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Gesine Oltmanns, was braucht es, um eine Diktatur zu stürzen?

Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast Bildungszentrum Nürnberg. #00:00:10-9#

Grazyna Wanat: Guten Tag, herzlich willkommen bei der neuen Ausgabe unseres Podcast. Mein Name ist Grazyna Wanat und meine Stimme noch ein wenig von Corona belegt, aber ich hoffe sie hält. Und schließlich nicht meine Stimme wird bei diesem Gespräch hauptsächlich beansprucht, sondern die meiner Gästin Frau Gesine Oltmanns, Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution aus Leipzig. Guten Tag, Frau Oltmanns. #00:00:44-4#

Gesine Oltmanns: Guten Tag, ich grüße Sie und bedanke mich für die Einladung. #00:00:48-1#

Grazyna Wanat: Das Gespräch, das wir heute online aufnehmen, wird veröffentlicht am Donnerstag, den 11. Juli 2024, am Tag der Eröffnung einer Wanderausstellung, die auf dem Klarissenplatz vor dem Neuen Museum in Nürnberg bis Ende Juli zu sehen wird. Und bevor wir uns in die große Geschichte vertiefen und auch über Ihre eigenen Gründe Ihres Engagements sprechen, möchte ich Sie bitten, einfach mit einer Kurzfassung die Frage zu beantworten: Wie heißt die Ausstellung, die Sie nach Nürnberg bringen, und was ist ihr Thema? #00:01:25-2#

Gesine Oltmanns: Ja, wir sind seit Mai diesen Jahres auf Wanderschaft mit einer Ausstellung, die ein Projekt darstellt, das die Stiftung Friedliche Revolution seit 2018 stark bewegt. Das ist das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig, das durch einen Bundestagsbeschluss 2008 initiiert wurde und seitdem im Entstehungsprozess ist. Und wir haben uns als Stiftung überlegt, dass ein Denkmalsprozess mehr ist als nur ein Sockel und eine Skulptur, sondern dass wir halt einen ganz starken Fokus auf Vermittlung, auf Kommunikation, auf Dialog zu den Themen der friedlichen Revolution, der Transformationszeit und dem, wofür wir dieses Denkmal errichten. Und deshalb sind wir jetzt über Leipzig hinaus interessiert, unser Thema bekannt zu machen und zum anderen aber vor allen Dingen auch viel mitzunehmen, was uns hier an Gesprächen und an Ideen und Gedanken mitgegeben wird. #00:02:31-0#

Grazyna Wanat: Wir werden gleich mehr über diese Ausstellung sprechen, aber gerne möchte ich mich bei einem zentralen Begriff aufhalten, um den es sich eigentlich hier dreht, nämlich friedliche Revolution. Ich bin vom selben Jahrgang wie Sie, 1965 und ich komme aus Polen, wo ich bis Ende 1989 lebte. Das heißt, die Ereignisse, von denen wir gleich sprechen werden, waren für mich genauso prägend wie für Sie, wenn auch aus einer etwas anderen Perspektive erlebt und gesehen. Gleichzeitig ist es mir sehr bewusst, leider, dass Sie bereits 35 Jahre zurückliegen und für viele junge und auch anders sozialisierte Menschen aus dem etwas verstaubten Bereich der Zeitzeugengeschichte und Dinosauriererzählungen stammen. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle unsere Zuhörerinnen und Zuhörer dieselben Bilder vor Augen haben, wenn wir von der friedlichen Revolution sprechen. Welche Rolle spielt diese Tatsache im Laufe der Jahre in Ihrer Bildungsarbeit? #00:03:49-4#

Gesine Oltmanns: Ja, die Stiftung hat sich 2009 gegründet als Stiftung Friedliche Revolution, weil sie genau das sieht. Weil sie sieht, dass wir dieses Thema 1989, Opposition und Widerstand in der DDR und vor allen Dingen auch die Zeit des Umbruchs lebendig halten wollen, dass wir es als eine lebendige Geschichte begreifen, die uns sehr viel mitgibt für heute und wir den Auftrag aus der Geschichte heraus haben dieses sehr positive Ereignis der deutschen Geschichte, es gibt da nicht so viele, es ist wirklich das herausragend positive Ereignis einer deutschen Revolutionsgeschichte, dass wir dieses Ereignis wirklich aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachten und erzählen dürfen, weil es uns halt eine ganze Menge mitgibt an auch an Erfahrungen und zum anderen, aber eben halt auch an Werten und an ganz besonderen Momenten der Solidarität, der Gewaltfreiheit und vor allen Dingen auch der Zivilcourage, die damals die Menschen hatten. Und ich glaube, da unterscheidet sich Polen und die ehemalige DDR schon grundlegend, aber in in der Großartigkeit der Veränderungen, die da die durch 1989 ganz Europa und eigentlich auch die Welt mit dem Fall des Eisernen Vorhangs erfasst hat, sind wir alle, alle miteinander ganz stark verbunden. #00:05:20-8#

Grazyna Wanat: Vielleicht kommen wir noch zu diesen Vergleichen Polen, DDR. Aber im Moment würde ich Sie gerne noch fragen, ob sich das wirklich ganz kurz im Sinne von eines, in Form von einem Crashkurs beantworten lässt: Wer hat wo, wann und warum diese friedliche Revolution gemacht? #00:05:41-1#

Gesine Oltmanns: Es gab in der DDR immer Opposition und Widerstand. Seit der Gründung 1949 gab es ganz viele Ereignisse, die auch herausragend wie der 17. Juni 1953, der Bau der Mauer am 13. August 1961 und es gab aber eben dann gerade in den 80er Jahren mit dem Erstarken der Friedensbewegung in West und Ost gab es auch in der DDR eine eine andere Organisiertheit des Widerstandes. Und ich bin als junge Frau 1983 aus der Provinz nach Leipzig gekommen und bin da eingetaucht in diese Arbeit der Oppositionsgruppen, der, des Nachdenkens über Formen der Reform, der Reformierung der DDR. Und habe dann sehr schnell feststellen dürfen, dass es doch ein ziemlich breites Netzwerk von konspirativen, arbeitenden Gruppen, aber eben vor allen Dingen von Gruppen, die in den Räumen der Kirche, also in den kirchlichen Freiräumen ihre Arbeit getan haben oder aufgebaut haben. Für mich war, gab es verschiedene Punkte, wo ich mich politisiert habe, würde ich so sagen. Das waren Ereignisse, vor allen Dingen 1987, 8198 in Berlin, wo Oppositionelle verhaftet wurden, wo wir auf einmal eine große Solidaritätsbewegung auch hatten in der DDR und wir gefordert waren, diese Impulse, diese ganz starken Entwicklungen aufzunehmen und weiterzuführen. Und das Jahr 1989 war wirklich ein sehr besonderes, weil es halt in ganz Europa so viele Veränderungen gab. Der Sommer 1989 war speziell. Viele Ausreisewillige aus der DDR versuchten über die Botschaften in Warschau und in Prag oder über Ungarn in den Westen zu kommen, weil die Situation in der DDR für viele wirklich unerträglich geworden war. Und damit verband sich auf der einen Seite natürlich für viele die Hoffnung auf ein besseres Leben, für uns, die wir in der DDR bleiben wollten und in dem Land verändern wollten und eine bessere Gesellschaft vor Augen hatten, für uns war es schmerzlich und schwierig und deshalb haben wir im Herbst 1989 dann im September angefangen, wirklich den Widerstand auf der Straße, auf die Straße zu bringen. Mit Demonstrationen, mit klaren Ansagen, mit der, das erste Mal mit Transparenten auf der Straße zu sein. Das waren alles neue Mittel auch oder Formen des Protestes, die sich dann unheimlich schnell entwickelt haben, so dass wir im September praktisch in, von Leipzig ausgehend, weil hier gab es die Friedensgebete in der Nikolaikirche, die waren ein super Treffpunkt für alle, einmal wöchentlich auch über Leipzig hinaus, aus der ganzen DDR nach Leipzig zu kommen und sich dort zu treffen und zu demonstrieren. Und Leipzig war insofern ein gewisses Zentrum der Demonstrationen im Herbst 1989, die aber überall in der DDR stattfanden, in DDR, in Leipzig, in Plauen, in Dresden zuerst, aber dann entwickelte sich von Ort zu Ort. Es gab im Herbst 1989 über 3000 Aktionen in der ganzen DDR, die praktisch die Bewegung zusammenbrachte. #00:09:21-2#

Grazyna Wanat: Sie sind schon in der Schulzeit aufgefallen, sozusagen. Und im Januar 1989 landeten Sie sogar im Stasigefängnis. #00:09:33-7#

Gesine Oltmanns: Ja, ich hatte das Glück, ein kritisches Elternhaus zu haben, wo sehr viel politische Diskussionen geführt wurden und wo ich mich auch schon als Kind und Jugendliche immer damit auseinandersetzte, was ist eigentlich eine eine gute Gesellschaft. Und ich habe dann selber den Weg gewählt, auch ganz offensiv und aktiv den Widerstand in der DDR zu unterstützen. Das war mit großem Risiko, Risiken verbunden. Das, Sie kennen es aus Polen, da war es nicht anders. Wir hatten dann verschiedene Aktionsformen. Wir haben versucht, zu, Demonstrationen zu organisieren oder Kundgebung. Und ein Flugblatt hat mich dann ins Gefängnis gebracht, zusammen mit 13 anderen Freundinnen und Freunden. Aber die Erfahrung des Januar 1989 und unserer Untersuchungshaft war, dass man aus dem Knast auch wieder rauskommen kann. Das war unglaublich und das hat uns unheimlich motiviert, weil wir merkten, die Solidarität in der DDR für solche widerständigen Aktionen, die ist inzwischen groß und die kann sogar so viel Druck aufbauen, dass der Staat die seine Kritiker, Kritikerinnen wieder entlassen muss. Das war einmalig. Das hat es vorher, glaube ich, kaum gegeben. #00:11:00-4#

Grazyna Wanat: Ich kann mir auch vorstellen, dass weniger mutige Menschen würde das eher entmutigen solche Erfahrung als umgekehrt. #00:11:08-8#

Gesine Oltmanns: Aber wir kamen aus dem Knast raus und hörten, dass zum Beispiel Solidarnosc und Charta 77 die ersten Protestadressen geschickt haben, an die, an die Staatsführung der DDR. Und das war so toll. Es gab eine sogar internationale Solidarität, nur um die Leute, die sich hier engagieren und die dafür in den Knast gehen, wieder rauszubekommen. Das hat uns auch geholfen im Herbst dann wieder den Mut zu haben, dass die Staatsmacht mit ihrer wirklich massiven Gewalt, die wir am Anfang noch im September überall auf den Straßen hatten, dass man dem friedlich entgegentreten kann und dass sie besiegbar ist. #00:11:54-6#

Grazyna Wanat: Und am 4. September wurden sie wirklich berühmt. Was ist dann passiert? #00:12:02-6#

Gesine Oltmanns: Ja, wir hatten halt den Sommer hinter uns und haben gemerkt auch, wie viele Freunde inzwischen schon weg waren. Über die Grenze, über Ungarn, über die Botschaften und wir wollten ein Zeichen setzen, dass wir noch da sind, dass wir nicht aufgeben, dass wir die DDR nicht sich selbst überlassen, sondern dass wir weiter fordern, dass sich die DDR reformiert. Und wir dachten, wir brauchen ein starkes Symbol, wir brauchen ein starkes Zeichen und haben das erste Mal nach dem Friedensgebet Montag, 17:00 Uhr, am 4. haben wir das erste Mal mit Transparenten auf dem Nikolaikirchhof demonstriert. Das war ganz schön riskant, würde ich mal sagen, aber es war, es war die Zeit und es war uns, wir haben gar nicht mehr darüber nachgedacht, wie riskant das war, weil wir es einfach so wichtig fanden. Und wir waren jung und und haben dann, ja, haben dann aber eben in den folgenden Montagen doch auch gemerkt, wie heftig der Staat darauf reagiert hat, auf diese Plakataktionen auf dem Nikolaikirchhof. Eine Woche später wurden dann viele verhaftet. Wir hatten wieder darum zu kämpfen, dass politisch Inhaftierte freikommen. Das hat uns aber auch geholfen, sehr viel Öffentlichkeit zu entwickeln und zu zeigen, die, die hier im Land sind, die werden verfolgt, die, die eigentlich nur das wollen, was die Grundforderungen der Demokratie sind. #00:13:38-2#

Grazyna Wanat: Ja, Sie sagen, wir waren jung, wir waren tatsächlich 24, sehr jung. Und dieser 4. September gilt eigentlich als Startpunkt für diesen ganzen Revolutionsherbst. Und weil jede Woche mehr und mehr Menschen dann zu diesen Montagsfriedensgebeten und Montagsdemos kamen. Und am Ende kann man schon sagen, dass diese Beharrlichkeit und diese wachsende Anzahl von Menschen dazu geführt hat, dass das Regime kapituliert hat. #00:14:13-0#

Gesine Oltmanns: Kapituliert sollte man vielleicht gar nicht sagen. Es ist schon wirklich der Sturz einer Diktatur gewesen, so wie es halt in anderen Ländern, Mittelosteuropa ja auch passiert ist. In Tschechien, in Polen, voran, in Rumänien, in Bulgarien und in der Sowjetunion dann später. Insofern war es für uns auch wirklich etwas überraschend, wie schnell sich das entwickelt hat, aber das zeigt auch, in welcher Situation die DDR damals war ,wirtschaftlich, mit der Umweltkatastrophe, die sich gerade auch im Leipziger Umland mit dem Tagebau und der starken Luftbelastung zeigte. Niemand wollte das mehr aushalten. Und wir hatten natürlich durch die Nähe zum Westen, also dass die westliche Bundesrepublik ja direkt vor der Tür war und viele, auch viel Öffentlichkeit auch über die Westmedien zurückkam in die DDR konnte man natürlich auch zeigen, was sich hier entwickelt, wie demonstriert wird, warum demonstriert wird. Und es überlagerten sich, glaube ich, in diesem Herbst sehr viele Entwicklungen, auch wenn man daran denkt, dass zum Beispiel die erste Oppositionsbewegung in der DDR am 10. September sich gegründet hat, das Neue Forum. Eine großartige Sache, die uns alle aus dem Herzen sprach, ja. Einige von meinen Freunden haben das mitgegründet. Ich habe das Neue Forum, als es noch verboten war, in Leipzig versucht mit anzumelden. Also es war alles in Bewegung. Man hatte das Gefühl, es bricht alles auf. #00:15:55-8#

Grazyna Wanat: Ja, sie strahlen, wenn sie darüber erzählen. Und ich muss sagen, das ist sehr ansteckend, weil ich erinnere mich auch an diese Umbruchszeit und an diese Solidarnosc Festival eigentlich. Ich bin auch am 14. November mit einem Nachtzug aus Polen nach Deutschland gefahren, durch DDR. Und ich habe auch diese ganzen feiernden, überglücklichen Menschen an vielen Bahnhöfen gesehen. Es ging natürlich nicht darum, alles auszureisen, sondern diese Freiheit kurz zu genießen und zumindest einmal einfach durch die Grenze zu gehen wie freie Menschen. Es war ja unglaublich berührend damals alles und die Lage schien eigentlich aussichtslos und dann, wie Sie sagen, hat sich das so schnell alles geändert. Ich denke daran manchmal, wenn wir heute das Gefühl haben, dass die politische Lage und die Situation der Demokratie ziemlich aussichtslos ist und ob es ihnen das nicht ein bisschen Hoffnung gibt, wenn Sie an die Zeiten zurückdenken und denken okay, es hat nicht so positiv ausgesehen und wir haben es geschafft, also schaffen wir das jetzt auch. #00:17:14-6#

Gesine Oltmanns: Also ich erinnere mich an viele Diskussionen, die wir nächtelang geführt haben. Wie viel Hoffnung haben wir überhaupt noch, in der DDR etwas zu verändern? Gibt es überhaupt noch eine Hoffnung, die Menschen zu bewegen, auf die Straße zu bekommen, ihnen zu zeigen, dass es wichtig ist, offen und frei zu reden. Und ich meine genau, wenn wir damit das vermitteln, was 1989 passiert ist und und wie sich etwas entwickelt hat, dann können wir schon damit auch etwas Hoffnung wecken. Ohne Hoffnung gibt es keine Veränderung, also eine minimale Hoffnung. Die muss man sich bewahren oder damit, nur damit kann man auch revolutionäre Veränderungen schaffen. Das ist so eine Quintessenz. Ich habe das von einer Iranerin gehört, die sagte, es muss eine minimale Hoffnung noch da sein, um eine Revolution erfolgreich führen zu können. Und das, fand ich, hat, konnte ich nur sagen, ja, das waren halt wenige, die noch eine Hoffnung hatten, aber die halt, die das Zepter in die Hand genommen haben. #00:18:26-4#

Grazyna Wanat: Das nehmen wir mit, auf jeden Fall. Gerne noch kurz zurück zu Ihrer weiteren Geschichte, ihrer eigenen, weil Sie dann in den nächsten Jahren nach dem Umbruch als Sachbearbeiterin bei der Leipziger Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde gearbeitet haben. Das hat bestimmt Ihren Blick auf DDR noch weiter verschärft. Und Sie haben auch später irgendwann Ihre eigene Stasiakte gelesen. Warum später? Wie ist es Ihnen damit ergangen? #00:19:00-8#

Gesine Oltmanns: Ja, wir wussten oder ahnten ja vieles, was die Stasi gemacht hat. Manches war spürbar, manches war verdeckt. Ich wurde auch, wie viele meiner Freundinnen überwacht. Die Stasi stand im Wartburg vor uns, vor meiner Wohnungstür und vor der Haustür. Und wir hatten immer das Gefühl, wir haben ständige Begleiter, aber es war nicht offensichtlich. Und als dann die Bürgerkomitees in der DDR die Stasi besetzten und versuchten, einen Umgang mit dieser Hinterlassenschaft zu finden, mit einem neuen Stasiunterlagengesetz, mit einem Aufbau einer Behörde, dann war das für mich ein Thema, wo ich sagte, wo, wenn nicht dort, sind die Menschenrechtsverletzungen am spürbarsten oder am sichtbarsten? Also wir müssen diese Akten öffnen. Und das war für mich eben als sehr junge Frau damals wirklich extremst berührend, die, vor allen Dingen diese Gerichtsakten aus den Jahrzehnten vorher in den Händen zu halten, weil die mussten natürlich an die Gerichte übergeben werden. Die waren bei der Stasi gelagert, zu Unrecht und mussten für die Rehabilitierungsverfahren aufbereitet werden und sorgsam übergeben werden, damit auch nichts verloren ging. Das war meine Arbeit dann in dieser Stasiunterlagenbehörde und ich erinnere mich so an die ersten Begegnungen mit den Betroffenen. Also die kamen dann wirklich zum Bürgerkomitee und sagten "Ich bin inhaftiert gewesen, ich habe nie darüber sprechen können. Ich habe nicht mal meiner Familie davon erzählt, wie es mir da ergangen ist". Und sie hatten zum Teil noch nie ihr Urteil in der Hand gehabt. Die haben das nur vorgelesen bekommen im Prozess, sie haben es nie ausgehändigt bekommen. Und dann gibt man ihnen oder überreicht man ihnen ihr Urteil und da wird man ganz demütig und klein. Also das, was ich selbst erlebt und was mich ja nicht schwerwiegend beschädigt hat, das war auf einmal nicht mehr wichtig, sondern es war wichtig, das öffentlich zu machen. Und ich glaube, das ist in Ostdeutschland sehr gut gelungen. Also mit den Gesetzen, die erlassen wurden, dann um diese Akten zu bewahren, um sie zu öffnen für die Betroffenen, vor allen Dingen aber auch, um das Unrecht aufzuarbeiten. Da können wir sehr, sehr froh sein, dass das bei uns so gelungen ist. Ich glaube, auch einzigartig im gesamten Ostblock. #00:21:39-6#

Grazyna Wanat: Und definitiv in Polen war ein anderer Weg gewählt worden und ich würde auch nicht behaupten, dass er besser war. #00:21:46-5#

Gesine Oltmanns: Ich habe das jetzt zum Beispiel auch in Taiwan gehört. Ja, da wurde halt die Militärdiktatur gestürzt, aber die Akten und die Verwaltung blieb die gleiche. Während die DDR zum Beispiel ausgetauscht wurde, ja, da wurde Stasi überprüft, da wurden auch viele Leute mussten halt ihren Beruf aufgeben, weil es halt nicht tragbar war für die, die betroffen waren von den Repressionen des Regimes. #00:22:12-0#

Grazyna Wanat: Mein Großvater war sieben Jahre inhaftiert worden und auch er hat nie mit der Familie darüber gesprochen. und als er nach dem Umbruch rehabilitiert wurde, war seine größte Freude, dass endlich alle wissen, dass er kein Verbrecher war. Also er lebte auch mit diesem Gefühl, so wahrgenommen zu werden, als ein Verbrecher, der sieben Jahre im Gefängnis saß. #00:22:36-0#

Gesine Oltmanns: Ja, das hat auch die Gesellschaft geprägt. Das Schweigen über das, was der Staat gegen sein eigenes Volk getan hatte. #00:22:44-7#

Grazyna Wanat: Der ehemalige Stiftungsvorstand, Christian Führer, sagte: "Wir wollen die friedliche Revolution nicht ins Museum stellen, sondern wir wollen weitergehen und auch heute zum Handeln anstiften." Aber jetzt sind Sie dabei, ein Denkmal zu gründen. Klingt das nicht doch ein bisschen nach Museum? #00:23:10-7#

Gesine Oltmanns: Ich denke nicht, weil wir bauen das Denkmal ja nicht für uns, sondern für die, die später damit umgehen werden. Und von daher ist es halt eine ganz spannende Auseinandersetzung, was zum Beispiel junge Leute sich von so einem Denkmal versprechen, was sie sich wünschen dafür, was, was für sie wichtig wäre, da zu zeigen. Und deshalb auch diese Ausstellung, um halt wirklich zu fragen, Fragen zu stellen, wie gehen wir heute mit so einer Erinnerung um? Brauchen wir ein Freiheits- und Einheitsdenkmal? Was kann es vielleicht auch neu anstiften? Ja, und insofern ist für uns der Prozess eigentlich schon das Denkmal gar nicht unbedingt das, was dann kommt,das wird eine künstlerische Auseinandersetzung sein, die steht für sich. Aber ich glaube, dieses ganze darüber nachdenken, eben Denkmal über Freiheit nach, denk mal über Demokratie nach. Das sind so die großen Impulse, die ich mir wünsche von so einem ein Denkmal. #00:24:16-3#

Grazyna Wanat: Heutzutage ist alles umstritten und vor allem glaube ich, die Erinnerung. Und deswegen kann ich mir vorstellen die bisherige Entstehungsgeschichte des Denkmals ist bestimmt nicht frei von Konflikten verlaufen. Wenn ich recht habe, an welchen Linien verlaufen sie? #00:24:37-2#

Gesine Oltmanns: Wir hatten in Leipzig wirklich sehr direkt nach dem Bundestagsbeschluss einen Versuch, schon einmal dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal zu bauen, der ist nicht geglückt. Und das hatte sicher sehr viele Gründe, es hatte auch ganz formalrechtliche Ding, dann so, dass der Stadtrat in Leipzig dann gesagt hat, wir beenden diesen ersten Anlauf und wir überlegen uns aber, ob wir das später noch mal anfassen. Und das hat der Stadtrat von Leipzig dann 2018 getan. Ich denke, es war gut, dass so viel Zeit vergangen ist. Jetzt, weil die Nähe 2009 zu der Geschichte auch von der Zeitzeug*innenschaft eine ganz andere war als heute. Wir haben sehr gut daran getan, jetzt viel mehr Perspektiven aufzumachen auf die DDR Geschichte. Also ich glaube, es gibt auch Perspektiven, die der Jugend oder der jungen Generation heute viel näher sind. Zum Beispiel die migrantischen Perspektiven auf die friedliche Revolution oder, ja, Umweltthemen, die damals ja auch hochaktuell waren und die Klimabewegung ja heute wieder so, so ganz stark macht. Das sind Themen, die uns andocken lassen an Themen, die heute oder auch in der Zukunft eine riesige Rolle spielen. Von daher ist so ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ein sehr aktuelles Thema. #00:26:09-6#

Grazyna Wanat: Auf jeden Fall. Ich glaube, das Thema Ost-West-Beziehung ist sowieso jetzt auf einmal wieder sehr aktuell. Ich glaube, da gab es so eine Phase, wo man weniger darüber gesprochen hat und jetzt auf einmal von allen Ecken kommen Texte und Beiträge dazu. Im Juni, also wirklich vor ein paar Tagen, ist das Buch des Makrosoziologen Steffen Mau erschienen. Ich weiß nicht. Haben Sie vielleicht schon Zeit reinzuschauen? #00:26:41-2#

Gesine Oltmanns: Ich habe es nur zitiert gehört bisher. Ich konnte es noch nicht lesen. Wir haben einfach momentan so viel zu tun. #00:26:47-2#

Grazyna Wanat: Ja, klar, das ist sehr frisch. Ich war krank, deswegen hatte ich Zeit. Das Buch heißt "Ungleich vereint: warum der Osten anders bleibt" und auf jeden Fall ist es ein super spannendes Buch und ein großes Teil beschäftigt sich tatsächlich auch mit dem Thema Aufarbeitung der DDR Vergangenheit also hat auch mit ihrem Thema wahnsinnig viel zu tun. Dann habe ich auch ein Gespräch Anne Will mit Stefan Mau gehört und sie hat gleich am Anfang gesagt, sie hat Angst, eigentlich in diesem Gespräch etwas Falsches zu sagen und Anne Will ist, glaube ich, die letzte, die Angst hat, weil sie eine westdeutsche Journalistin ist. Und das fand ich auch sehr spannend, weil das zeigt auch, wie vermint und teilweise vergiftet auch dieses Dialog Ost-West bei diesem Thema ist und tabuisiert auch zum Teil. Ist diese Reise Ihrer Ausstellung nach Westen auch aus diesem Grund konzipiert worden? #00:27:58-9#

Gesine Oltmanns: Es ist genau so eine Art Botschafterrolle, die wir übernehmen wollen auch damit. Da geht es vor allen Dingen darum, dass man die Demokratiegeschichte des Ostens als eine gemeinsame begreift. Also mir ist es ein ganz großes Anliegen, dass man nicht mehr sagt, in Ostdeutschland gab es die friedliche Revolution, sondern dass man, das ist unsere gemeinsame Demokratiegeschichte und da gehört dieses Ereignis der friedlichen Revolution 1989 hinein und muss von uns gehört und erzählt werden. Es gab in meinem Freundeskreis große Erschütterung, nämlich als wir nach dem 9. Juni diese Karte sahen, die schwarze alte Bundesrepublik und dieser blaue Osten. Dieses Bild, das hat mich auch verfolgt. Ich war so deprimiert, dass diese, diese Grenze, die wir, wo wir gehofft hatten, das ist ein grünes Band, das fällt gar nicht mehr auf, das ist halt eine große Landschaft geworden. Ist es nicht. Und das ist ein ganz hartes, symbolisches Bild finde ich, das uns erschüttert, aber eben auch zeigt, wie viel noch vor uns liegt, wie viel Weg noch vor uns liegt. #00:29:18-5#

Grazyna Wanat: Mhm, da bin ich gespannt. Wir werden uns nicht mehr darüber unterhalten können, was sie nach der Lektüre sagen, weil die These von Steffen Mau ist Eben: Wir sind, also da sind zwei sehr unterschiedliche Orte, Ostdeutschland und Westdeutschland, und die werden nicht identisch sein. Die sind einfach anders und bleiben anders. Und das meint er nicht negativ. #00:29:44-2#

Gesine Oltmanns: Die dürfen auch anders sein, das finde ich ja auch. Wie Regionen ja ganz verschieden sind, so ist eben halt auch der Osten einfach durch seine ganze Geschichte anders geprägt und darf auch so sein. Aber diese, diese Toleranz gegenüber einander, das ist ja das Entscheidende, also dass man, mit den, mit seinem kulturellen Gedächtnis was ja zum Teil sich unterscheidet von dem im Westen, dass man damit auch ernst genommen wird und dass das sein darf. #00:30:18-6#

Grazyna Wanat: Ich möchte jetzt auch was erwähnen. Sie eröffnen die Ausstellung und einen Tag später eröffnen wir am Bildungscampus ein Literaturfestival, texttage.nuernberg heißt das, und zu Gast bei uns liest Charlotte Gneuß. Und das ist auch eine Autorin, die mit dem Thema was zu tun hat. Sie hat nämlich ein Buch geschrieben, "Gitteree". Es spielt im Dresden der 70er Jahre und die Autorin ist 1992 geboren. Und das löste sofort eine große Debatte aus, ob und wie Nachgeborene über die vergangene DDR Geschichte schreiben können, dürfen, sollen. Also auch hier wird die Berechtigung umkämpft. #00:31:09-2#

Gesine Oltmanns: Ähm, ich, ich meine, das ist ja genau die Zukunft. Also wir haben, sowohl die wissenschaftliche Aufarbeitung wird von einer jungen Generation übernommen. Wir haben da viel schon geleistet, aber das muss ja von ihnen weitergeführt werden. Und ich merke, es gibt ein ganz großes Interesse an Biografieforschung. Forschung in dem Sinne, dass man die Familiengeschichten ergründet, dass man seine Großeltern fragt, dass man halt auch dann versucht, das noch genauer zu reflektieren und einzuordnen. Und deshalb sind solche Bücher, denke ich, sind sehr, sehr wichtig, weil sie halt auch gerade die ansprechen, die in ähnlichen, ähnlich jung sind, die vielleicht dadurch auch selber merken, wie interessant ihre deutsch-deutsche Familiengeschichte ist. Insofern finde ich das sehr gut und richtig, dass solche Bücher geschrieben werden und sie können alles nur bereichern und den Blick auf die DDR auch noch mal verändern oder eben bereichern. #00:32:22-3#

Grazyna Wanat: Die Erinnerung ist super wichtig für die Gegenwart und für die Zukunft. Und deswegen ist es auch sehr umkämpft, weil wie sie, wie die Vergangenheit erzählt ist, davon werden wieder die Entscheidungen für die Zukunft oft motiviert oder begründet. Vor kurzem gab es auch einen Artikel in der Zeit von AAdam Soboczynski unter dem Titel "Die Auferstehung" und seine These, wiederum in den USA und in Großbritannien wird die DDR gerade neu entdeckt und im milden Licht getaucht. Und er nennt als Beispiele die Namen von Brigitte Reimann, Katja Hoyer, Jenny Erpenbeck. Sehen Sie auch, dass diese verharmlosend romantisierende Erzählung in Anmarsch ist? Oder ist es auch nur eine Strömung? #00:33:18-6#

Gesine Oltmanns: Die hat sich vor allen Dingen medial sehr ausgebreitet und trifft natürlich zum Beispiel auf dieses Nostalgische, was sich auch hier im Osten spürbar entwickelt. Also das ist natürlich aus diesen schweren Zeiten der Transformation heraus auch mit geboren, dass man jetzt nach dem Alltag der DDR sucht und das, was der so Besonderes vielleicht auch positiv und Gemeinschaftliches hatte, was uns heute auch fehlt. Ich denke, dass da eine gewisse Gefahr drin liegt, der wir aber eigentlich mit der Aufarbeitung, die schon geleistet ist, nämlich mit dem Sichtbarmachen von Repression, von Opferbiografien, von Zeitzeug*innengeschichten, dass wir da nicht nachlassen dürfen. Also dass wir das jetzt nicht für die Archive und Museen gemacht haben, sondern dass wir da, dass das Arbeitsthemen sind von uns Aufarbeiter*innen oder Vermittler*innen der politisch-historischen Bildung. Ja, ich finde, wir müssen da gegenhalten, aber eben nicht ideologisieren, sondern auf eine sehr gute bildende Art und Weise. #00:34:41-5#

Grazyna Wanat: Bestimmt keine einfache Arbeit. #00:34:44-7#

Gesine Oltmanns: Ja, es gibt ja den Frust auf beiden Seiten. Es gibt die, die sich jetzt da hineinfinden in so einen, so einen verharmlosenden Blick und die, die sich dadurch wirklich entwürdigt fühlen, ja, auch in ihrer eigenen repressierten Biographie. #00:35:04-0#

Grazyna Wanat: Ja, genau auf diesem Feld der Neubesetzung der Erinnerungen sehe ich auch diese Montagsmärsche der Querdenkenden. Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie sich als Freiheitskämpfer benennen? #00:35:16-1#

Gesine Oltmanns: Ja, wir standen da in der Gegendemonstration auf dem Leipziger Ring oder am Ring, weil das uns natürlich geschmerzt hat, ja, wie, wie stark da die Symbole auch von 1989 jetzt für wirklich menschenverachtende Slogans verhandelt wurden. Und das ist genau sowas, wo wir halt immer aktiv bleiben müssen. Wir müssen ganz klar sagen, welche Werte wir aus 1989 zu verteidigen haben. Und das sind Solidarität, Freiheit, Demokratie, all die Dinge, die uns ja durch 1989 möglich wurden im Osten Deutschlands. #00:35:56-7#

Grazyna Wanat: Ja. ich muss jetzt noch eine Frage stellen. Als Stiftung schreiben Sie auf Ihre Fahne Ja zu Friedenspolitik, Keine Gewalt, Schwerter zu Pflugscharen. Und wie stehen Sie zu der Frage der Unterstützung für die Ukraine? Und gibt es für Sie Parallelen zwischen dem Kampf der Ukraine von heute und den Aufstand von vor 35 Jahren? #00:36:19-2#

Gesine Oltmanns: Also ich war 2014 auf dem Maidan, mit ganz großer Solidarität und wir haben dann hier einen Europamaidanverein gegründet und ich bin da ganz stringent aktiv. Wir haben zum Beispiel auf dem Nikolaikirchhof an die Nikolaikirche ein riesengroßes Banner gehängt mit einem Bild aus der Sophienkathedrale in Kiew. Die Sophienkathedrale widersteht seit 1000 Jahren den Krieg, steht darauf und wir wollten einen Ort schaffen, wo die, wo die Ukrainerinnen und Ukrainer, die zu uns flüchten mussten, sich verbinden können mit der Stadt und mit dieser Kirche. Weil das natürlich für uns ein ganz berührender und uns in unserer tiefsten Solidarität ergreifenden Sache ist. Wir haben viel versucht zu organisieren. Auch die Stiftung war da sehr aktiv. Wir haben sehr schnell schon im März 2022 ein großes Benefizkonzert auf dem Augustusplatz, wo früher auch 1989 die Kundgebungen stattfanden, organisiert. Von daher gibt es aber natürlich auch in der Stiftung verschiedenste Positionen und Meinungen und es wird zum 9. Oktober ein Friedenspapier geben von uns, was mehrheitlich jetzt so beschlossen ist. Ich bin da ganz klar in meiner Position. Also ich finde, dass das Verteidigungsrecht der Ukraine und unstrittig sein muss. #00:37:52-0#

Grazyna Wanat: Ich freue mich, das zu hören. Im Kuratorium der Stiftung fand ich eine Person, die ich persönlich kenne, nämlich Basil Kerski aus Danzig. Der ist Politikexperte und Leiter des Europäischen Solidarnosczentrum. Und Solidarnosczentrum, das ist, glaube ich, so eine polnische Version von diesem Denkmal. Ich finde das ehrlich gesagt ganz interessant als Lösung, dass ein Denkmal ein Begegnungsort ist und so ein Debattenort. Ist diese Variante nicht bedacht oder erdacht worden? #00:38:34-9#

Gesine Oltmanns: Doch, die ist auch erträumt worden. Das Solidarnosczentrum, wir haben eine Delegation gehabt und haben dort uns mit Basil Kerski getroffen und haben viel mit ihm sprechen können. Es ist ein wunderbarer Ort. Er ist für viele emotional, auch für uns ganz großartig gelungen und in seiner Lebendigkeit, gerade auch mit den vielen Veranstaltungen und allem, was dort wirklich tagtäglich passiert, ist es genau das, was man sich wünscht von einem Erinnerungsort. Wir haben in Leipzig den alten Matthäikirchhof, das ist noch alte Stasi-Bezirksverwaltung, die neu gebaut werden soll, um verändert werden soll. Und es war immer so ein kleiner Traum. Das könnte ja auch so eine Art Denkmal werden für uns. Aber da gibt es einen Deutschen Bundestag und seinen Beschluss und der sieht was ganz anderes vor, nämlich kein, ja, kein, oder sagen wir ein, eigentlich ein klassisches Denkmal vor. Und deshalb sind wir auch diesen Weg einer künstlerischen Position gegangen, das finde ich auch wichtig und gut. Dass dieser Ort trotzdem mit Lebendigkeit sich verbinden kann, mit anderen Erinnerungsorten, die vielleicht so wie das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig, was so ein tolles Museum ist, zur Zeitgeschichte oder mit Erinnerungsorten wie die runde Ecke, wo die Stasi halt in einem Museum dargestellt wird. Das das ist mit so einem Denkmal auch verbunden. Also wir gehen eher die Variante wir haben einen Ort, der Impulse versenden kann und der praktisch die Leute anregt, sich mit der Geschichte auseinandersetzen, die in der Stadt an vielen Orten sichtbar ist. Nikolaikirchhof, der Leipziger Ring, wo demonstriert wurde und es gibt auch eine Gedenktafel an Solidarnosc, an diesem großen Rahmen der europäischen Veränderungen, der von Solidarnosc ausgegangen ist. #00:40:38-5#

Grazyna Wanat: Das ist toll. Das wollte ich Sie auch fragen, inwieweit diese Erinnerungserzählung auch in osteuropäisches Kontext gesetzt wird, also... #00:40:48-8#

Gesine Oltmanns: Das geht nur so. Dafür, dafür haben wir uns sehr eingesetzt, dass dieser Rahmen kein Leipziger ist, der ist ja auch kein Ostdeutscher ist, sondern dass er halt wirklich ein Gesamtkontext hat der europäischen Freiheitsbewegung 1989, 1990. #00:41:05-4#

Grazyna Wanat: Natürlich gibt es auch in Polen Erinnerungsschmerzen, Erinnerungskämpfe und Batalien und Kampagnen und klar und unter anderem gibt es natürlich auch diese Schmerzen, dass diese große Solidarnosc-Kampf von von der Mauerfall in der weltlichen Wahrnehmung überdeckt worden ist. Also während Solidarnosc die Vorreiter waren, erzählte man sich In Polen, werden wir nicht mehr gesehen, weil symbolisch wirksamer diese Bilder der fallenden Mauer sind. Und so heißt das Mauerfall und nicht... #00:41:45-1#

Gesine Oltmanns: Das habe ich noch gar nicht gehört, dass das so empfunden wird, dass es überlagert ist. Und da kann man doch aber wieder darauf gehen, dass es der Fall des Eisernen Vorhangs war und der betrifft ja nun wirklich den ganzen Ostblock. #00:41:58-4#

Grazyna Wanat: Das wird bevorzugt. Diese Formulierung wird eher in Polen bevorzugt. #00:42:02-9#

Gesine Oltmanns: Ja, das finde ich auch richtig, weil es waren ja die vielen Bausteine und Solidarnosc, das ist ja eine ganz lange und Vorreiterrolle die, die hochgeschätzt wird im Schreibenden oder Vermittelnden. #00:42:17-6#

Grazyna Wanat: Ja, ich wollte damit nur erzählen, dass es überall einfach nicht so einfach mit der Erzählung der Geschichte ist. Und natürlich hat diese rechtsradikale Regierung, die in Polen jahrelang geherrscht hat und zum Glück jetzt abgewählt worden ist, wollte diese Geschichte schon wieder komplett anders erzählen und einnehmen, dass diese Spiele passieren überall. #00:42:42-7#

Gesine Oltmanns: Ja, wir haben auch von den Sorgen gehört, die Basil Kerski um das Solidarnosczentrum hatte. Ja, das ist halt auch sich verändern würde, in Erzählungen, in den Narrativen. Aber das finde ich schon auch immer schade, dass von den Botschaftsbesetzung in Prag gesprochen wird und Genscher seine Rede da und diese große Euphorie. Dass aber die Botschaftsbesetzungen in Warschau eigentlich fast nie genannt wird, die war auch riesig und da waren viele Leute, die dann ausreisen konnten. #00:43:15-6#

Grazyna Wanat: Ja, vielen herzlichen Dank für dieses tolle Gespräch. Jetzt können Sie gerne uns nur noch zu Ihrer Wanderausstellung einladen. Was sehen wir dort und was erleben wir dort und warum sollen wir unbedingt im Juli auf dem Klarissenplatz vorbeischauen? #00:43:32-7#

Gesine Oltmanns: Ja, wir eröffnen wirklich nächste Woche eine sehr ungewöhnliche Ausstellung. Wir bringen nämlich unseren Pavillon mit. Das ist eine sogenannte Raumerweiterungshalle, die sich zusammenschieben lässt und mit der wir auf Wanderschaft sind. Also Wanderschaft im Sinne eines Lastwagens, der die transportiert. Die wird Ende der Woche das erste Mal zu sehen sein auf dem Klarissenplatz und dann Anfang der Woche kommen die Ausstellungsaufbauer dazu. Am elften wird die Eröffnung sein, 17:00 Uhr. Wir freuen uns über alle Gäste und vor allen Dingen auch die, die sich dann noch die Zeit nehmen, sich die Ausstellung anzuschauen. Die zeigt Arbeiten zu Denkmälern, ganz verschiedene künstlerische mediale Arbeiten. Elf Stück sind in der Raumerweiterungshalle auf Displays zu sehen. Da muss man sich ein bisschen Zeit nehmen oder vielleicht auch zwei, drei Mal kommen, das würde uns sehr freuen. Und ringsum diesen Pavillon, ich nenne es jetzt mal so, sind, wird darüber informiert, was das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig werden soll, wie der Prozess vorangeht, warum es ein nationales Denkmal ist. Und ja, wir freuen uns auf sehr viel Neugierde auf das, was da Skurriles auf dem Klarissenplatz steht, ab nächste Woche. #00:44:56-9#

Grazyna Wanat: Sie haben auch ein bisschen Rahmenprogramm, das kann man wahrscheinlich dort alles auf dem Platz auch erfahren. #00:45:03-5#

Gesine Oltmanns: Ja, wir haben auch versucht, schon gut zu werben. Dafür sind Postkarten im Umlauf. Es sind vielleicht auch schon Plakate zu sehen, ich weiß es nicht, war jetzt nicht in Nürnberg. Aber wir wollen natürlich auch in Schulen gehen, wir wollen, ich habe zum Beispiel nächsten Freitag einen Workshop mit einer Schule in Nürnberg, mit einer Schulklasse, und darauf freue ich mich sehr, weil die bestimmt ganz andere Fragen stellen als hier in der Schule in Leipzig. Und ja, und so wollen wir halt sehr viele auch ringsherum erzählen und diskutieren mit den Nürnberger und Nürnbergern. #00:45:40-7#

Grazyna Wanat: Und wann sind Sie in der Ausstellung anzutreffen? #00:45:44-0#

Gesine Oltmanns: Ja, bei der Eröffnung. Und dann am zwölften, also am Freitag darauf. Ja, und dann komme ich, denke ich, auch noch zu der einen und der anderen Veranstaltung. #00:45:55-4#

Grazyna Wanat: Vielleicht haben wir dann die Möglichkeit, uns live zu treffen. Würde ich mich sehr freuen. #00:46:00-9#

Gesine Oltmanns: Ich mich auch, das war ein sehr spannendes Gespräch. #00:46:03-6#

Grazyna Wanat: Danke. #00:46:04-8#

Gesine Oltmanns: Gerade auch mit dem polnischen Hintergrund von Ihnen war das für mich jetzt sehr, sehr interessant. #00:46:10-6#

Grazyna Wanat: Danke schön. #00:46:12-1#

Gesine Oltmanns: Ich danke Ihnen. #00:46:13-5#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Gesine Oltmanns war in Leipzig aktive Mitgestalterin des Revolutionsherbstes 1989 und engagiert sich für die positive Erinnerung an die Friedliche Revolution.

Mit 24 Jahren gehörte Gesine Oltmanns zur ersten Gruppe, die sich um die Nikolaikirche in Leipzig formierte, um gegen das Regime zu protestieren. Trotz Inhaftierung durch die Stasi, ließ sich Gesine Oltmanns nicht einschüchtern. Bald war sie wieder an der Front der Demonstrationen mit einem Banner zu sehen, auf dem es stand: »Für ein offnes Land mit freien Menschen«.
Später arbeitete sie als Sachbearbeiterin bei der Leipziger Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde und betreute die Rehabilitierungsverfahren politisch Verfolgter aus DDR-Zeiten.
Heute ist sie im Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution in Leipzig und engagiert sich für die positive Erinnerung an die Friedliche Revolution als ein Element der gesamtdeutschen historischen Erzählung. In Nürnberg eröffnet sie am 11. Juli 2024 die Wanderausstellung „Das Denkmal ist …“

Links:

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Aufgenommen am: Montag, 1. Juli 2024
Veröffentlicht am: Donnerstag, 11. Juli 2024
Moderation: Grazyna Wanat
Im Gespräch: Gesine Oltmanns

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