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Joana Mallwitz, warum ist ein Leben ohne Oper sinnlos?

Anne Wasmuth: Willkommen zur Folge 31 eine neue Kontaktaufnahme. Mein Name ist Anne Wasmuth. Wie schön, dass sie, dass ihr wieder mit dabei seid! Auf meine heutige Gesprächspartnerin hat sich unser gesamtes Redaktionsteam schon seit Wochen gefreut. Seit der Spielzeit 2018 /2019 ist die Generalmusikdirektorin der Staatsphilharmonie Uni Nürnberg des Orchesters des Staatstheaters Nürnberg. Die Fachzeitschrift Opernwelt wählte sie in einer Kritikerumfrage 2019 zur Dirigentin des Jahres, und es ist noch nicht lange her. Im November letzten Jahres hat sie den Sonderpreis des Kulturpreises Bayern erhalten. Wenn ich in Nürnberg, so ist sie jetzt Gastdirigenten mittlerweile auf der ganzen Welt unterwegs. In ihrem Kalender stehen neben Orten wie München, Berlin, Frankfurt oder Dresden auch Oslo, Nottingham, London, Göteborg, Wien, Salzburg, oder Dallas. Das ist nicht vollständig. Und außerdem ist es natürlich ein absoluter Frevel, dessen bin ich mir bewusst, nicht ihr Orchester beim Namen zu nennen. Die Kennerin kennt sie, der ist schon jetzt tief beeindruckt. Heute mit uns zu einer neuen Kontaktaufnahme im Gespräch. Johanna Mallwitz, herzlich willkommen, dankeschön! Sie gelten als musikalisch hochbegabt und waren zur Zeit ihrer Berufung nach Erfurt jüngste Generalmusikdirektorin Europas. Große Zuschreibungen und Titel, wie hat das alles angefangen? Haben sie schon als kleines Kind ihre Kuscheltiere oder Spielkameraden dirigiert, oder wann wussten sie oder ahnte ihre Familie die Musik,as ist meine Welt.? #00:02:01-2#

Johanna Mallwitz: Also, vom Dirigieren hatte ich als Kind überhaupt gar keine, gar keinen Begriff, dass das überhaupt einen Beruf so ist. Ich hab nicht weiter drüber nachgedacht. Ich habe aber mein ganzes Leben lang Klavier gespielt, seit ich drei bin, und Geige, seit ich fünf bin. Also die Musik gehörte immer dazu und bin dadurch auch so in, ja in diese Musikerwelt so reingewachsen. Meine Familie ist nicht so ein typischer Musikerhaushalt, und für mich war dann ausschlaggebend der Moment, da war ich dann aber schon Teenager 13, 14 Jahre alt, als ich dann zum ersten Mal symphonische Musik und Opern entdecken durfte, weil das war wirklich etwas Neues für mich. Ich war als Kind nicht jedes Wochenende im Sinfoniekonzert, und das hat mich so gebannt und beeindruckt und einfach fasziniert. Und ab da stand für mich fest, ich muss mein Leben mit dieser Musik verbringen, mit diesen Partituren verbringen, und dafür muss ich anscheinend dirigieren lernen. #00:03:03-5#

Anne Wasmuth: Und sie waren so gut, dass sie mit 13 Jahren aufgenommen worden sind an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover in den ersten Jahrgang des Instituts zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter. Sie sind in der Zeit aber trotzdem noch ganz normal zur Schule gegangen, oder? #00:03:22-4#

Johanna Mallwitz: Ja. #00:03:22-6#

Anne Wasmuth: Ja. #00:03:23-0#

Johanna Mallwitz: Ganz genau also dieses, kurz gesagt, dieses Institut, das wurde damals gerade neu gegründet, das war der allererste Jahrgang, und keiner wusste damals, glaube ich, so richtig, was das eigentlich werden wird. Ist es eine Art Jungstudium, oder ist das, wird das eine Art Musikinternat? Und es war dann genau was dazwischen, nämlich ein ganz normaler Studiengang, sechs Semester für junge begabte Menschen, die noch auch zur Schule gleichzeitig gehen, also Teenager, und dort haben wir eben außer dem Hauptfachunterricht, also in unseren jeweiligen Instrumenten, eben auch ganz intensiv Gehörbildung und Musiktheorie und Rhythmik, und ich hatte Komposition noch als zweites Fach und all diese Dinge studiert, richtig auf einem auch hohen Level, und das war eben der Moment. Dort saß ich dann zum ersten Mal in der kleinen Gruppe, die wir da waren, und und da wurden uns diese Partituren vorgelegt, dann plötzlich Schuberts und vollendete und Strawinskys Trinks, Sack und Wagners Tristan und all diese Sachen, und da hat es einfach Klick gemacht, da ist der Funke übergesprungen, und da, das stand dann, da stand einfach fest ab, da gab es auch überhaupt kein Überlegen mehr, dass das mein Leben sein. #00:04:34-3#

Anne Wasmuth: Wahrscheinlich auch, wenn man so in so einer Welt ist, wo um einen rum die anderen das auch so sehen oder so erleben, ja! #00:04:43-7#

Johanna Mallwitz: Und da auch also man, also ich habe sicher auch dort im und auch durch all diese Dinge, die man dann so macht, die ganzen Wettbewerbe und und Konzerte, die man spielt, bin ich auch in diese Welt reingewachsen und hab auch absolut mein Freundeskreis da dort kennengelernt und nach wie vor die Menschen, die ich seitdem kennengelernt haben, die zählen immer noch zu meinen Freunden oder auch musikalischen Partnern oder auch Lehrern. Das sind ja ganz wunderbare Begegnungen, die auch dann halten. #00:05:10-9#

Anne Wasmuth: Waren das dann schon früh? Dann auch zwei Welten, quasi die Musikwelt und die normale, sozusagen Schule? #00:05:18-8#

Johanna Mallwitz: Ja, schon ein bisschen, also ich bin halt jeden Freitag nach der Schule hab ich mich hinzugesetzt und bin von Hildesheim damals nach Hannover gefahren zur Hochschule und hatte dort halt freitags, samstags. Das war für mich immer so der Höhepunkt der ganzen Woche. Aber ansonsten hatte ich ein ganz normales Schulleben, bin in Hildesheim bis zum Abitur zur Schule gegangen und war ganz normales Schulkind. #00:05:40-4#

Anne Wasmuth: Ganz normal, und die, die Mitschüler, fanden das auch normal, dass sie am Wochenende in der Uni waren. #00:05:45-9#

Johanna Mallwitz: Glaub, das war ja, also hat einige schon irgendwie interessiert, was, was macht ihr da eigentlich? Aber also, wie gesagt, an den anderen Tagen war ganz normal zusammen, ja, wie man, wie das so ist, als als junger Mensch in der Schule. #00:06:03-2#

Anne Wasmuth: Ja, ihre erste berufliche Station war dann mit 19 Jahren Heidelberg, also zu einer Zeit, wo ich so langsam überlegt habe, was will ich eigentlich mal machen? Die waren da als Korrepetitorin, das heißt, ihr Job war, Spaten mit Sängerinnen und Sängern einzustudieren. Ihr Arbeitsplatz, das Klavier, Cornelius Meister, auch Hannoveraner, war ihr Generalmusikdirektor. In die Zeit fällt diese wunderbare Geschichte ihres ersten Open Dirigat. Die ist so schön, die müssen sie uns bitte auch hier erzählen. #00:06:37-4#

Johanna Mallwitz: Ja, also, wie sie gerade sagten, mit 19 bin ich nach Heidelberg gegangen, zu starten, das ist eigentlich, das wird mir wurde mir aus dem nachhinein so klar. Aber das ist eigentlich die ganz klassische Karriere, Karriere, Ablauf für für einen jungen Dirigenten, dass man eben am Opernhaus startet, als Pianist. Man studiert das ganze Repertoire ein, das, das heißt, man lernt die Stücke, die großen Opern und hat sie nicht nur im Kopf, sondern auch in den Fingern. Das ist wie ein zweites Gedächtnis. Man arbeitet mit den Sängern, kennt dadurch wirklich alles in und auswendig, assistiert bei den Proben oder dirigiert eben auch mitunter mal Proben, und in Heidelberg ist dann das passiert, was ja schnell mal passieren kann an einem kleinen Theater, wo der Dirigent des abends dann ausgefallen ist, und alle anderen, sozusagen Kapellmeister des Hauses, waren nicht verfügbar, und der Meister, der Generalmusikdirektor, war zu der Zeit in Tokio, das heißt, er konnte auch nicht einfach schnell kurz rüberfliegen, weil es war eine Sache von wenigen Stunden. Also am Vormittag war klar, wir brauchen jemanden für abends, und ich wurde dann mittags gefragt, kannst du heut abend diese Premiere übernehmen? Und ich saß gerade bei einer ganz anderen Probe, schon zur nächsten Produktion eine Rockgruppe, und ich hatte die Madame Butterfly, also um das Stimmt Stück ging es von Putin. Das war meine erste Produktion in Heidelberg gewesen, die ich sozusagen betreut habe, am Klavier. Ich habe alle szenischen Proben mit den Regisseuren, mit den Sängern gespielt. Ich sozusagen hatte wirklich das Gefühl, ich kenne das Stück jede Ecke, aber habe es nie dirigiert gehabt und auch die Partitur nicht wirklich studiert gehabt, also immer mit dem Klavierauszug eben, ähm, und dann war aber auch klar, wenn man jetzt sagt, ja, das mache ich ab, da gibt's dann halt auch kein zurück mehr. Da hat man auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was wäre, wenn jetzt dies oder jenes nicht klappt, nee, sondern es gibt einfach nur Zeit, einmal zu konzentrieren, durchzugehen. Du hast nur einmal Zeit, das dir gleich zu merken, und dann musst du es auch so machen. Muss jetzt einfach klappen. Und ich wurde dann von dieser Probe, wo ich gerade saß, mit der Opa. Das wurde in Schwetzingen geprobt, und ich wurde dann reingebracht mit dem Auto nach Heidelberg und schnell ins Theater verfrachtet, ins Büro und hab da die Partitur von Cornelius nehmen dürfen und hab die dann zwei, drei Stunden studiert, auch nochmal mit dem Konzertmeister dort in Heidelberg, mich kurz verständigt, auch mit paar Sängern noch mal ganz kurz gesprochen, und dann ging es los, schnell was Schwarzes zum Anziehen holen und dann runter im Graben. Und also, ich muss sagen, es war natürlich damals eine absolut spannende Sache. Es war auch also man merkt richtig, also, wie auch der Kopf und auch der Körper noch mal andere Kräfte freisetzt, weil also, ich war an dem Tag nicht drauf, aber ich habe wenig geschlafen, ich habe die ganze Nacht irgendwie Sachen gemacht und studiert und saß den ganzen Sache in der Probe. Also das hätte ich, hätte ich gewusst, dass ich am Abend eine Premiere dirigiere, ein bisschen anders gehandhabt, und der Cornelius schrieb mir dann aus Tokio eine schnelle Nachricht und sagte: Johanna, iss was und trink was und stellt dir das Pult auf die richtige Höhe ein, und dann geht es los. Und das waren so seine Tipps, und das war absolut richtig, weil ab dem Moment, wo man den ersten Ton dann dirigiert und und spielt, da gibt es halt dann auch kein zurück mehr. Man kann ja auch nicht mitten in der Vorstellung anhalten und sagen: Stopp, ich muss nochmal kurz überlegen, da ist dieses riesige Schiff, sozusagen, diese ganze Apparatorchestern mit Bühne und allem. Das läuft. Dann. Und also ich weiß wirklich nicht mehr viel von dem Abend, weil ich so unter Adrenalin sicherlich stand, dass das wie ein ja, ich kann mich nicht so richtig erinnern. Ich weiß noch, dass ich mich, dass ich hinterher irgendwie dachte: Aha, fühlt sich eigentlich genauso an, wie das ganze Stück am Klavier zu spielen, nur eben nicht mit zehn Fingern, sondern mit dem ganzen Orchester. Also, es war irgendwie fühlte es sich natürlich an. Nur lange Rede, kurzer Sinn, es war natürlich irgendwie eine witzige Geschichte und auch, aber für mich war das ein ganz, ganz großes Glück dadurch, dass dann das Theater Heidelberg auch gesagt hat, so, das hat jetzt gut geklappt. Deshalb darf die Johanna auch in Zukunft mehr dirigieren und wird hier Kapellmeisterin am Haus, und das war für mich eben die Chance, diese fünf Jahre in Heidelberg wirklich ganz viel, mein ganzes Repertoire dort aufzubauen. Erstmal und die ganzen ersten Mozartopern dort zu dirigieren, wer dies zu dirigieren, Unis zu dirigieren, alles mögliche Operetten zu dirigieren, rauf und runter, und das ist eigentlich die Ausbildung, nicht wahr? Also, dirigieren lernt man ja auch nicht, indem man darüber nachdenkt, sondern indem man einfach macht, indem man einfach jeden Tag auch mit dem Orchester in Kontakt ist: Probt, Vorstellung übernimmt. Also gerade als Kapellmeister ist ja meistens die Situation, dass man Produktionen, die Laufen übernimmt. Das heißt immer, Opern zum ersten Mal dirigiert, ganz ohne Probe, sondern direkt am Abend im Graben vor Publikum. Das heißt, man muss als junger Dirigent sich da auch eine Technik irgendwie aneignen, die einfach erstmal funktioniert. Weil ich kann nicht vor Publikum nochmal sagen, hier leute, das meinte ich irgendwie jetzt anders, oder da wollte ich ein anderes Tempo, sondern ich muss ohne Worte das zeigen können, und diese Art von Technik und Handwerk, das lernt man an so einem Theater, indem man einfach alles macht. Und in den fünf Jahren Heidelberg habe ich eben wirklich das Theater an jeder Ecke irgendwie kennenlernen dürfen, weil ich sowohl dirigiert habe als auch natürlich ganz viel assistiert habe und dann die Produktion später übernommen habe und nach wie vor auch natürlich mit den Sängern am Klavier gearbeitet habe und dann von Bühnenmusik dirigieren bis irgendwie mit der Requisite über irgendwelche Zusatzinstrumente und und und und mit der Tonabteilung und so weiter, also mit allen Abteilungen arbeitet man einfach zusammen, und da merke ich, dass es was ja, wo ich jetzt fast das Gefühl habe, ich bin irgendwie so im Opernhaus aufgewachsen, und das hilft mir jetzt auch, den ganzen Betrieb einfach von Grund auf zu verstehen und mich da zu Hause zu fühlen. #00:12:29-6#

Anne Wasmuth: Also, es ist Talent, ist es Handwerk, ist es Praxis. Gab es auf diesem Weg vom Klavier zum Dirigieren, gab's auch Vorbilder? #00:12:41-8#

Johanna Mallwitz: Hm also, ich weiß noch, dass ganz am Anfang, als bei mir gerade so der Wunsch aufkam, mit 13, 14, ich möchte, anscheinend möchte ich dirigieren. Huch! Was ist das überhaupt für für den Beruf? Und das war gerade die Zeit, wo bekannt gegeben wurde, dass man neue Chefin in Hamburg werden wird. Also, es waren noch paar Jahre vor ihrem Antritt, und ich kannte sie überhaupt nicht. Wie gesagt, ich war auch ziemlich naiv mit dieser ganzen Berufswelt und habe sie auch erst viel später, also paar Jahre später, erst auch mal sehen können und hören können, in der Probe und im Konzert. Aber allein diese Tatsache für mich damals als junger Mensch, da kommt diese diese Frau, die schon Wienerstaatsoper und überall dirigiert hat, und kommt jetzt aus aus allen und wird Chefin in Hamburg, an diesem tollen Opernhaus in dieser wunderschönen Stadt. Das fand ich natürlich einfach cool. Das war schon in dem Sinne ein Vorbild, obwohl es sozusagen erstmal nicht so sehr musikalisch war, weil ich sie gar nicht kannte, und dann so über die Jahre. Man hat natürlich ganz viele Vorbilder, und nach wie vor denke ich, auch, die meisten meiner Vorbilder sind nicht Dirigenten oder Musiker, sondern man kann von so vielen Menschen etwas mitnehmen und etwas lernen und sich zum Vorbild machen. Und wenn es jetzt speziell um meinen Beruf geht, würde ich zwei Namen nennen, weil die immer wieder mich irgendwie einfach inspiriert haben, obwohl ich sie auch beide nie lebend sehen durfte. Und das sind Carlos Kleiber, einerseits für einen unfassbaren, ja fast unwirklichen Klang, den er erzeugen konnte, und seine unglaubliche Eleganz in der Interpretation, und der zweite ist landet Bernstein dafür, dass er es schafft, ein analytisches Dirigieren so klingen zu lassen, als wäre es vollkommen aus dem Bauch heraus und absolut instinktiv, und das, finde ich, ist eine tolle Sache. Und ja, da würde ich jetzt einfach die beiden da nennen. #00:14:33-8#

Anne Wasmuth: Ich finde total schön, dass sie bei der Frage nach Vorbildern das so geöffnet haben und nicht nur tatsächlich Musikerinnen oder Musiker so im Kopf haben. Das finde ich total schön, aber ich muss es jetzt natürlich trotzdem wieder zuspitzen auf die Musik, und es ist ja jetzt eigentlich andersherum in der langen Geschichte des Opern Orchesters hier Nürnberg sind sie jetzt die erste Dirigentin an der Spitze dieses Orchesters, und in Salzburg ist ihnen als erste Frau in der Geschichte der Festspiele eine gesamte Aufführungserie anvertraut worden. Im letzten Herbst ist ein Film in die Kinos gekommen, die Dirigentin. Der Film beschreibt natürlich mit fiktiven Elementen, wie das so ist, aber doch nahe dran das Leben von Antonia Brico, die als junge Frau in den 90 er, 20er Jahren in New York lebt, wo es eben alles andere als selbstverständlich war, dass eine Frau Dirigentin wird, damit ihr Geld verdienen darf und auch kann, der Firmen beziehungsweise das dazugehörige Buch der Regisseurin Maria Peters erwähnt, eine vor drei Jahren in der Zeitschrift Grammophon veröffentlicht, die Liste der 50 besten Dirigenten aller Zeiten. Wie hoch schätzen sie den Anteil weiblicher Dirigenten? Rhetorische Frage: 0 Prozent. In dieser Liste ist es kaum zu glauben, aber es gibt immer wieder Bereiche, in denen Frauen zu Pionierinnen und Vorbildern werden können und müssen. In der Vorbereitung auf unser Gespräch, da hat sich für mich das Bild ergeben, dass das eigentlich kein Thema für sie ist. Oder hat das durch Salzburg jetzt doch noch einmal Bedeutung bekommen? #00:16:12-8#

Johanna Mallwitz: Also, für mich ist es kein Thema mehr. Ich weiß aber auch, dass es ein großes Privileg und Glück ist, dass es jetzt so ist, weil ich weiß, dass das eine Generation vor mir und noch dafür sowieso noch etwas ganz anderes war. Und auf der einen Seite wundere ich mich zwar auch immer, wie lange das dauert, weil ja zum Beispiel die war ja da, das ist ja also, die war ja auch schon vor zehn Jahren da. Das dauert irgendwie dann doch länger, als man so hoffen würde. Andererseits merke ich doch, wie gerade in den letzten wenigen Jahren sich noch mal ganz viel getan hat, auch in der Gesellschaft und in den Köpfen, und ich sehe auch, wie jetzt in meiner Generation, wie viele fantastische Kolleginnen ich habe. Deshalb also für mich selber, vor allem beim Machen ist es überhaupt kein Thema. Ja, jemand hat da Eis gebrochen, auch. #00:17:07-4#

Anne Wasmuth: Aber wenn sie sagen, kein Thema, dann heißt, das sei auch nie Steine in den Weg gelegt worden, und was war der Inhalt? Oder? #00:17:19-4#

Johanna Mallwitz: Muss sagen, ich habe auch von vornherein immer versucht, es absolut zu ignorieren oder überhaupt nicht, mich zu fragen. Auch was ist jetzt gerade bezogen? Dass man als junger Dirigent auch sozusagen schwierige Situationen meistern muss, ist ja ganz klar, weil man lernt und lernt. Man beginnt ja überhaupt erst zu lernen. Das erste Mal, wenn man mit vor einem Orchester steht, also jeder Pianist ist eigentlich fertig ausgebildet, bevor er in die Hochschule überhaupt kommt und bei den Dirigenten ist, kommt es ja erst mit der Praxis, und man braucht auch eine lange Erfahrung. Deshalb habe ich versucht, da auch immer auszublenden, ob das jetzt etwas mit meinem Geschlecht oder meinem Alter oder mit irgendwas anderem zu tun hat, sondern immer nur. Ich denke, das ist das einzige, auch was, was man machen kann, ist, sich nur auf die Sache zu konzentrieren und nur daran zu reifen und da zu versuchen, einfach immer besser zu werden. Und, hm, ich merke, wenn sie fragen, das ist für mich kein Thema. Ist das damit meine ich, dass in dem Moment, wo ich eine Partitur aufschlage und die studiere, oder in dem Moment, wo ich aufs Podest gehe und sozusagen die Probe beginne oder ein Konzert beginne. In dem Moment bin ich mir sicher, niemanden interessiert das auch. Ich denke ja in dem Moment nicht drüber nach. Bin ich jetzt eine dirigierenden Frau, dann dirigierenden Mann oder irgendwas und auch die Musiker nicht, sondern gerade von einem Orchester? Das sind lauter Profis auf ihrem Gebiet. Den kann man auch nichts vormachen, das heißt, das einzige ist Authentizität, und authentisch bin ich halt unter anderem eine Frau und auch noch viele andere Dinge, und sozusagen kann mich einfach nur auf das Stück konzentrieren und muss versuchen, so gute Arbeit wie möglich zu machen. Und vorher Orchester entscheidet sich in den ersten wenigen Minuten, ob es geht's oder geht's nicht. Kann derjenige das oder klappt es nicht, versteht man sich findet man, kann derjenige oder diejenige das zeigen, hat er eine Art, sozusagen die Idee so zu vermitteln, dass es zur Idee von uns allen wird und dass man da folgt und auf eine Wellenlänge kommt oder nicht, und wenn nicht, dann dann hilft es alles nix, dann ist es aus, also dann wird man auch nicht wieder eingeladen, und deshalb ist es kein Thema. Ich merke aber auch, dass ich gerade merke, es eigentlich immer nur an den Rückmeldungen, wie oft man einfach angesprochen wird auf das Thema, dass ich merke, es ist noch ein Thema, und anscheinend gibt es irgendwie immer noch Gesprächsbedarf, obwohl ich mir wünschen würde, dass man auch versucht, das ja etwas normaler jetzt dann schon zu behandeln, damit man nicht noch so Dinge aus etwas macht, was, was es eigentlich halt nicht mehr sein sollte. Und gerade zu Beginn meiner Karriere wurde ich von vielen Stimmen auch gewarnt, und zwar ja, ehrlich gesagt, nicht so sehr wegen Frau sein, sondern einfach, weil Menschen, auch Menschen, die sehr gut mit mir meinten oder die ich gut kannte oder die ich fördern wollten, gesagt haben, du Pass auf, also dirigieren, du bist sensibel, du bist nicht jemand, der irgendwie gut wie Show macht und und irgendwie durchgreift, oder weiß ich nicht, das ist nichts für dich, das ist irgendwie. Dann kommen immer so diese Begriffe Haifischbecken und Höhle des Löwen und so weiter, und ich dachte immer, es doch irgendwie vollkommen egal. Ich mach erst mal meinen Job und mal gucken, wohin es geht, und jetzt zu sehen, dass ich jetzt hier sein darf in Nürnberg und mit diesem fantastischen Orchester arbeiten darf, auch fest, und das jetzt auch Salzburg und all diese Dinge, die ich machen darf, zeigt, dass es heutzutage geht. Man kann, wenn es nur um die Sache geht und man den Rest ausblendet, mittlerweile, und ich glaube, das war nicht immer so so sein, wie man ist, und trotzdem Erfolg haben. #00:20:50-2#

Anne Wasmuth: Hm, also, ich habe auch immer versucht, das zu ignorieren, und dachte, das geht mich überhaupt nichts an. Aber ich habe auch gemerkt in dieser Pandemie, die hat uns ganz stark in traditionelle Familienrollen wieder so zurückgeschmissen. Also hat man es auch viel gelesen. Ich habe mich sehr viel mit meinem Mann ausgetauscht, und er hat mich auf den dann den kruger Effekt aufmerksam gemacht, und dieser Effekt beschreibt eine Verzerrung des Selbstverständnisses. Also auf unser Thema bezogen bedeutet das für mich, je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, was ich alles nicht weiß, und desto weniger traue ich mir das eventuell zu. Und das trifft eben weitaus häufiger auf Frauen zu, und deshalb bin ich überzeugt, es ist so wichtig, dass es Vorbilder wie sie gibt, die auch sagen: Frauen, ihr könnt das Dirigieren sowieso, und den anderen Teil auch, und über diesen anderen Teil, darüber würde ich jetzt gerne noch mehr sprechen. Es heißt immer so scherzhaft, ein Chor oder ein Orchester ist keine Demokratie, aber ich frage mich, ob das stimmt oder ob wir einfach falsche Vorstellungen von Demokratie haben. Ja, es braucht am Ende jemand, der die Entscheidung fällt, am Ende jemand, der eben im wahrsten Sinne des Wortes den Takt vorgibt. Aber wir haben 2021, die Debatte hat 2017 ihren Anfang genommen. Es hat auch im vollen Artikel gegeben, die über Machtstrukturen am Theater gesprochen haben. Die Frauenquote wird Stück für Stück in den unterschiedlichen Hierarchien eingeführt, und jetzt mache ich eine Klammer auf und sag, die hoffentlich Frauen auf diese Position bringt, die ihre Kompetenzen einbringen und eben nicht männlicher sind als ihre männlichen Kollegen, also genau das einbringen, was sie eben für sich als Authentizität beschrieben haben. Klar mal zu, also der Dirigent oder die Dirigentin als Alleinherrscher, so lautet ja ein Topos in der Musikgeschichte. Alleinherrscher oder Alleinherrscherin. Wird das heute noch akzeptiert, beziehungsweise würden sie ihre Rolle für sich selbst beschreiben. #00:22:45-7#

Johanna Mallwitz: Ja. #00:22:46-1#

Anne Wasmuth: Vom Orchester. #00:22:46-8#

Johanna Mallwitz: Also, das ist ein komplexes Thema, weil sie da jetzt gleich ganz viele verschiedene Sachen angesprochen haben. Ähm, wenn man sagt, wir sind ja 2021, und ist dann ein Orchester nicht eigentlich viel demokratischer, als man das so denkt? Das muss ich total verneinen. Leider! Beziehungsweise, was heißt leider? Das wird immer so bleiben. Ein Orchester ist ein ganz streng hierarchischer Organismus, der auch nur so funktioniert. Das heißt nicht, dass nur eine Person vorne steht, nämlich der Dirigent, der einfach sagt, so macht ist und alle für uns aus, weil so kann man nicht Musik machen. Das ist sozusagen ja totes Material. Aber es gibt natürlich ganz strenge Hierarchien im Sinne, auch in der, in den einzelnen Gruppen, innerhalb des Orchesters, und nur so funktioniert dieses unglaublich große, komplexe Wesen, was ein Orchester ja ist im Zusammenspiel. Ähm, das bedeutet aber trotzdem, das ist ja das schöne An an dieser, an diesem Beruf, also als als Musiker, dass man diese regeln hat und sie auch braucht und trotzdem von jedem einzelnen auch. Also, jeder muss sich hingeben, jeder muss sich öffnen, jeder einzelne ist nicht nur Ausführender. Und die Impulse, die in so einem Orchester, auch in einem Orchester, Probe, beim, beim Dirigieren, beim Musizieren hin und Herspringen da ist, ich gebe etwas in eine Richtung und nehme was zurück und leite das woanders hin weiter. Also, es geht nicht nur in eine Richtung, das ist ein ständiges Geben und Nehmen in allen Richtungen. Und trotzdem also, um diese erste Frage zu beantworten: Orchester ist hierarchisch und wird es auch immer bleiben, und auch dadurch, dass jetzt zum Beispiel ich eine Dirigentin heutzutage bin, heißt nicht, dass ich eine demokratischere Dirigentin bin als als andere. Trotzdem, also, sie haben jetzt auch mit der Debatte und so weiter angesprochen, das ist auch noch mal ein anderes Thema. Aber ich denke mal, was ja schön ist, dass wir heutzutage einfach uns bisschen besser darauf verständigen, was für Umgangsweisen wir miteinander haben. Das sollte natürlich auch vor Dirigenten und auch vor allen anderen nicht halt machen. Das ist ja ganz klar, und die Sache ist ja auch Autorität. Also, natürlich ist der Dirigent derjenige, der am Ende. Am Ende muss er entscheiden, und er trägt ja auch die Verantwortung dafür. Er ist sozusagen ein Regisseur des Abends. Und wenn die Spannung nicht hält, dann ist auch egal, ob das jetzt daran lag, dass irgendwie im Orchester da geputzt hat oder geschleppt hat oder nicht ganz dabei war, sondern die Spannung war nicht da, oder Tempo, Übergänge waren Spur, billig, dilligent, es schuld natürlich, so ist es, ist die größere Verantwortung und dadurch auch die größere. Ähm, ja, du musst am Ende das schon entscheiden. Das ist deine Idee sozusagen, auf die du versuchst, das Orchester zusammenzubringen, weil jeder hat natürlich eine sehr gute Idee von einem Stück. Dann hast du bei einem Orchester von 80 Leuten halt 80 tolle Ideen, und das ist nie so klingen, dass man es genießen kann. Und, ähm, ich glaube, die Frage ist einfach: Autorität kommt ja nicht daher, dass man sich autoritär verhält. Autorität kommt nur eigentlich nur durch zwei Dinge, nur durch absolute, sozusagen Können und Vorbereitung und wiederum Authentizität. Man, man kann nicht die größtmögliche Kraft des Ausdrucks erreichen, indem man irgendwas vorspielt oder irgendwas nicht zulässt oder sich nicht wirklich hingibt, und das ist eben ganz wichtig. Das als Hierarchie ist es aber jeder einzelne und auch der Dirigent am Ende. Man muss, man muss durchlässig sein, man muss alles auch zulassen, sich auch irgendwie gewissermaßen verwundbar machen, indem man guckt, was wird einem da angeboten und was mache ich daraus und gebe das wieder zurück. Also, man muss sehr, sehr offen sein. #00:26:43-0#

Anne Wasmuth: Mhm, sie haben schon gesagt, sie sind normal von einem Orchester. Das sind 60, 70, 80, 90, das können ja bis zu Maler 120 Musiker sein, die da vor ihnen sitzen, und das sind Profis. Die meisten könnten als Solisten auftreten, die meisten könnten selber ein ableiten. Da könnten viele selber eine musikwissenschaftliche Vorlesung halten, haben eben, wie sie gesagt haben, selber eine Vorstellung davon von dieser Musik. Wie wissen sie selbst, so soll es mal klingen, und wie bringen sie diese vielen, vielen Profis dazu, es genau so zu spielen und es dann auch noch als in dem Moment beste Variante zu empfinden? #00:27:28-1#

Johanna Mallwitz: Mhm also, zuerst mal muss für mich selber die Idee, die ich von einem Stück habe, so klar sein, dass sie ja, dass sie erstens sozusagen in meinem inneren Ohr ich genau weiß, was ich, was ich da hören will, und gleichzeitig es muss eine eine Begründung dafür geben, also nicht im Sinne von ein bestimmter Grund, sondern die muss begründet sein in etwas, und das ist die eine ganze Analyse, die dem vorausgegangen ist und sein muss, und das also im Prinzip muss man sich nur darauf besinnen, und das ist diese sozusagen ab der ersten Probe. Das ist ja nur die Spitze vom Eisberg, sag ich mal, alles da drunter ist das, was man von einem Dirigenten nie sieht, nämlich die vielen, vielen Stunden alleine zu Hause über der Partitur, und das sind viele Durchgänge einfach von Analyse, und man dreht eigentlich einfach jede Note um und befragt sie, jede einzelne Note. Warum stehst du genau da, und warum nicht ein bisschen anders? Oder warum nicht da? Und warum dann noch mal, aber hier vielleicht bisschen anders, all diese? Und dann formt sich allmählich ein inneres Bild davon, wie ich denke, dass das klingen soll, und es muss sich dann irgendwann. Es muss sich für mich so anfühlen, als ist es die einzige wahre Lösung, und damit finde ich, erübrigt sich auch schon die Frage von zum Beispiel Interpretation oder irgendwie. Es ist zum Beispiel auch nicht die Frage, wie mache ich dieses Stück, dass man merkt, dass ich das jetzt gerade interpretiere, sondern es geht nur darum. Ich muss die Version finden, wo ich denke, das ist die einzige Art, wie ich dieses Stück morgen musizieren kann, und allein dadurch, dass der nächste Dirigent einfach ein anderer Mensch ist und anderes atmet und anders lebt und anders spürt, kommt da zu einer ganz anderen Lösung. Es muss für ihn auch die absolut einzige Wahrheit sein, so, und das heißt nicht, dass sich das nicht auch irgendwann nochmal ändern kann. Nur für morgen, für die erste Probe, ist es das, und dann ist es sozusagen immer dieses hin und her zwischen innerem Ohr, also auch Fantasievoll im Ohr, was mir sagt, das ist meine Version, und dann gleichzeitig das analytische Ohr, was aufnimmt. Was kommt denn von außen jetzt, was wird mir angeboten? Da gibt es auch sicherlich Situationen, wo man dann natürlich, man kann nicht steif sein, wenn ich merke, die Linie, von der erst gerade nimmt sich da jetzt gerade ein bisschen mehr Zeit, als ich das dachte. Dann beeinflusst das ganz sicher, wie ich den nächsten Takt, wie ich weiter übergehe und so weiter. Das meine ich auch mit, was ich vorhin sagte: Hierarchie, ja, aber es ist nicht so, dass ich einen einen absoluten Plan habe, den ich nur durchsetzen, weil in dem Moment würde ich mich selber ja kalt machen, und ja, also das, das ist das eigentlich. #00:30:08-7#

Anne Wasmuth: Ja, sie sprechen von der ersten Probe, aber wenn sie jetzt zum Beispiel als Gastdirigent hin woanders hingehen, dann haben sie ja ein anderes Orchester vor sich und von vielen Orchestern. Dann müssen wir nicht weit gehen. Bamberg, böhmischer Ton zum Beispiel, die sagen von sich, sie haben eben einen ganz spezifischen Klang oder ein ganz eigenes Profil, eine eigene musikalische Tradition. Wenn sie jetzt zu so einem anderen Orchester kommen, wie gelingt es, und das ist häufig ja die Probenzeit auch nur ne ganz kurze, wie gelingt es da trotzdem, eine Beziehung, eine musikalische Verständigung aufzubauen? #00:30:45-7#

Johanna Mallwitz: Also wenn sie sagen, ganz eigener Klang und so weiter, und jedes Orchester hat auch seine Traditionen, natürlich, und es liegt auch begründet in all den Dirigenten zum Beispiel, mit denen man gearbeitet hat über die letzten 100 Jahre, und welches Teil man gearbeitet hat, und in ganz vielen Dingen liegt es und auch, wo man sich befindet, welche Instrumente man da hat und so weiter. Klangkultur, ähm, ich würde auch nicht sagen, wenn ich eine ganz klare Idee davon habe, wie zum Beispiel die Symphonie, die ich jetzt heute proben soll, klingen soll, heißt es nicht, dass ich einem Orchester ihre DNA irgendwie entreißen möchte oder denen irgendwie ein Klang auf drücken will. Ich glaube, dieselbe Idee wird natürlich mit jedem Orchester immer ein bisschen anders klingen oder manchmal auch ganz anders, und trotzdem ist es die gleiche Idee, wenn ich jetzt, wie zum Beispiel auch gerade in Salzburg, mit Mozart dasselbe Stück hätte sicherlich mit einem, ich sage mal, sagen wir mal, freiburger Barock Orchester oder so anders natürlich geklungen als mit den wiener Philharmonikern, und das soll auch so sein. Das ist ja das Fantastische, das Schöne ist ja, und das ist auch meine Aufgabe als Dirigentin, den sozusagen das stärkste rauszulocken und nichts zu nichts wegzunehmen, was man nicht wieder zugeben kann. Also, wenn es einen besonders schönen Klang gibt, dann dann muss ich die nutzen, und, ähm ja, deshalb, es ist nicht so so absolut, also nichts funktioniert, indem man nicht zulässt, was von außen kommt. #00:32:17-9#

Anne Wasmuth: Das heißt, Agilität sind sie voll, voll drin, voll gewohnt. #00:32:23-6#

Johanna Mallwitz: Ja, aber wie ich jetzt deshalb auch immer, gerade so eine erste Probe mit einem neuen Orchester ist immer wahnsinnig spannend und also fast aufregender als dann nachher das Konzert. Wenn man sich, dann kennt man sich aber und selbst mit Orchestern, die man schon kennt. Es ist einfach jedes mal wieder anders, und auch das Stück, und das meinte ich auch eben, also auch mit so einem Stück kann es sein. Wenn ich dann in zwei Jahren plötzlich wieder mache, denke ich, es muss doch absolut so sein, und es ist dann plötzlich ganz anders als vor zwei Jahren. Also auch das muss. #00:32:51-9#

Anne Wasmuth: Wie wichtig ist es dann, in diesem Zusammenhang eine Art musikalisches Zuhause zu haben, also immer wieder auch nach Nürnberg zurückkehren zu können? Ich behaupte jetzt zumindest, dass nur in welcher zu Hause ist? Absolut! #00:33:05-9#

Johanna Mallwitz: Nürnberg ist absolut mein zu Hause, sowohl Lebensmittelpunkt technisch als auch musikalisch, und also ich kann nur für mich sprechen, weil ich glaube, auch jede, alle meine Kollegen sind da sehr unterschiedlich. Ich habe das immer sehr genossen und auch gebraucht, beides zu haben, nämlich diese Verankerung, wo man dann auch sich so gut kennt zwischen, also mit den Kollegen des Orchesters, dass man gleich schon woanders ansetzen kann, dass man auch wirklich mal durch Sachen durchgehen kann, gemeinsam und das auch aushält, dass man auch alleine Zeit spart dadurch, dass man einfach weiß, in welche Richtung geht man und auch kontinuierlich langfristig arbeitet und vielleicht langfristig auch sozusagen etwas erreicht, was sich dann durchzieht durch verschiedene Projekte und sozusagen immer gleich beginnt, in der Tiefe sozusagen zu schärfen, und andererseits aber auch, und man braucht wirklich beides, woanders hinzugehen, wo man vielleicht noch nie war, und ein neues Orchester, und sich auch inspirieren zu lassen und auch überwältigt zu sein, in so einer ersten Probe wieder ganz anders und diese Inspiration dann auch mitzunehmen nach Hause und da wieder dann weiterzuentwickeln, also das irgendwie befeuert sich beides so gegenseitig. #00:34:12-9#

Anne Wasmuth: Warum sind sie vor zwei Jahren nach Nürnberg gekommen? Was hat sie gelockt? #00:34:18-7#

Johanna Mallwitz: Vor allem also eigentlich eine Sache, nämlich so ein Bauchgefühl, was ich hatte in der ersten Probe hier in Nürnberg. Ich hatte nicht so damit gerechnet, weil ich jetzt auch nicht unbedingt auf der Suche, sage ich mal, war, war auf nach ner neuen festen Stelle. Ich war eigentlich nach meiner Zeit in Erfurt, war der Kalender gefüllt mit vielen Gastengagement, sodass ich dachte, naja, jetzt muss ich erst mal bisschen das frei abarbeiten, sozusagen, da ist gar kein Platz im Kalender. Aber dann kam ich hierher, um mich vorzustellen, der jetzt deinen Herzog hatte, mich sozusagen überredet und gleich in dieser ersten Probe hatte. Das war einfach so gespürt, dass ich dachte, ähm, da ist ja was, da möchte ich gerne sein, mit diesen Menschen möchte ich irgendwie gerne Musik machen und weiter. Irgendwie wollte ich es dann plötzlich, und dann zum Glück hat es auch so geklappt, und es hat sich absolut bewahrheitet. Also, das ist ja auch immer, dass das Schöne an diesem Beruf und das einzige, worauf es auch ankommt, dass man diese Orte und diese Musiker und diese Orchester oder diese Menschen trifft, wo man merkt, es passt jetzt einfach da, und da gehöre ich hin, und da machen wir jetzt mal was. #00:35:32-9#

Anne Wasmuth: Schön gibt es etwas wie so eine nürnberger Tradition, also zum Beispiel Wagner zum Beispiel, Glück, wodurch sie sagen könnten, hier habe ich auch Platz als Künstlerin, oder sie sind ja letztlich erst ganz kurz hier in Nürnberg. Durch die Pandemie ist ja einfach auch wahnsinnig viel an Zeit verloren gegangen. Hatten sie überhaupt schon die Chance, ihren Lieblingskomponisten auf den Spielplan zu bringen? Haben sie überhaupt einen? #00:36:02-2#

Johanna Mallwitz: Auch das kann man so nicht sagen. Die Staatsplan hat natürlich eine große Tradition mit den großen romantischen Opern, vor allem also, das ist die Sache, einerseits Wagner, Strauß, diese Art von Komponisten, auch diese Art von weichen und warmen klang, und gleichzeitig sind sie eben ein Opernorchester, was absolut darauf getrimmt ist, zuzuhören, zu begleiten, sich zurückzunehmen, auch nicht mit Ego zu spielen, und diese Kombination aus beidem, dass man wirklich auch auffahren kann, aber eben auch ganz, ganz flexibel sein kann, wenn man im Orchestergraben ist, das finde ich eine sehr schöne Mischung, und ja, und sie haben recht, natürlich am Ende, jetzt gerade bin ich wirklich noch nicht lange hier. Allerdings, als ich kam, im Sommer 2018, ähm, ging es gleich erst mal ziemlich heftig los mit allem gleichzeitig. Also die ersten beiden Produktionen kamen direkt nacheinander Krieg und Frieden und die ersten Konzerte, und wir haben sozusagen in den ersten Monaten. Eigentlich habe ich täglich mit dem Orchester geprobt, wirklich jeden Tag, und das war ideal, weil man sich einfach ohne viel rumzureden, gleich richtig gut kennengelernt hat, und zwar nur über die Sache kennengelernt hat, und dann einfach mitten drin war, und dann, das stimmte dann einfach, und das war eigentlich ideal. Deshalb, für mich fühlt es sich natürlich so an, dass wir schon unglaublich viel zusammen gemacht haben. Aber sie haben auch absolut Recht, und gerade durch diese Voll Stopp jetzt seit letztem März, wo er dann also, wir hatten noch eine Premiere im Herbst, die auch wunderschön war. Aber eigentlich wäre ja noch viel mehr los gewesen, was jetzt alles wegfallen musste. #00:37:43-1#

Anne Wasmuth: Ja, nach den aktuellen Regeln, wie viel Platz brauchen sie da für das Orchester beziehungsweise mit wie viel dürfen sie im Moment proben oder, als es noch erlaubt war, eine Aufführung bestreiten? #00:37:53-9#

Johanna Mallwitz: Also, es kommt immer total drauf an, in welchem Raum. Das ist zum Beispiel, was für absurden Problem sozusagen uns. Das führt wir. Wir haben natürlich auch sehr, sehr strenge Hygiene Konzepte am Theater ausgearbeitet, um eben wieder den Probebetrieb hochfahren zu können und auch für die Konzerte. Und da sind dann zum Beispiel unsere Orchesterwarte immer mit den Maßbändern und schauen, wo wo ist, wie viel Abstand, und der kommt so rein, und wenn gewechselt wird, dann wird alles desinfiziert und so weiter, diese Dinge. Aber das zum Beispiel nur als ein Beispiel, als wir dann dachten, okay, wir können jetzt gerade. Es war im letzten Herbst. Irgendwann gab es eine Zeit, wo wir nicht große Konzerte in der meistersinger Halle spielen konnten, aber wir hätten noch Konzerte auf der Opernbühne machen können und haben überlegt, welches Repertoire geht, und es gibt eine bestimmte Anzahl an Leuten, die auf die Bühne dürfen, dass es für jeden Raum wurde genau eben ausgemessen, wie viel Leute höchstens hin, und dann auch mit welchem Abstand Bläser, nochmal mehr Abstand als Streicher und hatten dann einen schönen Programmvorschlag auf. Und dann fiel uns auf, dass wir das zwar auf der Bühne spielen können, aber nicht im Orchester proben, weil im Orchester, Raum, Raum, die wiederum noch viel weniger rein und also lauter solche Dinge, wo man dann einfach mit allen Abteilungen zusammen jetzt ganz neu überlegen muss, wie machen wir das, was für ein Konzert, Format können wir machen, was funktioniert, und dann mit welchem Stück und mit welchem Ablauf und mit ja. #00:39:13-9#

Anne Wasmuth: Äh ja, ich habe mit meinen Töchtern ihr Expeditionskonzert angeschaut, und denen ist sofort aufgefallen, da waren aufgenommen auf ihrer Probenbühne, dass sie alle mit Kopfhörer da sitzen. War das auch zur Verständigung, oder warum hatten sie die auf? #00:39:27-4#

Johanna Mallwitz: Das war also das Expeditionskonzert. Ich weiß nicht, welches sie gesehen habe. Wir haben von sieben und sechs gemacht, und die beide Ofen Symphonien waren zu der Zeit, als wir das produziert haben, nicht möglich, im tot zu spielen. Wir durften die ganze Besetzung einer Ofen Symphonie auf die Bühne bringen. #00:39:43-4#

Anne Wasmuth: Ja, man sieht es ja auch, entweder nur mit Bläsern oder nur mit speichern. Ja! #00:39:48-0#

Johanna Mallwitz: Und das heißt tatsächlich, was natürlich also unvorstellbar ist und man nie machen würde. Aber es ist jetzt eben die Zeit, auch mal Dinge zu tun, die man sonst nie machen würde. Wir haben für diese Musiken, und das sind am Ende, glaube ich, zwei Minuten Musik. Die aufzunehmen hat uns, ich glaube, vier Tage im Orchester, Probenraum in einzelnen Gruppen gekostet. Also dann erst mal kommen nur fünf Geigen, dann kommen die nächsten fünf Geigen, dann kommen ein paar Bleser, dann kommt die Pauke und zwei Trompeten, und alle haben dann haben wir mit der Tonabteilung. Das ist natürlich auch, man kann nicht eine ganze Symphonie so aufnehmen, also gerade, wenn dann auch der kleinste Tempowechsel und so ist nicht möglich. Aber deshalb diese Kopfhörer, weil wir das mit mit Klicks und dann auch mit den Stimmen, die wir schon aufgenommen hatten, die dann auch eingeblendet wurden, sozusagen versucht hat, damit man wenigstens ist es sozusagen, es ist keine Aufnahme dieser Symphonie, es ist ein Ton, Beispiel, um wenigstens einmal ganz kurz sagen zu können, wie klingt das denn eigentlich im Tod? Und das Ganze, den ganzen Rest, dieses Expeditionskonzert haben wir dann mit ganz kleinen Gruppen, also einzelnen Musikern, auf der Bühne gedreht, und den Rest habe ich halt am Klavier markiert, und so ging es dann. #00:40:53-2#

Anne Wasmuth: Ja, wann haben sie das letzte Mal von ihrem kompletten nürnberger Orchester gestanden? #00:40:58-4#

Johanna Mallwitz: Also, komplett ist man ja eigentlich fast nie, weil man sozusagen mehr stellen hat, um auch wechseln zu können. #00:41:05-3#

Anne Wasmuth: Ich meine jetzt große symphonische Besetzung mit Bläsern, vor allen Dingen mit Bläsern. #00:41:10-4#

Johanna Mallwitz: Mhm, muss Anfang des letzten Jahres gewesen sein, also jetzt bin ich gerade gar nicht mehr sicher, was letzten Januar, Februar, März noch alles lief, sicherlich auch platonische Konzerte, lange her. Ja, also, wir hatten ein etwas größeres Konzert jetzt im Herbst, aber auch das. Also, wir haben Bartok, Musik für Seiten Instrumente gemacht, das ist relativ große Streicherbesetzung mit verschiedenen Schlagzeug, Klavier, Scheisse. Aber da waren eben keine Bläser bei, und wir hätten ja, das sind so diese Programme, die dann gerade klein genug sind, dass man sich auf die Bühne kriegt, aber auch groß genug, dass sie den Saal irgendwie füllen und sozusagen nicht unter Kammermusik gefallen, sondern schon Orchester. Also, einer muss ja auch als Orchester mal wieder proben und sich sich sehen und trainieren. Sonst also, das ist wirklich schrecklich, jetzt monatelang das nicht zu haben, weil klar, jeder kann für sich selber irgendwie sein Instrument üben, aber Orchester, Technik ist halt noch mal was anderes. #00:42:04-7#

Anne Wasmuth: Ja, sie sagen, ganz gut, das Training also, das kann, denke ich, können viele nachvollziehen, dass ohne das verkümmert das alles, und man kann noch so gut sein Handwerk beherrschen. Wenn man es nicht zusammen macht, dann entsteht keine Kunst. Wenn sie aber eine normale Probe haben, wann sagen sie, das war jetzt richtig gut? #00:42:27-7#

Johanna Mallwitz: Also, eine richtig gute Probe ist eine Probe, wo man merkt, man ist wirklich ein ganzes Stück weitergekommen, und alle haben sich da irgendwie gefunden zu einem Punkt. Trotzdem ist eine Probe ja immer nur. Also es kann sozusagen nicht mein Haupt Ziel sein, eine tolle Probe zu machen, weil ich muss irgendwie schauen, dass wir das am Ende im Konzert, dass es da gut wird, proben. Vor allem ist harte Arbeit einfach Proben, einfach arbeiten, und ich denke also, ich empfinde es ganz stark so, dass man sehr genau proben muss und sich sehr genau verabreden muss, um dann im Moment des Konzertes das alles wieder zu vergessen. Dann ist die Chance da, dass das wirklich ein zauberhaftes Konzert wird. #00:43:17-7#

Anne Wasmuth: Mhm, ne Probe vorausgeht ja, die eigentliche Aneignung eines Stücks. Wie nähern sie sich einer neuen oder auch einer alten Partitur an? Ist das der Notentext? Ist es? Sind es vielleicht das musikwissenschaftliche, herzlicher der Urtext? Verschiedene Varianten? Vielleicht das Klavier, verschiedene Aufnahmen? Oder setzen sie sich mit dem Dramaturgen oder der Dramaturgin zusammen? #00:43:44-2#

Johanna Mallwitz: Nee, also, erst mal geht es schon von den Noten aus. Prinzipiell, sagen wir mal, bei einer Symphonie auch somit mit Urtext und so weiter, ist ja sehr unterschiedlich, was man kriegen kann, aber sozusagen, was immer das gleiche ist, ist, dass man erst mal erst mal relativ grob liest und dann immer genauer liest, und dann folgen einfach verschiedene Durchgänge von Analysen, die Takt, Gruppenanalysen, die Instrumentation, Analysen, die harmonische Analyse, all das, was man einfach erst mal macht, und dann immer wieder lesen, lesen, lesen, lesen, ähm, bei einer Op ist es gewissermaßen anders, weil ich erst mal nur mit dem Text starte und erst mal nur mit dem Libretto und dann die Form und dann mich überhaupt erst an den Klavierstunde Partitur mache, und bei allem aber versuche ich so viel. Also ist ja auch unterschiedlich, wie viel kann man kriegen, was kommt einem irgendwie in die Finger, so viel wie möglich zu lesen, einfach über, sagen wir mal, den, den Komponisten oder in der Zeit oder die Briefe oder was halt gerade, also alles, was man irgendwie kriegen kann. Man wird nie alles wissen können. Aber ich glaube, man sollte versuchen, so viel wie möglich einfach aufzusaugen, und auch das all das. Es beeinflusst nicht die, die die Interpretation, das nicht, aber irgendwie brauche ich es, und aber das aneignen, ein Stück es. Am Ende ist es nur die Noten befragen. #00:45:05-3#

Anne Wasmuth: Okay, gerade durch ihre Expeditionskonzerte wird aber deutlich, dass eben das Wissen rund um die Musik ja doch nur eben eine große Rolle spielt, und ich frage mich, wie sollten wir jetzt im Konzert oder in die Opa gehen? Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die hat gestanden, die war noch nie in der Opa. Wie erkläre ich jetzt dieser Kollegin, die natürlich anonym bleibt, dass Opa, das klassische Musik eine Relevanz hat, sodass sie einen Besuch wagt und hinterher zu und sagt, ja, ein Leben ohne Opa ist möglich, aber sinnlos. #00:45:38-7#

Johanna Mallwitz: Ich glaube, dazu muss man erst mal gar nichts wissen, weil am Ende ist Opa und ist auch Konzert eine Form der Überwältigung, und das erlebt man einmal, und dann rennt man immer wieder hin. Das passiert aber nicht jeden Abend oder beziehungsweise es passiert nicht für jede Person jeden Abend. Also, es gibt auch genug Konzerte, auch in die ich reingehe und die ich sehr schön finde, aber die nicht mein Leben verändern. Aber ich glaube, wenn das einmal passiert, und in der Opa, ist es eben auch dieser Moment, da trifft dich im Ton eines Sängers mit so einer emotionalen Kraft, dass du dich dem einfach, dass du denkst, dein Herz explodiert, und alles arbeitet auf diesen Moment zu. Das Orchester, das licht die, das Bühnenbild, die Regie, dass der Text, das Schauspiel, das die Kostüme, alles arbeitet darauf zu, und das ist eine Kraft. Die, die kannst du nur live haben, und die gibt's nur in der Oper, und ich bin mir ganz sicher, wer diesen Moment einmal lebt hat, der wird immer wieder kommen. Aber es ist nicht so, dass man das jeden Abend erlebt. So ist es halt nicht jenachdem, wo man gerade sich öffnet und wo auch dieser Moment passiert. Wer das einmal hat, der kann sich den, glaub ich, nicht erziehen, da ist, dann wird Opa auch richtig zu einer sucht, und auch bei Symphoniekonzerten. Also, wenn man jetzt nicht da hat man nicht so sehr so diese ganze Szenerie und und und Geschichte, aber auch das ist etwas, was nur leid funktioniert. Man kann nicht, glaube ich, was nicht funktioniert. Man kann nicht jemanden, der es nicht kennt, eine Aufnahme oder ein Video vorspielen und sagen, hör dir das doch mal irgendwie, das ist ganz toll, geht da mal hin, weil das wird dem nicht gerecht. Das hat nichts damit zu tun. Man muss da sitzen, man muss spüren, wie der Wohn vibriert, wenn die, wenn die tiefen Streicher spielen, wie wie so eine Solo Melodie dich irgendwie trifft. Das ist auch eine physikalische Kraft, und ja, das ist, man, muss einfach da gewesen sein. Also deshalb würde ich sagen, wenn sie jetzt so konkret fragen, die einzige Chance ist, wenn sie zum Beispiel selber irgendwo im Konzern und der in der Opa waren und sagen, das hat mich so gebannt oder überwältigt oder berührt oder zum Weinen gebracht, oder weiß ich nicht, das ist toll, dann würde ich der Kollegin einfach das empfehlen und einfach sagen, mach es einfach, und wir sprechen hinterher nochmal. #00:47:56-4#

Anne Wasmuth: So werde ich es machen. Es ist jetzt fast schon ist es erschreckend, aber es ist ein Jahr her, da wurde von dem Balkon Beethovens Ode an die Freude musiziert. Was wird bleiben von diesem Beethoven? #00:48:13-3#

Johanna Mallwitz: Also, ich glaube, in der Erinnerung wird nachher natürlich ganz viel anderes überwiegen gegenüber dem Jubiläum. Ich glaube aber, dass auch gerade dieses Jahr uns allen gezeigt hat, wie sehr wir die Kunst und die Musik und die Auseinandersetzung damit und dieses gemeinsame Erleben einfach brauchen, und dafür wiederum ist Beethoven ein sehr, sehr guter Protagonist. Also, ich weiß nicht, vielleicht wird in der Erinnerung des einzelnen dann doch irgendwie das auch verknüpft sein, diese ja, dieses Stille ja und dieser Durst nach Musik, und dann eben, wenn es was gab, dann war es halt oft Beethoven. Vielleicht wird das bleiben, aber hauptsache Beethoven bleibt uns. Deshalb also, ich würde jetzt auch so ein Jubiläum nicht überbewerten. #00:48:58-3#

Anne Wasmuth: Auf jeden Fall, ich habe noch eine ziemlich freche Frage. Es ist kaum vorstellbar, aber ich frage es trotzdem. Sind sie schon einmal gescheitert? #00:49:09-8#

Johanna Mallwitz: Ja klar. Das ist ja auch eine freche Frage, das geht ja auch dazu, also absolut natürlich, und es ist ja auch am Ende ist es immer das, was einen dann auch weiterbringt, diese Verzweiflung und denken, warum geht das jetzt nicht, oder warum hat das nicht geklappt oder warum kriegt das nicht hin oder was? Daran wächst man. #00:49:32-4#

Anne Wasmuth: Nürnberg ist auch gescheitert. Chemnitz ist Kulturhauptstadt, auch wenn die Bestätigung gedauert hat, aber sie wird es. Nürnberg als Kulturstadt soll bleiben. Zugleich müssen wir bei Brandschutz reden, inwieweit beschäftigt Sie das? #00:49:54-0#

Johanna Mallwitz: Das ja natürlich immens. Also gut, Kulturstadt ist das eine. Ich glaube, am Ende gönnen das alle kenne total, und jede Stadt muss mit all dem, was man kulturell eben tut oder nicht tut, beweisen, ob man eine Kulturstadt ist oder nicht. Also, daran hätte das ohnehin nichts geändert. Ja, plus jetzt diese Brandschutzsituation. Das ist natürlich eine echt total vertragt Situation, und das auch noch in diesem Jahr, wo es eh schon schwierig ist, überhaupt zu spielen. Ich habe einfach ganz große, so große Hoffnung, dass das schnell gelöst wird, dass wir wenigstens, sobald wir coronamäßig wieder dürfen, auch wieder da sein können fürs Publikum und einfach wieder spielen dürfen, und das ja vielleicht auch diese, dass das jetzt so extrem klar geworden ist, dieses Thema, dass das auch noch mal beschleunigt, dass man also, man kommt da jetzt einfach nicht mehr drum rum, das in Angriff zu nehmen. Das Opernhaus gehört saniert. Es kann auch nicht sein, dass Nürnberg kein funktionierendes oder heiles Opernhaus hat, und es kann auch nicht sein, dass Nürnberg für mehrere Jahre, während gebaut wird, sozusagen kein Opernhaus hat in Form irgendwie einer ja in einer funktionierenden und erreichbaren und belebten und trotzdem auch inspirierenden und für Oper brauchbaren Interimsspielstätte. Also, das ist jetzt einfach dringend notwendig, das muss in Angriff genommen werden, und da bin ich auch hoffnungsvoll, dass das passiert. #00:51:18-7#

Anne Wasmuth: Und sie haben klare öffentliche Signale gesetzt, die hoffentlich gehört werden, und wir alle hoffen auf viele, viele Dirigat mit ihnen, egal wo, aber dann auch in einem neuen Haus, und ich habe zum Schluss noch eine Frage. Dirigieren ist körperlich anstrengend, also ich stelle mir vor, Sport müssen sie nicht mehr treiben, wo andere also Sport oder machen oder eben Musik hören, was machen sie, was macht sie glücklich, was lenkt sie ab, was was ist sozusagen. Gibt es das ein Hobby für einen Profi Musik hab? #00:51:56-3#

Johanna Mallwitz: Also, wenn ein Hobby, kann man so nicht sagen, weil dazu einfach dieses Leben. Also es ist halt kein Beruf, es ist eine Lebensentscheidung, und in dem Rhythmus, den man so lebt, nämlich komplett ohne Rhythmus, jeder Dach ist anders, ist einfach keine Zeit für ein regelmäßiges Hobby. Aber es gibt natürlich ja, also ich glaube, ich muss auch noch lernen, wie ich mich entspanne und runterkomme. Da ist auch eine Herausforderung für mich, aber was auf jeden Fall? Das weiß nicht, ob man es als Hobby bezeichnen kann, aber was immer, hilft es, entweder in die Natur zu gehen oder spazieren oder laufen zu gehen oder gut zu essen. Und. #00:52:35-6#

Anne Wasmuth: Ja, und gibt's für uns was, die wir diese Möglichkeit, diese Flucht in der Musik ja eben haben. Haben sie eine corona playlist? #00:52:44-8#

Johanna Mallwitz: Hätte ich gesagt, das finde ich schwer zu beantworten, da ich so wenig selber Musik höre, und wie gesagt, wir haben auch eben so ein bisschen drüber gesprochen, wie gefährlich das ist, sozusagen das mit dem mit der Aufnahme irgendwie zu verwechseln. Ich muss sagen, ich habe jetzt in dieser Corona Zeit dann plötzlich angefangen, doch ganz viel, und zwar Bach zu hören. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, einfach jeden Tag immer irgendwie Bach anzuhören. Das also, das weiß ich nicht, ob ich das empfehlen kann, aber ich würde es mal probieren, weil am Ende ist es ja, es ist einfach das größte, und es ist auch ein bisschen, ich sage mal, reinigend für den Geist, wenn man so verwirrt ist von den ganzen täglichen Dingen, die einen da so jetzt jeden Tag neu bewerten muss, und so weiter. #00:53:36-0#

Anne Wasmuth: Ja, gerade Bach, also gerade in so einer Zeit, wo alles immer wieder in Frage gestellt wird, immer wieder neues, immer wieder durcheinander, immer wieder mal neu planen muss so eine Strukturierte, so eine eine klare Musik, so eine komplexe, aber trotzdem einfache Musik, absolut schön! Nürnberg kann sich so unglaublich glücklich schätzen, dass sie hier sind, dass Sie uns begeistern für Musik, und wer jetzt noch nicht gemacht hat, der muss sich das trotzdem, auch wenn es nicht live ist. Aber es transportiert sich jede Menge ihre Expeditionskonzerte anhören, und ich sage einfach nur vielen, vielen Dank für ihre Zeit, Ihre Gedanken, Ihr Wissen, wir freuen uns auf viele, viele Konzerte und Vorstellungen mit ihnen am Pult und mit ihrem ganzen kompletten Orchester, Danke, Johanna Mallwitz #00:54:29-2#

Johanna Mallwitz: Dankeschön. #00:54:30-5#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Die international bekannte General-Musik-Direktorin der Staatsphilharmonie Nürnberg über analytische Ohren, Führungskompetenzen und Nürnberg als musikalisches Zuhause.

Joana Mallwitz, erste General-Musik-Direktorin an der Spitze der Staatsphilharmonie Nürnberg, über ihren Weg ans Pult, über Dirigieren als Handwerk, die Rolle von Praxis und (musikalische) Vorbilder. Im Gespräch reflektiert sie ihre Rolle als erfolgreiche Dirigentin. Sie spricht über Authentizität und Führungskompetenz und warum Autorität nur mit Verantwortung und Offenheit gemeinsam gedacht werden darf. Im Podcast gibt sie Einblick in ihren kreativen Schaffensprozess und ihre Arbeit mit den verschiedenen Orchestern. Dabei geht es um Bauchgefühl, musikalische DNA und die Frage, was Ohren mit Fantasie und Analyse zu tun haben. Die Dirigentin erzählt von den Herausforderungen der Pandemie und einem sanierungsbedürftigen Opernhaus. Am Ende aber bleiben die Neugier auf ein wunderbares Orchester, die Oper als Gesamtkunstwerk und Kraftwerk der Gefühle, vibrierenden Boden und explodierende Herzen.

Weitere Infos:

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Aufgenommen am: Mittwoch, 13. Januar 2021
Veröffentlicht am: Donnerstag, 4. Februar 2021
Moderation: Dr. Anne Wasmuth
Im Gespräch: Joana Mallwitz

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.

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