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Erdmuth Meussling, ist Gott ein alter weißer Mann?

Hannah Diemer: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Kontaktaufnahme". Mein Name ist Hannah Diemer und ich habe heute einen ganz besonderen Gast bei mir, und zwar Erdmuth Meussling. Erdmuth Meussling ist evangelische Pfarrerin, und ich bin so gespannt auf dieses Gespräch, weil ich persönlich mit der Kirche sehr wenig zu tun hab und wenig über die Kirche weiß. Wir werden heute über so Felder sprechen werden wie, feministische Theologie und wie wird man überhaupt Pfarrerin oder auch vielleicht, warum wird man auch Pfarrerin? Und ich freue mich ganz besonders, dass du dir heute die Zeit nimmst und mit mir über diese Themen zu sprechen. Herzlich willkommen! #00:01:01-5#

Erdmuth Meussling: Danke, Hannah. Ich freue mich sehr, hier zu sein und heute ins Gespräch zu kommen. Ich sage vielleicht noch kurz was zu meiner Person: Erdmuth Meussling, der Name ist oft unbekannt aber hat einen hohen Wiedererkennungswert, habe ich gemerkt, deswegen wiederhole ich ihnen auch immer gerne noch mal. Ich bin Pfarrerin und bin 32 Jahre alt, dass ist auch ein interessanter Fakt für viele, wenn sie mich sehen und ich sage, ich bin Pfarrerin. Ich wohne jetzt seit knapp drei Jahren in Nürnberg und in meiner Freizeit neben dem Pfarrerin sein gehe ich auch gerne Klettern, singe gerne, esse leidenschaftlich gerne, koche auch leidenschaftlich gerne und ja. #00:01:45-8#

Hannah Diemer: Ich finde, wenn man dich so ansieht, würde man absolut nicht vermuten, dass du Pfarrerin bist, weil du einen total coolen Style hast. Du hast super viele Piercings und schöne Ohrringe, und das ist für mich ein konträres Bild. Als das, was ich mir zu einer Pfarrerin vorstelle, kriegst du das öfter mal gesagt? #00:02:05-1#

Erdmuth Meussling: Ja, bekomme ich oft gesagt, aber es macht auch Spaß, mit diesem Bild zu brechen. Es macht Spaß, die Reaktionen zu sehen, wenn ich erzähle, dass ich Pfarrerin bin. Was hast du denn für ein Bild von einem Pfarrer oder eine Pfarrerin, wenn du dir jemanden vorstellst? #00:02:21-9#

Hannah Diemer: Also ehrlich gesagt hatte ich persönlich überhaupt kein Bild von einer Pfarrerin, weil ich früher mal katholisch aufgewachsen bin, und da gab es einfach keine Frauen in diesem „geistlichen Gewand", und das sind für mich einfach super alte und sehr eingestaubte Menschen. Wenn ich ganz ehrlich sein darf, und deshalb hat mich das wirklich total fasziniert, dich hierher einzuladen, weil mich so interessiert, was dich dazu gebracht hat, diesen Beruf zu haben und zu ergreifen, und bin ganz gespannt, was du uns jetzt erzählen willst. Aber ich würde gerne einsteigen, wie man denn überhaupt Pfarrerin wird, und ich habe nachgelesen, dass du sieben Jahre lang evangelische Theologie studiert hast. Was lernt man denn in sieben Jahren Theologiestudium? #00:03:07-2#

Erdmuth Meussling: Also, sieben Jahre, das ist lang. Das liegt auch daran, weil das Studium nicht in ein Bachelor oder Master System aufgeteilt ist. Man studiert am Stück und studiert evangelische Theologie. Alle, die Priester mal werden wollen katholischen Priester, die studieren katholische Theologie. Genau. Ich habe evangelische Theologie studiert, war dann auch im Ausland, ein Jahr in Schottland, und danach, nach den großen Examen, kommt dann noch eine zweieinhalbjährige Ausbildungszeit, die heißt Vikariat. Das ist so vergleichbar wie mit einem Referendariat bei Lehrkräften, und danach wirst du ordiniert, zur Pfarrerin ordiniert, und dann darfst du dich Pfarrerin nennen und bist in einer evangelischen Kirche irgendwo aktiv. Und im Studium, das ist eigentlich ganz schön, da kann man ziemlich viel frei studieren. Man kann auch oft die Universität oder den Ort wechseln. Ich habe ja an mehreren Orten studiert. Ich habe in dem kleinen Nest Neuendettelsau angefangen zu studieren, bin dann nach Tübingen gewechselt, habe auch in Berlin studiert und eben mein Auslandsjahr in Glasgow gemacht, in Schottland, und da gibt es verschiedene Fächer, wie in jedem Studium, zum Beispiel, dass man sich mit Bibelwissenschaften auseinandersetzt, mit dem alten und dem neuen Testament oder dem ersten Testament und dem zweiten Testament, und dann gibt es so etwas wie praktische Theologie. Da lernt man, was ist ein Gottesdienst, aus welchen Teilen besteht ein Gottesdienst. Dann gibt es Sprachen. Ich habe Latein, Hebräisch und Griechisch gelernt im Studium, aber nicht die Sprachen, die wir heute noch sprechen, also nicht Hybrid. Also das neue, was aktuell in Israel gesprochen wird oder Griechisch, wie es jetzt in Griechenland gesprochen wird, sondern Altsprachen sowie Altdeutsch, und die Sprachen werden heute nicht mehr gesprochen. Aber wir können damit die Urtexte der Bibel übersetzen, und das finde ich total spannend, weil in den Texten ganz, ganz viel drin steckt, und jede Übersetzung ist schon eine Form von Interpretation, und wenn du selber in den Urtexten nachlesen kannst, entdeckst du Dinge, die du vorher gar nicht wusstest, wie tiefgründig die Texte sind und was man alles herauslesen kann. #00:05:24-6#

Hannah Diemer: Das heißt, du hast auch Teile der Bibel für dich selber übersetzt. Hat dich da was besonders überrascht? #00:05:32-6#

Erdmuth Meussling: Ja, also ganz viele Texte sind einfach sehr genial geschrieben, sehr poetisch, sehr lyrisch, sehr durchdacht. Viele Texte haben Wörter, die ganz unterschiedlich übersetzt werden können und da kann ich vielleicht schon gleich ein Beispiel nennen, was auch mit meiner feministischen Grundhaltung zusammenhängt. Ich habe im Studium eine Seminararbeit geschrieben, wie im alten Testament, ganz am Anfang der Bibel, Mann und Frau erschaffen wurden von Gott. Und da gibt es ja diese berühmte Stelle, dass Gott Adam in einen Schlaf versetzt und dann die Frau Eva aus der Rippe baut. Und diese Stelle habe ich übersetzt und habe entdeckt, dass im hebräischen Urtext das gar nicht so drinnen steht, sondern also zum einen steht erst mal drin, dass Gott einen Menschen erschafft, und da steht im hebräischen „Adama", das heißt Erde aus Erde, und deswegen kommt der Name Adam her, und dann lässt er diesen Menschen in einen Tiefschlaf verfallen und entnimmt aus ihm etwas aus der Seite. Also der hebräische Begriff, der da steht, heißt nicht Rippe, sondern eigentlich Seite, ein wichtiger Teil. Manchmal taucht das Wort auch auf im alten Testament, wenn es um ein Haus geht und um einen wichtigen Baustein an der Seite, und daraus wird dann der zweite Mensch erschaffen und erst ab da beginnt eigentlich die Geschlechtlichkeit. Davor haben wir einen Menschen und er verfällt den einen Schlaf, und dann entstehen Mann und Frau, und wir kennen oft die Übersetzung: Erst war der Mann, und aus dem Mann ist die Frau entstanden, aus einer unwichtigen Rippe, und daraus kommt dann so eine Wertung. Für mich war das eine erleuchtende Erfahrung, zu merken, hey, da steckt viel mehr drin und auch nicht unbedingt so eine Hierarchisierung von Geschlecht, und da habe ich einen Zugang zum alten Testament gefunden für mich. #00:07:41-9#

Hannah Diemer: Darfst du dann solche Erkenntnisse auch dann weitertragen? Also wenn du jetzt quasi als junge Pfarrerin ankommst und sagst, die Frau und der Mann sind gleich geschaffen, und nicht aus irgendeinem Nebenprodukt ist die Frau mal entstanden, wie wird denn darauf reagiert? #00:07:56-7#

Erdmuth Meussling: Die Erkenntnisse, die ich in der Seminararbeit hatte, die sind nicht geheim und es ist nichts, was man nicht wissen könnte, wenn man sich damit mehr beschäftigt. Da gibt es ganz viele Forschungen dazu. Es gibt natürlich verschiedene Haltungen und Strömungen, auch in der Theologie, auch konservativere Meinungen, die das vielleicht anders übersetzen wollen. Aber da gibt es natürlich die Freiheit zu gucken, was ist da, und da gibt's mittlerweile auch innerkirchlich und in den theologischen Kreisen natürlich viel mehr Wissen und eine Bandbreite als noch vor 50 oder 100 Jahren, und das ist auch total legitim, das auch zu sagen. Also, ich bin jetzt keine totale Ausnahme mit meiner feministischen Haltung, und das ist gut und schön. #00:08:49-2#

Hannah Diemer: Ja, wird man denn dann automatisch nach diesem Theologiestudium in dieses Vikariat überführt, oder ist es noch mal eine Entscheidung, die du extra getroffen hast? #00:08:58-6#

Erdmuth Meussling: Evangelische Theologie studieren können alle, und mit dem abgeschlossenen Studium kann man auch bestimmte Berufe machen. Man kann in der Uni weiter arbeiten, man kann auch als Lehrkraft arbeiten, man kann noch viele andere Sachen auch machen. Aber um Pfarrerin werden, braucht es diese Praxiszeit danach, wo man ganz konkret in der Gemeinde arbeitet und die Erfahrungen sammelt. Dafür entscheidet man sich dann aktiv, meldet sich quasi bei der Kirche und sagt, ich würde gerne, das war weitermachen, so in die Richtung, und dann wird ein Ort ausgewählt, und da wirst du dann hingeschickt. Man kann zwar Wünsche ausgeben, so auch wie im Referendariat und erst später im Pfarrerin da sein, kann man sich dann freier entscheiden und bewerben. #00:09:40-0#

Hannah Diemer: Und war dir schon während deines Studiums klar, dass du Pfarrerin werden möchtest? #00:09:44-1#

Erdmuth Meussling: Ich habe ziemlich planlos angefangen zu studieren, muss ich dazu sagen. Ich wollte etwas Geisteswissenschaftliches machen, war mir aber selber sehr unsicher. Ich bin christlich erzogen worden, ist vielleicht noch wichtig zu wissen. Mein Opa war Pfarrer in der DDR. Das war was besonderes, weil in der DDR war auch die Kirche nicht besonders frei, in ihrer Art zu handeln, war auch unterdrückt. Das war ja eine Diktatur und für meinen Opa und für seine ganze Familie hieß es, dass es klar war, die werden von der Stasi bespitzelt. Also Christ sein und Pfarrer sein hieß automatisch auch politisch sein und in der Opposition sein, und das hat mein Handeln auf alle Fälle auch geprägt. Genau, ich bin aber sehr komisch ökonomisch groß geworden. Ich wurde als Baby nicht getauft, sondern hab mich erst mit 14 Jahren selber dazu entschieden, mich taufen zu lassen. Ich bin in der Baptisten Gemeinde groß geworden, also in der Freikirche, hab auch Wurzeln in der Herrn oder Brüdergemeinde. Erst mit dem Studium habe ich so mehr die evangelische Kirche kennengelernt. Ich habe es sehr Genossen, im Studium ganz frei zu studieren. Man kann da Schwerpunkte legen, wie man selber möchte, nach Interesse und das ist total toll, weil du dadurch dich reinfuchsen kannst in Themen, die du zufällig findest und auch die Kirchengeschichte ist zum Beispiel ein großes Thema. Das hat mir auch immer viel Freude gemacht, weil Kirchengeschichte und politisches Zeitgeschehen oft sehr eng miteinander verbunden war, zumindest im europäischen Raum, und da war es einfach total schön, so eigene Schwerpunkte auch legen zu können. #00:11:29-5#

Hannah Diemer: Und einer von deinen Schwerpunkten war die feministische Theologie. Ich hab noch nie davor gehört, dass es eine feministische Theologie gibt. Was ist denn da so der Grundgedanke von feministischer Theologie? Was betrachtet man da? #00:11:45-7#

Erdmuth Meussling: Feministische Theologie schaut auf Religion und Kirche, speziell auf die patriarchalen Strukturen darin, untersucht sie, hinterfragt sie, hinterfragt auch die Gottesbilder, die wir selber haben. Zum Beispiel, dass viele sich Gott vorstellen als einen alten Mann mit Bart, vor allem, wenn man noch kleiner ist als Kind, kennt man vielleicht solche Bilder, und dann prägt es das eigene Gottesbild. Und in der Bibel haben wir viele Bilder von Gott, die eigentlich noch viel mehr sagen, dass Gott nicht nur männlich ist, sondern eigentlich überhaupt nicht einem Geschlecht zuzuordnen oder das Gott ganz viele Attribute und Wesensmerkmale hat, die darüber hinausgehen. Zum Beispiel wird Gott auch in der Bibel mal als Bäckerin beschrieben oder als stillende Mutter, als Trösterin. Und feministische Theologie versucht, da dahinterzukommen und noch ein bisschen das zu hinterfragen, was unsere gängigen Einstellungen oder Perspektiven sind, die meist patriarchal geprägt sind. Dann sind da auch ganz praktische Ansätze mit dabei. Zum Beispiel im Gottesdienst verwenden wir natürlich häufig noch eine Sprache, die auch sehr männlich geprägt ist. Ganz oft wird von Gott als „der Herr" gesprochen und auch von „dem heiligen Geist", also Gott als Vater, Sohn und heiliger Geist. Das sind alles drei männliche Wesensmerkmale. Aber Geist im griechischen und hebräischen ist weiblich gedacht. Geist im Hebräischen ist eigentlich „Ruach", dass ist weiblich, und im griechischen „Sophia" ist auch weiblich. Also hat eigentlich viel, viel mehr als nur diese männlichen Merkmale, und es drückt sich ja in der Sprache aus, auch in Liedern, in Gebeten und da drauf zu schauen, wie kann man das erweitern. Das gehört zum Beispiel auch dazu. #00:13:35-8#

Hannah Diemer: Wenn das alles gar nicht so eindeutig männlich immer war oder zumindest im Hebräischen oder in den ersten Dokumenten so ausgelegt ist, kannst du mal erklären, warum unser christliche Glauben aktuell so männlich geprägt ist? #00:13:49-1#

Erdmuth Meussling: Ich glaube, dass Theologie oder auch christlicher Glaube, genauso wie alle anderen Religionen und alle anderen Sachen entstanden sind. Geschichte und Wissenschaft ist immer in den letzten Jahrhunderten, Jahrtausenden in patriarchalen Gefüge oder Strukturen entstanden, und natürlich hat sich das darauf ausgewirkt. Zum Beispiel, dass in der Bibel viel weniger von Frauen erzählt wird als von Männern. Es gibt Frauen, von denen erzählt wird, aber sie kommen viel weniger vor, werden oft auch nicht beim Namen genannt. Dies liegt an der patriarchalen Umwelt, in der die Bibel entstanden ist. Da gibt es die Geschichte von Junia, eine Apostelin aus dem neuen Testament, die über Jahrhunderte übersetzt wurde mit Junius, weil man davon ausgegangen ist, es gab nur männliche Apostel, und deswegen kann, auch wenn da Junia steht, im weiblichen, kann es sich nur um einen männlichen Apostel handeln. Und erst in den letzten Jahrzehnten hat die Forschung gesagt, nein, das war eine Apostelin Junia, die da aufgetaucht ist, und die sichtbar zu machen, das ist auch Aufgabe der feministischen Theologie. #00:15:01-1#

Hannah Diemer: Ich habe recherchiert und da auch nachgelesen, dass ein großer Kritikpunkt an so einer feministischen Theologie ist, dass man die Bibel nicht mehr als das göttliche Wort nimmt und deshalb die Bibel als unfehlbares Dokument liest, sondern ja, da diese Interpretationen und diesen Spielraum reinbringt. Was würdest du denn zu diesen Kritiker*innen sagen, die die Bibel als unfehlbares Dokument präsentieren möchten? #00:15:28-0#

Erdmuth Meussling: Ja, also, es gibt verschiedene Bibelauslegungen und Vorstellungen, wie eng oder weit das biblische Wort ausgelegt werden darf. Im evangelikalen Raum wird es oft sehr wörtlich genommen, und im liberaleren Strömungen wird da viel freier auch mit umgegangen. Ich würde sagen, dass kein Dokument, was irgendwie durch Menschenhand mit entstanden ist und auch die Bibel ist durch Menschenhand mit aufgeschrieben, ist davor gefeit, diese Blickwinkel, Perspektiven auch hineinzutragen. Also, wir müssen immer auf den Kontext schauen, und es gibt auch im Islam, es gibt es auch im Judentum, dass man weitere oder engere Perspektiven auf diese Texte hat. Wenn wir die Bibel wortwörtlich nehmen wollen, würde das auch bedeuten, dass wir zum Beispiel keine Meeresfrüchte essen dürfen, weil es im alten Testament, in den Gesetzesbüchern auch dazu Regeln gibt oder das die Frau ihren Kopf mit einem Tuch bedecken muss. Das war dem Kontext geschuldet, in ganz vieler Einsicht, und ich glaube, das funktioniert gar nicht, das bis zum Ende zu denken und die Bibel wortwörtlich zu nehmen, weil es auch teilweise heute einfach gar keinen Sinn mehr macht. Immer zu schauen, wie hat die Bibel, oder wie haben diese schriftlichen Zeugnisse eigentlich in die Situation hinein gesprochen von Menschen, birgt dann noch viel mehr Kraft, das für uns heute auch fruchtbar zu machen oder anders anzuwenden und anderes daraus aufzunehmen, was irgendwie einen bestärken kann in der eigenen Lebenssituation. #00:17:02-5#

Hannah Diemer: Du hattest diesen feministischen Schwerpunkt aber nicht nur im Studium, sondern hast du noch immer tatkräftig angewendet. Du warst beim Filmfest „FrauenWelten" aktiv und hast auch immer schon feministische Studientage in deinen alten Universitäten mitgestaltet. Woher kam denn dieser starke feministische Drang bei dir? #00:17:24-0#

Erdmuth Meussling: Eigentlich kommt man im Studium und nochmal mehr ich als Frau, kommt man nicht darum herum, sich mit Feminismus oder mit feministischen Theorien auseinanderzusetzen. Das liegt an vielen unterschiedlichen Faktoren. Zum einen wurde über Jahrhunderte die Theologie hauptsächlich von Männern betrieben, und diese männliche Perspektive, die findet man einfach überall, dass Frauen nicht mitgedacht werden oder einfach eine weibliche Perspektive oft fehlt. Zum Beispiel, wie ich es gesagt habe, dass Frauen in der Bibel oft nicht beim Namen genannt werden, obwohl sie da waren, obwohl es auch Apostelinnen gab und Jüngerinnen, die Jesus auch gefolgt sind. Dann gibt es häufig auch Texte, auch in der Kirchengeschichte, die frauenfeindlich oder Körper feindlich sind. In Deutschland kann man erst seit den 70er-Jahren Pfarrerin werden. Das ist natürlich, was, was mich auch betrifft und wenn es, wenn seit Jahrhunderten es einfach Männer gab, die die Religion weiter mit tradiert haben, mit weitergetragen haben. Natürlich erfahre ich auch Sexismus in meiner Arbeit. Zum Beispiel, als ich in der Ausbildung in meine Kirchengemeinde kam, haben ältere Männer zu mir gesagt, ja, toll, so eine junge, hübsche Pfarrerin jetzt bei uns in der Kirchengemeinde. Da habe ich mir gedacht, ja, und im Kopf habe ich auch noch was also da so reduziert zu werden auf äußeres, das begegnet mir auch in meiner Arbeit und ich habe ein starkes Bedürfnis nach Gerechtigkeit, und all diese Faktoren spielen eine Rolle darin, dass Feminismus für mich was Wichtiges geworden ist, um mich auszudrücken in meiner Arbeit im Pfarrerinnen sein, aber auch darüber hinaus noch mal mehr. #00:19:14-0#

Hannah Diemer: Ja, und das ist für dich tatsächlich kein Widerspruch, Pfarrerin zu sein in dieser Institution, die einfach über Jahrhunderte hinweg die Frauen unterdrückt hat? #00:19:22-1#

Erdmuth Meussling: Ich würde mal die Gegenfrage gerne an dich stellen oder auch an viele andere. Wo sind wir frei von patriarchalen Räumen und wo ist es kein Widerspruch? Ich glaube, überall leben wir in dem Widerspruch, wo wir gerne freier werden und gleichberechtigt, egal in welcher Hinsicht aber es nicht sein können, und die Frage wäre jetzt eher, ist mein Feminismus für mich ein Ausschlusskriterium, bei der Kirche zu arbeiten, und da reibe ich mich natürlich sehr oft an dieser Institution. Das gebe ich auch zu, und es fällt mir oft schwer, weil wir haben eine Institution, die Strukturen hat, die sehr Star sind, die zwar viel dafür tut, dass es mittlerweile Frauen auch mehr Optionen, Möglichkeiten haben, gleichberechtigt sind, aber es ist einfach über Jahrhunderte so gewachsen, und auch da sind wir noch ziemlich am Anfang. Und in allen Religionen gibt es feministische Strömungen. Das ist was, was häufig nicht gesehen wird, oder davon wird nicht gewusst, und es ist aber eigentlich total schön, dass es diese Strömungen gibt, weil die treiben ganz viel voran, die verändern ganz viel, die machen ganz viel, und es gibt nun mal Frauen in Religionen und gläubige Menschen, und für die braucht es doch einen Ort und eine Repräsentanz und Hoffnung, dass sich auch was verändern kann, auch in Religionen. Genauso wie wir die Hoffnung haben, dass sich hier auf in irgendwelchen Manager Positionen in unserer Gesellschaft was ändert, muss ich doch auch irgendwie die Hoffnung haben, dass sich in Religionen was ändern kann, auch in der Kirche, und das ist schon für mich ein bisschen eine Motivation, dabeizubleiben, und es fällt nicht denen zu überlassen, die keine Frauen an den Orten haben wollen. #00:21:06-3#

Hannah Diemer: Diese feministischen Strömungen in anderen Religionen, beeinflussen die sich gegenseitig. Gibt es da irgendwie eine Art von Austausch? #00:21:15-5#

Erdmuth Meussling: Ja, das ist total spannend, es bräuchte es noch mehr, aber es gibt da schon viel Austausch, und das Schöne ist, dass oft sich diese feministischen Strömungen viel leichter begegnen können. Als ich in Berlin studiert habe, hatte ich ein Seminar mit den Genderstudies zusammen, und das hat mich sehr herausgefordert, weil die anderen dann Studierenden, uns in den Religionen oft begegnet sind mit der Haltung: Religion ist per se Patriarchal, das heißt, ihr seid auch alle Opfer dieser Religion. Wir konnten eigentlich nicht auf Augenhöhe miteinander agieren. Und wenn ich mich mit Feministinnen aus dem Islam oder aus dem Judentum unterhalten habe oder aus anderen religiösen Strömungen, dann war da viel mehr auf Augenhöhe, ein Verständnis füreinander da, wo man auch Ermächtigungsstrategien gefunden hat für sich. Auch das Kopftuch kann per se nicht immer als Unterdrückungsmerkmal im Islam gesehen werden, sondern es kann manchmal auch eine Form von Ermächtigung für manche Frauen sein. Aber das ist ganz kontextabhängig, und dafür muss man erst mal ins Gespräch kommen, und ich finde es auch schade, immer zu sagen, ja, Religion oder Kirche ist scheiße, und damit auch zu negieren, was es da für tolle Frauen und Strömungen und Netzwerke gibt. #00:22:35-7#

Hannah Diemer: Hast du ein Beispiel für diese tollen Netzwerkarbeiten, die da gerade so passieren? #00:22:41-5#

Erdmuth Meussling: Es gibt seit ein paar Jahrzehnten ein weiteres Fach neben der feministischen Theologie: postkoloniale Theologie, so wie es auch postkoloniale Studien allgemein gibt, und die beschäftigen sich ganz viel damit nicht nur die Kolonialzeit aufzuarbeiten, sondern auch koloniale Strukturen aufzudecken. Und da geht es zum Beispiel auch viel um diesen weißen eurozentristischen Blick, eine Frage, die damit zum Beispiel verbunden ist. Es gibt ein Buch, das heißt, „Wie ist Jesus weiß geworden" von von Sarah Vecera. Diese Theologin, die zeigt einfach auf: Okay, Jesus war Jude, er war Armäer, er hat in Palästina gelebt, er war mit Sicherheit nicht so weiß und blond, wie er hier in vielen Kirchen dargestellt wird. Aber das ist unsere Vorstellung davon oft, und diese Vorstellung, die wurde auch während der Kolonialzeit in die Welt hineingetragen, und dieser „weiße Blick", der ist einfach noch ganz oft überall vorherrschend. Und diese postkolonialen Studien, die schaffen ganz viele Netzwerke überall auf der Welt, um auch zu zeigen, dort wird auch wichtige Theologie betrieben. Es geht hier nicht mehr nur um Deutschland, um die Jahrhunderte alte Tradition, die wir hier machen mit Martin Luther und den ganzen tollen Theologen, die es hier gab, sondern es gibt zum Beispiel in der afrikanischen Theologie in eine Strömung, die sich mit schwarzen Marien Vorstellungen auseinandersetzt. Also schwarze Frauen, die wie Maria dargestellt werden, oder in Südamerika Befreiungstheologie, die sich an die Seite der Armen stellt. Auch in Indien, in Asien gibt es ganz viele neue junge Theolog*innen, die immer wieder neue Fragen stellen und auch unsere Vorstellungen von Christentum und Religion hinterfragen, und da gibt es ganz viele Netzwerke. #00:24:38-7#

Hannah Diemer: Warum ist für dich die Verbindung mit dem Glauben in all diesen Themen so wichtig? Also, ich könnte ja einfach nur Feministin sein, oder du könntest einfach nur postkoloniale Studien studieren. Es müsste ja alles gar nicht mit dem Glauben zusammenhängen. Warum macht es für dich so viel Sinn, das mit dem Glauben zusammen zu denken? #00:24:59-0#

Erdmuth Meussling: Warum ich Pfarrerin bin, hängt auch damit zusammen, dass ich einerseits so gerne mit Menschen in Kontakt komme und zum anderen auch der Überzeugung bin, dass alle Menschen eigentlich ein spirituelles Bedürfnis haben oder existenzielle Fragen stellen. Warum bin ich auf der Welt? Was macht mich aus, was macht mein Leben sinnvoll? Was passiert nach dem Tod? Das sind Fragen, die stelle ich mir nicht nur als Christin, und diese Fragen. Diese existenziellen Fragen, die betreffen mich als ganze Person in meiner ganzen Identität, genauso wie mich Frau sein in meiner ganzen Identität betrifft. Das heißt, es gibt Überschneidungspunkte, auch wie kann ich meinen eigenen Glauben leben, ohne mit meinem Körper in Konflikt zu sein oder Feind zu sein? Also in der christlichen Geschichte gibt's ganz oft Theologie auch, die so ne Art Leibfeindlichkeit hat, wo es quasi das oberste Ziel ist, nur noch die eigene Geistlichkeit zu betonen, auf Jenseits hin ausgerichtet zu sein, und alles, was hier ist, alles, was leiblich ist, alles, was Sexualität, das ist schlecht, und das bedeutet aber auch, dass das ich mit meinem Körper dauerhaft im Konflikt liege. Und feministische Theologie fragt auch ein bisschen danach und schaut da drauf, wir sind von Gott geschaffen, auch in unserer Körperlichkeit und in unserer Sexualität. Das gehört alles dazu und das kann auch mit zu meinem Glauben dazu gehören. Jetzt weiß ich aber nicht, ob ich von deiner Frage total abgewichen bin und was ganz anderes sage. Aber also, Glaube und Spiritualität betrifft uns in unserer ganzen Identität, das bedeutet, wenn ich für Feministin bin, kann ich das nicht einfach ausschließen, und gleichzeitig widerspricht sich feministisch sein und religiös sein für mich nicht, weil Spiritualität ist mehr, als ich bin in der Institution Kirche oder ist mehr, als ich existiere, in einem patriarchalen System. #00:27:01-9#

Hannah Diemer: Ich finde das total interessant, wie du das erklärst, und da stellt sich mir die neue Frage: Ist Spiritualität und Glaube, für dich was gleich setzbares? #00:27:11-9#

Erdmuth Meussling: Ich denke, dass Spiritualität und Kirchenzugehörigkeit nicht das Gleiche ist. Aber Glaube oder Spiritualität sind ganz weit gefasste Begrifflichkeiten für mich. Spiritualität fängt für mich schon da an, wo ich frage, was ist mein Sinn in dieser Welt, in diesem Leben. Da fängt für mich Spiritualität schon an, und ein Fragen danach, und wenn ich Menschen begegne. Ich arbeite auch als Seelsorgerin im Krankenhaus manchmal, da haben alle diese Menschen haben diese Frage, und das ist eigentlich schön, auf eine Spur zu kommen und ich habe nicht den Anspruch, denen von Jesus zu erzählen. Es ist zwar schön, wenn man dann auch vielleicht da Spuren findet, die einen weiterbringen, und ich schöpfe ganz viel aus meinem christlichen Glauben, aber ich habe nicht den Anspruch, dass es für andere auch so ist, oder habe da einen Wahrheitsanspruch. Aber ich glaube, bei allen ist es so, oder würdest du das für dich jetzt anders sagen? #00:28:10-7#

Hannah Diemer: Ich bin mir da unsicher, weil ich einfach wenig mit diesem Glauben anfangen kann. Ich glaube, dass diese Spiritualität einen ganz großen Aufmarsch gerade hat und das aber da der Glaube an sich, also der Glaube als eine Verknüpfung mit einer Religion nicht so präsent ist und das für viele, glaube ich, oder ich hätte das so verstanden, dass viele Vertreter*innen von Kirche eher wenig mit zu dieser spirituellen, esoterischen Richtung zu tun haben wollen und das deshalb ganz stark trennen wollen, und deshalb fand ich das total spannend, wie du gesagt hast, dass es der Glaube einfach eine Art von dieser spirituellen Richtung sein kann. #00:28:54-8#

Erdmuth Meussling: Von außen wird oft sehr stark diese Trennung herangetragen. An das ist nur die Kirche und der christliche Glaube, und dann ist alles andere. Ich würde mich dafür starkmachen, dass mehr fließend oder offener zu betrachten, und es zeigt ja total, das auch junge Menschen ein Bedürfnis danach haben. Ein Bedürfnis danach, irgendwie sich auszudrücken oder auf der Suche sind, und es zeigt ja auch, dass vielleicht das, was wir sonst haben in unserer Welt, der Kapitalismus oder Konsum, alles um uns herum Arbeit, dass das nicht was ist, was uns vollständig befriedigen kann, und deswegen wird nach Sachen gesucht oder nach Orten gesucht, die irgendwie anders Erfüllung geben können. #00:29:41-4#

Hannah Diemer: Wie findest du da Halt in diesem Kirchendasein? #00:29:45-8#

Erdmuth Meussling: Also, das schönste ist natürlich immer, wenn man weiß, man es nicht alleine mit seinem Glauben und mit seiner Spiritualität. Viele sagen ja, ich bin schon gläubig, aber ich brauche die Institution Kirche nicht und das kann ich total nachvollziehen, dass man sich nicht mehr identifizieren kann mit einer Institution, die da in ihren Strukturen ist, die veraltet ist oder die männlich ist. Gleichzeitig ist es schön, einen Ort zu wissen, dass dort andere Menschen sind, die mir gleich gesinnt sind. Also auch beim Yoga bin ich ja meistens nicht alleine, sondern suche mir Gleichgesinnte und es ist schöner, wenn man sowas auch gemeinsam machen kann oder im Chor. An vielen Orten, wo ich merke, dass Menschen Spiritualität besonders wichtig ist, ist bei großen Lebensübergängen. Wenn ein Kind geboren wird, dann spürt man auf einmal, ein „wow" das geht über meine Vorstellungskraft hinaus, was da passiert, wie dieses Leben entsteht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es alles einfach nur chemische Verbindungen sind in meinem Körper geschehen, sondern da muss doch mehr sein, oder auch im Jugendalter oder wenn man heiratet, dass man einen Seelenverwandten trifft, und man möchte das irgendwie ausdrücken. Und eben am Schluss auch beim Sterben die Frage, wo bist du dann, wo gehst du hin? Sind wir noch irgendwie verbunden? Was passiert mit mir? Da sind Fragen da, da ist Menschen Spiritualität besonders wichtig, oder da schöpfen sie besonders aus ihrem Glauben und da hat auch die Kirche oder die Religion im Allgemeinen haben da auch Antworten drauf, schöne Antworten, auch Antworten, die helfen, auch in diesem Leben zu leben, sonst würde ich, glaube ich, hoffnungslos oft werden. #00:31:42-6#

Hannah Diemer: Du hast in deinen Antworten jetzt immer mal schon angestriffen, was du denn eigentlich in deinem Alltag machst, weil das würde mich total interessieren, wie so dein Alltag oder dein Berufsleben als Pfarrerin aussieht. Was sind denn so deine Schwerpunkte, die du in deinem täglichen Leben so hast? #00:32:00-4#

Erdmuth Meussling: Wenn ich als Pfarrerin arbeite, dann arbeite ich meistens in einer Kirchengemeinde. Hier in Nürnberg ist es in Röthenbach, ist die Nikodemuskirche im Nürnberger Südwesten, und da ist mein Arbeitsalltag total bunt gemischt mit unterschiedlichen Aufgaben. Also, es gibt natürlich ganz klassisch die Aufgabe, dass ich Gottesdienst halte am Sonntag und den Gottesdienst vorbereite, mit anderen Zusammen das organisieren, wer macht Musik und so weiter. Dann gibt es Religionsunterricht. Ich arbeite als Pfarrerin auch an der Grundschule, an der Scharrerschule und habe dort kleine erste Klasse Stöpsel, die ich unterrichte, die sehr süß sind und sie sehr offen mit dem Thema Religion umgehen. Das war auch schon vorher immer wieder toll zu merken, dass Kinder und Jugendliche eigentlich einen unbedarften Zugang dazu haben und dadurch viel mehr Freiheit nachzudenken, was es für sie bedeuten könnte. Dann mache ich solche Sachen wie. also in der Kirchensprache heißt es Kasualien, das sind Taufen, Beerdigungen, Konformation, Hochzeiten, und da sind vor allem Beerdigungen etwas, was mir sehr am Herzen liegt. Viele finden es komisch, dass man gerne etwas macht, was mit Tod und Sterben zu tun hat. Aber das sind die Momente, wo ich ganz nah am Menschen dran bin, wo ich jemanden begleite oder eine Familie Begleite in der Situation, in einer Ausnahmesituation, die schwierig ist, und dort dann Worte zu finden, wo man selbst keine Worte hat, Trost zu geben und jemandem einen Abschied zu ermöglichen. Es gibt mir total das Gefühl, etwas sinnvolles zu machen, und dann gibt es noch allerlei Gruppen und Kreise in der Kirchengemeinde, wo man immer mal dabei ist, in dem Kirchenchor oder beim Seniorennachmittag. Man besucht auch Menschen immer mal wieder, und Seelsorge ist auch noch ein großer Teil von der Arbeit, die ich mache. Das durchdringt eigentlich alle Arbeitsbereiche so ein bisschen. Seelsorge bedeutet, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, und wenn die ein Bedürfnis haben, zum Beispiel, weil es ihnen nicht gut geht, weil sie sich alleine fühlen, weil sie jemanden verloren haben vor kurzem, weil sie krank sind, weil sie einfach über spirituelle Themen reden möchten, dann bin ich so eine Ansprechperson, und das macht mir sehr viel Freude, also auch im Krankenhaus zum Beispiel also Menschen am Krankenbett zu besuchen. Da ist es ganz egal, ob man zur Kirche gehört oder nicht. Ich gehe immer zu allen hin und das ist auch toll, weil man dadurch mit vielen Menschen in Kontakt kommt, ja die Fragen, die sie beschäftigen. #00:34:55-1#

Hannah Diemer: Hast du das Gefühl, dass man da im Theologiestudium gut auf diesen Seelsorge- Teil vorbereitet wird? Also, weil, als du das alles erzählt hast, habe ich mir gedacht, da braucht man ja fast auch ein Psychologiestudium mit dazu, um damit auch professionell umgehen zu können. #00:35:11-7#

Erdmuth Meussling: Im Studium liegt da nicht so sehr der Schwerpunkt drauf. Das ist auch etwas, was immer wieder kritisiert wird. Aber ich hab ja die Praxiszeit danach im Vikariat, wo ich da viel lernen kann, und ich kann Zusatzqualifikationen machen. Ich finde es auch gut, wenn man sich dann noch Kompetenzen aneignet, die aus dem Psychologischen kommen. Aber ich finde, dass Seelsorge etwas anderes als Psychologie, weil Seelsorge, da gehe ich jetzt erst mal nicht grundsätzlich davon aus, dass es eine Diagnose geben muss und ein Ziel, worauf ich hinarbeite. Das Gespräch kann zweckfrei sein. Das bedeutet, jemand kommt zu mir und es muss gar nichts passieren in dem Gespräch. Es muss weder passieren, dass es danach besser geht, noch dass er danach geheilt ist oder so, sondern ich kann einfach meine Zeit zur Verfügung stellen, einer Person, und vor allem im Krankenhaus, wo Zeit super begrenzt ist, habe ich da total den Bonus, dass ich komme und sage, hey, ich habe Zeit, worüber willst du sprechen oder willst du nicht sprechen? Ich kann mich auch einfach neben dich setzen und wir schweigen zusammen, weil es dir nicht gut geht. Es ist es hilfreich, manchmal so Werkzeuge zu haben für die Gesprächsführung oder aus der Psychologie. Aber es ist auch wichtig zu sagen, hey, ich bin auch ganz explizit für deine spirituelle Bedürfnisse da. Ich hab im Krankenhaus auch in der Psychologie Besuche gemacht, und das Personal, das war eigentlich immer total dankbar, dass die Seelsorgerinnen auch da waren, weil die konnten jetzt spirituellen Bedürfnisse eben nicht befriedigen. #00:36:51-4#

Hannah Diemer: Wie kann man sich das denn vorstellen? Gehst du einfach in Krankenhäuser und bist dann da, oder gibt es da einen festen Stundenplan? #00:36:59-6#

Erdmuth Meussling: Also meistens sind es feste Stellenanteile, wo man da mit dabei ist. Ich war jetzt im letzten Jahr mehrmals über einen Kurs im Klinikum Nord und war dort eine Station zugewiesen der Gynäkologie und der Psychiatrie und dann wusste ich, ich habe jetzt den ganzen Vormittag Zeit. Dann bin ich zu der Station gegangen, hab noch mal „Hallo, ich bin jetzt hier, wer mich noch nicht kennt, ich bin die Seelsorgerin. Ich würde jetzt vielleicht ein paar Besuche machen. Haben Sie jemanden, wo Sie sagen, der würde sich über einen Besuch freuen?". Manchmal ist es so, dass die dann jemand wissen und sagen: „Ja, die Frau so und so, der ging es heute morgen irgendwie nicht so gut, oder die bekommt nie Besuch. Schauen Sie da mal vorbei". Oder ich gehe einfach ganz frei an die erste Tür und klopfe und dann gehe ich rein, und dann sage ich: „Hallo, ich bin die Erdmuth Meussling, ich bin Pfarrerin, ich bin Seelsorgerin, ich habe Zeit mitgebracht. Wenn Sie wollen, setze ich mich zu Ihnen", und dann kommen ganz unterschiedliche Reaktionen. Manchmal kommt Ablehnung, und das respektiere ich auch total. Manchmal sagen die Leute, ja, das ist aber schön, dass Sie mich besuchen, dann setze ich mich zu ihnen. Manchmal kommen auch doppeldeutige Signale. Zum Beispiel sagt jemand: „Ach, von der Kirche, mit denen will ich gar nichts zu tun haben", und dann fangen die aber an zu sprechen und hören nicht mehr auf zu reden, dann denke ich mir ja, okay, vielleicht will er ja doch sprechen oder sein Unmut loswerden. Und das ist eigentlich schon witzig, weil oft, wenn ich erzähle, dass ich Pfarrerin bin, dann erzählen die Leute, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind. Ich finde das trotzdem gut, dass sie das sagen. Ich bin da natürlich in dem Moment eine Projektionsfläche für die Kirche, aber es ist auch eine Chance zu hören, was die Menschen beschäftigt und warum sie ausgetreten sind, und es gibt die Chance für sie mal eine positive Erfahrung mit einer Pfarrerin zu machen, und dass ich nicht nur Kirche bin, sondern noch mehr, oder dass ich noch anderes zu bieten habe. Ja! #00:39:13-4#

Hannah Diemer: Hast du da eine Geschichte im Kopf, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist oder eine besondere Begegnung, von der du erzählen kannst? #00:39:21-0#

Erdmuth Meussling: Es gibt eine eine Begegnung in der Psychiatrie, die mir glaube ich, für immer in Erinnerung bleiben wird. Die war jetzt nicht so spektakulär, aber die war für mich auch eine wichtiges Erkenntnis. Also, in der Seelsorge geht es mir auch immer ganz viel darum zu spüren, was beschäftigt die andere Person und welche Gefühle stecken da dahinter? Weil in den Gesprächen geht es zwar schon oft um Glaube, aber nicht immer, um zu antworten. Also, wenn ich jetzt eine theologische Antwort gebe, ist es nicht befriedigend für die meisten Personen und das ist total nachvollziehbar, weil das ist nicht das, was ein vielleicht beschäftigt, sondern eher das Gefühl, was dahinter steckt. Damit kann ich auch arbeiten und ich hatte mal ein Gespräch mit einem Mann, mit einem älteren Herr, der mir die Frage gestellt hat, und wenn es um die Frage in der Theologie geht, dann ist es meistens die Theodizee Frage, und die Theodizee Frage, hast du davon schon mal gehört? #00:40:18-7#

Hannah Diemer: Nein! #00:40:18-7#

Erdmuth Meussling: Das ist die Frage, warum lässt Gott leid zu auf dieser Welt? Und das ist eine Frage, die man theologisch unterschiedlich beantworten kann. Da gibt es bestimmte Ansätze, aber das ist immer total wissenschaftlich und meistens, wenn einem im Seelsorge Kontext diese Frage begegnet, dann geht es eigentlich nicht um eine theologische Antwort. Jedenfalls hat er erzählt, der Mann, dass er in irgendeinem afrikanischen Land war und dort hat er dieses Elend gesehen und er war total sauer und hat sich dann gedacht: „Ne, also, wenn ich sowas sehe, dann kann ich nicht mehr an Gott glauben. Warum lässt Gott dieses Leid zu?". Ich habe dann erst mal angefangen, alle möglichen theologischen Antworten darauf zu geben, und versucht... #00:41:03-6#

Hannah Diemer: Was wäre denn so eine theologische Antwort? #00:41:06-3#

Erdmuth Meussling: Eine theologische Antwort wäre zum Beispiel, dass Gott nicht allmächtig ist. #00:41:13-3#

Hannah Diemer: Echt? Heißt es nicht immer Gott, der allmächtige Vater? #00:41:18-9#

Erdmuth Meussling: Also, es gibt so bestimmte Attribute, die Gott zugeschrieben werden: Er ist allmächtig, allwissend und so weiter. Und eine theologische Antwort auf die Frage, warum Gott Leid zulässt, ist, dass er nicht allmächtig ist, weil sonst könnte er eingreifen ins Weltgeschehen und das verändern. Und wenn er das verändern könnte, dann würde er es auch tun, damit es eben nicht dieses Leid auf dieser Welt gibt. Aber vielleicht haben wir einen Gott, der eben nicht allmächtig ist und diese Frage hat zum Beispiel auch nach der Shoah eine ganz wichtige Rolle gespielt, nach dem Holocaust, dass auch in der jüdischen Theologie es Theologen gab, die gesagt haben, solches Leid. Wenn solches schlimme Leid zugelassen werden konnte, dann kann ich nicht mehr an den Gott glauben und deswegen müssen wir vielleicht davon doch ausgehen, dass Gott nicht allmächtig ist und nicht überall eingreifen kann, weil sonst es nicht erklärbar wäre, wie dieses Grauen möglich ist. #00:42:13-0#

Hannah Diemer: Und wenn aber dann Gott nicht dieser allmächtige Retter oder die allmächtige Retterin ist, warum glaubt man dann trotzdem an so eine göttliche Kraft? #00:42:23-0#

Erdmuth Meussling: Vielleicht ist Gott nicht allmächtig, aber kann trotzdem in die Welt hinein wirken und verändern oder durch mich auch verändern. Also das gibt zum Beispiel auch Theologinnen die sagen: „Gott hat nur unsere Hände und unsere Füße und unseren Mund um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen, und wirkt trotzdem hinein durch uns, aber eben nicht selbstständig, indem er ein Erdbeben verhindert". #00:42:54-1#

Hannah Diemer: Ja. #00:42:55-9#

Erdmuth Meussling: Ja. #00:42:56-0#

Hannah Diemer: Aber jetzt sind wir abgedriftet von deiner Geschichte, die du eigentlich erzählen wolltest. #00:42:59-7#

Erdmuth Meussling: Ja und der Mann hat mich gefragt, warum lässt Gott dieses Leid zu? Und ich bin auf diesen Trick hereingefallen in der Seelsorge und habe angefangen, alle möglichen theologischen Antworten zu geben und natürlich hat es nicht funktioniert in diesem Moment. Ich hab mich da abgearbeitet dran und hab mir irgendwann gedacht, ich komme da nicht mehr weiter, das funktioniert so nicht, und hab dann gedacht: Okay, ich muss einfach jetzt mal wieder zu diesem Mann zurück und mir überlegen, was steht hinter dieser Frage bei ihm, und habe immer wieder nachgefragt und nachgehakt. Er hat erzählt, dass er da war, und es hat ihn so sauer gemacht, und er kann das nicht verstehen. Und in diesem immer näher kommen an ihn, und hinter seine Fragen ist mir klar geworden, nein, es ist nicht so, dass er nicht mehr an Gott glaubt, er glaubt schon an Gott, aber er ist enttäuscht, enttäuscht davon, weil er eigentlich dachte, Gott ist so mächtig und lässt das jetzt zu. Und ich bin enttäuscht von Gott, dass du nichts änderst. Ich bin enttäuscht von dir, und das war für mich schon erleuchtend, weil ich mir dachte, gut, mit diesem Gefühl der Enttäuschung kann ich arbeiten, weil das Gefühl der Enttäuschung kennen wir alle aus unterschiedlichen Situationen, und wie gehen wir damit um, wenn wir enttäuscht werden? Und was bedeutet das vielleicht für mich und mein Gottesbild, und das fand ich eine tolle Begegnung, wo ich auch ganz viel gelernt habe und wo ich sehr dankbar rausgegangen bin aus dem Gespräch. #00:44:29-5#

Hannah Diemer: Und was würdest du in Zukunft Menschen raten, die jetzt von ihrem Glauben enttäuscht sind? #00:44:34-7#

Erdmuth Meussling: Ich würde Menschen Mut machen, immer weiterzusuchen. Auch ich habe in meinem Studium immer wieder gesucht. Ich bin ganz ökumenisch groß geworden, das heißt, es haben ganz viele verschiedene Frömmigkeits Richtungen geprägt, katholisch, evangelisch, freikirchlich und so weiter, und ich hab mich oft zerrissen gefühlt und meinen Ort gesucht oder Identifikationspersonen und hab das lange nicht gefunden. Und es gibt aber Orte und Personen, die einem Religion und Spiritualität nahebringen können, und ich würde jeden Ermutigen, weiterzusuchen und Spiritualität als etwas zu sehen, was Antworten geben kann im Leben, auf Fragen, die wir uns anders nicht beantworten können. Oder als einen Ort, wo wir Ruhe finden können, wo wir zu uns selbst finden können, wo wir ganz viel über uns selbst lernen können. Und ich würde Menschen, die jetzt enttäuscht sind von ihrem Glauben, und oft ist es ja eher, dass Menschen enttäuscht sind von der Kirche würde ich eher ermutigen, andere Orte, andere Räume, andere Personen zu suchen, mit denen man sich identifizieren kann oder wo man den Zugang wieder findet. Also nicht das Handtuch völlig zu schmeißen, sondern eher zu schauen. Hey, die Kirche ist in der Form nicht mein Ort, aber vielleicht ist es woanders mein Ort oder vielleicht ist es in der Kirche woanders mein Ort. #00:45:58-6#

Hannah Diemer: Ja, was ich auch rausgehört habe, ist, dass für dich Religion und Kirche auf jeden Fall nicht das Gleiche ist und dass es verschiedene Punkte für dich sind, was ich mich in letzter Zeit jetzt mit unseren ganzen großen Konflikten auf der Welt, die wir haben, und vor allem mit natürlich in Israel und Palästina. Wäre das nicht grundsätzlich besser gewesen, hätten wir überhaupt keine Religionen gehabt, wenn wir jetzt so viele Glaubenskriege haben und sich die verschiedenen Richtungen zu bekämpfen? #00:46:27-0#

Erdmuth Meussling: Ich glaube, eine Welt ohne Religion kann ich mir gar nicht vorstellen, weil es irgendwie das immer schon gab oder zumindest ethische Vorstellungen. Da ist ja auch die Frage, wie man Religion definiert. Wo fängt es an, wo hört es auf? Aber ich würde sagen, Religionen in ihrer Essenz geben eigentlich nie Anlass zum Krieg oder zum Konflikt. Oft ist es ja das, was Menschen dann daraus machen, durch ihre eigene Überzeugung, wenn sie das als das einzig Wahre ansehen oder wenn sie ihre Überzeugung anderen aufdrücken wollen. Und in wirklich allen Religionen gibt es einen eigentlich regeln, die helfen sollen im Miteinander, im menschlichen Miteinander, so eine Art Friedensethik, Vorschläge, wie man gut zusammenleben kann, und da sehe ich die ganz große Chance von Religionen drin. Also, es gibt wirklich überall in allen Religionen ja Gesetze oder Vorschläge zu finden, wie menschliches miteinander funktionieren kann. Ganz bekannt ist ja das Gebot der Nächstenliebe für viele, also du sollst dann den nächsten lieben wie dich selbst, was ja auch in der Bibel und in vielen anderen Religionen zu finden ist. Dieses Gebot der Nächstenliebe ist ja sogar in unserem Grundgesetz zu finden. Also, Religionen und ethische Überzeugungen können auch positiven Einfluss auf Gesellschaft haben. Da bin ich der festen Überzeugung von, und wir sehen in den Nachrichten ganz oft, wie Religionen pervertiert werden und wie sich Menschen gegenseitig Gewalt antun im Namen einer Religion. Aber es gibt auch wirklich viele Beispiele, wie Religion und Glaube zu einem friedlichen miteinander führen kann, und die Frage, die hast du mir vorher schon geschrieben, und da habe ich mir schon ein bisschen Gedanken drüber gemacht, was mir da alles einfällt, und wir sind da gleich auf Anhieb schon einige Beispiele eingefallen, wo Religion etwas Positives bewirken kann, also zum Beispiel in der Bürgerrechtsbewegung, der USA und 60er-Jahren. Martin Luther King war ja auch Pfarrer, und er hat ganz wesentlich dazu beigetragen, und diese Bewegung, dass schwarze Menschen in den USA mehr Rechte bekommen, einfach freier werden in dem, was sie tun und wie sie in der Gesellschaft behandelt werden. Und bei der DDR war es so, dass die evangelische Kirche ganz maßgeblich zu einem friedlichen Mauerfall mit dazu beigetragen hat. Also, es gab kurz vor der Wende, also es gab schon immer, aber kurz vor der Wende, noch viel mehr in der evangelischen Kirche ganz treibende Kräfte, die zu einem friedlichen Fall der Mauer beigetragen haben. Also da gibt's ganz, ganz viele Beispiele, wo Religion eigentlich dazu beiträgt zu etwas Positivem, und das, das wünsche ich mir, dass da auch die Religionen in Deutschland oder die Religionsgemeinschaften und die religiösen Strömungen viel mehr das noch nach außen tragen. In Frankreich haben wir ja einen sehr istischen Staat, das heißt, Religion und Staat sind sehr, sehr stark voneinander getrennt, dass es in Deutschland überhaupt nicht so. Da haben die evangelischen und katholischen Kirchen noch starke Stimmungen in der Öffentlichkeit, und das wollen viele noch mehr voneinander trennen, nach dem französischen Modell. Ich finde es eigentlich gut, dass Religionsgemeinschaften hier starke Stimmen haben. Sie sollten eigentlich das noch viel mehr nutzen für sich und noch viel mehr in der Gesellschaft und in der Politik sagen. Nein, so wie es jetzt läuft, geht es nicht, dass es nicht gerecht. Diese Asylpolitik funktioniert so nicht. Wir kratzen die ganze Zeit an der Menschenwürde. Ich finde, da sollten die Kirchen ihre Stimme noch viel, viel, viel mehr nutzen. #00:50:14-5#

Hannah Diemer: Ich habe durch das Gespräch mit dir jetzt nochmal einen ganz neuen Blick auf Glauben und Religion auch bekommen, und wenn ich dich richtig verstanden habe, dann geht es dir viel um ein positives Handeln in der Welt und um Zeit zu teilen, um Verbundenheit zu generieren, um einfach die Welt zu einem besseren Ort zu machen und da einfach viel Kraft in dem Glauben zu finden, der für dich dann eine Gemeinschaft bedeutet, oder? #00:50:43-2#

Erdmuth Meussling: Ja, das hast du schön gesagt. #00:50:45-1#

Hannah Diemer: Und das vor dem Blick, würde das natürlich Sinn machen, dass die Kirchen sich da mehr einsetzen und sagen, wir sind die Institutionen, die sich für den Frieden einsetzen und die sich für im Prinzip eine gerechtere, nachhaltigere, wahrscheinlich am Ende antikapitalistische Welt einsetzen sollten. #00:51:03-5#

Erdmuth Meussling: Ja, auf alle Fälle und zu sagen, mein Glaube gibt mir auch gleichzeitig Verantwortung, die ich übernehmen muss in dieser Welt, dass alles, was um mich herum passiert und ungerecht ist, nicht so bleiben soll und nicht so bleiben muss. Und gleichzeitig gibt mir mein Glaube auch die Hoffnung, dass es Veränderungen geben kann. #00:51:25-0#

Hannah Diemer: Ja, wenn wir jetzt weiterhin in die eher dunklere Zeit schauen, was würdest du den Menschen damit auf den Weg geben für diese ruhigeren Stunden? #00:51:36-9#

Erdmuth Meussling: Ja, die Zeit jetzt vor Weihnachten und nach Weihnachten ist ja eh eine Zeit, wo ganz viel auseinanderklafft. Einerseits ist es dunkel, und auf der anderen Seite werden wir beschallt und beleuchtet von allen möglichen Konsumsachen und versuchen eigentlich schon, egal ob kirchlich oder nicht, ein bisschen Ruhe zu finden und es fällt uns total schwer. Es gibt Menschen, die sind einsam, und es gibt Menschen, die sind total in Hektik und im Stress, und da ist es natürlich nochmal eine besondere Herausforderung, Ruhe zu finden. Wenn man jetzt in der Stadt unterwegs ist, gibt es ganz, ganz viele Kirchen, die offen sind, und da ist es eigentlich sehr schön, einfach mal reinzugehen und sich hinzusetzen und den Raum auf sich wirken lassen, ohne dass man da jetzt irgendwie beten muss, oder man muss auch keine Kerze anzünden kann. Aber das sind Räume bei denen Menschen vorher schon Ruhe gesucht haben, und es werden noch Menschen nach einem tun, und das hat für mich eine besondere Bedeutung, und es gibt ein jüdisches Sprichwort, was in der Zeit immer mir besonders wichtig ist, wo gefragt wird, wo Gott denn eigentlich wohnt, und die Antwort ist, Gott wohnt dort, wo wir ihn einlassen, und ich glaube, wenn wir selber uns wünschen, dass wir auch besinnlich werden oder zur Ruhe kommen, dass sich vielleicht auch Momente auftun, dass wir sie nur aufmerksam erkennen müssen. #00:53:16-3#

Hannah Diemer: Wo kann man dich denn antreffen? #00:53:19-2#

Erdmuth Meussling: Ich arbeite ja in Nikodemus, in Röthenbach, in der Kirchengemeinde, also über diese Homepage kann man mich natürlich auch finden, oder dort. Ich habe da auch Gottesdienst, zum Beispiel jetzt am ersten Advent, also das ist der dritte Dezember, glaube ich, und dann an Weihnachten selber auch. Radioandachten mache ich auch auf Radio F, immer mal wieder, in größeren Abständen, aber nicht jetzt zur Weihnachtszeit. Aber wenn man es googelt, findet man da auch ein paar Sachen, ein paar Radioandachten von mir. #00:53:48-4#

Hannah Diemer: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch mit dir. Erdmuth, weil das für mich echt noch mal einen anderen Blick auf die Kirche gegeben hat, weil ich wirklich diesen ganz starren und sehr steifen Eindruck hatte und es total spannend finde, dass sich das quasi von innen doch auch versucht zu verändern. #00:54:11-8#

Erdmuth Meussling: Hm ja, ich kenne so viele spannende Frauen und junge Menschen in der Kirche, die nicht weltfremd sind und nicht alt, sondern ganz positiv und motiviert Kirche für alle machen wollen oder Religion für alle, und das motiviert mich auch immer wieder, dabei zu bleiben. Es gibt zum Beispiel auch, wen es noch interessiert, einen Podcast, der heißt „331" und da ist eine junge Pfarrerin aus Berlin, die auch feministisch eingestellt ist und dann gibt es eine junge Jüdin, die glaube ich jüdische Theologie studiert und eine Muslimin. „331" für drei Frauen, drei Religionen, ein Thema und die tauschen sich immer aus. Zum Beispiel sprechen die über, wie stehen die drei Religionen zur Abtreibung, oder wie stehen die drei Religionen zu Pilgern, warum kann ich feministisch und trotzdem gläubig sein? Also da gibt es zum Beispiel ganz viel und auch zu Rassismus, kritischer Kirche. Genau von daher bin ich eigentlich schon auch optimistisch, dass Kirche sich noch verändern kann in dieser Gesellschaft. Ja! #00:55:40-5#

Hannah Diemer: Vielen Dank dir Erdmuth, für deine ganze Arbeit und dein wirken. #00:55:44-5#

Erdmuth Meussling: Danke, Hannah für die Einladung. Ich freue mich, dass ich sprechen konnte, und ich hoffe, ich habe auch Sachen gesagt, die interessant waren. #00:55:53-4#

Hannah Diemer: Auf jeden Fall, ich habe wirklich viel gelernt, danke dir. #00:55:56-3#

 

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Einer Pfarrerin werden die heiklen Fragen gestellt: Wie kann man als Frau in der Kirche arbeiten? Kann man noch an Gott glauben? Wäre eine Welt ohne Religion friedlicher?

In dieser Podcastfolge sitzen sich zwei Frauen gegenüber: Die eine seit Jahren aus der Kirche ausgetreten, die andere hat über sieben Jahre lang Theologie studiert und arbeitet als Pfarrerin.

Dabei sprechen sie über große religiöse Fragen, ob Religion in der heutigen Zeit und Gesellschaft noch einen Platz findet und ob in der christlichen Kirche wirklich alles schon immer so alt, weiß und männlich ist, wie aktuell verbreitet. Erdmuth Meussling zeigt dabei neue Perspektiven auf die Bibel und auf den Glauben an sich. Sie gibt Einblicke in die Arbeit als Pfarrerin und ihrer Tätigkeit als Seelsorgerin.  

Was draus wurde? Ein Gespräch auf Augenhöhe, vielen Aha-Momenten, und ganz viel Stoff zum Nachdenken.  

Weiterführende Links:

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Aufgenommen am: Dienstag, 21. November 2023
Veröffentlicht am: Donnerstag, 30. November 2023
Moderation: Hannah Diemer
Im Gespräch: Erdmuth Meussling

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Alle zwei Wochen, donnerstags, veröffentlichen wir ein neues Gespräch.

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