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Edeltraud Rager, warum braucht es eigentlich die Nürnberger Tafel?

Anne Wasmuth: Herzlich willkommen zu einer neuen Kontaktaufnahme. Mein Name ist Anne Wasmuth und ich bin heute zu Gast bei Edeltraud Rager, Leiterin der Nürnberger Tafel. Vielen Dank, dass ich heute hier in der Sigmundstraße sein darf! #00:00:37-9#

Edeltraud Rager: Gerne. #00:00:38-6#

Anne Wasmuth: Es ist noch gar nicht so lange her, da sind Sie in den Ruhestand gegangen. Sie haben aber vorgebaut und haben vor fünf Jahren die ehrenamtliche Projektleitung der Nürnberger Tafel übernommen. Diese wird vom Bayerischen Roten Kreuz getragen. Das Bayerische Rote Kreuz, kurz BRK, da hat jeder/jede Rettungswagen vor Augen, kommt einem vielleicht der Blutspendedienst in den Kopf oder der BRK Suchdienst, also ein ganz breites, vielfältiges Spektrum an wohltätigen und sozialen Arbeitsfeldern. Sie selbst haben hier in Nürnberg an der FAU Sozialwissenschaften studiert und sind nach Ihrem Studium durch eine Hospitanz zum BRK gekommen und sind dem BRK sozusagen bis heute treu geblieben. Sie haben die Rettungsleitstelle in Nürnberg geleitet und sich seit Ende der 1980er Jahre ganz der Altenhilfe verschrieben. Das hat mit der Leitung des damals ganz neu errichteten Seniorenheims Am Zeltnerschloss angefangen und hört am Ende mit drei Pflegestandorten, zwei Tagespflegen sowie einem Betreuten Wohnen auf. Wie kam der Schritt zur Tafel? #00:01:47-5#

Edeltraud Rager: Der Schritt zur Tafel hat sich eigentlich von selbst ergeben, denn in meiner hauptamtlichen Eigenschaft als Leitung der Senioreneinrichtungen war ich im BRK auch für alles, was mit Essen und Trinken zu tun hat, zuständig, weil wir BRK-intern das Catering gemacht haben. Und wir hatten vorher schon Flüchtlingsverpflegung gemacht und dann hat die Tafel, der damalige EV, noch einen Träger gesucht. Die Geschäftsführung und ich, wir sind da mal hin zu einem Gespräch und kamen aus dem Gespräch raus als Träger der Tafel. Das ging eigentlich relativ schmerzfrei. Und wir haben dann im ersten halben Jahr die Tafel unterstützt, da war ja noch der EV zugange. Also wir haben in der Logistik unterstützt, wir haben im Lager unterstützt. Und dann hat die Mitgliederversammlung des EV im zweiten Anlauf beschlossen, das BRK verbindlich als Träger zu nehmen. Und seit 01.07.2017 sind wir eben oder das BRK eben Träger der Nürnberger Tafel und ich war dann von Anfang an die Projektleitung. Machte auch einen Sinn, das im Heim mit anzusiedeln, weil da eben die Großküche war. Es war Kompetenz in Sachen Lebensmittel vorhanden. Wir hatten noch aus Flüchtlingszeiten Mitarbeiter, die in der Logistik unterstützen konnten und so, ja, hat sich das einfach ergeben. #00:03:11-0#

Anne Wasmuth: Wie würden Sie die Hauptaufgabe der Tafel beschreiben? #00:03:16-5#

Edeltraud Rager: Das ist ganz kurz in einem Satz beschrieben. Die Tafel rettet Lebensmittel, die andere nicht mehr brauchen, die aber noch gut verwendbar sind und führt sie bedürftigen Menschen zu. #00:03:27-6#

Anne Wasmuth: Was war denn zuerst da? Die Idee der Lebensmittelrettung? Oder...? #00:03:33-2#

Edeltraud Rager: Die Idee der Lebensmittelrettung. Eindeutig. #00:03:34-8#

Anne Wasmuth: Okay. Warum ist das überhaupt notwendig? Warum schmeißen wir so viel Lebensmittel weg? #00:03:39-7#

Edeltraud Rager: Ja, ich denke, ein Problem dabei ist, dass die Menschen ja immer beim Einkaufen bis zum Ende die große Auswahl haben wollen. Das andere ist, dass jeder alles anbieten möchte, damit also kein Kunde jetzt unzufrieden aus dem Laden geht und damit einher geht halt dann einfach Riesenverschwendung. Also, es wird zum einen sehr viel mehr produziert, als man verbrauchen kann oder halt am falschen Ort produziert und ist dem Verbraucher nicht zugänglich gemacht. Und in den Läden ist es halt auch schwierig, punktgenau zu disponieren. Das heißt, es wird immer irgendwo was übrig bleiben und es ist einfach schön, wenn wir das dann holen können und es wandert nicht in die Tonne, wie es in manchen Läden leider heute noch ist. #00:04:26-4#

Anne Wasmuth: Ich habe auch irgendwo gelesen, das Thema Mindesthaltbarkeitsdatum ist auch immer wieder. #00:04:32-4#

Edeltraud Rager: Ja, wobei, das Mindesthaltbarkeitsdatum ist eigentlich eine Empfehlung, denn der Hersteller garantiert ja nur innerhalb dieser Zeit, dass das also im Aussehen, im Geschmack und so weiter dem entspricht, was er haben möchte. Die Läden dürfen nach dem MHD nicht mehr verkaufen. Wir dürfen nach dem MHD noch ausgeben, soweit die Sachen halt gut sind. Und ich meine, unsere Kunden werden auch verpflichtet, wenn sie bei uns einen Ausweis beantragen, die Sachen nochmal zu prüfen, wenn sie sie bei uns holen. Also wir übernehmen damit auch keinerlei Haftung, sowie auch der Laden keine Haftung übernimmt. Wir holen im Laden ab. Sobald wir das von der Rampe ins Auto einladen, geht die Haftung mit zu uns über. Und sobald der Kunde die Ware bei uns über unseren Einkaufstisch entgegennimmt, geht die Haftung auf ihn über. Das heißt, er ist selber für das verantwortlich, was er dann noch isst oder was er nicht isst. #00:05:23-5#

Anne Wasmuth: Müssen Sie selber am Ende des Tages auch Obst, Gemüse, Lebensmittel wegschmeißen? #00:05:29-4#

Edeltraud Rager: Also von dem, was ausgabefähig ist, müssen wir eigentlich nichts oder fast nichts wegschmeißen, es sei denn, es war schon so reif, wenn es in der Früh in die Ausgabe kommt, nicht abgeholt wurde, dass man es wirklich nicht mehr anbieten kann. Aber um das wirklich zu minimieren, haben wir jetzt, seit wir hier an dem Standort sind, also seit gut Einundvierteljahr, noch eine Küche, eine Suppenküche, dass man sagt, wenn man Ware in großer Menge hat oder Ware, zum Beispiel jetzt Obst, das schon sehr reif ist, dass man das gleich in der Küche verarbeitet, zu Marmelade, oder einkocht oder sonst was oder verkocht und das gar nicht mehr in den Kreislauf geht vom Laden. Denn was ich jetzt heute in der Früh noch verkochen kann, ist nichts, dass ich es am Nachmittag noch ausgeben kann. Also gerade jetzt, wenn ich daran denke, unsere Ehrenamtlichen in der Küche, die sind jetzt im Moment auch damit beschäftigt, Obst einzukochen. Also jetzt im Sommer natürlich noch viel mehr. Aber halt auch, wenn man Säfte oder irgendwas hat, daraus Gelee dann zu machen, bevor man es halt einfach nicht - Also wir haben Gebinde mit drei und fünf Liter, die kann man den Kunden nicht anbieten. Umfüllen ist schwierig bei Getränken. Und dann kocht man halt Marmelade draus. #00:06:42-4#

Anne Wasmuth: Ja, Lebensmittelrettung bis zum letzten, toll! Es gibt in Deutschland 960 Tafeln, 60.000 Helfer*innen, habe ich gelesen, als Zahl engagieren sich für die Tafel. 10 Prozent davon hauptamtlich. Wie ist das in Nürnberg? Sie sind die ehrenamtliche Projektleitung. #00:07:02-0#

Edeltraud Rager: Genau. Mein Kollege, mein Stellvertreter, ist ein hauptamtlicher Mitarbeiter, hat bei uns als Fahrer angefangen und hat sich dann sehr schnell rauskristallisiert, dass er einfach weit mehr kann als Autofahren. Und er ist jetzt praktisch die Zukunft. Und dadurch, dass er halt noch so jung ist, dann muss er natürlich auch hauptamtlich verortet werden, denn er muss ja von was leben. Wir haben ja den Luxus, wir ganzen Rentner, die wir bei der Tafel sind, dass wir unser Einkommen über Rente haben. Aber die jungen Menschen brauchen natürlich ein Gehalt. Und so haben wir jetzt eben - wie gesagt, die eine Leitung ist hauptamtlich, wir haben vier hauptamtliche Fahrer, von denen halt ein Teil dann vom Jobcenter gefördert wird, und drei hauswirtschaftliche Mitarbeiter, wo auch eine übers Jobcenter gefördert wird. Und alles andere machen wir ehrenamtlich. #00:07:51-7#

Anne Wasmuth: Wie viel Ehrenamtliche sind dann hier? #00:07:54-5#

Edeltraud Rager: Also wir haben registrierte Ehrenamtliche bei der Tafel um die 280. Echt aktiv, würde ich mal sagen, sind zwei Drittel, bedingt dadurch, dass halt ein Teil durch Krankheit oder jetzt auch im Zuge von Corona dann im Moment nicht so häufig kommt. Schon ab und zu mal, wenn größere Sachen sind. Aber sagen wir, regelmäßig im Einsatz, in den Ausgaben, sind vielleicht zwei Drittel. Und in der Logistik natürlich. Ich meine, das vergisst man immer, Logistik und Lager, das ist so selbstverständlich und läuft mit. Man sieht ja nur die Ausgabe. Aber es muss ja erst mal die Ware hierher gebracht werden. Also das heißt, wir haben jeden Tag vier Fahrzeuge im Einsatz, die jetzt ab früh sieben Uhr ihre Touren fahren, nach einem festgelegten Plan. Am Montag wird es immer später, kommen sie erst zwischen eins und halb drei zurück. Unter der Woche geht es dann oft mal so halb zwölf, zwölf, dass man schon mal zurückkommt. Und die fahren dann so zwischen 15 und 20 Läden an, dürfen maximal 900 Kilo laden im Auto. Es ist am Montag meistens wirklich auch ausgereizt, diese Nutzlast. Wenn man jetzt rechnet, eine Kiste sind 20 Kilo, also das sind 40, 45 Kisten. Manchmal müssen die Fahrzeuge sogar die Tour unterbrechen, herkommen und dann ausladen und nochmal fahren, weil sie sonst einfach überladen hätten. #00:09:16-5#

Anne Wasmuth: Die Beschränkung ist vom Auto hergegeben. #00:09:18-5#

Edeltraud Rager: Vom Auto her, das ist die Nutzlast. Mehr kann das Auto nicht. Wir haben ein Auto, ein Größeres, wo man über zwei Tonnen laden kann, aber das nutzen wir in erster Linie für Auswärtsfahrten. Jetzt heut zum Beispiel fährt das Auto in die Nähe von Coburg, zusammen mit dem LKW vom Landesverband, und holt hier - ich weiß nicht, wie viele Paletten - so viel er halt laden darf, haben wir ein Großgebinde Reis bekommen von einem Spender und die werden jetzt heute Nachmittag bayernweit, also nordbayernweit verteilt. Da sind die Kollegen aus Hof, aus Schweinfurt. Wir fahren mit zwei Autos hin, also so, dass das halt einfach auch sinnvoll verteilt wird und dass man es dann von uns hier dann abpacken kann und an die Kunden rausgeben. #00:10:00-6#

Anne Wasmuth: Da braucht man quasi ein Logistikstudium. #00:10:03-0#

Edeltraud Rager: Nee, man hat viel Erfahrung dann irgendwann. Aber es muss halt dann schon geplant werden. Ich meine, die Begrenzung, die natürliche Begrenzung, sind eigentlich immer die sieben Fahrzeuge. Mehr geht halt nicht. Und wenn ich schon vier jetzt unterwegs hab, der junge Mann, der vorhin da reingeschaut hat, der war jetzt heut früh schon bei der Großbäckerei und hat Gebäck geholt, hat dann die Ausgabe gleich beliefert, liefert hierher. Dann ist Nachmittag, braucht man mindestens ein Auto, das dann die Ware aus der Ausgabe, das Leergut wieder holt. Also, man muss dann schon immer gucken, wie geht es irgendwie, dass man nicht überplant. #00:10:40-2#

Anne Wasmuth: Ja. Sie haben vorhin gesagt, viele Rentner. Ausschließlich? #00:10:45-5#

Edeltraud Rager: Wer hat tagsüber Zeit, also meistens halt Rentner oder halt Menschen, die irgendwie aus anderen Gründen nicht berufstätig sind. Wir haben auch mitarbeitende Kunden, also das heißt jetzt eigentlich Bedürftige, die bei uns einkaufen, die aber sagen, nee, ich möchte der Tafel auch was zurückgeben. Und die kommen dann nicht an ihrem Einkaufstag, das wollen wir eigentlich nicht, sondern an einem anderen Tag und helfen mit. Sei es jetzt im Laden, sei es jetzt in der Logistik oder auch im Lager unten, denn das Lager ist ja auch ein sehr wichtiger Bereich. Da kommt ja die Ware an, die die Fahrer bringen und hier wird dann nochmal alles durchkontrolliert und sortenrein sortiert, sodass die oben im Laden oder auch in der Außenstelle einfach eine Kiste bekommen und da sind halt nur Kartoffeln drin oder da ist halt jetzt nur Kohl oder irgendwas drin. Aber auch bei der Kühlware. Da haben wir dann ja die einzelnen Theken, dass ich sage, gut, ich kriege jetzt eine Kiste und da ist halt wirklich nur Joghurt drin, sodass sie einfach nicht nochmal dann bei der Ausgabe sortieren muss, sondern die kann sich darauf verlassen, wenn vom Lager die Kiste kommt, dann ist halt Ware drin, also jetzt in dem Fall Joghurt oder Wurst oder was und es ist auch schon dieses MHD. Wobei das, MHD wird bei uns relativ entspannt gesehen. Aber gefährlicher ist ja, wenn sie Ware dabei haben, die ein Verbrauchsdatum hat, dann ist es auch bei uns ein No-Go. Wenn es über dem Verbrauchsdatum ist, darf es nicht mehr ausgegeben werden, dann muss es entsorgt werden. Und das ist natürlich schon oft mal schlimm, wenn man jetzt so um die Weihnachtszeit oft mal so schönen Räucherlachs oder sowas bekommt. Das hat alles Verbrauchsdatum und das muss halt dann weg in die Tonne. Also, das sind so Sachen, die müssen auch wir dann entsorgen, wenn es auch schwerfällt. #00:12:27-4#

Anne Wasmuth: Ist die Tafel eine deutsche Erfindung? #00:12:31-5#

Edeltraud Rager: Ne, die Bewegung kommt aus Amerika. #00:12:34-1#

Anne Wasmuth: Sind Sie denn auch mit anderen internationalen Partnern vernetzt? #00:12:39-5#

Edeltraud Rager: Vernetzt würde ich jetzt nicht sagen. Wir hatten jetzt erstmalig heuer im Oktober diesen internationalen Kongress der Lebensmittelbanken, weil in den anderen Ländern heißt es ja Foodbanks. Das war bei uns in Berlin, also die Tafel Deutschland war Gastgeber. Und da waren also auch Vertreter aus vielen Ländern, also fast aus allen Erdteilen, da. Also das ist eine weltumspannende Idee eigentlich, wobei halt da sehr viel Funktionäre dann da waren von den ausländischen Lebensmittelbanken und da halt mit uns Fußvolk weniger Kontakt war. Aber es waren interessante Themen und es ist auch beruhigend festzustellen, dass alle die gleichen Probleme haben: wenig Ehrenamtliche, begrenzte Mittel, der Zugriff zu Lebensmitteln, das halt oft mal die Lebensmittel da sind, wo ich jetzt keine Tafel oder nichts habe, sondern ich muss halt auch die Riesenlogistik - also da sind manche sehr fortschrittlich. Also da war ein Vertreter von der Insel, also aus England, die haben das sehr gut organisiert, mit Zentren und sowas. Aber es waren dann auch Vertreter aus Südeuropa, die halt zuerst im Aufbau sind. Also da kann man sich dann schon ein bisschen auch zurücklehnen und sagen, na so schlecht sind wir eigentlich, wir kriegen es ganz gut hin. Und was halt schön ist, wir sind eigentlich deutschlandweit gut vernetzt. #00:14:02-0#

Anne Wasmuth: Ich würde gerne das Stichwort Logistik nochmal aufgreifen. Sie haben gerade auch erzählt, heute früh war schon ein Fahrer beim Bäcker. Ist das dann frische Ware? #00:14:13-2#

Edeltraud Rager: Das ist die Ware vom Wochenende. Also wir bekommen immer die Ware vom Vortag. Und das ist eigentlich eine gute Geschichte. Wir haben zwei Großbäckereien, wo wir abholen können. Wir haben natürlich auch viele kleine Bäcker, wo wir jetzt bei der Tour abholen. Aber die großen Bäcker, da können wir in der Früh, also der eine, der in Tennenlohe draußen - ich mein, kann man sagen, das ist Der Beck -, da können wir schon, um halb sieben fährt der Fahrer los, dass er also kurz vor sieben draußen ist. Dann haben die schon aussortiert von den Rückläufern. Das geht ja alles übers Band dann zurück, diese Körbe. Was ist Brot, was ist Brötchen, was ist Süßteilchen, sodass wir dann oftmal, wenn wir so kurz vor sieben dort sind, einfach nur die Türme einladen müssen und mitnehmen. Manchmal muss der Fahrer auch mit nochmal mit ans Band und aussortieren. Und der andere Großbäcker, da holen wir in einer Filiale in Poppenreuth ab. Das ist der Feihl, der aus Neumarkt, und der bringt alles, was Rückläufer so von den Nürnberger Läden sind, dann nach Fürth und wir können es da holen. Ist natürlich sehr viel leichter, als wenn ich zehn Bäcker abklappern muss, wobei wir auch sehr froh sind um die kleineren oder die ortsansässigen Bäckereien, weil man halt eine gewisse Vielfalt dann hat. Also, wir haben den Bäcker Imhof, wir haben den Bäcker Woitinek, also wir haben diese Backstuben. Es ist wirklich die ganze Palette. Wir haben, ich denke, es ist ein arabischer Bäcker, irgendwo in Mögeldorf draußen, wo wir dann eben Fladen und die Sachen alles holen. Wir haben ja auch bunt gemischtes Klientel bei der Kundschaft und dann ist es einfach schön, wenn man mit der Ware sehr vielfältig da ankommt. #00:15:48-5#

Anne Wasmuth: Ich habe die Zahl von 265.000 Tonnen Lebensmitteln gelesen, die die Tafeln pro Jahr retten. #00:15:59-9#

Edeltraud Rager: Ist durchaus möglich, ja. Ich meine, wenn Sie jetzt nur mal schauen, hier in Nürnberg. Wir haben vier Autos. Jedes Auto darf bis zu 900 Kilo laden. Wir haben auch diese Anlieferungen, haben Sie ja vorhin mitbekommen. Diese vier Paletten Smoothies, die wir jetzt bekommen haben. Also im Schnitt bewegen wir am Tag so drei, dreieinhalb Tonnen Lebensmittel nur hier in Nürnberg. #00:16:24-0#

Anne Wasmuth: Und sind das alles dann Läden, wo Sie es holen oder wo kommen die Lebensmittel her? #00:16:30-9#

Edeltraud Rager: Das ist ganz unterschiedlich. Also wie gesagt, das wurde jetzt angeliefert. Das ist eine Lebensmittelspende, die über den Bundesverband kommt. Es gibt ja eine Bundes- und eine Landeslogistik. Und da wir auch Verteilerlager sind, bekommen wir dann eben jetzt hier diese vier, fünf Paletten Smoothies. Die bieten wir dann bei den umliegenden Tafeln an und die holen halt dann fünf, sechs Kisten oder eine Palette und das wird angeliefert in der großen Menge. Wir fahren aber auch in den Laden, wo wir ein paar Kisten holen. Wir haben die zwei Metros jeden Tag, wo wir teilweise bis zu 20 Kisten holen und mehr. Und wir holen aber auch bei Speditionen ab oder bei anderen Spendern, wo es dann heißt, ja, wir haben jetzt eine Palette, zwei Paletten. Also wir waren jetzt vor einiger Zeit in Fürth bei einem Spender, da haben wir vier Paletten Stollen geholt. Hilft uns natürlich unheimlich, weil halt die Süßteilchen immer sehr wenig sind von den Bäckern und der wird dann mit ausgegeben als Süßgebäck. Oder wir haben jetzt von einem Nürnberger Lebküchner wieder fünf, sechs Kisten Lebkuchen bekommen. Also das sind halt Sachen, die holen wir dann im Größeren. Aber wir holen auch, wie gesagt, bei einem Spender dann nur ein Kistchen Brot oder was. #00:17:47-4#

Anne Wasmuth: Kommen auch Privatpersonen zu Ihnen, die sagen, ah, ich hab hier was übrig, oder, ich möchte einfach gerne mal was abgeben? #00:17:55-9#

Edeltraud Rager: Nimmt jetzt zu, seit die geflüchteten Menschen aus der Ukraine hier sind und wir eben auch auf den Bedarf an Lebensmitteln aufmerksam gemacht haben, weil, ja, Sie müssen jetzt einfach sagen, wir haben doppelt so viel Kunden wie Anfang März, aber halt nicht doppelt so viel Lebensmittel. Wir haben hier noch gut Lebensmittel, aber halt nicht so, dass wir jetzt in der Menge ausgeben können, wie es vor März war. Also das heißt, man muss ein bisschen reduzieren, man muss halt teilen. Aber ich meine, wir sind Tafel. Und zu den Privatspendern, immer wieder mal sind Anrufe, ja, ich löse jetzt den Haushalt auf, oder, ich habe mich einfach verkalkuliert beim Einkaufen, kann ich bringen? Aber auch Anrufe, wo dann Menschen sagen, Mensch, ich würde euch gerne Lebensmittel holen, was kann ich denn kaufen? Die gehen gezielt einkaufen, wobei das jetzt eigentlich nicht der Tafelgedanke ist. Aber sie wollen halt einfach unterstützen und ich finde es sehr schön, dass man sich da halt Gedanken macht, wie kann ich der Tafel helfen? #00:18:54-9#

Anne Wasmuth: Wie läuft das denn hier vor Ort ganz praktisch ab? Darf jeder zu Ihnen kommen? #00:19:00-9#

Edeltraud Rager: Nein. Wir dürfen ja nur an Bedürftige ausgeben. Das heißt, der Kunde oder der angehende Kunde muss uns nachweisen, dass er bedürftig ist. Das ist für manche ein sehr schwerer Schritt. Wenn jetzt jemand Leistungsbescheide hat, geht's noch ganz gut, weil ich meine, wir unterstellen, wenn jetzt jemand Jobcenterleistungen, also das klassische Hartz 4 bekommt oder Grundsicherungsleistungen oder Asylbewerberleistungen, dann ist er bedürftig, weil sonst würde er ja nicht vom Amt unterstützt werden. Schwieriger ist es bei Menschen, die halt einen Teilzeitjob haben oder Rentner sind. Also gerade jetzt die Rentner, denen fällt der Weg zu uns schon sehr schwer. Also das ist oft einmal, ja, ich habe es jetzt so lange geschafft und jetzt muss ich kommen und muss praktisch mich finanziell ausziehen und erst mal beweisen, dass ich zu dem Klientel gehöre, das bei der Tafel holen kann. Die kommen dann zwischen zehn und zwölf, können sich anmelden. Wir haben dann den Leistungsbescheid, den scannen wir ein, damit wir halt einfach einen Nachweis haben und der Kunde bekommt dann eine Karte und kann einmal in der Woche einkaufen. Aber er muss uns halt eben diese Bedürftigkeit nachweisen. Und es gibt schon oftmals Diskussionen, weil zum Beispiel halt auch Menschen, die jetzt anrufen und sagen, ja, mein Kühlschrank ist jetzt leer! Ja, wir brauchen halt ein Stück Papier. Ich meine, daran hängt auch an dieser Vorgabe, nur an Bedürftige abzugeben, auch unsere Gemeinnützigkeit. Und ich meine nicht nur unsere, wir sind ja Teil eines großen Ganzen, nehmen das BRK auch mit. Und das ist für manche Kunden halt sehr schwer verständlich. #00:20:32-3#

Anne Wasmuth: Wenn sie das aber nachgewiesen haben, dann bekommen sie einen Ausweis und dann dürfen sie einmal in der Woche kommen. #00:20:39-0#

Edeltraud Rager: Sie müssen sich für einen Tag oder für eine Ausgabe und einen Tag entscheiden und an dem Tag können sie einkaufen. Dann bekommen sie dann einen Zeitplan, weil wir so ein Zeitsystem haben. Das heißt, jeder Kunde ist mal der erste und jeder ist mal der letzte. Das geht nach den Nummern auf dem Ausweis, die werden so auf einem Blatt aufgeschrieben. Und wenn der Kunde jetzt heute um 14 Uhr kommt, muss er nächste Woche um 13:45 Uhr kommen, geht vor bis zwölf Uhr und dann fängt er wieder von hinten an. #00:21:08-6#

Anne Wasmuth: Ah okay. #00:21:10-4#

Edeltraud Rager: Dass halt jeder mal der erste ist. Ich meine, jetzt hier bei uns in der Sigmundstraße ist es eigentlich nicht so schwierig, wenn er immer zur gleichen Zeit kommen würde. Weil wir können auch unten vom Lager nachholen. Aber die Außenstelle hat halt eine Menge x Lebensmittel und ich kann jetzt nicht sagen, Mensch, jetzt kommen so viele, jetzt bräuchte ich noch mal nach. Geht halt nicht. Und darum hat man dieses System gemacht und ich finde, es ist halt einigermaßen auch gerecht. #00:21:38-7#

Anne Wasmuth: Und es funktioniert auch gut? #00:21:39-9#

Edeltraud Rager: Ja, mehr oder weniger. Also ich meine, es gibt natürlich Kunden, die das absolut nicht einsehen und immer ganz wichtige Termine haben, warum sie nicht zu ihrer Zeit kommen können. Und da gibt es dann unten am Einlass, gibt schon oft mal heiße Diskussionen. Und die Mitarbeiterin, die den Einlass macht, ich muss die immer bewundern. Ich meine, natürlich wird die auch mal laut und wird auch mal grantig, wenn sie es halt zum zehnten Mal das jetzt erklären, warum es so ist. Oder wenn jetzt einer meint, er muss sich jetzt vorne hinstellen und die anderen sind völlig egal. Aber meistens funktionierts. Das ist halt so. #00:22:18-0#

Anne Wasmuth: Also wenn ich jetzt berechtigt wäre und ich zu Ihnen komme, kann ich dann sagen, ich brauche eine Gurke und einen Joghurt und bitte ein Brot, also quasi wie nach Einkaufszettel einkaufen? #00:22:31-1#

Edeltraud Rager: Sie gehen hier durch den Laden wie beim Einkauf. Und ich meine, die jeweilige Mitarbeiterin an dem Stand weiß, ich hab so und so viel Ware zu verteilen. Das heißt, wenn viel da ist, dann bietet die halt, was weiß ich, fünf Joghurts an. Wenn wenig da ist, dann gibt's halt pro Person auch einmal nur zwei. Das ist je nachdem was Ware da ist. Aber es soll der Kunde auch nur das mitnehmen, was er wirklich isst. Also wir hatten schon Zeiten, das war noch in der alten Ausgabe in Sankt Leonhard, wo die Kunden alles mitgenommen haben, was jetzt hier so unterwegs ist und dann haben wir in der ganzen Nachbarschaft die Gärten und die Müllkörbe ausleeren müssen. Und das, muss ich jetzt sagen, hat sich hier ganz gut eingespielt, dass sie halt wirklich auch sehen, das und das ist da. Und ich meine, die Mitarbeiterin sagt dann schon mal, gut, Sie können sich drei, vier, fünf Teile aussuchen. Wenn genügend da ist, dann wird es überhaupt nicht reglementiert, aber wir gucken dann schon, dass nichts weggeworfen wird. Also wenn wir jetzt jemanden erwischen, der draußen bei unseren Mülleimer oder an der Bushaltestelle dann was entsorgt, was er hier frisch geholt hat, der kriegt dann schon einmal einen freundlichen Hinweis und beim zweiten Mal, unter Umständen, wird er dann auch mal für eine Zeit gesperrt. Weil dann fehlt anscheinend der Bezug zu der Wertigkeit der Lebensmittel. #00:23:45-8#

Anne Wasmuth: Bekommen die Menschen bei Ihnen alles, was sie nachfragen? Also Sie haben schon gesagt, die süßen Sachen sind manchmal knapp. #00:23:53-8#

Edeltraud Rager: Die sind heiß begehrt. Da muss man aber halt auch manchmal dann einteilen. Wir haben Zeiten gehabt - also ich bin selten mit draußen im Laden -, da kam ein Kunde und da habe ich gefragt, was er denn möchte: Ja, was Sie mir geben! Ich hab gesagt: Ich weiß nicht, was Sie essen, also müssen Sie schon entscheiden, was Sie wollen! Da hatte ich eine relativ große Tüte: Ja, wie viel kriege ich? Ja, wie viel wollen Sie denn? Und dann hat er sieben Teilchen mitgenommen. Und dann kam die Kollegin vom Brotstand und hat sagt: Wieso geben Sie dem so viel? Na, weil die nächste, die für fünf einkaufen darf, halt nur zwei Teile mitnimmt! Das gleicht sich aus. Ich mein, wenn wenig da ist, ist es blöd, weil das Süße geht immer. Also wir hatten mal eine Zeit lang einen Spender, der hat diese fürchterlich zuckrigen, süßen Donuts, haben wir da geholt habt. Die sind schon am Finger festgeklebt, wenn man sie ausgepackt hat. Und dann kam mal eine Mutter und dann sag ich, ob sie davon auch was will. Dann sagt sie, ja gern! Dann sag ich, essen Sie das? Ich nicht. Meine Kinder, die warten schon, wenn ich komme und zerlegen mir die Tasche. Also das sind so Sachen, die gehen halt. #00:24:57-3#

Anne Wasmuth: Wir sind hier heute in der Sigmundstraße. Sie haben auch schon von Außenstellen gesprochen. Welche sind das in Nürnberg? #00:25:03-4#

Edeltraud Rager: Wir haben noch fünf Außenstellen. Jetzt heute ist die Grolandstraße offen, das ist Sankt Martin in der Nordstadt. Morgen ist die Nunnenbeckstraße, das ist bei unserem Träger in Wöhrd. Am Mittwoch ist Langwasser. Das ist die größte Außenstelle, die wir haben. Darum ist Mittwoch hier bei uns auch zu, weil sonst könnten wir es von der Logistik her, von den Lebensmitteln nicht schaffen. Am Donnerstag ist der Jakobsplatz noch offen, das ist in der Innenstadt das Pfarrzentrum Elisabeth. Und am Freitag ist unser jüngstes Baby, ist die Wartburgstraße am Nordostbahnhof, eine Ausgabe, die also vom ersten Tag an super gelaufen ist, weil halt beide Kirchengemeinden dahinterstehen, Sankt Lukas und Allerheiligen. Und dann halt noch im Stadtteil einige Organisationen, die sind ein absoluter Selbstläufer vom ersten Tag an. #00:25:51-7#

Anne Wasmuth: Ja, und als Bedürftige oder wenn ich eben Kunde bin, dann entscheide ich mich auch für eine Ausgabestelle. #00:25:58-7#

Edeltraud Rager: Genau. Außer im Moment haben wir ein bisschen Einschränkungen durch die vielen Kunden, die wir jetzt haben, dass wir bei manchen Stellen sagen, jetzt machen wir mal zeitlich begrenzt eine Aufnahmesperre. Denn, wenn ich jetzt denke, in Langwasser, wir fahren jetzt schon mit drei Autos nach Langwasser, Ware liefern. Und wenn ich da noch mehr Menschen kommen lasse, kriege ich die Ware nicht mehr hin. Aber so im Grunde kann man sich entscheiden, wo man einkaufen will und es macht ja auch einen Sinn. Weil es ist ja Blödsinn, wenn jemand vom Nordostbahnhof bis hier in die Sigmundstraße zum Einkaufen fährt und eigentlich um die Ecke die Ausgabe hat. #00:26:33-3#

Anne Wasmuth: Ich habe neulich einen Bericht gesehen, da wurde ein Ehrenamtlicher gezeigt, der Menschen, die zu einer Tafel kommen, auch das Kochen gezeigt hat. Also da waren vor allem alleinstehende Männer, die wussten mit den frischen Lebensmitteln gar nichts anzufangen, sondern haben im Alltag eher teurere Fertiggerichte gekauft. Beobachten Sie ähnliches hier auch? #00:26:55-5#

Edeltraud Rager: Das ist bei uns auch ein Thema. Wir lachen schon immer, wenn es dann im Sommer, Mai, Juni den Spargel gibt. Jeder sagt, ja toll, Spargel, und wir haben viele Kunden, die sagen, nö, ich weiß gar nicht, wie man den macht und wenn er fix und fertig ist, dann nehmen wir den schon mit. Und wir fangen jetzt im Dezember, so Gott und Corona wollen, ein Projekt an, mit Kindern zu kochen. Es gibt, ist auch ein bundesweites Projekt vom Bundesverband, dass man sagt, gut, man fängt bei den Kindern an, dass sie einfach die Wertigkeit der Lebensmittel kennenlernen - es wird von einer Öktrophrologin begleitet - und hier auch lernen, was man aus frischen Lebensmitteln machen kann und dass das einfach oft einmal viel einfacher ist und weit besser schmeckt, als wen ich nur eine Dose aufmache. Aber wir haben viele Kunden, die nicht kochen wollen oder nicht kochen können oder sagen, ich habe gar keinen Herd. #00:27:52-8#

Anne Wasmuth: Wir haben am BZ übrigens sehr viele tolle Kochkurse. Vielleicht sollten wir auch da mal was zusammen machen. #00:27:59-9#

Edeltraud Rager: Wäre eine gute Geschichte, ja! Wobei wir jetzt halt leider Gottes bei - wir haben schon etliche Versuche mit Kochkursen gestartet. Also jetzt nicht in meiner Zeit, sondern vorher. Das erzählen mir immer die Kolleginnen, die schon länger bei der Tafel sind. Am Schluss waren dann halt immer die Mitarbeiter da gestanden. Also zu meiner Zeit hatten wir mal ganz am Anfang, das war irgendwie so schlimm, da sind einige junge Frauen gekommen, die studieren an der Evangelischen Fachhochschule. Da haben sie gesagt, sie wollen halt ein Projekt machen, Plätzchenbacken mit Kindern. Da sag ich, naja, probieren können wir es. Ganz toll, die haben sich eine Mühe gemacht mit Ankündigen, mit allem und dass die Mamas mitkommen und die Kinder und dass sie da ausstechen können. Die haben den Teig vorbereitet, alles. Und dann saßen die wirklich alleine da. Die gebackenen Plätzchen, die haben dann die Kunden schon mitgenommen. Das war einfach, es ist schwierig mit unseren Kunden. #00:28:55-5#

Anne Wasmuth: Das ist ja auch das, was man in vielen Studien immer wieder lesen kann, dieser Zusammenhang zwischen Armut, Bildung und Gesundheit. Das heißt, weniger Bildung, in dem Fall Wissen um ausgewogene Ernährung auf der einen Seite und auf der anderen Seite, dadurch ausgelöst eher Krankheiten, dadurch eher Jobverlust etc. Aber stimmt das? Kommen zur Tafel nur diejenigen, die auf den Lebenslauf gesehen keinen Schulabschluss haben? Oder kann man das so verallgemeinert gar nicht sagen? #00:29:23-4#

Edeltraud Rager: Überhaupt nicht. Zur Tafel kommen Menschen - ich meine, wir wissen ja jetzt selten, was so bildungsmäßig oder so, berufsmäßig mal der Hintergrund war. Also das ist bunt gemischt, was kommt. Wir haben auch Kunden, die wirklich auch gut kochen können, die nur frische Lebensmittel wollen, die also fast nix conveniencemäßiges mitnehmen. Und auch von der Bildung her ist es ein riesenbreites Spektrum. Also ich würde es jetzt nicht so pauschal sagen. Natürlich ist ein großer Anteil von Menschen, die halt jetzt irgendwo aufgrund fehlender Ausbildung oder mangelnder Bildung irgendwo dann halt in dieser Schleife Grundsicherung, Jobcenter gelandet sind. Aber es sind auch Menschen, die einfach gute Voraussetzungen haben und aus irgendwelchen Gründen, Krankheit oder sowas, dann einfach nicht mehr auf die Beine kommen. #00:30:16-5#

Anne Wasmuth: Auf der einen Seite eben diese Tonnen von Lebensmitteln, auf der anderen Seite die Menschen, die diese bekommen. 2 Millionen sind das in Deutschland. #00:30:27-3#

Edeltraud Rager: Tendenz steigend. #00:30:27-6#

Anne Wasmuth: Wahrscheinlich sind es noch mehr. Unglaubliche Zahlen in so einem reichen Land. Hinter jeder Zahl verbirgt sich ein einzelnes Schicksal, eine eigene Biografie. Bekommen Sie das vor Ort viel mit? Von den Geschichten dahinter? #00:30:42-8#

Edeltraud Rager: Also dadurch, dass wir jetzt so viel Kunden haben, ist eigentlich nicht mehr sehr viel Zeit, um mit dem Kunden ein persönliches Verhältnis aufzubauen. Aber die langjährigen Kunden, die kommen, die kennt man ja auch und die sind oft schon tragische Schicksale, die sich dahinter verbergen. Das kriegen halt vor allem jetzt auch unsere Mitarbeiter mit, die dann sagen, ja, der kommt schon so und so lange und da ist das und jenes und der Sohn oder Tochter, die sind dann früh verstorben und dann halt einfach die Kurve nicht mehr gekriegt und so. Und jetzt auch bei den ukrainischen Menschen, ich meine, das ist halt mit der Sprachbarriere, aber das erzählen dann die Dolmetscher oft mal, was da so an Schicksalen dahintersteht. Also es ist schwierig. #00:31:26-2#

Anne Wasmuth: Sie haben gesagt, es sind manche, die kommen schon sehr, sehr lange hierher, zum Teil Jahrzehnte. Manche sind durch Krankheit betroffen. Sehen Sie auch Lebensläufe, wo es Menschen aus der Armut wieder rausschaffen? #00:31:40-4#

Edeltraud Rager: Ja, die kommen dann einfach nimmer. Das ist eigentlich traurig, wir haben jetzt im Moment immer wieder mal Kunden und wenn man dann bei uns im System nachschaut, dann sieht man, okay, die waren mal, was weiß ich, bis 2014 oder so Tafelkunden, waren dann weg, also haben es irgendwie anders geschafft und kommen jetzt halt mit dieser komischen Preisentwicklung einfach wieder zurück. Aber es gibt auch Menschen, die es halt dann wirklich schaffen, wo man dann immer wieder mal, also die von der Ausgabe, die treffen sie halt dann beim Einkaufen oder so und sagen, ja, ihr habt mir geholfen. Oder es ist auch schön, immer wieder mal - ich war neulich auf einer Veranstaltung, da sollte ich Spende abholen. Das war so eine Charity-Versteigerung. Und dann hat da ein junger Mann mitgesteigert und dann kommt er zum Zahlen - ich war neben der Versteigern gesessen - und sagt, für die Tafel gebe ich das gerne, weil ich habe euch auch schon mal gebraucht und ihr habt mir sehr geholfen! Und das sind einfach so Rückmeldungen, wo man sagt, siehst, der hat die Kurve gekriegt! #00:32:42-7#

Anne Wasmuth: Toll! Ja! Deutschland nennt sich ja Sozialstaat. Wäre es nicht eigentlich Aufgabe des Staates, für die Grundversorgung der Menschen zu sorgen? Weil in diese Rolle rutschen Sie ja im Moment immer mehr rein. Gar nicht mehr so diese Rolle Lebensmittelretter, sondern eigentlich Armut, Grundversorgung. #00:33:01-1#

Edeltraud Rager: Es ist eigentlich traurig. Also wobei, ich kann es nicht verorten, woran es liegt. Weil ich meine, man sagt ja immer, das, was so Hartz 4 Sätze sind oder Grundsicherung ist auskömmlich, um, ja, die Leute vorm Verhungern praktisch zu schützen oder halt ein einigermaßen vernünftiges Leben. Aber es ist halt anscheinend nicht ausreichend. Wobei ich es aber nicht festmachen kann. Liegt es daran, dass ein Teil dieser Menschen halt einfach nicht mit dem, was sie an Mittel bekommen, umgehen können, also sprich ihr Geld nicht einteilen können? Oder liegt es halt daran, dass man irgendwann die Sätze nicht mehr angepasst hat? Also, wir stellen halt fest, dass die Menschen jetzt gerade so - Wir haben Kunden, die bedienen eigentlich so die erste Aussage. Die ersten zehn, fünfzehn Tage vom Monat sehen wir die überhaupt nicht. Und dann stellen sie plötzlich fest, verdammt, der Monat ist ja nochmal so lang, aber das Geld ist alle. Dann kommen sie wieder zu uns. Und es gibt aber halt auch Menschen, die sagen, ja, wir werden, was das Sozialamt und der Jobcenter immer vehement verneint, von den Behörden hergeschickt, geht zur Tafel, da könnt ihr euch auch holen. Also wir sind schon praktisch so mit eingeplant und das ist eigentlich was, was mir Angst macht. Weil wir fürchten uns alle hier vor dem Tag. Ich meine, wir haben es jetzt bisher trotz Pandemie, trotz geflüchteter Menschen immer geschafft hat, jeden Tag aufzumachen und niemanden abzuweisen. Aber ich fürchte mich vor dem Tag, wo man irgendwann mal sagen muss, jetzt ist aber was erreicht, jetzt geht's einfach nicht mehr. Weil ich sehe halt auch unsere Ehrenamtilichen, wir sind ja alle nicht mehr taufrisch, wir sind ja alle schon ein bisschen ältere Mädchen, meistens halt Frauen, die vor der Flüchtlingswelle war, sodass der Laden eigentlich um eins aufgemacht hat und um vier Schluss war. Und jetzt ist es so, dass wir um zwölf den Laden aufmachen bis halb sechs. Und ich meine, das sind aber die gleichen Leute. Also jetzt heute hinten in der Küche, unsere Älteste, die ist 88, kommt zwei Tage eisern und packt um. Und auch in der Ausgabe sind halt Frauen, die teilweise schon die 80 überschritten haben. Die Kollegin, die jetzt gerade reingeschaut hat, das ist die Ausgabeleitung heute, die fangen jetzt an, ihren Laden aufzubauen, haben eine kurze Pause vor zwölf, fangen um zwölf an, haben dann um zwei nochmal zehn Minuten Pause und arbeiten dann durch bis um fünf, halb sechs. Und dann muss ja noch das ganze Zeug aufgeräumt werden. #00:35:33-9#

Anne Wasmuth: Wahnsinn. #00:35:35-6#

Edeltraud Rager: Also das ist schon... Und ich meine, die laufen schon alle am Limit. Früher war es halt so, dass man einmal in der Woche zur Tafel geht zum Helfen. Wir haben jetzt viele Mitarbeiter, die sagen, okay, ich unterstütze einfach an anderen Tagen noch. Und viele von uns, und vor allem halt in den Ausgaben, sind dann oft mal zwei, drei Tage da. In dem Alter! Also das ist eine sportliche Leistung und verursacht mir manchmal auch ein sehr viel schlechtes Gewissen. Ja, es ist schwierig. Aber die jungen Menschen haben halt keine Zeit. Ich meine, wir haben im Lager unten viele junge Menschen. Die kommen aber halt einfach nur an bestimmten Tagen oder eine gewisse Zeitspanne und dann sind sie wieder weg. Im Moment haben wir eine starke kubanische Fraktion. Da ist ein Pärchen, die sind gekommen, sie wollen was tun. Und dann hat es so Spaß gemacht, dann haben haben sie Freunde mitgebracht. Und wenn die jetzt aufschlagen, dann sind die teilweise fünf oder sieben von den Kubanern und die sortieren da unten dann. Oder es sind halt mitarbeitende Flüchtlinge, die auch im Lager unten helfen, also halt ukrainische Menschen. Also das ist bunt gemischt. Also im Moment haben wir das Glück, jetzt sind in der zweiten Woche eine Schulklasse da, also von der Schule Praktikanten, von der Steiner-Schule. Das sind zehn junge Menschen, die jetzt halt überall unterstützen. Und ich meine, das hilft halt. Oder was jetzt halt auch auch immer mehr kommt und das muss ich sagen, stimmt mich zuversichtlich, dass Firmen ihre Mitarbeiter ein, zwei Tage abstellen, um hier Projekte zu machen. Also wir haben von Banken immer wieder mal Mitarbeiter da, wir haben von Amazon schon Leute da gehabt. Am Freitag kommt eine große Gruppe vom Rotary Club und hilft mit. Also das bringt uns dann schon ein bissl. Und es ist halt auch für unsere Stammmitarbeiter eine schöne Geschichte, wenn sie sagen, Mensch, ich habe da zwei junge Leute, die helfen mit. Macht halt einfach auch mehr Spaß. #00:37:35-6#

Anne Wasmuth: Ja. Und das ist ja auch Wertschätzung, wenn man merkt, es wird auch von außen nochmal gesehen, von anderen. #00:37:41-8#

Edeltraud Rager: Das ist schon wichtig. #00:37:43-4#

Anne Wasmuth: Bekommen Sie irgendeine Form kommunaler oder staatlicher Unterstützung? #00:37:47-5#

Edeltraud Rager: Wir bekommen von der Stadt Nürnberg einen Zuschuss. #00:37:49-9#

Anne Wasmuth: Wird jetzt, ich sage mal, platt gesagt, mit dem geplanten Bürgergeld und alles besser? #00:37:56-8#

Edeltraud Rager: Das bleibt zu erwarten erst einmal. Muss man gucken, was draus wird. #00:38:01-3#

Anne Wasmuth: Die Frage ist ja: Wäre das sozialpolitische Ziel, dass die Tafeln in der Form staatlich finanziert werden, dass der Staat durch die Tafeln seinen Auftrag einer Grundversorgung der Menschen erfüllt, oder sehen Sie das Ziel eher auf der Gegengeraden, nämlich dass niemand mehr Hilfe durch die Tafeln in Anspruch nehmen müsste? #00:38:22-6#

Edeltraud Rager: Das wäre das Optimale. Also wenn halt jeder so ein auskömmliches Einkommen hätte, dass er die Tafeln nicht mehr braucht. Unabhängig davon, dass die Tafeln halt schon Lebensmittel retten, aber dass das halt wirklich dann zusätzlich ist und nicht schon mit verplant ist. Dass die Tafeln staatlich stärker eingebunden werden, sehe ich schon ein bisschen kritisch. Ich meine, wir sind sehr glücklich über den Zuschuss von der Stadt, aber wenn wir jetzt rein staatlich finanziert werden, dann denke ich, ist der Tafelgedanke, dass man eine Initiative, eine freiwillige Initiative ist, obsolet. Das ist dann nicht mehr das was, was wir waren. Dann sind wir halt einfach eine von vielen staatlichen Einrichtungen, die Lebensmittel verteilt. Und ich glaube nicht, dass das im Sinne des Erfinders ist. #00:39:09-1#

Anne Wasmuth: Inwieweit sind Sie auch von den Preissteigerungen betroffen? #00:39:15-0#

Edeltraud Rager: Sind wir stark betroffen? Ich meine, ich habe Ihnen vorhin erzählt, wir haben sieben Kühlsprinter unterwegs, die halt alle mit Diesel fahren. Weil man kann ja diese Kühlsprinter also nicht auf Elektrobasis bewegen, weil halt einfach die Aggregate nicht laufen würden. Da haben wir einfach nicht genug Energie dann. Die Treibstoffpreise machen uns zu schaffen und man wird jetzt halt sehen, was Energiekosten noch auf uns zukommen. Wir heizen ja hier im Haus noch mit Öl. Aber auch die Ölpreise sind ja enorm angestiegen. Und auch die Verbrauchsmaterialien werden halt sehr teuer. Das betrifft uns halt. Es ist ja nicht nur, dass wir Lebensmittel haben, man muss die Lebensmittel verpacken, man muss sie oft mal zubereiten oder sowas. Und da merkt man halt dann schon, wenn man Preise vergleicht von vor einem halben Jahr, dass die teilweise um ein Drittel mehr sind oder noch höher und das ist schon schwierig. #00:40:11-7#

Anne Wasmuth: Das sieht man so gar nicht. Man denkt erstmal nur an die Lebensmittel, aber es ist eben auch das dahinter. #00:40:17-5#

Edeltraud Rager: Das ist ganz einfach. Also wenn ich jetzt nur denke, so Papiertüten. Also wir müssen ja die süßen Teilchen in einer Tüte geben. Das Brot kann ich sagen, okay, steck es in deine Tasche oder bringt was mit. Nur die süßen Teilchen kann ich dem nicht in die Tasche so tun. Also brauche ich Papiertüten. Und der Preis für die Papiertüten, der hat sich wirklich verdoppelt seit März. #00:40:36-2#

Anne Wasmuth: Ist die Spendenbereitschaft nach wie vor groß? #00:40:41-1#

Edeltraud Rager: Im Moment läuft es sehr gut. Es sind neue Spender, die bisher noch überhaupt uns nicht unterstützt haben. Es sind aber auch Stammspender, die regelmäßig uns unterstützen mit einer monatlichen, mit einer vierteljährlichen Spende. Und es ist sehr viel Offenheit. Also es kommen auch Organisationen oder Vereinigungen, wie jetzt, Rotary unterstützt uns ja schon länger. Aber es kommen auch andere dann jetzt auf uns zu und sagen, was kann man denn tun? Also im Moment ist es auch notwendig, dass es so gut läuft. Weil, wie gesagt, wir finanzieren uns ja rein aus Spenden und eben diesem Zuschuss. Und wenn halt dann mal irgendwie Projekte sind, Projektfinanzierungen, Glücksspirale, solche Dinge. Aber wir müssen uns halt selber tragen. Also der Träger schießt da auch nichts zu. #00:41:31-7#

Anne Wasmuth: Okay. Ich erlebe es ja jetzt als sehr positiv, auch wenn das ja keine, nicht immer leichte Arbeit ist und auch, wenn die Umstände nicht immer leicht sind. Aber Sie sind jetzt kein Jammermensch in der Stunde, wie ich Sie jetzt kenne. #00:41:45-1#

Edeltraud Rager: Es hilft ja nichts. #00:41:47-4#

Anne Wasmuth: Wenn Sie trotzdem jetzt einen Wunschzettel schreiben dürften: Was würden Sie sich für die Nürnberger Tafel wünschen? #00:41:54-6#

Edeltraud Rager: Dass wir weiterhin auf einem soliden finanziellen Grund stehen können, dass wir uns wirklich dauerhaft finanzieren können und dass wir unseren Aufgaben ordentlich nachkommen, also genügend Ehrenamtliche und vielleicht auch jetzt nicht dieser enorme Anstieg an Kunden. Weil natürlich sagen wir, wir müssen die Lebensmittel loswerden. Aber es ist halt etwas anderes, ob ich den Druck habe, dass ich zur Tafel muss, oder ob ich sage, naja, das ist was ergänzend - ich könnte. Also das wäre jetzt was, was uns das Leben leichter macht. Aber ich sag mal, Tafelarbeit macht halt auch Spaß. Was jetzt mir persönlich sehr viel Spaß macht, ist halt auch diese ganze Logistik, dass ich halt Sachen holen kann, die ansonsten irgendwo in der Tonne landen und die ich noch irgendwie gut präsentieren kann und sich jemand darüber freut, dass ich eben die hole. Also es macht schon Spaß! #00:42:56-7#

Anne Wasmuth: Das ist ein ganz wunderbares Schlusswort, Frau Rager. Vielen, vielen dank, dass ich heute hier sein durfte! Alles, alles gute für diesen Winter, für diese Arbeit! Ein gutes Durchhalten für Ihre Ehrenamtlichen! #00:43:13-9#

Edeltraud Rager: Gebe ich gerne weiter. #00:43:15-5#

Edeltraud Rager: anke schön, vielen dank für die Zeit. #00:43:18-0#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Die Leiterin der Nürnberger Tafel über Lebensmittelrettung und die Rolle der Tafeln bei der Grundversorgung armutsbetroffener Menschen.

Die Nürnberger Tafel wurde 2002 gegründet. Seit fünf Jahren ist Edeltraud Rager die ehrenamtliche Projektleiterin. Montags um 6.30 Uhr beginnt ihre Woche und endet irgendwann am Freitagabend. Nicht nur die Tafel-Arbeit hat sie zur Expertin für Lebensmittel und Logistik werden lassen.

Im Podcast spricht sie über Bedürftige, Unterstützer und Helfer:innen und gibt Einblick in den Tafelalltag der Nürnberger Ausgabestellen.

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Aufgenommen am: Montag, den 14. November 2022 
Veröffentlicht am: Donnerstag, den 1. Dezember 2022
Moderation: Dr. Anne Wasmuth
Im Gespräch: Edeltraud Rager

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
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