der gesagt hat, dass man Schauspiel tatsächlich lernen kann. Und dann gab es eben diese Gruppe in New York, Strasberg. Da war die Stella Adler dabei, da war der Sanford Meisner dabei, da war der Clurman dabei. Später dann auch noch die Uta Hagen. Die alle meinten, Stanislawski richtig verstanden zu haben und interpretiert zu haben. Und jeder kaprizierte sich da auf bestimmte Anteile. Die Stella Adler ist ihm dann nochmal nachgereist und hat noch mal ein bisschen länger mit ihm gearbeitet und kam dann zurück und sagte zum Sanford Meisner, wir zwei haben recht und der Strasberg hat nicht recht. Und bei Strasberg war es so, Strasberg hat das Actors Studio einfach übernommen, in dem alle gearbeitet hatten und hat sehr viel mit einem Aspekt gearbeitet. Ich habe selber auch method gelernt, ich habe method auch gelernt. Und muss sagen, es ist ein tolles System von Übungen. Es arbeitet wahnsinnig schön an allen Sinnen, die wir Menschen als Schauspieler gut beherrschen können sollten. Und dann kommt es an einen Punkt, das nennt sich dann die Übung mit dem affektiven Gedächtnis, also die Erinnerungen an Dinge, die ich herhole, um bestimmte Empfindungen auf der Bühne zu spielen. Und da ist das Risiko eben drin begraben. Ich fand die Arbeit klasse, ich habe sie wahnsinnig gerne gemacht, aber man wird ein bisschen verrückt, weil es eine ganz große Nabelschau ist. Und es ist ziemlich viel Selbstzerfleischung auch zum Teil drin. Man arbeitet teilweise auch vollkommen in einem luftleeren Raum, bezieht auch den Partner nicht ein, man substituiert die teilweise. Der passt mir nicht, der sagt nicht, wie ich das haben will, also denke ich es mir anders. Man ist da sehr in einem eigenen System. Und da hat die Stella Adler schon angefangen, in andere Richtungen reinzugehen. Und die Uta Hagen ebenfalls. Die haben dann eher Situationsübungen geschaffen, mit denen man arbeiten kann. Und jetzt zu Sanford Meisner: Für ihn wurde es so, dass er sagte, es geht überhaupt nicht ums Gefühl. Pumpe keine Gefühle, weil Gefühle sind nicht verlässlich. Du kannst dich nicht drauf verlassen, dass du dich da reinsteigerst und dann hast es, sondern er sagt, Gefühle kommen, das sind Nebenprodukte, das sind Geschenke für einen Schauspieler. Wenn du deine Aufgaben verfolgst, die du als deine Figur auf dieser Bühne erledigen musst, wenn du, jetzt mal als Beispiel, was weiß ich, Jago, dann hast du bestimmte Dinge. Du willst versuchen, den einen von einer Sache zu überzeugen, du willst versuchen, den anderen von einer Sache zu überzeugen. Wie verfolgst du dein Ziel? Wie kommst du dahin? Welche Mittel verwendest du? Also, es geht nie darum, ich bin jetzt der böse Jago und ich bin jetzt böse böse, weil ich eifersüchtig bin und missgünstig bin und bin. Also diesen Seinszustand zu spielen ist absolut nicht meisner-typisch, sondern wir gehen immer ins Handeln. Das ist immer so schwer, jungen Schauspielern oder Leuten, die zum ersten Mal mit Theater zu tun haben, das zu erklären: Wenn ich böse bin, sauer bin als Mensch so zu Hause, woran erkennen das die anderen? Was tue ich? Ja, entweder ich schlage die Tür zu oder ich trete meinen Hund oder ich setze mich in eine Ecke und verweigere jedes Gespräch oder was auch immer. Ich tue etwas. Und beim Meisner ist es so, er sagt eben, die Qualität deines Schauspiels hängt von der Realität deines Tuns ab. Also je mehr du etwas wirklich tust und dein Ziel wirklich auch verfolgst und weißt, wo du gerade bist, wenn du messen kannst, habe ich mein Ziel schon erreicht, oder wie nahe bin ich daran, es zu erreichen oder wie weit davon entfernt bin ich noch, das zu erreichen? Woran erkennst du das? Immer an deinem Partner, immer an deinem Gegenüber. Und deswegen hat der Übungen entwickelt. Die sind am Anfang sehr frustrierend. Und das ist eingeplant, weil das das Element ist, was das Resultat bringt, diese sogenannten Repetition oder Wiederholungsübungen, wo man sich gegenübersitzt und nur sagt, was als erstes ins Gesicht kommt, was man zuerst sieht, das erste, was man wahrnimmt. Und dann bauen sich diese Übungen darauf auf. Der Grund dahinter ist, den Kopf immer mehr auszuschalten und immer wieder weiter auf das instinktive Gefühl, auf meine Impulse wieder zurückgreifen zu können, auf mein Herz, auf meine Intuition. Und immer beim Partner zu sein. Der Partner auf der Bühne sagt mir immer, was die Stunde geschlagen hat, wo ich mich gerade befinde. Und das ist eine tolle Arbeit. Und es ist das schöne, Linklater und Meisner haben da viele, viele Parallelen. #00:48:55-9#
Anne Wasmuth: Für mich hört sich das so an, als wenn das einerseits auf Dauer gesünder ist, dieses Verfahren, und auch für die eigene Familie das verträglichere Verfahren, wenn ich den Jago sozusagen auf der Bühne lasse. Wie machen Sie das dann bei Monologen, wenn ich keinen Partner habe? #00:49:16-0#
Marsha Cox: Ein Monolog ist ja auch ein Gespräch. Da ist einer. Da ist entweder ein imaginierter Partner dabei, es ist entweder eine Situation, die dann mein Partner ist, oder es ist ein Stuhl, über den ich mich gerade auslasse, oder ich spreche mit dem Publikum. Also Soliloquys oder Monologs, das sind ja trotzdem noch Gespräche und da ist immer noch jemand mit dabei. Es kann auch ein Zwiegespräch mit mir selber sein. Das ist sogar ein Teil der Arbeit bei Meisner, das sind wunderschöne, das sind fast wie kleine Dramolett. Das sind so Monologe aus einem Werk eines amerikanischen Dichters, Edgar Lee Masters, der Epitaphe geschrieben hat von Leuten in einem fiktiven Städtchen, die gestorben sind und die sind Monologe dieser Toten. Die sagen entweder, wie sie gelebt haben, ob sie glücklich oder unglücklich waren, wie sie gestorben sind, was ihre Ziele waren und so. Wunderschöne Texte. Die habe ich sogar schon mit Leuten aus dem Bildungszentrum szenisch aufgeführt. Und das sind immer wieder Auseinandersetzungen mit entweder einer Sache oder einem Verflossenen, der untreu war oder Verrat oder irgendwie so einer Sache. Also, das ist kein Problem bei Meisner. Da sind Monologe genauso gut machbar. #00:50:33-8#
Anne Wasmuth: Die coachen Menschen, die ihr Wissen für einen beruflichen Kontext außerhalb eines Tages brauchen, aber eben auch die Menschen, die auf einer Bühne stehen oder einmal stehen wollen. Das heißt, aus dem Schauspielkontext kommen Auftritt in Beruf oder Schauspiel. Wo ist der Unterschied? #00:50:52-2#
Marsha Cox: Also im Beruf, wenn man also quasi Präsentationen machen muss oder so, da bin ich zwar auch in einer Rolle, weil ich bin in dem Moment in der Rolle des Präsentierens oder ich bin in der Rolle des Überzeugens. Ich habe also auch eine Art Rolle. Aber die gegebenen Umstände sind deutlich näher an meiner Realität. Wenn ich auf der Bühne bin, bin ich in einem anderen Stück, in einer anderen Zeit vielleicht, in einer anderen Welt und hab da, da muss ich mehr noch machen als nur den Text gut bringen. Ich muss zum Fürsprecher meiner Figur werden, ich muss verstehen, woher die Motivationen kommen. Ich muss verstehen, warum diese Figur morgens aufsteht und warum sie will, was sie will. Also ich muss da ein bisschen bewusster dran gehen als im geschäftlichen Kontext. Ein bisschen anders. #00:51:49-6#
Anne Wasmuth: Gerade in dem Kontext, bei Präsentationstrainings und so weiter, ist häufig die Rede von Authentizität. Was für eine Bedeutung hat das für Sie in Ihrer Arbeit? Wie würden Sie das definieren oder auch im Verhältnis zur Rolle? #00:52:06-8#
Marsha Cox: Also im Theaterkontext ist es das A und O. Glaubhaftigkeit, Wahrhaftigkeit, das ist das A und o. Ich kann immer nicht nachvollziehen, wenn manche Schauspieler sagen, ich habe einen tollen Beruf, ich muss nur lügen. Weil es ist nicht Lügen. Im Gegenteil. Es ist eine, ja, ich weiß, ich bin ja nicht verrückt, ich weiß, es ist eine fremde Person, eine andere Person, die ich spiele, aber es ist meine Aufgabe, sie so glaubhaft und wahrhaftig wie nur möglich rüberzukommen. Und ich sag immer jungen Schauspielern, die dann sagen, ja, aber wer bin ich jetzt eigentlich? Ich sag, jetzt stell dir mal die Frage, also du sprichst, du bist jetzt gerade in einem Stück, das ist England, also das kannst du jetzt zu Hause nicht so, weil du wohnst in Heroldsbach, das kann's nicht sein! Also dann bist du im Moment in einer Rolle drin. Aber wenn dein Kopf jetzt juckt und du kratzt dich, wessen Hände kratzen dich da gerade? Sind es die von Otello oder Jago oder sind es deine? Und natürlich sind es immer die eigenen Hände, die da den Juckreiz lindern. Wir wissen, dass wir nicht Jago oder Maria Stuart oder wer auch immer, sind wir nicht. Und trotzdem ist es, steigen wir so wahrhaftig wie nur möglich ein. Also authentisches Verhalten ist auf der Bühne für mich das A und O. Es ist für mich auch im stimmlichen Kontext das A und O. Ich möchte die Wahrheit hören. Und wir wissen immer, traue ich jetzt gerade, was ich da höre? Traue ich dem oder traue ich dem nicht? Und da ganz viel hat es einfach auch mit, wie offen und durchlässig diese Person ist. Und jetzt im Präsentationskontext: Ich versuche, Leuten Werkzeuge an die Hand zu geben, sich zu trauen, mehr zu sich selber zu stehen, wirklich auch zu sagen, ich muss nicht everybodys darling sein. Ich habe eine Absicht, ich möchte die Leute überzeugen von einer Idee oder ich möchte etwas vermitteln, was mich interessiert und ich möchte, dass sie eine gute Zeit mit mir verbringen, wenn ich da bin, um etwas zu zeigen. Und ich traue mir zu, authentisch zu sein, wer ich bin. Ich muss mich nicht immer klein machen und Angst davor haben, dass irgendeiner beurteilen wird, wie das jetzt nun war. Das muss er nicht. Also ich versuche da, Leute zu unterstützen. #00:54:28-9#
Anne Wasmuth: Es heißt immer, unsere Gesellschaft wird diverser, es wird viel über Identität gesprochen. Schlägt sich das auch so in Ihrer Arbeit wider mit den Themen auch oder mit den Menschen, die zu Ihnen zu den Trainings kommen? Dass sie sich eben dann eher trauen, zu sagen, okay, ich bin jetzt authentischer. #00:54:48-4#
Marsha Cox: Also, ich habe das Gefühl, dass die Leute, die den Weg in meine Trainings finden, meistens Menschen sind, die schon ein bisschen leben, gelebt haben. Und ich sage es mal mit Goethes Worten: Wo nicht alle Knaben-Blütenträume gereift sind. Also wo nicht alle Erwartungen in Erfüllung gegangen sind, nicht alle Hoffnungen Blüten geschlagen haben, sondern wo man sagt, ohh, ist das jetzt wahr, ist das mein Weg, muss ich mich jetzt immer so weiter mit damit arrangieren? Also Leute, die ein bisschen auf der Suche sind, habe ich das Gefühl, sind die, die bei mir ihren Weg hin finden. Und da ist immer die Frage, was habe ich noch zu verlieren? Ich bin unglücklich, wo ich bin, wie ich bin. Was habe ich jetzt noch zu verlieren? Ich kann jetzt entweder so weitermachen oder ich sage, ich probier jetzt mal ein neues paar Schuhe an. Und ich versuche immer im Training, so einen Raum zu schaffen, wo man sich miteinander traut, ein neues Verhalten auszuprobieren. Und was ich so schätze an den Kursen am Bildungszentrum: Ich kriege ja da wirklich eine unheimliche Mischung an Menschen zusammen. Das Gefühl, besonders in - auch in den Theaterkursen ist das so -, aber auch in den Kursen vom Souveränen Auftreten, da habe ich ja alle möglichen Module noch dazu geschaffen, die Gruppen finden sich immer und haben das Gefühl, dass das die beste Gruppe ist, mit der sie je zusammengearbeitet haben. Das heißt, das finde ich toll. Das ist ein Zeichen für mich, dass sich Leute öffnen und dass sie sich austauschen und dass man sich in seiner eigenen Menschlichkeit wieder spürt und auch dadurch anderen mehr Raum lässt. Und ich bin da immer sehr, sehr glücklich in den Trainings. #00:56:41-9#
Anne Wasmuth: Ich glaube, die Teilnehmer auch. Also die Feedbacks, die ich lese, sind immer... #00:56:46-8#
Marsha Cox: Sehr schön. #00:56:48-4#
Anne Wasmuth: Da ist das Herz der Planenden sehr glücklich. #00:56:53-1#
Marsha Cox: Das freut mich. #00:56:54-5#
Anne Wasmuth: Ja, das ist jetzt ein bisschen, nicht ein Themenwechsel, aber trotzdem schwierig. Ich kann es jetzt einfach nur so überleiten, wie ich's überleiten kann. Unter dem Motto "Wir sind schon da" und dem Hashtag "achtout" ist Anfang Februar eine Gruppe von 185 Schauspieler*innen mit einem Manifest an die Öffentlichkeit gegangen, um eine Debatte anzustoßen. Worum geht es? Es geht um die Anerkennung unterschiedlicher sexueller Orientierung, um mehr Sichtbarkeit in Film und Fernsehen, andere Rollen und Drehbücher, mehr Phantasie bei der Besetzung. Hintergrund sind viele, viele bittere Erfahrungen, die gemacht wurden. Da wurde von Agenten gewarnt: "Zeigt dich nicht auf dem roten Teppich mit dem Menschen, den du liebst. Du wirst sonst nicht mehr als Mutter, als Liebhaberin eines Mannes oder liebender Ehemann gebucht." Also Druck von außen, Karrierenachteile. Und in dem Manifest heißt es: "Wir sind Schauspieler*innen, wir müssen nicht sein, was wir spielen, wir spielen, als wären wir es. Das ist unser Beruf." Tatortkommissarin Ulrike Folkerts hat das treffend beschrieben. Heterosexuelle erhielten Preise für die Darstellung von Homosexuellen. Da heißt es dann, wie mutig, und, dass der oder die sich das traut, sagt sie. Ich bin ja auch nicht Polizistin, spiele aber eine Kommissarin. Die Debatte ist da und mit ihr auch die Forderung, queere Rollen nur mit queeren Menschen zu besetzen. Eine Debatte, die in ihrer Zuspitzung so ist, dass dein Gefühl ist, okay, egal wie ich mich äußere, es kommt falsch rüber - der Shitstorm ist in den Startlöchern. Wie geht es Ihnen dabei? Unter Kolleg*innen, mit denen Sie an Kunst und Kultur arbeiten? Ist das da Thema oder, beziehungsweise, ein unbefangenes Sprechen darüber möglich? #00:58:45-6#
Marsha Cox: Das Thema ist mir natürlich bekannt und ich hab, ich muss ganz ehrlich sagen, also darüber mich mit Kollegen und Kolleginnen eigentlich noch nie ausgetauscht, weil, ich weiß nicht warum. Vielleicht ist es für uns weniger ein Thema als, ich weiß es nicht. Ich habe es also noch nicht ausgetauscht. Es kam gelegentlich mal in einem Training hoch, ob es okay ist, Leute zu fragen, woher sie kommen und so. Da hatten wir ja auch schon mal drüber gesprochen. Aber ansonsten, ich finde auch, Schauspieler müssen alles spielen können. Und ich bin aber auch der Ansicht, dass gut ist, dass wir uns mit unseren eigenen Befangenheiten auseinandersetzen und auch sehen, wo habe ich möglicherweise Berührungsängste oder wo habe ich den Bedarf, ein bisschen die Sachen für mich zu klären? Womit gehe ich gut um und womit gehe ich nicht so gut um? Ich glaube, also es wäre ein Fehler zu sagen, es können nur noch queere Leute queere Leute spielen und es können nur noch, also was weiß ich, große Menschen große Menschen spielen und das wäre für mich eine Überspitzung und das wäre falsch für mich. Also ich sehe das nicht so. Das ist so, auch die Frage eben der Übersetzung von dem Gedicht von Gorman. Die Frage, darf ich das übersetzen, wenn ich nicht kulturell der amerikanisch-schwarzen Kultur mich auskenne? Ja, ich darf, finde ich. Weil wo fangen wir an und wo hören wir auf? Also, wenn ich jetzt zwischen Bremen und Fürth unterscheide - ich übersetze ja auch Bücher. Ich spiele ja auch Rollen von Leuten, die aus einer anderen Gegend kommen. Dazu muss ich nicht in der Gegend aufgewachsen sein. Das ist schon wieder fast ein bisschen Strasberg. Ich muss es gemacht haben, um das zu können, nein. Ich brauche, und das ist wieder Meisner, eine wahnsinnig gute Vorstellungskraft, Bildung. Ich muss mich auseinandersetzen, ich muss mich mit mir selber auseinandersetzen. Bin ich gerecht? Werde ich der Sache gerecht oder muss ich mir da noch Informationen oder Hilfe holen, damit ich das kann? Also, ich verstehe, dass Leute ein Bedürfnis haben, das zu klären und in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber ich glaube nicht, dass Othello nur von einem Nordafrikaner gespielt werden darf. Glaube ich nicht. #01:01:16-1#
Anne Wasmuth: Letztendlich ist das ja auch gerade das faszinierende am Theater, wenn man selber Theater spielen darf und in Rollen schlüpfen darf, dass man dann Erfahrungen macht, die man so in seinem normalen Leben eben nicht macht. Also wenn ich zu Hause eben schüchtern, zurückhaltend, ich trau mich nicht bin, kann ich auf der Bühne der selbstbewusste Mensch sein und was ausprobieren und aber auch in eine andere Perspektive schlüpfen. Und das ist ja eigentlich auch das unglaublich Schöne von Theater. #01:01:51-9#
Marsha Cox: Richtig. #01:01:53-0#
Anne Wasmuth: Weshalb ich denke, auch viele Menschen zu Ihnen kommen und Theater spielen wollen. #01:01:56-5#
Marsha Cox: Ja, natürlich jetzt, wenn ich die Arbeit von meinem Ensemble am BZ aufgreife, da habe ich ja immer ganz unterschiedliche Leute. Ich habe also kaum jemanden richtig Jungen dabei. Es sind meistens Leute so ab Mitte, Ende 30 und dann bis nach oben. Und dann hab ich kaum Männer. Das heißt, wenn ich Rollen besetze, spielen Frauen Männer und manchmal spielen auch Männer Frauen. Also letztes Jahr bei der Potsdamer Schlössernacht, da waren die Handwerker fast alles Frauen, das war wunderbar. Und jetzt beim Sganarelle ist die Hauptrolle, also Sganarelle von Moliere, ist auch eine Frau. Es ist so und das klappt. Man muss in Kontakt kommen mit diesem männlichen Aspekt. Das hängt dann auch vom Regiekonzept ab. Man kann ja auch Aspekte von Sganarelle sehr weiblich sehen oder so interpretieren. Mich interessiert jetzt beim Sganarelle konkret, also wegen Aktualität und so, das ist ja der vermeintlich Betrogene, der immer glaubt, dass seine Frau ihn betrügt. Seine Frau glaubt, dass er sie betrügt. Alle glauben. dass die anderen sie - es ist richtig so eine richtige Fake News Situation und ein bisschen Verschwörungstheorien, die sich da wie ein Fegefeuerm durch diesen kleinen einen Akt da bringen, macht Spaß! #01:03:18-5#
Anne Wasmuth: Ach, wie schön! Wir sprechen im März 2021 miteinander. Wir haben Wochen und Monate hinter uns, in denen es nur möglich war, online zu unterrichten. Sie haben sich auf dieses Abenteuer eingelassen und geben im Moment Onlinekurse bei uns. Wie funktioniert das? Ein Online Theaterworkshop oder Schauspielkurs? #01:03:37-9#
Marsha Cox: Bei Meisner hat es bis jetzt ganz gut geklappt. Ich coache auch mit Leuten, die an Monologen arbeiten. Das ist jetzt außerhalb vom Bildungszentrum. Mit denen arbeite ich auch. Das ist gar kein Problem. Szenen sind ganz interessant. Da habe ich es erlebt, dass ich an einem Workshop teilgenommen hab mit einem Lehrer aus, der war in Los Angeles, auch Meisner, und da haben wir, ich hab mit einem Briten, der in London sitzt, wir haben einen Ehekrach gespielt. Das war klasse. Und einfach eben durch die Zoom-Call hat es geklappt. Ideal ist es nicht. Es ist so, die Stimmbildungskurse sind mit Mikrofon und so ein bisschen schwierig. Da mache ich es tatsächlich auch so, dass ich natürlich viel mehr einzeln abhöre, wie jeder Einzelne die Sachen umsetzt. Ich leite es in der Gruppe an und alle Mikrofone sind aus. Dann höre ich natürlich nur mich. Aber das Feedback, was ich bekommen habe von Leuten, ist, dass sie dadurch aber trotzdem auch sich gut in die Arbeit einfühlen können und reingeben können und dann kontrolliere ich immer so einzeln. Wo es ganz toll geklappt hat, war in einem Format Kreatives Lesen, wo wir Lyrik gearbeitet haben. Und das war für alle so ein bisschen so ein Highlight, dass man bisschen in Kommunikation miteinander kam, über Texte, entweder Prosa oder Lyrik. Und das funktioniert bestens online. Also ist ganz unterschiedlich. Manche Sachen sind schwierig, denke ich. Aber es klappt auch so. Man schafft's. #01:05:11-7#
Anne Wasmuth: Mit Ideen und Kreativität, ja schön. Haben Sie bei den Kursen auch so etwas wie Glücksmomente verspüren können oder müssen wir uns in die Meckerecke stellen und über die Technik schimpfen? #01:05:25-8#
Marsha Cox: Wir können beides. Nein, nein! Glücksmomente in den Kursen sind wirklich für mich, wenn ich erlebe, dass Leute, da gibt's so ein Strahlen in den Augen, wenn sie etwas an sich neu entdeckt haben. Für mich war dieser Lyrikkurs auch ganz wertvoll, weil manchmal Menschen einfach auch Berührungsängste mit Gedichten haben. Schlechte Erfahrungen aus der Schulzeit, keinen Zugang zu dem etwas überhöhten Wort. Und dann zu erkennen, das hat ja mit mir zu tun. Da waren viele richtig richtig schöne Glücksmomente mit dabei. Und ja, Meckerecke kann ich, ja. Blödes Zoom und blöde Internetöde in Deutschland! Was sind wir für ein hochtechnologisiertes Land und schaffen es nicht, eine bessere Internetverbindung, eine sichere Internetverbindung zu schaffen? Das ist wirklich! #01:06:35-6#
Anne Wasmuth: Wie wahr, wie wahr! Aber das können wir jetzt nicht als letztes stehen lassen in diesem Podcast. Sie haben noch eine Leidenschaft. Das klang schon an: Die Oper. #01:06:46-8#
Marsha Cox: Ohne Oper wäre mein Leben nichts! #01:06:49-2#
Anne Wasmuth: Sie machen jetzt gerade - wie Regie, machen Sie wieder, oder? #01:06:53-2#
Marsha Cox: Im Moment, letztes Jahr stand ich kurz schon vor der Premiere von einem Buen Projekt mit der Hochschule für Musik in Nürnberg, musste dann natürlich unterbrochen werden. Und jetzt überlegen wir, ob wir jetzt im Juni nochmal zwei Wochen Proben intensiv hinbekommen und dann vier Aufführungen schaffen. Also, Oper ist meine große Liebe, ja, das stimmt! Also, ich hatte zum Beispiel auch gestern einen kurzen Glücksmoment, der alles, den ganzen Ärger vom Tag überschattet hat. Da war gestern eine Übertragung von der Bayerischen Staatsoper von Rosenkavalier und ich habe leider nur das letzte Stückchen bekommen. Aber das herrliche Duett von Octavian und Sophie: Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir beiden beieinander sein. Ach herrlich, da geht mir mein Herz auf! Ja, Musik ist alles für mich! #01:07:52-5#
Anne Wasmuth: Wir ergehen uns jetzt hier in Vorfreude. Wer es nicht aushalten kann, hört sich nochmal den Podcast mit Joanna Mallwitz an. Das steigert nochmal mehr die Vorfreude auf das Live-Erlebnis, auf Live-Theater, Live-Konzerte, Live-Oper. Und bis dahin halt Onlineunterricht. #01:08:14-9#
Marsha Cox: Wohl wahr! #01:08:15-7#
Anne Wasmuth: Marsha Cox, vielen, vielen Dank für Ihre Zeit, für Ihr reiches Leben, für alles, was Sie uns erzählt haben! #01:08:24-0#
Marsha Cox: Ganz herzlichen Dank, dass wir uns unterhalten durften so nett Frau Wasmuth! Vielen, vielen Dank! #01:08:29-5#
Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Die Schauspielerin und Trainerin über das Arbeiten mit der eigenen Stimme, den großen Auftritt und ein Leben zwischen Amerika und Deutschland.
Marsha Cox ist mit dem Theater aufgewachsen. Ihr Lebensweg führte sie jedoch zunächst zu Siemens, bevor sie sich ganz den Themen Stimme und Theater widmete. Die in Deutschland geborene Amerikanerin spricht im Podcast über Heimat und Herkommen, Frust bei interkulturellen Trainings und eine einschneidende biographische Begegnung. Das Gespräch dreht sich auch um Fragen von Aufritt, Rolle und Authentizität, Method Acting und Meisner-Schauspiel-Technik. Marsha Cox gibt dabei Einblicke in ihr profundes Wissen und reichen Erfahrungsschatz als eine der ersten für Europa autorisierten Linklater-Trainer, als Coach im beruflichen Kontext und als Theatermacherin.
----
Aufgenommen am: Montag, 22. März 2021
Veröffentlicht am: Donnerstag, 15. April 2021
Moderation: Dr. Anne Wasmuth
Im Gespräch: Marsha Cox
----
Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
Wen sollen wir noch befragen - haben Sie Ideen und Anregungen? Oder möchten Sie Ihre eigenen „Glücksmomente“ (manchmal am Ende des Interviews zu hören) an uns schicken? Schreiben Sie uns an!