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Birgit Dier, was steckt hinter der 0800 1110111?

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Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:10-8#

Dr. Anne Wasmuth: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen KontaktAufnahme. Mein Gast heute ist die Theologin, Pfarrerin, Supervisorin, Pastoralpsychologin und Leiterin der Nürnberger Telefonseelsorge. Birgit, Dir. Wie schön, dass Sie heute da sind. Hallo? #00:00:40-8#

Birgit Dier: Hallo, Frau. Was? Ich freue mich auch. #00:00:43-2#

Dr. Anne Wasmuth: Sie leiten die Telefonseelsorge in Nürnberg. Machen Sie selber auch noch richtig Dienst am Telefon? #00:00:49-5#

Birgit Dier: Nein, das mache ich gar nicht. Habe ich auch nie gemacht. Das machen bei uns tatsächlich ausschließlich die Ehrenamtlichen. Das ist auch Bundesweit an sich so üblich, außer in Stellen, die jetzt personell besser bestückt sind als unsere. Also ich bin hier mit einer Teilzeitstelle und würde das auch schon rein zeitlich gar nicht schaffen. Und davon abgesehen wäre es glaube ich auch eine Rollenvermischung. Also ich habe jetzt andere Aufgaben. Ich bin tatsächlich am Telefon nur zu Ausbildungszwecken, Wenn ich zum Beispiel neue Ehrenamtliche begleite und denen so eine Live Supervision zukommen lasse, dann höre ich mit und gebe ihnen hinterher Rückmeldung. Also so muss man sich das vorstellen. #00:01:34-5#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, und wenn ich jetzt jemanden Ehrenamtlichen am Telefon hätte, bei der Telefonseelsorge anrufe, wie würde ich dann begrüßt? #00:01:42-5#

Birgit Dier: Die würden sich melden. Entweder Telefonseelsorge, Guten Morgen oder Telefonseelsorge in Nürnberg sagen auch einige. Also ja, auf jeden Fall melden Sie sich nicht mit Ihrem Namen. Das ist ja eines unserer Spezifika, dass die Ehrenamtlichen am Telefon alle anonym bleiben. Und auch die Anruferinnen und Anrufer können in der Anonymität bleiben. Das heißt, sie brauchen nicht ihren Namen zu sagen. Manche machen es trotzdem, aber die meisten dann nicht. Und es wird auch ganz wichtig ihre Nummer nicht angezeigt. Auf dem Display, nicht bei uns und auch nicht auf der Telefonrechnung. Wenn man sich jetzt zum Beispiel die Nummern ausdrucken lässt von der Telefongesellschaft, dann würde auch in dem Fall diese Nummer von uns da rausgenommen, so dass wenn man das nicht möchte, auch niemand erfährt, dass man bei uns angerufen hat. #00:02:38-0#

Dr. Anne Wasmuth: Ah, spannend. Okay, heute drehen wir den Spieß mal um. Nicht Sie bringen mich zum Reden, sondern ich möchte Sie zum Reden bringen. Bevor wir über die Telefonseelsorge sprechen, bin ich noch neugierig auf Sie. Ihr Lebenslauf. Der sieht in seinen Anfängen so ganz klassisch aus. In Hagen geboren und aufgewachsen, haben Sie in Münster Theologie studiert. Und Sie sind dann nach dem Vikariat, also der Zeit der praktischen Ausbildung in einer Gemeinde, Pfarrerin geworden. War das immer der Plan? Theologie und dann eine Ortsgemeinde? #00:03:14-7#

Birgit Dier: Ja, also das ist wirklich mein Traumberuf. Und also meine Eltern behaupten, ich hätte das schon als Kind immer gesagt, dass ich das machen möchte. Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber seit meiner Jugend, in der ich auch in der Kirchengemeinde aktiv war, in der Jugendarbeit, in der Friedensbewegung in den späten 70er, frühen 80er Jahren, da war das sehr schnell mein Wunsch, auch nachdem ich mitbekommen habe, wie unser Ortspfarrer seinen Beruf liebte. Dem durfte ich immer ein bisschen über die Schulter schauen, hatte auch lebenslang Kontakt zu ihm und mich hat das immer Begeistert, was er erzählt hat die Vielfalt gerade des Gemeindefahrens. Und ich habe es auch wirklich die 16 Jahre sehr gerne gemacht. #00:04:03-2#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, sie waren in einem ökumenischen Gemeindezentrum. Was ist dort anders als in einer nur evangelischen Gemeinde? #00:04:12-4#

Birgit Dier: Also ich habe das sehr geschätzt. Sie können sich das so vorstellen, dass wir mit zwei Gemeinden unter einem Dach lebten, also ein gemeinsames Zentrum hatten mit gemeinsamen Räumlichkeiten. Nur die beiden Kirchen, die waren allerdings noch jeweils separat in diesem Zentrum, also unter einem Dach. Aber wir haben eben jede Menge zusammen gemacht, also eigentlich alles, was in Gemeindefest Gemeinde gut lief. Viele Gruppen und Kreise. Wir haben regelmäßig ökumenische Gottesdienste gefeiert. Wir hatten mit den katholischen Kollegen auch eine enge Gemeinschaft, haben Dienstbesprechungen gemeinsam gemacht und man hat im Grunde gar nicht unterschieden, wenn man da jetzt Pfarrerin war, ob jetzt evangelische oder katholische Gemeindeglieder ansprachen, manche katholische Menschen fanden das ganz schön, dass mit mir eben auch eine Frau vor Ort war. Das haben sie ja nun naturgemäß nicht. Und ich fand es immer ganz nett, wenn sie dann auch immer mal von unserer Pfarrerin sprachen, die Katholiken. Das hat mich dann ein bisschen adoptiert als Seelsorgerin, und ich habe das wirklich sehr geschätzt, die Einblicke und die Zusammenarbeit, auch wenn natürlich manches nicht einfach war, das können Sie sich vielleicht vorstellen. Man war dann doch immer mal traurig, dass zum Beispiel gemeinsames Abendmahl nicht ging und bis heute nicht geht. Das waren auch so schmerzhafte Punkte. Aber wir haben wirklich immer versucht, nach dem Motto das zu gestalten Das Glas ist halb voll statt halb leer und wir machen das, was wir können, machen wir gut und gerne zusammen und haben uns auch daran gefreut. #00:05:56-7#

Dr. Anne Wasmuth: Mhm. Ja, schön. #00:05:58-8#

Birgit Dier: Mhm. #00:05:59-6#

Dr. Anne Wasmuth: Sie haben dann sehr bald schon eine Ausbildung zur pastoralpsychologischen Beraterin und Supervisorin gemacht. Was ist das eine und das andere? Bzw. Wo sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Berufsbezeichnungen? #00:06:15-2#

Birgit Dier: Also die Pastoralpsychologin. Das ist eine Zusatzausbildung, die ich schon während meiner Zeit begonnen habe und dann insgesamt über sieben Jahre hinweg parallel gemacht habe. Das waren immer wieder Kurse, die dann irgendwo in Deutschland stattfanden. So auch in Bayern. Darauf dann das erste Mal auch hier in Nürnberg damals. Und das ist einfach eine spezielle Seelsorge, Ausbildung, Beraterausbildung, die einen noch mal besonders schult Sonderschule im Hinblick auf den Umgang mit Menschen. So kann man sich das vorstellen. Und auf diese Ausbildung konnte man dann die Ausbildung zur Supervisorin aufsatteln. Und das habe ich dann auch noch gemacht, einen Teil noch in Hagen und den Rest der Ausbildung dann hier in Nürnberg, nachdem ich umgezogen war. Eine Supervisorin begleitet eben Menschen im ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Kontext, bespricht mit ihnen Probleme, Konflikte, die sie haben. Da können also alle möglichen Themen auftauchen. Und ich bin ja jetzt auch noch nebenberuflich tätig als Supervisorin und da ist das eine bunte Palette von Menschen, die ich begleite Vikare, Pfarrerinnen, Ärztinnen, Ernährungsberaterin, Gruppen von Ehrenamtlichen Schul Psychologinnen. Das ist so die Palette, die ich im Moment habe. #00:07:52-9#

Dr. Anne Wasmuth: Hilfe für Helfende? #00:07:55-2#

Birgit Dier: Ja, so kann man das sagen. Weiß nicht genau. Hilfe für Helfen? Ganz genau. #00:07:59-2#

Dr. Anne Wasmuth: Ich habe gelesen, Kern seelsorgerliche und Supervisor Kompetenz seien Identität und Rollenklarheit. Was bedeutet das? Was heißt das konkret? Bzw. Um wen geht es dann? In erster Linie um den Seelsorger, die Helferin oder um die andere Seite? Den oder diejenige, die um Hilfe ersucht? #00:08:21-9#

Birgit Dier: Sagen wir mal so Wenn man den ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern hilft, sich ihrer eigenen Identität bewusst zu werden und ihre Rolle klar zu kriegen, dann hilft das dadurch auch dem Gegenüber. Weil wenn ich in Seelsorge und Beratung gehe und habe jemanden, der sich nicht seiner Rolle bewusst und auch der Grenzen seiner Rolle und seiner Kompetenzen. Dann kann das schwierig werden. Und es geht zum Beispiel darum, dass ich dann hier am Telefon, um das daran deutlich zu machen, bei den Ehrenamtlichen die Rolle als Telefonseelsorge nicht etwa verwechsle mit der Rolle als Therapeutin oder als Freundin oder als Lehrerin. Also daran wird es vielleicht deutlich, wie wichtig das ist, das zu unterscheiden. Sie sind eben Seelsorgerinnen und sollen auch wirklich dann ihre Grenzen wahren und die auch dem Gegenüber dann aufzeigen und notfalls auch erklären. #00:09:31-5#

Dr. Anne Wasmuth: Damit sind wir eben schon fast bei der Telefonseelsorge. Aber einen biografischen Punkt habe ich noch auf meiner Liste. Von 2011 an waren Sie fünf Jahre lang Verfahrensbeistand für Kinder und Jugendliche am Familiengericht in Bamberg und Forchheim. Nicht mehr Pfarrerin und nicht mehr Hagen. Sie haben schon gesagt, Sie sind nach Nürnberg gekommen. Ein Orts und quasi Berufswechsel. Wie kam es dazu und was macht ein Verfahrensbeistand am Familiengericht? #00:10:03-6#

Birgit Dier: Also es kam dazu, dass ich 2010 nach Franken gezogen bin, weil ich mich während einer Fortbildung in Nürnberg in meinen Mann verliebt hatte. Und wir hatten dann sieben Jahre lang eine Fernbeziehung, 430 Kilometer zwischen uns. Dann noch ich mit dem Gemeinsamen mit vielen Wochenenddiensten. Also das war schwierig und wir hatten irgendwann klar, wir wollen zusammenleben. Wir haben dann auch schon geheiratet, während ich noch in Hagen lebte. Und von daher bin ich also der Liebe wegen, wenn man so will, nach Franken gezogen. Das Problem war aber, dass die bayerische Landeskirche keine Pfarrerinnen und Pfarrer aus anderen Landeskirchen aufnimmt. Mittlerweile sind die Türen, würde ich sagen, einen kleinen Spalt offen. Damals war die Tür noch ganz geschlossen, so dass klar war also eine landeskirchliche Stelle als Pfarrerin würde ich nicht bekommen. Und ich bin dann zunächst hier runtergezogen mit dem Ziel, mich selbstständig zu machen als Supervisorin und als Verfahrensbeistand. Kommt noch dazu, was das ist. Und dann hatte sich aber schon nach ein paar Monaten die Chance ergeben, mich auf die Stelle hier in der Stadtmission zu bewerben. Die suchten eine Pfarrerin mit Zusatzausbildung in Pastoralpsychologie und möglichst auch noch Supervision. Und da hatte ich so das Gefühl, das ist die Stelle für mich. Und da es keine landeskirchliche Stelle ist, durfte ich mich eben überhaupt bewerben. Also für mich war das wie ein Sechser im Lotto. zu. Und dann hab ich das. #00:11:42-7#

Dr. Anne Wasmuth: Ja. #00:11:43-3#

Birgit Dier: Ja. Und dann hat man mich eben auch noch genommen. Das war dann wirklich eine große Freude für mich, dass ich auch wieder als Pfarrerin arbeiten durfte. Ich meine die Ordinationsrechte, die bleiben einem ja lebenslang erhalten. Ich bin auch nach wie vor übrigens westfälische Pfarrerin und bin ausgeliehen für diesen Dienst hier in der Telefonseelsorge. Das hat mir am Anfang noch geholfen, weil ich theoretisch auch immer noch in die westfälische Landeskirche zurückkehren könnte. Also das hat man mir so eröffnet. Genau. Und Verfahrensbeistand. Auf die Idee bin ich gekommen über eine Freundin, die auch Theologin ist, mit der ich studiert habe und die hat mir etliches davon erzählt. Das hat mich interessiert. Und ich hatte dann noch von Hagen aus Kontakt aufgenommen zu einem Familienrichter in Bamberg. Und der hatte mir versprochen Wenn sie hier runterziehen vor dir, dann gebe ich Ihnen mal einen Fall und Sie können gucken, was sie können und ob wir dann da häufiger zusammenarbeiten. Also das war so das Packende, was ich hatte. Und dann wurden eben fünf Jahre daraus. Zunächst ja, noch bevor ich die Stelle hier hatte und dann nebenberuflich noch, bis mir das irgendwann dann einfach auch rein zeitlich zu viel wurde. #00:13:04-3#

Dr. Anne Wasmuth: Mhm. #00:13:05-0#

Birgit Dier: Ein Verfahrensbeistand begleitet Kinder, wenn sie zum Familiengericht müssen. Und zwar immer in Fällen, wo das Kindeswohl gefährdet ist. Also zum Beispiel kommt das sehr häufig vor bei Sorgerechtsstreitigkeiten unter getrennten oder geschiedenen Eltern oder auch bei Missbrauchsprozessen. Und das Kind bekommt so einen Verfahrensbeistand an die Seite gestellt, der versucht, die Kindesinteressen in dem ganzen Prozess mit allen Beteiligten zu vertreten. Also Anwältin des Kindes sagt man manchmal, aber eben jetzt nicht im juristischen Sinne, sondern ja, wenn man so will, im psychologischen Sinne. Und dann fängt man eben an, wenn man den Fall übertragen bekommen, dass man das Kind kennenlernt, dass man mit Menschen spricht, die mit dem Kind zu tun haben, Erzieherinnen, Lehrer, Lehrerinnen, mit den Eltern natürlich. Und man ist zum Beispiel, wenn das Kind bei Gericht aussagen muss, dann auch als einzige zusammen mit dem Richter dabei, damit das Kind dann schon eine vertraute Person hat. Und das heißt, je mehr man das Kind kennenlernt, versucht man einfach mal erst Kontakt zu bekommen. Man spielt mit dem Kind, man geht mal mit ihm auf den Spielplatz, um da so eine Beziehung herzustellen. So können sie sich das vorstellen. Und man gibt dann hinterher, wenn die Entscheidung ansteht, auch eine Art Gutachten, aber das ist jetzt nicht zu verwechseln mit einem psychiatrischen Gutachten, natürlich. Aber man muss eben selber auch seine Einschätzung dann kundtun, was man denkt, was für das Kind jetzt gut ist, ob es noch Kontakt zum Vater haben soll oder nicht oder was auch immer dann da gerade verhandelt wird. #00:14:54-3#

Dr. Anne Wasmuth: Das stelle ich mir nicht immer leicht vor. Also gerade bei dieser Klientel, oder? #00:15:01-0#

Birgit Dier: Ja, das ist wahr. Es ist nicht immer leicht und also sagen wir mal, es sind die Glücksfälle, die man dann auch in Erinnerung behält, wo man es auch mal geschafft hat zu vermitteln, zwischen den Eltern und die Kindessicht beide Seiten so eindrücklich zu schildern, dass die Eltern, die das Kind manchmal nur benutzen, um ihre eigenen Interessen zu wahren, dann auch noch mal zur Vernunft kommen. Aber das ist eher selten der Fall, muss man sagen. Es ist manchmal wirklich bedrückend, was den Kindern da auch angetan wird, das ist keine Frage. Und ich musste mich auch manchmal sehr mühsam lösen, weil man sich ja auch von den Kindern dann wieder verabschieden muss und habe noch so manche Szene vor Augen. Wenn man dann vor dieser Gerichtsdraußen stand und das Kind dann fragte Wann kommst du wieder vor dir? Dann ahnt man schon, dass dieses Kind gerne einen Menschen hätte, der von außen in dieses System reinkommt und ja eben da nicht involviert ist. Aber das kann man dann natürlich nicht mehr leisten. Man muss sich dann auch wieder verabschieden, so leid es tut. Und ich habe dann auch allen Versuchungen tapfer widerstanden, später noch mal nachzufragen, wie es dem Kind geht, weil ich einfach ahnte, dann bin ich zu sehr da reingezogen, auch emotional. Und das geht nicht. #00:16:24-9#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, das hört sich wie die perfekte Vorbereitung oder harte Schule für die Telefonseelsorge an und damit sind wir beim Thema Telefonseelsorge. Seit wann gibt es eigentlich eine Telefonseelsorge in Deutschland? #00:16:40-0#

Birgit Dier: In Deutschland gibt es die seit 65 Jahren, weshalb wir auch in diesem Jahr eine Sondermarke haben. Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass die so kaum im Umlauf ist. Ich musste bei der Post mehrfach nachfragen. Wir haben sie dann am Ende bestellt. Also da gibt es eben eine Sondermarke jetzt anlässlich dieses 65-jährigen Bestehens der Telefonseelsorge in Deutschland. #00:17:06-6#

Dr. Anne Wasmuth: Und wie lange in Nürnberg. #00:17:09-1#

Birgit Dier: In Nürnberg? Jetzt seit 60 Jahren. #00:17:11-7#

Dr. Anne Wasmuth: Also das Jubiläum dieses Jahr. #00:17:15-4#

Birgit Dier: Wir hatten in diesem Jahr Jubiläum, hätten das normalerweise natürlich auch gerne schön gefeiert mit den Ehrenamtlichen. Aber wegen Corona wurde leider nichts daraus. Wir konnten kein großes Fest machen, sondern haben das eigentlich nur ganz klein hier begangen und es steht sozusagen auf der Liste der vielen Dinge, die wir noch mal nachholen wollen, wenn irgendwann es noch mal hoffentlich besser aussieht. #00:17:43-0#

Dr. Anne Wasmuth: Wann ist die Telefonseelsorge erreichbar? #00:17:47-5#

Birgit Dier: Die Telefonseelsorge ist immer erreichbar. Also Tag und Nacht an 365 Tagen im Jahr. Und ich merke immer, wenn ich das erzähle, bin ich eigentlich ganz gerührt. Fast. Und auf jeden Fall sehr begeistert davon, dass es das so gibt, dass wirklich zu jeder Zeit Mann bei uns anrufen kann. Und es ist zwar so, das muss man auch fairerweise sagen, dass wir nicht immer auf Anhieb erreichbar sind, weil wir haben deutlich mehr Anrufversuche, als wir Gespräche führen können. Aber wir sind früher oder später erreichbar. Es ist also immer jemand an diesem Telefon und mir geht das oft durch den Kopf, wenn ich irgendwas anderes mache. Selbst wenn ich nachts schon mal aufstehe und denke, jetzt sitzt der Herr am Telefon. Oder wenn ich Weihnachten mit meiner Familie feiere und weiß auch jetzt sitzt jemand am Telefon oder in der Silvesternacht oder Ostermorgen, es ist einfach immer jemand da. Und angesichts dessen, dass die das auch noch ehrenamtlich machen, finde ich das immer wieder. Auch nach zehn Jahren, die ich jetzt hier bin, begeisterungswürdig. #00:19:03-9#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, absolut, absolut. Das wird mich auch gleich zur nächsten Frage Wenn Sie sagen Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr 24 Stunden, wann kommen die meisten Anrufe? #00:19:15-3#

Birgit Dier: Also man muss sagen, das ist eigentlich rund um die uhr wenig Pausen gibt zwischen den Gesprächen aber die meisten Pausen Um die erstmal negativ zu beantworten. Ihre Frage gibt es noch in der zweiten Hälfte. Die wenigsten Pausen gibt es in den Abendstunden. Also da ist der Bedarf am größten. Und dann ist es so, dass es sich ansonsten wie gesagt aber auch über den Tag verteilt. Es ist, wie ich vorhin schon sagte, ohnehin so, dass mehr Menschen bei uns anrufen, als wir dann an Anrufen entgegennehmen können, so dass wir das eigentlich auch nur von der Telekom wissen, wie viel Anrufversuche sozusagen auf ein Gespräch kommen. Und das sind in den Spitzenzeiten 8 bis 9 Anrufversuche pro Gespräch. #00:20:10-8#

Dr. Anne Wasmuth: Mhm. #00:20:11-6#

Birgit Dier: Aber das sehen wir am Telefon nicht. Und ich denke, das ist auch gut so! Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun, was sie können. Und wenn bei uns nicht erreichbar ist, weil jemand telefoniert oder auch gerade mal eine kurze Pause macht, das muss natürlich auch sein. Dann werden die Gespräche weitergeleitet in unsere Organisationseinheit. Das ist jetzt hier bei uns praktisch. Franken kann man so sagen, also Bamberg, Erlangen, Bayreuth, Würzburg und Aschaffenburg. Das sind die Stellen, mit denen wir zusammenarbeiten. Dorthin wird weitergeleitet, wenn bei uns telefoniert wird oder Pause gemacht wird. #00:20:51-9#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, wenn wir schon bei der Statistik sind, geben Sie uns noch ein bisschen Einblick. Ich hatte jetzt das Vorurteil, dass mehr Frauen anrufen, mehr Ältere als Jüngere. Ist das so? #00:21:03-0#

Birgit Dier: Mehr Frauen? Ja, und zwar deutlich mehr Frauen. 2/3 Frauen, 1/3 Männer. Bei den Anrufen Ältere würde ich sagen Jein. Also das Mittelalter ist bei uns am besten vertreten. Also so 45 bis 60 ist so die stärkste Die Altersgruppe 60 bis 70 ist dann auch noch relativ stark, aber dann wird das mit höheren Alter weniger. Also ich hätte auch wie Sie gedacht, dass alte Menschen vor allen Dingen anrufen, aber die ganz alten rufen eher wieder nicht an! Ich denke, das ist auch noch eine Generationenfrage. Die ganz Alten sind zum Teil noch nicht so mit dem Medium Telefon vertraut, dass es ihnen selbstverständlich erscheint, eine halbe Stunde zu sprechen. Ich denke zum Beispiel an meine Großmutter, die immer als erstes sagte Lass es uns schnell machen. #00:22:05-2#

Dr. Anne Wasmuth: Ja? #00:22:06-7#

Birgit Dier: Weil es ja teuer war zu telefonieren. #00:22:11-8#

Dr. Anne Wasmuth: Das kenne ich auch. Meine Mutter gibt meinem Vater den Telefonhörer mit den Worten Du darfst sie noch kurz sprechen. Genau. #00:22:21-1#

Birgit Dier: Also von daher meine Großmutter. Gut, die ist jetzt noch älter, die lebt auch schon lange nicht mehr. Aber die wäre nie auf die Idee gekommen, eine halbe Stunde zu telefonieren. Und selbst wenn man ihr erzählt hätte, dass unser Angebot ja kostenlos ist, glaube ich, das wäre jetzt nicht ihr Ding gewesen. Das ist das eine. Und das andere ist, dass die ältere Generation sich, glaube ich, immer noch mal schwerer tut als die jüngeren nachfolgenden Generationen, wenn es überhaupt darum geht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eben jetzt gerade auch, wenn es um eine Art psychologische, seelsorgliche Hilfe geht, also anderen überhaupt von den eigenen persönlichen Problemen zu erzählen. Das ist, glaube ich, in den nachfolgenden Generationen leichter geworden. Von daher ist das Mittelalter bei uns besonders vertreten, die jüngeren Älteren dann auch und die ganz Jungen dann aber auch wieder immer weniger, weil auch das ist, glaube ich wichtig zu sagen, Die haben ja mittlerweile auch seit 20 Jahren schon die Möglichkeit, Mail und Chatseelsorge in Anspruch zu nehmen. Auch die gehören unter das Dach der Telefonseelsorge. Nur hier in Nürnberg machen wir ausschließlich telefonische Seelsorge wie die Hälfte der Stellen in Deutschland noch. Das wird sicher auch irgendwann kommen, aber da ich hier mit einer Teilzeitstelle bin und eigentlich zwei volle Fachstellen vorgesehen sind in unserem Richtlinien, wäre das einfach hier nicht zu leisten. Aber die Jüngeren können das natürlich deutschlandweit nutzen und sie können sich vorstellen, dass die lieber chatten als zu telefonieren. Das ist ja bei 20-jährigen auch die telefonieren nicht mehr. #00:24:06-6#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, ja, es gibt ja auch gerade in dieser Altersgruppe schon den Begriff der Telefonphobie. Also jetzt nicht als klinische Diagnose, noch nicht, aber durchaus als Phänomen ja beschrieben wird. #00:24:19-1#

Birgit Dier: Na ja, sie sind es einfach gar nicht mehr gewöhnt. Also ich finde es manchmal lustig. Meine Stieftochter ist 26, jetzt nicht mehr Jugendliche, aber die schreibt oder spricht viel mehr Sprachnachrichten. Und dann sprechen wir wieder Sprachnachrichten zurück. Mein Mann und ich. Und dann schickt sie wieder eine Sprachnachricht, dass ich auch mal sagte Warum telefonieren wir eigentlich nicht? Aber ja, sie hat jetzt sicher keine Phobie, aber es ist einfach nicht mehr das gewohnte Medium. #00:24:49-7#

Dr. Anne Wasmuth: Ja. Gibt es Anrufer Anruferinnen, die häufiger anrufen bei Ihnen? #00:24:55-1#

Birgit Dier: Ja, die gibt es. Und das ist auch eine große Zahl. Das ist etwas, was mich selber überrascht hat, als ich hier die Stelle übernommen habe, wie viele Menschen uns doch offenbar auch als einen mehr oder weniger selbstverständlichen Teil ihres Lebens betrachten. Das sind vor allem auch Menschen, die sehr einsam sind. Es sind psychisch kranke Menschen, die oft chronisch krank sind, die auch schon viele, manchmal alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Anspruch genommen haben, um sich Hilfe zu holen. Und dann sind wir manchmal fast die einzigen, zu denen sie noch Kontakt haben. Also die haben dann manchmal gesetzliche Betreuer, So was erzählen sie uns dann. Und dann ist es eben oft so, das weiß ich aber auch noch aus meiner Zeit als Gemeindefahrerin, dass persönlich schwierige Menschen, Menschen mit psychischen Problemen oder psychisch kranke Menschen einfach auch schwierig im Umgang sind oftmals. Und dann vergraulen die manchmal auch alle Freunde, Nachbarn, manchmal sogar die Familie. Und so, dass sich irgendwann auch alle abgewendet haben, weil es ihnen zu anstrengend geworden ist. Und die rufen dann bei uns an und auch manchmal jeden Tag und auch über Jahre. Also unsere älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen manche Anruferinnen und Anrufer sogar seit Jahrzehnten. #00:26:27-0#

Dr. Anne Wasmuth: Ja. #00:26:28-5#

Birgit Dier: So eine enge Bindung ist da. #00:26:30-7#

Dr. Anne Wasmuth: Dürfen die dann auch mit derselben Person, also demselben Ehrenamtlichen, sprechen? Oder diktiert, dass allein der Zufall. #00:26:39-2#

Birgit Dier: Das diktiert, tatsächlich allein der Zufall, wer gerade am Telefon ist. Und da sich die Mitarbeiter nicht mit Namen melden und sie auch nicht sagen sollen, wann sie wieder Dienst haben, bleibt es auch weiterhin dem Zufall überlassen. Also es gibt Stellen, die Arbeiten mit Decknamen, zum Beispiel die Hagener Stelle aus, also in meiner Heimatstadt. Die meisten Stellen haben sich aber dagegen entschieden und ich habe das hier in Nürnberg auch nie eingeführt, obwohl es immer mal die Anfrage gab, weil ich Bedenken hätte, dass dann da so Bindungen entstehen, auch über längere Zeit, wo man dann eben gerade das Problem hat, dass man das nicht mehr unterscheiden kann. Unbedingt als Anruferin oder Anrufer von einem therapeutischen Setting oder dass man vielleicht denkt, das ist jetzt eine Freundin von mir oder ein Freund und das ist es eben nicht. Also da würden vielleicht dann doch zu hohe Erwartungen entstehen und umgekehrt. Ich bin ja jetzt auch für die Ehrenamtlichen und für deren Wohl verantwortlich. Hätte ich auch Bedenken, dass die Ehrenamtlichen damit überfordert sind und dass sie unter Druck geraten. Also wenn dann immer wieder derselbe anruft, dann steigt auch der Druck. Was man jetzt noch für den tun könnte, glaube ich. #00:28:06-0#

Dr. Anne Wasmuth: Mhm, Dürfte ich denn als Anruferin sagen Ich will jetzt aber nur mit einem Mann sprechen, oder ich kann jetzt mit dem, was mich beschäftigt, da nur mit einer Frau mich darüber austauschen. Ist das möglich? #00:28:20-6#

Birgit Dier: Das können Sie sagen. Nur wenn Sie dann gerade eine Frau am Telefon haben, die jetzt noch zwei Stunden Dienst hat, dann würde diese Frau Sie bitten, zu einem späteren Zeitpunkt anzurufen, weil dann nachmittags vielleicht wieder ein Mann am Telefon ist und Sie das weiß hier in Nürnberg. Oder sie würde sagen, wenn Sie in einer Stunde noch mal anrufen, hätten Sie die Chance, in einem unserer Nachbarstellen vermittelt zu werden. Vielleicht ist da ja ein Mann am Telefon. Denn es ist so, dass man eine Stunde lang immer zu derselben Stelle durchgestellt wird. #00:28:56-0#

Dr. Anne Wasmuth: Okay, Sie haben gerade schon einen kleinen Einblick gegeben, was für Menschen anrufen oder was diese Menschen für eine Geschichte mitbringen. Oder ein Paket. Oder ein ganz, ganz riesen Rucksack. Was sind das für Sorgen, Nöte und Ängste, weswegen Menschen bei ihnen anrufen. #00:29:14-6#

Birgit Dier: Also sie sind an sich so vielfältig wie das Leben selbst. Das kann man so sagen. Allerdings gibt es natürlich schon ein paar Spitzenreiter in Anführungszeichen der Themen. Also was sehr häufig ist, sind Beziehungsthemen jeglicher Sorte, also Probleme mit dem Partner, der Partnerin, mit den Kindern, mit Nachbarn, Nachbarinnen, wo es vielleicht Streit gibt, mit Freunden, mit Arbeitskollegen. Stichwort Mobbing. Beziehungsthemen sind die größte, eine große Gruppe und die andere Gruppe, die genauso groß ist, sind Menschen mit psychischen Problemen oder Erkrankungen. Das ist auch etwas, was ich so nicht wusste, bevor ich mich mit Telefonseelsorge näher befasst habe, Dass wir da wirklich auch, kann man so sagen, ein Teil des psychosozialen Versorgungssystem sind. Also wenn die Therapeuten geschlossen haben oder die Beratungsstellen gerade eben auch abends und in der Nacht, dann sind wir bisher die einzigen gewesen, die noch greifbar waren. Wenn man jetzt mal von der psychiatrischen Notfallambulanz absieht. Und seit kurzem ist ja auch der Krisendienst rund um die uhr erreichbar, mit dem wir auch eng zusammenarbeiten. Aber das ist ja erst seit kurzer Zeit so, seit 1. 07. Bis dahin hatte der Krisendienst in der Nacht keine Besetzung, sondern die haben auf ihrem Anrufbeantworter an uns verwiesen. #00:30:55-4#

Dr. Anne Wasmuth: Okay. #00:30:56-7#

Birgit Dier: Ja, also das sind die beiden größten Gruppen. Und dann gibt es eben noch jede Menge andere Themen körperliche Erkrankungen, Trauer, Situationen, probleme in der Schule, wenn jüngere Menschen anrufen oder oder. #00:31:15-3#

Dr. Anne Wasmuth: Und ist die Anzahl der Anrufenden immer gleich geblieben, so über die 60, 65 Jahre? Oder merken sie da auch Zeitgeschehen? Durch die Jahre? Hat das auch immer mal Einfluss? #00:31:29-2#

Birgit Dier: Ja, also es ist kontinuierlich mehr geworden seit Bestehen der Telefonseelsorge. Allerdings ist es jetzt seit etlichen Jahren ein Gleichstand geblieben, bis dahin, dass die Anzahl der Gespräche sogar ein bisschen rückläufig ist. Das hängt aber nicht damit zusammen, dass weniger anrufen, sondern dass die Gesprächsdauer etwas gestiegen ist. Also das kann man bei uns natürlich alles aus der Statistik rauslesen, die die Mitarbeitenden selbstverständlich anonym auch am Telefon führen. Nach den Gesprächen Wir führen im Schnitt offenbar etwas längere Gespräche, so dass die Anzahl der Gespräche innerhalb dieser Zeiteinheit dann eben etwas gesunken ist. #00:32:16-5#

Dr. Anne Wasmuth: Aber haben Sie zum Beispiel die Pandemie gemerkt? #00:32:20-8#

Birgit Dier: Ja, also die haben wir sehr stark gemerkt. Wir haben zu Beginn der Pandemie tatsächlich 25 % mehr Gespräche noch geführt. Deutschlandweit. Das muss man sich so erklären, dass etliche Stellen noch eine zweite Leitung belegt hatten. Als die Pandemie ausbrach. Weil wir natürlich die Hauptamtlichen, die wir auch im Austausch sind, annahmen, dass noch mehr Menschen anrufen. Und so war es auch. Sagen wir mal hier in Nürnberg. Ich sage ja schon, bei uns ist kaum eine natürliche Pause zwischen den Gesprächen. Da hat man das jetzt an der Anzahl der Gespräche nicht mehr groß gemerkt, weil die Mitarbeiter ja sowieso rund um die uhr telefonieren. Aber deutschlandweit war es am Anfang 25 % mehr. Hat sich dann aber so langsam wieder reduziert, bis auf fast ein Normalmaß. Und ansonsten merken wir es natürlich an dem Thema selber, was am Anfang sehr stark war. Bis zu 40 % der Gespräche drehten sich um Corona während des ersten Lockdown. Aber auch das ist dann wieder weniger geworden und im Augenblick sind es tatsächlich noch ungefähr 5 % der Gespräche, die sich jetzt ausschließlich um Corona drehen. Ich habe den Eindruck, dass es für manche Menschen, so schrecklich es auch ist, auch schon wieder ein Stück Normalität geworden ist, so dass die Themen, die sie immer schon beschäftigt haben, zum Beispiel die psychisch kranken Menschen, ihre Depression oder ihre Schizophrenie, da jetzt auch wieder sich darauf konzentrieren und Corona läuft so mit. #00:34:07-8#

Dr. Anne Wasmuth: Hm. Wenn Sie so statistisch so gut Bescheid wissen und uns erzählen können. Sie selbst sind Theologin. Die Telefonseelsorge wird von der Stadtmission Nürnberg betrieben. Spielt Religion auch eine Rolle in den Gesprächen? #00:34:22-8#

Birgit Dier: Ja, allerdings zu einem kleinen Prozentsatz. Das ist auch unter 10 %, dass das dezidiert eine Rolle spielt. Aber es spielt eine Rolle. Und die Statistik hängt natürlich auch davon ab, wie die Mitarbeiter es jetzt einordnen. Also wir können immer drei Gesprächsthemen angeben pro Gespräch nicht mehr. Und das bedeutet, dass ein Gespräch, was sich um verschiedene Themen drehte und wo jemand am Ende zum Beispiel noch darum gebeten hat, ob man ein Gebet mit ihm sprechen könne. Das wird dann nicht in die Statistik eingehen als Gespräch mit einem religiösen Thema. Wissen Sie. So muss man sich das vorstellen, so dass es sicherlich auch noch mehr ist als diese unter 10 %. Aber es ist jetzt keines der Hauptthemen. Also das auf keinen Fall. Wir heißen ja Telefonseelsorge und sind, wie Sie sagen, eine diakonische Einrichtung von der Evangelischen Kirche hier in Nürnberg mitfinanziert. Aber das bedeutet nicht, dass die Menschen, die bei uns anrufen, jetzt alle etwa einen kirchlichen Hintergrund hätten oder auch nur wüssten, dass wir kirchlich bezahlt werden. Sie haben oft ganz andere Themen, sind konfessionslos oder wollen vielleicht auch ihren Frust über die Kirche loswerden. Also das mischt sich bunt. #00:35:51-4#

Dr. Anne Wasmuth: Hm, also das wäre so meine Anschlussfrage, rufen Menschen an und sagen Hier, ich habe so ein Unglück, wo ist jetzt euer Gott? #00:36:00-3#

Birgit Dier: Das kann vorkommen. Und auch auf so etwas bereiten wir dann vor in der Ausbildung oder besprechen das auch. Aber das ist jetzt nicht so, dass das jeden Tag vorkäme. Aber ich kann mir denken, dass jetzt jemand, der kirchlich sozialisiert ist, eher noch mal in der Telefonseelsorge anruft, weil Seelsorge natürlich ein kirchlich besetztes Wort ist, auch wenn wir da jetzt kein Patent drauf haben. Als jetzt in einer städtischen Beratungsstelle, denke ich mal, aber wie gesagt, das mischt sich und es wird sowohl als auch in Anspruch genommen und ich denke, das ist auch gut so! #00:36:41-9#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, wir haben jetzt viel über die Menschen gesprochen, die anrufen. Ich habe gelesen, allein in Deutschland sind das über 1,2 Millionen Menschen, die sich an die Telefonseelsorge wenden. Dahinter stehen aber 6500 Freiwillige Engagierte. Ich möchte gern über diese Menschen sprechen. Wie viele Ehrenamtliche sind es bei Ihnen im Nürnberger Team? Was sind das für Menschen? Welche Hintergründe oder Motivationen bringen Sie mit? #00:37:13-0#

Birgit Dier: Also zunächst mal von der Anzahl. Wir haben 74 Ehrenamtliche im Augenblick und davon sind 68 am Telefon. Das heißt, es gibt ein paar, die gerade aus verschiedenen Gründen eine Pause machen, zum Beispiel krankheitsbedingt. Es sind bei uns hier zu etwas über 80 % Frauen und knapp 20 % Männer. Damit liegen wir schon über dem Bundesdurchschnitt. Im Bundesdurchschnitt sind es 15 % Männer bei den Ehrenamtlichen. Das ist schon auch so ein typisch weibliches Ehrenamt. #00:37:52-0#

Dr. Anne Wasmuth: Offenbar okay. #00:37:54-6#

Birgit Dier: Ansonsten mischen sich unsere Mitarbeiterinnen ganz rund. Und ich sage immer auch zu den Ehrenamtlichen Das ist wirklich der Schatz, den wir haben, dass ihr so unterschiedlich seid. Also wir haben alle möglichen Berufe, sowohl soziale Berufe als auch rein technische Berufe. Männer, die hauptberuflich nur am PC sitzen und sagen Ich will in meiner Freizeit einen Kontrapunkt haben, aber auch Menschen, die hauptberuflich auch schon Seelsorge und Beratung gemacht haben und dann etwa in Ruhestand das auch weitermachen möchten. Wir haben auch die klassischen Hausfrauen, die nach der Familienphase dann noch mal eine andere sinnvolle Aufgabe gesucht haben. Ich hatte eine Studentin dabei, die mittlerweile aber jetzt auch im Beruf ist. Also es ist ganz unterschiedlich. Und das ist für die Anrufer wirklich auch die große Chance, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und mit Familie, ohne Familie, mit Konfession, ohne Konfession. Ganz verschiedene Lebenserfahrungen fließen da ein. #00:39:05-0#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, wie wird man dann Teil dieses Seelsorgeteams? Wie könnte ich zum Beispiel Telefonseelsorge werden? Oder Wir haben natürlich die Hoffnung, wir haben ganz viele Hörer, dass wir auch Männer für dieses Ehrenamt gewinnen können. Wie wird ein Mann Telefonseelsorge? #00:39:22-7#

Birgit Dier: Also wir sind ein Ehrenamt mit umfangreicher Ausbildung. Also in Deutschland meines Wissens die umfangreichste Ausbildung, die es gibt. Das heißt, wenn sich jetzt einer Ihrer Hörer interessieren würde oder auch der Hörerinnen natürlich, dann könnten die sich bei mir melden und ich würde sie erst mal auf die Interessentenliste nehmen für die nächste Ausbildungsgruppe. Und wir fangen Anfang März mit einer nächsten Ausbildung an und da wir glücklicherweise sehr viel mehr Interessenten haben, als wir in die Gruppe nehmen können, gibt es dann ein Auswahlverfahren. Damit beginnen wir auch demnächst. Also es gibt demnächst einen Infoabend und dann werden Fragebögen verschickt an die, die dann noch Interesse haben. Umfangreiche Fragebögen, mit denen sie sich schon mal selbst vorstellen. Und aufgrund der Fragebögen wählen wir dann noch mal aus, wen wir zu kleinen Gruppengesprächen einladen. Mit wir meine ich eine der beiden Ehrenamtssprecherinnen und ich. Also dann nehme ich auch eine der Ehrenamtlichen mit dazu, damit sie auch möglichst lebendig und realitätsnah von dem Dienst erzählen kann. Und dann wird am Ende eine Gruppe zusammengestellt von 16 Menschen, die Anfang März dann zusammenkommt an einem Samstag und sich kennenlernt. Und die bleiben ein Jahr zusammen. Treffen sich immer mittwochs abends für zweieinhalb Stunden. Und dann gibt es in der Mitte noch mal einen Samstag. Dazwischen Auswertung und am Ende dieses Jahres nochmal an Abschlusswochenende. Man kommt auf etwa 40 Abende in diesem Jahr und zusätzlich, das muss man immer dazu sagen, weil es auch noch mal ein großer Zeitfaktor ist, kommen noch zehn Hospitationen am Telefon. Und das bedeutet, dass die Azubis, wenn ich sie so nennen darf, dann bei erfahrenen Telefonseelsorge innen und Telefonseelsorge erstmal zuhören. Die Anrufer werden selbstverständlich um Einverständnis gebeten und die übernehmen dann im Laufe der Ausbildung nach und nach eigene Gespräche unter Anleitung. Und diese Hospitationen werden dann an den Ausbildungsabenden auch wieder ausgewertet. Also das sind so die beiden Säulen, die theoretische Ausbildung und die praktische am Telefon. Wobei man sagen muss, die theoretische Ausbildung ist auch nicht wirklich rein theoretisch, sondern hat immer nur theoretische Anteile, weil wir auch sehr viel selbsterfahrungsbezogen arbeiten. Da kommt zum Beispiel glaube ich, zum Tragen, dass ich ksa Supervisorin bin, also diese klinische Seelsorge Ausbildung gemacht habe und wir davon ausgehen, dass wir ja mit unserer Person arbeiten. Und wir machen auch während der Abende viele Übungseinheiten, also sprich Rollenspiele, wo zwei Stühle mit dem Rücken aneinander stehen und man übt telefonieren, sprechen mit einem Menschen, den man nicht sieht und die Gruppe sitzt drumherum und gibt Rückmeldungen immer wieder. Das ist erst gewöhnungsbedürftig, aber ist ein ganz wichtiges Element der Ausbildung. Alle sagen hinterher Wir haben die Rollenspiele zwar nicht geliebt, aber wir haben am meisten dadurch gelernt. #00:42:54-6#

Dr. Anne Wasmuth: Hm, also ein Ehrenamt, was einem nicht geschenkt wird, weil ich nicht auch aus dem, was man zeitlich investieren muss. Aber Sie haben keine Nachwuchssorgen? #00:43:04-8#

Birgit Dier: Nein, wir haben hier in Nürnberg keine Nachwuchssorgen. Also es ist eher im Gegenteil so, dass wir einen regelrechten Run haben. Also ich habe im Moment tatsächlich 70 Interessenten und Interessenten. Ja, und es werden sich ja auch noch über den Winter einige mehr werden. Das soll Ihre Hörerinnen und Hörer aber bitte nicht abschrecken, sich zu melden. Wenn Sie jetzt den Eindruck haben, es könnte was für mich sein, denn wir stellen dann oder ich dann am Ende die Ausbildungsgruppe so zusammen, dass sie möglichst disparat ist, also dass wir da auch wieder Jüngere und Ältere haben, verschiedene Berufe möglichst mischen. Also auch da wieder achten wir darauf, dass unsere Anruferinnen und Anrufer auch verschiedene Berufe und Lebenswelten treffen. #00:43:49-9#

Dr. Anne Wasmuth: Sie haben gerade schon ein bisschen erzählt, was so Teil der Ausbildung ist, so ein Gespräch. Wie muss man sich das vorstellen? Also vor allen Dingen auch die Rolle, die man hat. Sie haben ja ganz klar gesagt, dass eine Grenze Ich bin kein Therapeut, ich bin keine Lehrerin, ich bin keine Freundin. Stellt es mir vor. Ich bin vor allen Dingen Zuhörerin, oder? #00:44:13-2#

Birgit Dier: Ja, das stellen Sie sich richtig vor. Und wenn Sie sich das so vorstellen, werden Sie zum Beispiel schon gut geeignet, wenn Sie mir das so erzählen. Weil Zuhören ja gar nicht so einfach ist. Und weil viele auch denken, es ginge nicht so sehr um Zuhören, sondern es ginge eher darum, Ratschläge zu geben. Und darum geht es eben tatsächlich weniger. Es geht in erster Linie darum, erstmal gut zuzuhören. Auch das lernt man bei uns in der Ausbildung. dem anderen auch das Gefühl zu geben Das ist bei mir angekommen, was du mir erzählst. Und ich nehme das empathisch, also einfühlsam entgegen. Ich spiegele dir auch ein Stück, was davon bei mir ankommt, auch gefühlsmäßig. Ich nehme es möglichst akzeptierend und wertschätzend entgegen. Und ich bleibe dabei möglichst authentisch. Also ich sage dir, wenn du mich danach fragst, durchaus auch schon mal, was ich dazu denke. Allerdings in Grenzen. Und damit haben wir schon drei ganz wichtige Grundhaltungen beschrieben. Wer sich auskennt, ahnt es schon, die von Carl Rogers stammen. Also Authentizität, Akzeptanz und Empathie. Und hinzu kommt dann bei uns in der Ausbildung noch als weitere Grundhaltung die Ressourcen Orientierung, Also dass wir wirklich auch versuchen, möglichst mit dem zu arbeiten, was positiv vorhanden ist beim Gegenüber und jetzt nicht defizitorientiert arbeiten und schon gar nicht analytisch, Das würde uns ja überfordern. #00:45:58-7#

Dr. Anne Wasmuth: Hm, wirklich ein schwieriger Job, finde ich. Also wirklich gutes Zuhören, so wie Sie das beschrieben haben, finde ich wirklich. Also desto mehr Respekt empfinde ich jetzt, desto mehr für Ihr ehrenamtliches Team, muss ich wirklich sagen. Sie haben es gesagt Zuhören auf der einen, aber eben manchmal doch auch vermitteln an Beratungsstellen oder anderes. Wie finden Sie da die richtigen Ansprechpartner? Also ich stelle es mir so vor, dass es auch nicht immer eindeutig ist, wo welche Hilfe für welchen Menschen die richtige ist. #00:46:35-5#

Birgit Dier: Das stimmt. Und das ist tatsächlich ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit, was Sie sagen, also an andere Stellen zu verweisen. Das lernen unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Ausbildungsgruppe zunächst, indem wir ihnen das psychosoziale Versorgungssystem in Nürnberg und Umgebung intensiv vorstellen. Und sie haben dann später am Telefon einen dicken Ordner daneben stehen, wo stichpunktartig, alphabetisch geordnet man auch nachschlagen kann. Also unter A wie Arbeitslosigkeit, äh, über S wie Schwangerschaftskonflikt bis zu Z wie Zwistigkeiten in der Familie. Ja, und dann können Sie also die Adresse und Telefonnummer rausgeben und können vor allen Dingen ermutigen, jetzt auch mal andere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dazu besuchen wir auch manche Beratungsstellen während der Ausbildung, damit die künftigen Ehrenamtlichen auch ein Bild davon bekommen die Arbeiter zu einer Stelle. Sie lernen dann auch die dortigen Leiterinnen und Leiter zum Teil kennen und dadurch sinkt, glaube ich auch die Schwelle, wirklich so was zu vermitteln. #00:47:53-1#

Dr. Anne Wasmuth: Ja. #00:47:54-8#

Birgit Dier: Ja. Ansonsten gibt es in unserem Computer, der am Arbeitsplatz steht, auch noch eine Funktion innerhalb unseres Statistiksystems, die man aufrufen kann, wo man sich sowohl in Nürnberg als auch in jeder anderen Stadt in Deutschland dann entsprechende Beratungsstellen rausholen kann. #00:48:16-4#

Dr. Anne Wasmuth: Ich erinnere mich an einen Freund unserer Familie, der hat in der Telefonseelsorge gearbeitet und ich erinnere mich deshalb so gut daran, weil eigentlich das immer so ein bisschen so unter diesem ah, das darf eigentlich niemand wissen gehandelt wurde und seitdem war dieser Job sozusagen für mich spielt in der Liga von Geheimagenten also so was ganz, ganz Besonderes. Also sprich dieses Anonymitätsprinzip, was Sie ja schon mehrfach erwähnt haben. Sie haben davon gesprochen. Es ist Schutz für diejenigen, die anrufen, aber ja, eben auch Schutz für die, die als Ehrenamtliche arbeiten. Warum ist das so wichtig? Dieses Grenzen ziehen oder wo gelingt das vielleicht auch mal nicht? #00:49:01-5#

Birgit Dier: Also da sprechen Sie ein Thema an, was in den letzten Jahren auch auf Bundesebene viel diskutiert wird, was auch hier die Ehrenamtlichen vor Ort immer mal wieder ansprechen, wie sehr man denn in der Anonymität bleiben muss. Das ist manchmal schwer einzusehen. Ich finde, es ist auch manchmal ein bisschen schade, weil man eben dieses Ehrenamt, was einem viel abverlangt. Wie Sie zurecht gesagt haben, eben wenig mal in der Öffentlichkeit auch erwähnen oder zeigen darf. Also andere Ehrenämter, Feuerwehr etc. sind immer mal wieder in der Zeitung und werden ja erwähnt und bei uns entfällt das eben fast vollständig, bis auf ein, zwei, die in die Öffentlichkeit gehen. Stellvertretend für die anderen bleibt der Rest in dieser Anonymität. Und da bewegt sich auch was, würde ich denken. Es ist nicht mehr ganz so streng wie früher. Jetzt zählt immer wieder gern die Anekdote. Die Gründerin der Telefonseelsorge in Nürnberg, Schwester Helene Müller, hat angeblich den Ehrenamtlichen immer gesagt, sie dürften nicht mal ihrem Ehepartner sagen, dass sie bei uns arbeiten. Das halte ich ehrlich gesagt für ein Gerücht, Weil ich stelle mir vor, wenn man dann abends um 10:30 in unseren Dienst beginnt, zu dem Ehemann sagt Ich bin dann mal weg, bis morgen früh dann. Das man danach selber ein Problem hat Und weiter? Und. #00:50:26-4#

Dr. Anne Wasmuth: Es ist nicht das erste woran man denkt. #00:50:30-6#

Birgit Dier: Also ich glaube das ist jetzt ein bisschen übertrieben, aber sicherlich war es so, dass zur damaligen Zeit noch viel strenger darauf geachtet wurde. Ich sage den Mitarbeitern immer Ihr seid natürlich alle erwachsen und ich kann euch das nicht verbieten. Aber überlegt gut, wo ihr es erzählt. Denn wenn man es zum Beispiel am Arbeitsplatz erzählt und das ist eine große Firma, dann gibt es schon sehr viele Menschen, die sich vielleicht überlegen würden, bei uns anzurufen, weil sie damit rechnen müssen. Sie haben jetzt Kollegin XY am Telefon. Das ist ein Aspekt. Ein weiterer Aspekt ist ich weiß es vielleicht von meinem Nachbarn, mit dem ich aber seit Jahren im Clinch liege und denke Also wenn die alle so sind wie Herr XY, dann ist das aber ein komischer Verein. Und sie hatten aber ja eigentlich nach den Ehrenamtlichen selber gefragt Für diesen Schutz ist. Da kann es zum Beispiel sein, dass jemand und das kommt vor sich ganz arg dafür interessiert, wer sie sind und dann sagt Ach, Sie haben so eine schöne Stimme und wir haben uns so angenehm unterhalten. Ich würde sie ja gern mal kennenlernen und dann sagen sie hoffentlich weil es ist streng verboten, sich persönlich zu treffen, dass das nicht geht. Aber der ist vielleicht immer noch neugierig. Und in dem Moment, wo er weiß, wer sie sind, kann der natürlich in der heutigen Zeit in NullKommanichts Ihre Adresse und weiteres herausfinden und steht bei Ihnen vor der Tür und sagt Och, ich habe gedacht, ich such Sie mal persönlich auf und dann könnten wir uns noch viel besser unterhalten. Und dann muss man auch sagen, es gibt bei uns natürlich wie überall nicht nur angenehme Menschen, die anrufen. Wir haben auch Anrufer. Da sind es leider eher die Männer, die auch Gewaltfantasien erzählen wollen. Wir haben sechs Anrufer. Das ist auch eine große Plage für unsere weiblichen Mitarbeiterinnen. Und wenn die dann nachts um drei sagen Ich warte auf dich, wenn du morgen von deiner Schicht kommst. Ich weiß ja, wo du bist. Dann ist es sehr beruhigend, wenn man sich sagen kann Das kann er mir noch so oft erzählen, aber der weiß ja nicht, wo ich bin. Also weshalb wir nicht nur den Namen anonym halten, sondern auch den Ort und die Adresse unserer Stelle. Also das ist wirklich ein Schutz. Aber wie gesagt, letztlich muss das natürlich jeder für sich entscheiden. Ich kann mir aber vorstellen, dass es manch einer auch schon bereut hat, wenn er es zu sehr gestreut hat. Und sei es nur, dass sie in Ihrer Firma und bei dem Beispiel zu bleiben ständig angesprochen werden. Du arbeitest doch bei der Telefonseelsorge, Hast du in der Mittagspause mal Zeit? Ich habe was auf dem Herzen. Das kann ja mal gut sein und auch klappen. Aber man kommt dann vielleicht auch da am Arbeitsplatz, in der Kirchengemeinde, wo auch immer man engagiert ist, im Sportverein, in eine Rolle, die man ja nicht umsonst für einige Stunden im Monat gewählt hat und nicht für sein gesamtes Leben. #00:53:32-6#

Dr. Anne Wasmuth: Ja. Und die Grenzen? Anonymität ist das eine. Aber die Grenzen dessen, was ich an Hilfe leisten oder bieten kann, sind ja wahrscheinlich auch in sehr akuten Situationen. Also rufen bei Ihnen auch Menschen an, die eine akute Psychose haben oder einen akuten depressiven Schub, wo man dann als Seelsorger eben merkt Oh, hier bin ich eigentlich gar nicht mehr richtig, da muss jetzt professionelle Hilfe dran. #00:54:01-8#

Birgit Dier: Ja, also das wird man dann in jedem Fall versuchen. Wir haben solche Situationen durchaus auch Menschen, die suizidal sind, allerdings nicht in dem Umfang, wie man sich das manchmal vorstellt, wenn man an Telefonseelsorge denkt. Aber es kann vorkommen und auch das schulen wir in der Ausbildung. Dann wird man natürlich versuchen, an Profis zu verweisen und manchmal auch denjenigen noch zu begleiten. Also da habe ich schöne Beispiele im Kopf, wo eine Mitarbeiterin zum Beispiel so lange am Telefon geblieben ist mit demjenigen Das Handy macht es möglich. Wisst ihr, in der Notfallambulanz in Nordklinikum angekommen war und dann sogar noch derjenige, der ihn in Empfang nahm, der Telefonseelsorge gesagt hat Der ist jetzt hier bei uns angekommen und gibt uns. Oder wir überweisen auch gern an den Krisendienst Mittelfranken. Der Kollege Ralf Bohnert, der den Krisendienst leitet, macht einen Teil der Ausbildung mit mir. Neben Rainer Eberlein, der Fahrer und Supervisor ist. Also wenn wir zum Beispiel einen Krisendienst vermitteln, kann man das auch so machen, dass man dann vorher beim Krisendienst anruft und sagt Ich bin's von der Telefonseelsorge. Da meldet sich sehr wahrscheinlich gleich jemand bei euch. Schaut mal, da gab es Situationen, wenn er dann angekommen war, hat dann der Krisendienst Mitarbeiter noch mal angerufen auf unseren externen Apparat und sagt Also, wir kümmern uns jetzt. Also so was gibt es. Aber manchmal gelingt das natürlich auch nicht, weil jemand einfach auch keine Hilfe in Anspruch nehmen will oder kann. Und wir können die Menschen ja nicht zwingen, zumal sie uns ja in der Regel ihren Namen und ihre Adresse nicht verraten. Und dann ist es schon auch schwer, das auszuhalten, dass man da jetzt erst mal nichts oder wenig tun kann. #00:55:58-2#

Dr. Anne Wasmuth: Mhm. #00:55:59-2#

Birgit Dier: Ja. Also, da sind dann die Grenzen. #00:56:03-2#

Dr. Anne Wasmuth: Erfahren Sie manchmal, was aus Ihren Anruferinnen geworden ist? Gerade wenn es so extreme Situationen oder auch manchmal kann ja auch sein, einfach der ganz normale Alltag kann ja auch manchmal schon zu viel sein. Kriegen Sie da manchmal Rückmeldungen, wenn einfach Krisen vorbei sind? #00:56:21-4#

Birgit Dier: Also da bekommen wir schon Rückmeldungen, dass die Menschen noch mal bei uns Anrufen und sich bedanken und sagen Ich wollte nur mal Bescheid geben, dass es mir jetzt besser geht. Danke, dass ihr mir damals geholfen hat. Dann legen unsere Mitarbeiter zum Beispiel einen Zettel auf den Schreibtisch und schreiben sowas auf, auch für die Kolleginnen und Kollegen. Wir hängen das an die Pinnwand. Der Herr, der solche Probleme mit seiner Tochter hatte, hat angerufen, dass sich das jetzt geklärt hat. Und er bedankt sich. Oder bei mir als Stellenleiterin kommen solche Menschen, schreiben schon mal oder sprechen mich an, sofern das irgendwo dann auch öffentlich ist. Ich hatte zum Beispiel mal eine Andacht in der Lorenzkirche. Das habe ich eine Zeit lang mal gemacht, da kam hinterher jemand auf mich zu und hat mir 100 € in die Hand gedrückt und gesagt Bitte geben Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sommer mal eine Wurst aus. Der sagte das auf Fränkisch Ich kann das jetzt nicht nachmachen. Und ein Getränk. Eingeschränkt. Es ist so schön, dass es euch gibt. Ich habe wirklich Hilfe erfahren. Und jetzt möchte ich mal was zurückgeben. Ja, so was gibt es durchaus auch. #00:57:33-0#

Dr. Anne Wasmuth: Schön. #00:57:33-6#

Birgit Dier: Ja. #00:57:34-3#

Dr. Anne Wasmuth: Gibt es denn zeitliche Vorgaben für so ein Gespräch oder wie? Beenden Sie elegant ein Gespräch, wenn Sie merken Oh, jetzt. Ich kann vielleicht auch einfach nicht mehr. Es ist zu lang oder es lockt mich aus als Seelsorger, Seelsorgerin. #00:57:50-6#

Birgit Dier: Also es gibt erst mal einen Durchschnittswert, an dem man sich das verdeutlichen kann. Das sind so circa 25 Minuten. Und daran sehen Sie schon, es gibt Gespräche, die deutlich kürzer sind. Es gibt aber auch Gespräche, die deutlich länger sind. Eigentlich lernen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ausbildung als Faustregel Wenn nicht irgendwas absolut außergewöhnlich ist, dann keinesfalls länger als eine Stunde. Weil das ist auch etwas, was man ja auch bei einer Therapie nicht umsonst so macht. Irgendwann hat das gar keinen Effekt mehr. Wenn man zu lange über ein Problem spricht, dann hat man. Fachlich nennt man das Problem Straße eher das Problem, dass man immer tiefer in das Problem und in die Sorge und in die depressive Stimmung hineinkommt. Trotzdem gibt es Gespräche, die auch mal länger dauern. Gerade in der Nacht, wo die Mitarbeiter mir hinterher vielleicht auch erzählen. Auch von dir. Sie haben es vielleicht schon gesehen anhand der Statistik. Ich hab heut Nacht ein langes Gespräch gehabt, da konnte ich einfach gar nicht raus, weil derjenige so bedürftig wirkte oder vielleicht auch wirklich gesagt hat Wenn du jetzt auflegt, dann nehme ich die Tabletten, die ich hier liegen habe. Dann ist es enorm schwer. Auch nicht unmöglich, weil man sollte sich durch sowas auch nicht unter Druck setzen lassen, aber dann ist es schwer. Und wie Sie gesagt haben, ein Gespräch elegant zu beenden, das ist eine der größten Schwierigkeiten. Also das üben wir sehr in der Ausbildung. Ich weiß aber auch von langjährigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, dass das immer wieder schwierig ist. Das ist ja auch ganz klar. Viele Menschen hätten gerne noch mehr Zeit von uns. Und dann wird man zum Beispiel damit argumentieren, was sie ansprachen. Ich merke, dass ich jetzt gerade selber keine Kraft mehr habe. Aber Sie können gerne morgen wieder anrufen oder ein anderes Mal. So etwa würde man tatsächlich mit der eigenen Befindlichkeit argumentieren und vor allen Dingen eben versuchen, dass das wertschätzend ist und man jetzt nicht etwas in der Richtung sagt Also wir drehen uns doch jetzt nur noch im Kreis, oder? Also Sie haben ja jetzt gar nichts Neues mehr erzählt. Ist das jetzt doch mal an der Zeit, das zu beenden? Also sowas wird man natürlich vermeiden. #01:00:16-0#

Dr. Anne Wasmuth: Ja, aber das ist das Stichwort. Wir sind über 25 Minuten. Auf jeden Fall. Zum Schluss sagen Sie noch mal die Nummer. Und auf welchen Wegen ist die Nürnberger Telefonseelsorge erreichbar? #01:00:28-3#

Birgit Dier: Also die Nürnberger Telefonseelsorge ist telefonisch erreichbar unter der Nummer null 800 111 null 111 oder auch unter der Nummer, die in manchen Städten die katholischen Seelsorgeeinheiten für sich haben. Null 800 111 null 222. Wir haben hier in Nürnberg ja nur eine Telefonseelsorge, deswegen sind beide Nummern, wenn man so will, die evangelische und die katholische auf uns geschaltet. Mit beiden Nummern kommt man bei uns durch. Und wenn man jetzt Mail oder Chatseelsorge möchte, dann geht es nicht in Nürnberg direkt. Dann sollte man die bundesweite Adresse aufrufen. Einfach www. Telefonseelsorge. De. #01:01:20-7#

Dr. Anne Wasmuth: Birgit, dir. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch. Danke für Ihre Arbeit und das der vielen, vielen Ehrenamtlichen der 74 Menschen, die hinter Ihnen stehen, die zu jeder Tages und Nachtzeit, egal ob Werktag oder Feiertag, sogar an Weihnachten Dienst tun. 365 Tage im Jahr 24 Stunden jeden Tag. Das ist so ein großes, großes Dankeschön wert. Das ist so unglaublich wertvoll. Danke Ihnen. Danke Ihrem Team. Bleiben Sie gesund und alles Gute. #01:01:52-7#

Birgit Dier: Danke schön. Ich gebe das gerne weiter. Und ich wünsche Ihnen auch alles Gute. #01:01:56-9#

Dr. Anne Wasmuth: Danke. Tschüss. #01:01:58-9#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Die Leiterin der Nürnberger Telefonseelsorge spricht über ein nicht sichtbares Ehrenamt, über Hilfe und Helfer.

Vor 65 Jahren wurde in Deutschland die erste Telefonseelsorge gegründet. Heute verbirgt sich dahinter nicht nur Beistand über das Telefon. Birgit Dier erzählt wie sie über Stationen als Pfarrerin, Pastoralpsychologin, Supervisorin und Verfahrensbeistand für Kinder und Jugendliche zur Nürnberger Telefonseelsorge kam. Telefonseelsorge ist eine fast ausschließlich von Ehrenamtlichen getragene Arbeit, die 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag im Verborgenen geschieht: es gilt das Anonymitäts-Prinzip. Warum ist das so? Wer ruft da eigentlich an? Warum? Wie sieht Hilfe am Telefon aus? Und wie sieht die Ausbildung zur Telefonseelsorger:in aus? Im Podcast gibt Dier Einblick in die Hilfe in Extremsituationen, den Unterschied zwischen Seelsorge und Therapie und was das alles mit der eigenen Rolle und Identität zu tun hat.

Die Nürnberger Telefonseelsorge wird von der Evangelischen Stadtmission betrieben und erhält von der Stadt Nürnberg einen großen Zuschuss für diese Arbeit.

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Aufgenommen am: Dienstag, den 7. Dezember 2021 
Veröffentlicht am: Donnerstag, den 23. Dezember 2021
Moderation: Dr. Anne Wasmuth
Im Gespräch: Birgit Dier

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
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