Natalie Keller, wie kann eine kulturelle Begrünung Nürnbergs erreicht werden?

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Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast Bildungszentrum Nürnberg. #00:00:11-0#
Hannah Diemer: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von KontaktAufnahme Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. Mein Name ist Hannah Diemer und ich spreche heute mit Natalie Keller, der Sprecherin für Kultur und Gleichstellung. Und sie ist Mitglied des Stadtrates der Stadt Nürnberg. Sie kommt aus der grünen Fraktion. Hallo Natalie. Hallo. #00:00:42-5#
Natalie Keller: Vielen Dank für die Einladung. #00:00:43-9#
Hannah Diemer: Wir freuen uns, dass du mit dabei bist. Würdest du dich unseren Hörerinnen und Hörern mal kurz vorstellen? #00:00:49-5#
Natalie Keller: Ja. Ich bin Mitglied der grünen Stadtratsfraktionen, aber im realen Leben, sozusagen bin ich Hauptberuflich bei Agave tätig. Das ist die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer und Integrationsbeiräte Bayerns, sein Dachverband, der die Integrationsbeiräte vertritt. Und da arbeite ich an einem neuen Projekt mit aktivierende Antidiskriminierungsarbeit in Bayern, Das zum einen beruflich als pädagogische Mitarbeiterin. Zum anderen bin ich auch Mutter eines 9-jährigen Sohnes, dessen Erziehung ich mir auch mit seinem Vater teile. Also lebt abwechselnd bei ihm und bei mir. #00:01:26-2#
Hannah Diemer: Du hast gesagt, du verstehst dich als Impulsgeber der Netzwerkerin und Aktivistin. Kommt es vielleicht daher, dass du so viele unterschiedliche Ehrenämter hast und einfach extrem voll vernetzt bist? #00:01:36-7#
Natalie Keller: Ja, also sind tatsächlich diese drei Wörter, die ich gesucht habe und dann gefunden habe, weil man muss ja dann auch mal eine Bewerbungsrede schreiben, wenn man sich aufstellen lässt bei den Grünen. Und da habe ich halt mal überlegt, was mache ich eigentlich tatsächlich? Und es ist tatsächlich so ich habe einfach im Laufe meines Lebens gelernt, wenn ich nichts mache. Für mich macht es sonst niemand für mich und dementsprechend habe ich angefangen zu netzwerken. Versuche Impulse in verschiedenen Ehrenämtern, die ich habe, zu setzen. Auch jetzt. Politisch und Aktivistin? Ja, das kommt für mich halt eher von aktiv, also aktiv werden. Ja so. #00:02:17-4#
Hannah Diemer: Du bist ein bisschen in Kasachstan aufgewachsen und sehen sich selber zur Community von den Russlanddeutschen. Du beschreibst diese Community als eher weniger politisch aktiv, beschreibst einen Nachholbedarf und forderst mehr politische Partizipation. Wie kann es sein, dass du aus dieser Community kommst und selber so politisch aktiv bist? #00:02:39-4#
Natalie Keller: Ja, das war ein sehr langer Weg und der war auch nicht ganz einfach. Also zum einen kann man jetzt mal sagen, ich bin einer der wenigen Russlanddeutschen bei den Grünen. Viele Russlanddeutsche engagieren sich durchaus politisch durchaus nicht, aber meistens eher in der konservativen Partei. Das ist natürlich auch historisch geschuldet. Ich. Ich fange mal ganz von vorne an, ich bin halt mit elf. Sagen wir es mal so aus der kasachischen Steppe ins badische, beschauliche Dörfchen hineinkatapultiert worden. Das war schon ein sehr krasser Bruch letztendlich. Erstmal Deutsch lernen, den Eltern helfen. So typisches Einwanderungskind, das eben für die Eltern Formulare ausfüllt, mit zu den Ämtern geht, sich um die kleinen Geschwister kümmert und nebenbei schaut, wie es halt in der Schule zurechtkommt. Das hat sich einfach so durchgezogen bei mir, dass ich einfach immer vorangehen musste und um etwas zu erreichen. Hinzu kommt persönlichkeitsmäßig Ich war schon immer ein bisschen die Anführerin und habe immer geguckt, dass ich irgendwie den Ton angeben. Und das hat mich dann doch. Das hat mir doch ein bisschen geholfen. Was jetzt die politische Partizipation an sich betrifft bei den Russlanddeutschen. Also zum einen sind die Russlanddeutschen ja sehr heterogen, Also diese Community kann man nicht einfach in einen Topf werfen und sagen, da sind jetzt die Russlanddeutschen, sondern sie sind wirklich sehr unterschiedlich. Es gibt, sage ich jetzt mal aus meiner Sicht die sehr Konservativen, die sich auch sozusagen in der Landsmannschaft organisieren. Dann gibt es ganz viele, von denen man gar nicht weiß, dass sie Russlanddeutsche sind. Dann gibt es jetzt meine Generation, die sogenannte 1,5 Generation, die damals eben als Jugendliche herkamen und eigentlich in beiden Welten super zurechtkommen. Das Problem aber, und ich sehe es halt bei den Älteren und auch bei meinen Eltern. Also zum einen hat das natürlich auch was mit der Sowjetunion zu tun, mit der politischen Haltung dort. Also man hatte ja gar keine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren und wenn, dann war es natürlich gefährlich und so kann man hierher und hat sich erstmal nicht so darum bemüht oder beschäftigt. Und zum anderen Die hatten gar keine Zeit für politische Partizipation. Die mussten sich erst mal überhaupt hier im Land zurechtfinden. Sie mussten erst mal hier ankommen. Erst mal schauen, wie sie zurechtkommen. Finanziell sich erstmal irgendwie ein Zuhause aufbauen, um überhaupt die Strukturen zu begreifen. Und das dauert ja auch eine ganze Weile. Und es ist natürlich für uns Jugendliche etwas schneller vorangegangen, auch wenn wir teilweise auch gar keine Unterstützung hatten, sondern selber da irgendwie uns zurechtfinden mussten. Ich ich finde, gerade so jetzt in meinem Alter gibt es da schon echt ganz viele, die sich wirklich engagieren und auch vorangehen, was ganz wichtig ist und das auch einfach für die Mehrheitsgesellschaft. Hier in Deutschland ist zu verstehen, dass die Russlanddeutschen, also die Deutschstämmigen, die in Russland gelebt haben, waren immer auch stigmatisiert. Sie hatten in ihrem Pass auch das Wort Deutscher drin stehen und sie waren immer sozusagen die Faschisten, weil sie natürlich vom Feind sozusagen waren und dementsprechend haben sie da eben Ausgrenzung erfahren. Und dann gab es eben diese Übersiedlungen und hier waren sie auf einmal die Russen. Und das wirkt sich auch sehr auf die Russlanddeutschen aus. Das ist ein Schmerz, der Halt da ist, dort nicht anerkannt worden zu sein. Und man dachte, man geht sozusagen in das Land, wo man ursprünglich herkommt. Und hier wird man dann auch nicht anerkannt und das ist eine ganz große Wunde eigentlich. Und ich finde das wichtig, dass man auch darüber Bescheid weiß und dann kann man damit auch anders umgehen und nicht einfach so Platitüden drüber. Na ja, die Russen oder so und dann kann man eigentlich viel, viel mehr da ins Gespräch kommen und auch viel mehr erreichen. #00:06:28-4#
Hannah Diemer: Kommt vielleicht daher auch so dieses Rückbesinnung auf nationalistische Werte und eher dann dieser Hang zum Konservativen? #00:06:36-0#
Natalie Keller: Ja, also auch und jetzt, weil das Thema ja auch sehr häufig in letzter Zeit aufkam mit der, also dass man die AfD gewählt hat. Also es gab eine Studie zur Bundestagswahl 2017. Es ist so, dass die Russlanddeutschen, nicht die AfD nicht häufiger gewählt haben als die Mehrheitsgesellschaft hier. Das hat was aber auch mit sozialer Lage zu tun. Man weiß ja, dass man, wenn man eher sozial sich sozial benachteiligt fühlt, weniger Zugang hat zu verschiedenen Ressourcen. Dann neigt man ja schon auch dazu, dann bestimmten Versprechungen Glauben zu schenken. Und klar, mit dem Fall Lisa 2016, da kann man halt Ängste das ist nämlich das Die Russlanddeutschen fühlen sich nicht als Migrantinnen und auch nicht als Flüchtlinge. Also sie. Sie hatten Angst, in einen Topf hineinzuwerfen. Also es ist keine Entschuldigung, sondern auch ein Versuch, das zu erklären, wo ich auch trotzdem nicht immer Verständnis habe. Ja, aber das war ein eine Facette des Ganzen. Es ist viel komplexer eigentlich. #00:07:44-4#
Hannah Diemer: In dieser Community der Russlanddeutschen spürst du da so was wie ein transgenerationales oder ein transnationales Traumata? #00:07:51-9#
Natalie Keller: Es ist natürlich auch ein kollektives. Es gibt ein kollektives Gedächtnis. Auf jeden Fall was das Thema Deportation damals durch Stalin betrifft und auch noch weitere historische Ereignisse. Das zieht sich natürlich durch. Das zieht sich auch in meiner Generation durch, weil wir natürlich das alles wissen. Ich weiß zum Beispiel meine Familie sehr, sehr wenig und das ist auch etwas, was ich als Defizit empfinde und immer wieder auch so ein bisschen eine Last, weil ich einfach nicht nachverfolgen kann, was ist eigentlich damals passiert? Aber ich sehe es an meinen Großeltern und auch an meinen Eltern, dass sie schon sehr leiden und also es würde jetzt zu weit führen, Dann müssten wir ein ganz anderes Thema aufmachen. Aber da ist ein gewisses Leid da. Ich weiß das zum Beispiel. Es gibt ganz tolle Frauen und auch Männer, die sich mit der Geschichte ihrer Familie auseinandersetzen, die es mittlerweile im Rahmen von Schreibwerkstätten in die Ukraine oder nach Kasachstan gefahren sind und da so die Geschichten forschen. Und wenn man sich mit denen unterhält, dann ich glaube, es gibt keine russlanddeutsche Familie, wo es nicht irgendwie Tote, ganz viel Leid gab. Und das hat schon. Man spürt das, wenn man darüber spricht, dann weiß man das. Man braucht manchmal gar nicht so viel zu erklären, weil die Geschichten ähneln sich und und das Gefühl ist da. #00:09:10-3#
Hannah Diemer: Du siehst dich als Scharnier oder hast eine gewisse Scharnierfunktion zwischen der Community der Russlanddeutschen und hier im politischen Geschehen. Was sind denn da deine Anliegen und Ziele? #00:09:21-9#
Natalie Keller: Ich denke, in aller allererster Linie ist es für mich überhaupt wichtig, Sichtbarkeit zu schaffen, auch ein gewisses Vorbild zu sein. Also dass es jemanden im im Rathaus gibt, die diesen Hintergrund hat und die weiß, welche Hürden sie auf dem Weg hatte. Ich hatte auch Chancen, aber die Hürden waren viel höher als die Chancen, so weit zu kommen. Und ich denke, das ist ganz, ganz wichtig. Ich muss einfach jetzt. Ich habe ja erst vor kurzem angefangen. Ich muss einfach jetzt auch schauen, dass ich viel mehr Corona. Bedingt geht das leider nicht, aber viele Gespräche. Ich habe die auch schon vorher geführt, aber jetzt auch noch mehr ins Gespräch. Gehe da einfach mal, schaue, welche Themen, welche Belange kann ich in die Kommunalpolitik hineintragen, weil vieles, das natürlich Landes oder Bundesebene ist, ein bisschen schwierig. Aber es geht überhaupt um diese Sichtbarkeit. Und auch andersrum natürlich, dass der Stadtrat oder überhaupt das Rathaus oder die Stadt Nürnberg auch weiß, wir sind überhaupt diese Russlanddeutschen. Also die Scharnierfunktion funktioniert sozusagen beiderseitig logischerweise. Und mir geht es auch darum, dass es diese diese Russen also oft weiß man gar nicht, wer diese Russlanddeutschen sind. Wir werden ja oft einfach in so einen Topf geworfen, weil wir halt russischsprachig sind. Aber wir kommen aus den unterschiedlichsten postsowjetischen Ländern. Wir kommen nicht alle aus Russland, wir haben unterschiedliche soziale Voraussetzungen. Wir sind natürlich viele von uns. Und gerade die, die Anfang der 90er, 91 herkamen, haben ja sofort auf den deutschen Pass gekriegt. Insofern sind wir schon auf eine gewisse Art und Weise Privilegiert, sage ich jetzt mal, aber das bedeutet noch lange nicht, dass es keine Schwierigkeiten gab. Nur weil du einen Pass hast, heißt das nicht, dass alle Zugangsvoraussetzungen zu Bildung, zu finanziellen Ressourcen etc. usw da sind. #00:11:10-0#
Hannah Diemer: Jetzt stehen nicht nur die Russlanddeutschen auf deiner Agenda, sondern auch ganz viele feministische Themen und du setzt sich ein für ein feministisches Nürnberg. Wie schaut denn ein feministisches Nürnberg aus. #00:11:20-9#
Natalie Keller: Wenn im Stadtrat in der Stadtratssitzung in einer Ausschusssitzung ein Thema zur Frauenpolitik aufkommen, nicht gleich mit den Füßen gescharrt wird oder Köpfe geschüttelt werden? Das wäre schon mal der Anfang. Das ist selbstverständlich ist, dass man über Frauenthemen oder Gleichstellungsthemen spricht, ohne dass dabei man belächelt wird. Und das ist für mich eigentlich der Anfang, denn wir haben hier auch eine Vorbildfunktion. Letztendlich Das, was wir hier entscheiden, wirkt sich auf die Stadt aus. #00:11:47-6#
Hannah Diemer: Kannst du uns Beispiele nennen für deine Themen? #00:11:50-1#
Natalie Keller: Ich mache jetzt mal ein bisschen auf eine amüsante Art und Weise. Also ich habe gleich mal wohlwissend, dass dieser Antrag nicht durchgeht, gleich mal einen Antrag zur Geschäftsordnung gestellt. Bei der konstituierenden Sitzung ging es um die Redebeiträge in den Ausschüssen und im Stadtrat. Und der Antrag war halt, dass man eben gegenderte Listen führt, also dass quasi nach dem abwechselnd dann Frauen und Männer zu Wort kommen. In der Praxis ist es natürlich schwierig, weil die Ausschüsse sind ja auch nicht paritätisch besetzt. Also wir haben jetzt nicht sechs Männer und sechs Frauen, sondern es ist ja unterschiedlich. Ich habe da eine flammende Rede auf das Rederecht der Frau gehalten, und das hat natürlich für Lachen, Empörung, Herzrasen gesorgt. Also die Stimmung war halt. Also sagen wir es mal so ich habe meine Duftmarke gelegt, habe natürlich gleich meinen Respekt vom Rechtsamt gleich mal eine Stellungnahme dazu bekommen. Aber ich bleibe dran. #00:12:45-4#
Hannah Diemer: Wie fühlt sich das an, wenn man so viel Gegenwind bekommt? #00:12:49-1#
Natalie Keller: Also noch macht es Spaß. Aber wie gesagt. #00:12:53-8#
Hannah Diemer: Ich bin erst seit May dabei. Frag mich in drei Jahren nochmal. #00:12:57-9#
Natalie Keller: Aber ich. #00:12:59-2#
Hannah Diemer: Bin da. Ich kenne da nichts. #00:13:02-0#
Natalie Keller: Also wenn es um Themen geht, die wichtig sind für die Gesellschaft, dann heißt das nicht klein beigeben. Ganz im Gegenteil, da muss man weiterkämpfen. #00:13:09-7#
Hannah Diemer: Welche Aufgaben haben denn die Männer auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung? #00:13:13-2#
Natalie Keller: Ich denke mal, die Männer haben echt eine ziemlich wichtige Rolle, und zwar die eine Schlüsselrolle. Sie können das System verändern. Also es geht darum, dass nicht wir uns immer abarbeiten an Maßstäben der Männer, sondern die Männer müssen anfangen zu reflektieren, welche Haltung sie haben, wie ihr Verhalten eigentlich aufgebaut ist, wie sie sich verhalten im System und auch mal konkrete Entscheidungen dann aus ihren Machtpositionen treffen. Und das ist halt deren Entscheidung. Entweder sie sind ein Teil der Lösung oder sie bleiben halt weiterhin das Problem. #00:13:45-2#
Hannah Diemer: Jetzt waren Sie in Ihrem letzten Urlaub auch Radfahren und haben geschrieben, dass Sie gerne für einen radfahrenden Feminismus sind. Was bedeutet denn den Radfahrern. #00:13:54-6#
Natalie Keller: Ja. Also das bedeutet für mich eigentlich ganz klar ein Ausbau von Radwegen in Nürnberg. Dafür setzen wir uns ja auch schon immer ein. Gerade für mich als Frau mit einem Grundschulkind, die kein Auto hat, sondern tatsächlich nur ein Fahrrad und einfach kurze Wege braucht in Nürnberg. Also ich möchte mich, ich muss mich morgens auf mein Fahrrad setzen, ob jetzt mit einem Anhänger oder mein Sohn nebendran. Wir fahren dann zur Schule oder zur Kita, dann muss ich zur Arbeit, dann muss ich dazwischen vielleicht noch einkaufen. Ich habe noch Termine. Also da wäre es gut, wenn man durchgehende Radwege hätte. Das würde den Frauen, aber auch natürlich den Männern durchaus den Alltag erleichtert. #00:14:37-4#
Hannah Diemer: Jetzt stehen ja nicht nur die Frauen ganz oben auf der Prioritätenliste, sondern du sagst, du möchtest gerne soziale Teilhabe für alle haben. Was bedeutet denn das? Und wie spielt der Hintergrund als Arbeiter und Einwanderungskind mit rein? #00:14:51-7#
Natalie Keller: Also vielleicht tatsächlich eher so persönlich. Es ist ja kein Geheimnis, dass gerade wir in Bayern ja einfach viele Kinder mit sogenannten Migrationshintergrund oder mit Einwanderungsgeschichte ja oft einfach die Verliererinnen sind, in der Bildungslandschaft höhere Hürden haben, um auf ein Gymnasium zu gehen oder dann, um zu studieren. All das habe ich natürlich selbst auch erfahren. Also ich bin in die fünfte Klasse gekommen, ohne Deutsch zu können, habe dann die Hauptschule gemacht, die damals noch so hieß. Hatte aber das Glück, dass an der Schule eigentlich so eine Art alternativen Abschluss gab. Wer Realschulabschluss und auch noch das Glück, dass es ein berufliches Gymnasium gab, das mich genommen hat, weil ich schon da irgendwie mich in der Kinderfreizeit engagiert habe. Ein normales Gymnasium wollte mich nicht, dafür war der Schnitt zu schlecht, obwohl ich super in Deutsch war. Und da fängt schon an und ich habe zu Hause, also man soll vielleicht nicht immer darüber reden, was man nicht hatte, sondern was man vielleicht auch hatte. Aber in dem Fall ist es tatsächlich so Ich habe nicht diese Ressourcen gehabt, die viele meiner anderen Freundinnen hatten. Meine Eltern wussten nicht, wo sie mir helfen sollten, geschweige denn, dass sie mir auch bestimmte Sachen einfach nicht ermöglichen konnten. Da wäre es ganz wichtig, dass man da ansetzt. Gerade in den Schulen auch. Es geht natürlich tatsächlich gerade jetzt zu Corona Zeiten. Ich weiß als Elternbeirat Vorsitzende der Grundschule, in der mein Sohn ist, dass es einige Eltern gab, die komplett in der Versenkung verschwunden sind, die man nicht erreicht hat, wo wir nicht wissen, wie es denen und den Kindern ging. Dann zum anderen, dass viele überhaupt gar keine Möglichkeit haben, für einen Laptop oder um irgendwelche Videokonferenzen zu machen oder geschweige denn einen Drucker. Ob das jetzt an finanziellen Ressourcen oder an den Fertigkeiten liegt, das kann ich jetzt nicht beurteilen. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass es generell einfach der Zugang zu finanziellen oder zu Bildung einfach schwach oder schwächer ist. Und ich würde mir wünschen, gerade als Mutter auch. Dass es einfach mehr Elternarbeit gibt. Ich habe gemerkt, ich habe mich schon immer engagiert im Vorstand, in Kinderladen und auch in der Schule, weil ich einfach immer wissen wollte, man kann es auch Kontrolle nennen, aber ich wollte einfach immer wissen Was, Was ist da los, wo mein Sohn hingeht und wollte da mitmachen, weil ich dann informiert bin. So hole ich mir halt mal eine Information. Von alleine kriege ich die nicht. Und ich glaube, das ist für viele Eltern schwierig. Einfach. Man muss die Eltern mehr ansprechen, man muss ihnen mehr Infos zur Verfügung stellen, man muss mehr Dialog führen. Auch die Elternbeiratsarbeit muss diverse aufgestellt werden. Wir haben im gesamten Elternbeirat, der Super ist, super engagierte Leute, aber wir sind zwei diesen russischsprachigen Hintergrund haben und aber die Schule hat locker über 40 % Migrationsanteil. Ja, ich weiß, dass das viel diverser ist, aber wie erreichen wir die Eltern? Und das ist auf jeden Fall auch eine Aufgabe für uns. #00:17:47-0#
Hannah Diemer: Wenn wir beim Thema soziale Teilhabe sind, würde ich gerne noch über Rassismus sprechen. Gibt es spezifische Rassismuserfahrungen für die russlanddeutschen Community? #00:17:56-3#
Natalie Keller: Ja, das ist ein Thema. Ich meine, der Rassismus ist ja gerade das Topthema. Sagen wir mal so, obwohl es ja eigentlich schon seit langer Zeit oder schon immer existiert und auch bearbeitet wird. Ich finde es ganz toll. Ich habe letztens die Black Lives Matter Aktivistinnen getroffen und wir haben uns mit ihnen ausgetauscht und ich finde es super, dass sie die Proteste der Teilnehmer organisiert haben und auch geschafft haben, sichtbar zu werden, auch für die Stadtgesellschaft. Ich glaube, die Stadt Nürnberg macht schon vieles ganz gut mit diesem Stadt, das Menschenrechte und des Friedens. Es gibt ja ganz viele Kundgebungen, es gibt viele Veranstaltungen, das ist ja die eine Sache. Aber die andere Sache Wir haben nach wie vor vier Aufmärsche, ganz viele von Rechtsextremen, wo ich finde, dass es wir haben eine tolle Zivilgesellschaft, die dagegenhält, also auch das Bündnis Bündnisse, die dann dagegenhalten. Aber Rassismus passiert ja auch im Alltag, Unterschwellig strukturell, sei es Wohnungs Wohnungsmarkt, sei es, wie wir überhaupt über die anderen sprechen, die Ansprache. Und da sind wir gerade und da habe ich irgendwie das Glück, dass ich auch diesen Job mache, wo ich als pädagogische Mitarbeiterin wir haben ein sehr diverses Team und da sind wir gerade dabei, auch eine Bedarfsanalyse zu machen in Bayern, also über die Integrationsbeiräte, die ja wiederum aus verschiedenen Communities kommen. Ich denke mal, da kriegen wir ein gutes Abbilden. Und dann kann man ja schauen, wo man ansetzen kann. Aber ich denke, also, wir haben dann ganz klare Haltung, also Rassismus geht gar nicht und wir halten da klar dagegen. Und was die Russlanddeutschen betrifft, das ist so ein da sage ich ganz offen heikles Thema, weil ich habe nie Rassismus erfahren. Ich bin weiß ich, ich bin hetero, ich bin privilegiert, ich habe einen deutschen Pass, ich komme überall rein. Ich meine, ich bin als Frau natürlich durchaus habe ich Diskriminierungen erfahren, Sexismus erfahren. So ist das nicht. Aber es gibt quasi innerhalb der Community. Also so heterogen sie ist, gibt es durchaus ganz viele Vorurteile, auch gegenüber anderen migrantischen Gruppen. Aber da ist auch. Also da ist auf jeden Fall viel Aufklärungsbedarf, auch innerhalb der Community. Also da ist auch wenig Wissen über die anderen. Man schottet sich dann eher ab oder will auch mit denen nichts zu tun haben. #00:20:13-7#
Hannah Diemer: Über lange Liste geht es noch weiterhin zu ihrer politischen Richtung, quasi zu den Grünen, denn sie fordern eine kulturelle Begrünung. Was ist denn eine kulturelle Begrünung? Was darf ich mir denn darunter vorstellen? #00:20:27-7#
Natalie Keller: Ich hab mich dann immer geärgert, dass es immer so große Events hier gab und das ist ja auch kein Geheimnis. Wir haben das auch immer kritisiert, aber halt die freie Szene immer so im Stich gelassen wurde. Ich habe gesagt oder wir setzen uns für die freie Szene ein. Wir setzen uns für Ateliers ein, für Räume, an denen es ja überall mangelt. Dass auch die Freie Szene auch profitiert von der Stadt, von den finanziellen Möglichkeiten. Und das haben wir jetzt tatsächlich auch geschafft mit dem gemeinsamen Antrag, den die Politbande hier initiiert hat, dass der Marientor Zwinger jetzt bespielt wird. Und das ist zum Beispiel etwas, was ich mit kultureller Begrünung auch meine. Und ich hoffe, dass wir auch weitere Oasen schaffen können. Gemeinsam. Und das funktioniert eigentlich. Also ich bin froh, dass die Politbande auch im Stadtrat ist. Also Ernesto macht eine super Arbeit und ich glaube, gemeinsam können wir da auf jeden Fall mehr machen, als wenn jeder für sich alleine kämpft. #00:21:19-1#
Hannah Diemer: Wie willst du das schaffen, dass es nicht nur Ideen bleiben, sondern auch tatsächlich in die Tat umgesetzt wird? #00:21:23-6#
Natalie Keller: Ja, das ist eine gute Frage, weil ich meine, ich habe schon gemerkt, Stadtratsarbeit ist ein harter Brocken. Also ich denke, wichtig ist es. Ich meine, die Instrumente sind ja hier Anträge einreichen und Debatten führen. Ich denke, ganz wichtig ist, dass hier immer im Dialog bleiben, auch gerne fraktionsübergreifend arbeiten. Bündnisse suchen, aber auch ganz, ganz viel von außen einfach im Gespräch bleiben. Also ich bin ja mit vielen Vereinen und Initiativen im Gespräch, stehe da zur Verfügung. Und daraus entstehen dann ja auch Ideen, dann kann man das auch hineintragen. Also ich denke wirklich, für mich ist halt im Gespräch bleiben und Netzwerken ist eigentlich so dieses die Essenz. #00:22:13-3#
Hannah Diemer: Ja und was ist deine Meinung zur Kulturhauptstadtbewerbung? #00:22:16-9#
Natalie Keller: Ich würde mich freuen, wenn wir Kulturhauptstadt werden würden. Ich glaube, das kann für die Stadt total bereichernd sein. Aber unser Kritikpunkt ist nach wie vor, dass man wirklich schaut, dass es nicht nur eben Hochglanz gibt, sondern tatsächlich auch kleinere Initiativen sichtbar gemacht werden und das dann auch tatsächlich wie in der Kulturstrategie auch festgehalten, das auch längerfristig sich für Nürnberg auch auszahlt und nicht nur eine einmalige Sache ist. #00:22:43-5#
Hannah Diemer: Das heißt eine politische Agenda ist wirklich unfassbar groß Sind über die feministischen Netzwerke Soziale Teilhabe, die kulturelle Begrünung. Aber das ist jetzt nicht alles, was du machst. Du hast nämlich unter anderem sechs weitere Ehrenämter. #00:22:57-6#
Natalie Keller: Echt sechs? #00:22:58-6#
Hannah Diemer: Wow, Wusste ich gar nicht mehr. Aber gut. #00:23:01-5#
Natalie Keller: Dazu zählen zum Beispiel den Erfolgsfaktor Frau, den Elternbeirat, den du genannt hast. Du bist in der Regionalgruppe für Neue deutsche Medienmacher und bei One Europe mit dabei. Wie schafft man es, alles unter einen Hut zu bekommen? Wie viele Stunden hat dein Tag? #00:23:17-3#
Hannah Diemer: Ich bin ja auch noch Mutter. Na ja, wie ich schon vorher zu dir gesagt habe, Corinna bedingt liegt ja einiges tatsächlich brach. Aber ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt. Ich. Ich habe schon immer viel gemacht, weil mich einfach viel interessiert hat. Und es hat auch alles miteinander zu tun. Also es schließt das eine nicht aus. Ich habe einen sehr fetten Kalender, in dem ich alles akribisch eintrage. Also wenn dieser Kalender verschwinden würde, dann ist schlecht. Aber ja, ich bin halt organisiert, würde ich mal behaupten. Und es macht Spaß. Wenn ich jetzt ganz persönlich sein kann, dann sage ich, ich muss auch lernen, mal abzugeben, was ich angefangen habe zu lernen. Weil jetzt mit dem Stadtrat ist natürlich noch einiges dazugekommen. Also Nebenjob und Kind, dann noch für einen Stadtrat sich zu engagieren. Also es funktioniert super, ich lebe alleine, aber die dieses das gehört auch für mich zum Feminismus dazu. Das gehört auch für den Stadtrat, zum Stadtrat dazu, dass ich das ganz offen auch sage, dass ich alleine lebe, mit meinem Kind und mir die Erziehung teile. Aber nichtsdestotrotz bin ich ja nicht unabhängig. Also mein Kind ist nicht schon irgendwie 14 und ich kann es keine Ahnung wie oft alleinlassen, sondern ich muss mich tatsächlich organisieren. Viele Termine finden abends statt, an denen ich habe. Viele Termine finden auch am Wochenende statt. Also ich muss schon ganz schön viele Abstriche machen und da hinterfrage ich natürlich auch meine Mutterrolle tatsächlich. Also es ist nicht einfach so hier, schwuppdiwupp gemacht. Das ist mit ganz viel, ganz viel Verzicht auch und auch mit ganz viel Reflexion über die eigene Person und über die eigene Rolle. Und ich hoffe, und das ist etwas wirklich. Ich hoffe, dass mein Sohn mir halt eines Tages nicht sagt Du warst nie da, weil du bist ständig bei irgendwelchen Terminen gewesen. Sondern dass er sagt Hey, ich fand es toll, dass ich mit dir bei so viel unterwegs war und du trotzdem Zeit für mich hattest. Das wäre mein größter Wunsch eigentlich. Weil sich zu engagieren ist für mich essentiell. Also ich könnte nicht zu Hause sitzen und einfach nichts machen, was auch gut tut. Ich würde gerne einfach mehr Zeit zum Lesen haben. Aber ich denke, es ist wichtig, einfach sich für die Gesellschaft einzusetzen und mitzumachen. Weil von alleine kommt das alles einfach nicht. #00:25:43-9#
Natalie Keller: Zum Abschluss unseres Interviews fragen wir immer noch nach einem Glücksmoment. #00:25:48-2#
Hannah Diemer: Glücksmomente. #00:25:50-9#
Natalie Keller: Was hattest du denn in der letzten Zeit für einen Glücksmoment? Was hat dich so richtig gefreut? #00:25:56-3#
Hannah Diemer: Das war ganz aktuell letzte Woche in Österreich. Und zwar bin ich fünf Tage. Also mit so einem historischen Rennrad und Stahl Rennrad. Also nicht keine neumodischen Schnelldinger, sondern wirklich so ein. Aber so ein klassisches, super tolles Ding damit. Da bin ich fünf Tage nach Hollabrunn bei Wien geradelt. Jeden Tag. Und es war schon echt hart, weil es war sau heiß und täglich zwischen 80 und 150 Kilometer. Und dann habe ich tatsächlich aus dem Stand noch am Sonntag bei einer Rennradausfahrt mitgemacht und es waren 143 Kilometer, neun Stunden lang und der Frauenanteil ist da sehr gering. Also die meisten Frauen sind 70 Kilometer gefahren, die Strecke, soweit ich mitgekriegt habe. Einige Frauen waren dann bei 143 dabei und ich habe tatsächlich geschafft, ein paar Männer auf dem Rennrad zu überholen. Das war mein ganz persönliches Glücksmoment. Leider muss ich dann eine Pause machen. Dann hat mich der letzte auch noch. Dann hat mich der letzte, den ich dann auch noch überholt. Und dann habe ich mir gedacht, das geht nicht. Und dann bin ich noch mal draufgestiegen und habe ihn tatsächlich auch überholt und war dann die erste von den zwei letzten und das war für mich wirklich ein Top Ereignis. Ich kann diesen Berg hochfahren. #00:27:12-0#
Natalie Keller: Nathalie Keller Vielen herzlichen Dank für dieses sehr persönliche Interview. Ich wünsche Dir alles Gute für Deine vielfachen Projekte, Engagements und Herzensangelegenheiten und ich hoffe, dass ich noch ganz viel von dir hören wird. #00:27:25-8#
Hannah Diemer: Vielen lieben Dank! #00:27:27-5#
Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Natalie Keller spricht über das kollektive Gedächtnis der Russlanddeutschen und fordert von ihrer eigenen Community mehr politische Partizipation.
Feministin, Impulsgeberin und Netzwerkerin – das alles beschreibt Natalie Keller aus. Leidenschaftlich setzt sie sich ein für ein feministisches Nürnberg, für soziale Teilhabe und für eine kulturelle Begrünung Nürnbergs ein.
Sie erzählt über den Kulturschock im Kindesalter von der kasachischen Steppe nach Süddeutschland zu migrieren und welchen Stand sie heute als Frau in der sogenannten 1,5-Generation der Russlanddeutschen hat.
Die leidenschaftliche Aktivistin und Stadtratsmitglied der Grünen möchte mehr Sichtbarkeit erlangen für ihre Community der äußerst heterogenen Gruppe der Russlanddeutschen. Als Stadträtin will sie eine entscheidende Vorbildrolle für mehr Feminismus in der Politik übernehmen.
Job, Kind, Stadtrat und diverse Ehrenämter verlangen von Natalie Keller eine hervorragende Organisation und stetige Reflexion über sich und die eigene Rolle.
Freuen kann sie sich, wenn sie beim Rennradfahren nach 143 km stehend noch den letzten Berg bezwingt und das Ziel erreicht.
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Aufgenommen am: 2. September 2020
Veröffentlicht am: Donnerstag, 24. September 2020
Moderation: Hannah Diemer
Im Gespräch: Natalie Keller
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