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Anna Osicki, warum geht es dir nach der Beinamputation (mit 25!) viel besser als davor?

Grazyna Wanat: Herzlich willkommen bei der neuen Ausgabe unseres Podcasts. Heute zu Gast bei uns: Anna Osicki, 26 Jahre alt, die sich mit 24 Jahren entschieden hat, ihr Bein amputieren zu lassen, und schon dieser erste Satz lässt es erahnen, dass es sich um eine ergreifende Geschichte handelt, aber was Anna ganz besonders macht, ist, wie sie mit ihrem Schicksal umgeht. Hallo! Ich möchte am Anfang erzählen, wie ich auf dich aufmerksam geworden bin, denn man kann über dich zum Beispiel durch die Dokuserie "Cyborks" auf Instagram erfahren. Ausgestrahlt wurde, sie vor einem Jahr schon und jetzt auch in der ARD Mediathek zu sehen, oder man kann die auf Instagram begegnen. Wie viele Follower hast du? #00:01:10-1#

Anna Osicki: Sehr gute Frage, ich glaube 140.000. #00:01:15-4#

Grazyna Wanat: 141.000, ich habe es nachgeschaut. Ist das nicht unglaublich? Man kann dich auch auf TikTok finden und das wird jetzt umwerfend. Wie viele Follower hast du dort? #00:01:29-4#

Anna Osicki: 1,6 Millionen. #00:01:33-0#

Grazyna Wanat: 1,6 Millionen, schwer zu glauben, aber alles wahr. Bevor ich all das erfahren habe, habe ich eines Tages in Nürnberg einfach spazieren gesehen und ich war von deiner Ausstrahlung sowas von beeindruckt, denn du bist wirklich eine Erscheinung. So ist mir dieses Bild in Erinnerung geblieben, eine junge, wunderhübsche Frau, die unglaublich selbstbewusst, mit einem Hightech Beinprothese, durch den Hans Sachs Platz läuft und so viel freundliche Lebensfreude ausstrahlt wie kaum jemand anders. Und sofort hab ich mir gedacht damals, ich möchte so gerne mit dir sprechen und ich wusste natürlich noch nicht, dass du so ein Medienstar bist. Das ist umso schöner, dass wir hier jetzt uns gegenüber sitzen und sprechen werden. Ich freue mich sehr, dass du mit uns deine Geschichte teilen möchtest. Allerdings habe ich gleich am Anfang etwas bedenken, weil ich weiß, dass du die Geschichte bereits so oft erzählt hast. Wie geht es dir dabei, wenn du immer wieder aufs neue zu dem November 2017 gedanklich gehen musst? #00:02:50-6#

Anna Osicki: Mir geht's gut, ich mache das wirklich mit ganzem Herzen. Ich bin so froh, dass ich damit Menschen erreichen kann und Mut schenken kann, und ja, ich bin mit ganzem Herzen dabei. #00:03:00-9#

Grazyna Wanat: Na, das ist ja toll! Das ermutigt mich auch, die Fragen zu stellen, die du schon so oft gehört hast. Also fangen wir tatsächlich nochmal kurz mit diesem 17 November, als du ganz normal in die Arbeit gegangen bist, und dann. #00:03:13-8#

Anna Osicki: Genau, ich hatte Spätschicht in der Pflege gearbeitet und habe in der Spätschicht Knieschmerzen bekommen und bin daraufhin nach der Spätschicht in die Notaufnahme, und ich konnte halt einfach nicht mehr gehen. Ich hatte solche Schmerzen und wollte einfach nur noch Hilfe, und dann hieß es okay, wir sehen uns um null Uhr im OP, und dann wird eine Kniespiegelung gemacht. #00:03:36-7#

Grazyna Wanat: Und die Kniespiegelung war keine gute Idee, wahrscheinlich. Würdest du heute sagen, oder? #00:03:43-5#

Anna Osicki: Im Prinzip weiß man es nicht. Man will einfach, dass einem geholfen wird und man stimmt dann zu, was jetzt letztendlich der Punkt war, kann ich leider nicht sagen, aber es war natürlich im Nachhinein bereut man es schon ein bisschen, es gemacht zu haben. #00:04:00-5#

Grazyna Wanat: Tatsächlich, weil dann wurde nach dieser Kniespiegelung festgestellt, dass du Bakterien im Knie hast. #00:04:09-2#

Anna Osicki: Genau! #00:04:09-7#

Grazyna Wanat: Ja, und dann hat eine ganz schlechte Zeit für dich angefangen. Wie lange hat es gedauert? #00:04:18-1#

Anna Osicki: Äh, ich glaube, drei Jahre intensiv im Krankenhaus, und ich glaube, fünf Jahre oder vier Jahre. Bis dahin ging auch der Weg. Ich war immer wieder im Krankenhaus und immer wieder Operationen und so weiter und so fort. Ja! #00:04:36-9#

Grazyna Wanat: Und normal laufen konntest du dann nicht mehr. #00:04:40-6#

Anna Osicki: Nein, schon am nächsten Tag nach der Kniespiegelung nicht mehr. Ich hatte ein steifes Bein und ich weiß noch, der Arzt kam rein und meinte, warum liegt das Bein so gerade? Dann ich so, ich kann's nicht mehr beugen, und er meinte dann, nee, das stimmt nicht! #00:04:55-6#

Grazyna Wanat: Nein. #00:04:56-9#

Anna Osicki: Ja, und hat mich entlassen, und das fand ich so schrecklich, weil ich wirklich an mir selber gezweifelt habe. Ich lag in diesem Bett und hab alles versucht, dieses Bein wieder beweglich zu kriegen, und dann wird dir gesagt, nee, das stimmt gar nicht, das kannst du nur mal bewegen! Ich soll mir keine Gedanken machen, da zweifelt man halt an sich selbst ein bisschen. #00:05:19-7#

Grazyna Wanat: Mhm, und hat sich das bei anderen Ärzten auch wiederholt diese Idee, dass das psychisch eingebildet ist? #00:05:25-4#

Anna Osicki: Nein, also, man hat dann in Narkose probiert, das Bein zu beugen, weil man sagt, das alles ausgeschalten ist, du kannst nicht dagegen steuern, und auch da ging gar nichts. Also, es war wie ein Brett, und das war dann auch der Moment, wo man mir endlich geglaubt hat, dass das es steif ist. #00:05:43-2#

Grazyna Wanat: Mhm, und dann hast du mehrere Jahre, also drei Jahre ungefähr oder vier Jahre sogar über dich alles Mögliche ergehen lassen. Über 30 Operationen und unglaubliches Leiden. Wird es eigentlich vom normalen Leben mehr oder weniger abgeschnitten? Und wann tauchte die Idee der Beinamputation zuerst auf? Also ich meine, wie viel Zeit verging zwischen den allerersten Überlegungen in dieser Richtung bis zu der endgültigen Entscheidung und der Operation? #00:06:14-7#

Anna Osicki: Also, am Anfang war es schon immer mal wieder Gespräche, also seit 2018 circa, aber ich wollte es nicht. Jedes Mal, wenn es irgendwie aufgekommen ist, habe ich gesagt, nein, das wird schon wieder, das kann ja nicht sein! Man kann so vieles medizinisch mittlerweile. Warum kriegen wir dann kein Bein mehr beweglich? Das wollte ich einfach nicht wahrhaben, und ich habe halt immer daran geglaubt, dass es noch eine andere Lösung gibt, und mir war es wichtig, dass ich diesen Punkt entscheide und ich sage: Okay, ich möchte das, und man mir diese Entscheidung nicht abnimmt. Ich glaube, intensiv habe ich mich dann 2019, Ende 2019/Anfang 2020 damit befasst, wo ich gesagt habe: Okay, ich werde jetzt nochmal verschiedene Ärzte aufsuchen, nach Meinungen fragen, und wenn die auch der Meinung sind, man kann da nichts mehr machen, eine Amputation wäre am sinnvollsten, dann informiere ich mich, was diesen Weg betrifft. Ich habe dann auch Freunde gefragt, die selbst amputiert sind. Ich hab Ärzte gefragt, ich hab alle gefragt und alle Informationen eingeholt, die man sich hätte einholen können. Und dann war auch der Punkt, wo ich gesagt habe, okay, ich mache diesen Schritt, und dann habe ich das mit meiner Familie gut besprochen, mit meinen Freunden, mit allen meinen Liebsten, ob die halt auch diesen weg mit mir gehen, und so ist das dann gekommen. #00:07:40-5#

Grazyna Wanat: Mhm, und du hast jetzt gesagt, du hast mit Freunden gesprochen, die auch amputiert sind. Man hat solche Freunde eigentlich kaum. Also waren das schon Menschen, die du durch soziale Medien kennengelernt hast. #00:07:55-2#

Anna Osicki: Ja! #00:07:57-1#

Grazyna Wanat: Das ist besonders spannend auch an deiner Geschichte, dass du alles von Anfang an in den sozialen Medien geteilt hast. Du hast alles mitgeteilt, du hast so eine Art Tagebuch geschrieben, aber auch dadurch Menschen kennengelernt. #00:08:12-2#

Anna Osicki: Ja, also, es sind die, die besten Freunde, die ich so jetzt in meinem Leben habe, die ich auch nicht mehr vermissen will, weil diese Freundschaft eigentlich, also die ist ganz anders wie normale Freundschaften. Wenn du sagst, du hast Schmerzen, dann wissen die ganz genau, was du damit meinst. #00:08:29-1#

Grazyna Wanat: Mhm, das heißt, dass du mit sozialen Medien so viel gearbeitet hast, sozusagen alles Öffentlich gemacht hast, hat dir geholfen, war für dich eine positive Erfahrung und dann kam eines Tages natürlich dieser Tag der Amputation. Wie lange ist es jetzt her? #00:08:49-6#

Anna Osicki: Eineinhalb Jahre. #00:08:51-0#

Grazyna Wanat: Und ich habe gesehen, ich habe mich natürlich durch deine sozialen Medien durchgescrollt vor diesem Gespräch, und dann habe ich gesehen, dass du vier Tage nach der Operation, nach der Amputation nach Hause entlassen wurdest. #00:09:05-8#

Anna Osicki: Ja. #00:09:06-1#

Grazyna Wanat: Wie kann das sein? #00:09:07-0#

Anna Osicki: Das habe ich mich auch gefragt. Ich dachte, ich liege da mindestens eine Woche. #00:09:12-3#

Grazyna Wanat: Mhm. #00:09:12-6#

Anna Osicki: Ich weiß noch, ich glaube einen Tag später nach der Amputation, da bin ich meine ersten Schritte gegangen, halt auf Krücken. #00:09:20-8#

Grazyna Wanat: Schon das ist unglaublich. #00:09:22-4#

Anna Osicki: Ja, und dann einen Tag noch mal darauf, am zweiten, da bin ich dann Treppen gestiegen, und dann hieß es: Okay, Sie können morgen nach Hause. Ich war wirklich völlig überfordert. Ich fand es schön, aber man hat natürlich auch Ängste, weil du kommst nach Hause und alles ist anders. Und erst mal war ich nicht so überzeugt. Und kurz darauf dachte ich mir aber, zu Hause geht's einem erstens viel besser. Ich habe meine liebsten wieder bei mir, und es wird schon alles gut werden, und im Prinzip habe ich mir dann zu viele Gedanken gemacht. Weil, wo ich zu Hause war, war natürlich man ich jetzt nicht so leicht von Anfang an, aber es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. #00:10:08-7#

Grazyna Wanat: Mhm, und was war das Komplizierte am Anfang? #00:10:12-4#

Anna Osicki: Mit Krücken, weil du konntest nicht mal eben ein Glas von A nach B tragen. Du konntest so viele Dinge ich, ich kann die gar nicht mehr so wiedergeben, aber es ist alleine nur, wenn duschen willst, wenn du in die Badewanne möchtest oder oder oder sind so viele Dinge. Treppen, das war ja, dachte ich mir. Wie soll ich diese Treppen da hochkommen? Natürlich hast du es im Krankenhaus ein, zweimal probiert, aber wenn du dann zu Hause bist und keine Unterstützung oder irgendjemand neben dir hast, der dich anleitet, dann stehst du da und denkst dir, okay. #00:10:46-5#

Grazyna Wanat: In welchem Stockwerk wohnst du? #00:10:47-9#

Anna Osicki: Jetzt, im Ersten. #00:10:50-4#

Grazyna Wanat: Aber damals? #00:10:51-1#

Anna Osicki: Im Vierten. #00:10:53-1#

Grazyna Wanat: Und mit Aufzug? #00:10:54-4#

Anna Osicki: Mit Aufzug, aber der ist auch gerne einige Wochen ausgefallen, und genau da, wo dann die Amputation war. Ich glaub, der Aufzug war sechs Wochen oder so kaputt, und dann hatte ich vier Stockwerke plus nochmal zwei wegen Tiefgarage, also sechs Stockwerke insgesamt. Danach, ich konnte nichts mehr machen. Da hast du auch wirklich überlegt, gehst du jetzt raus oder bleibst du lieber zu Hause, weil ich das körperlich einfach noch nicht hinbekommen habe. #00:11:23-0#

Grazyna Wanat: Jetzt kann ich vielleicht was aus deinem privatem Leben verraten. Ich glaube, das machen viele Leute mit dir, dass sie dir gleich eigene Geschichten erzählen und vielleicht auch, warum mich deine Erscheinung so beeindruckt hat. Mein Bruder hatte damals einen Motorradunfall und sein Fuß wurde sieben mal gebrochen, und wir haben, kann man natürlich nicht vergleichen, und trotzdem ein bisschen schon diese Erfahrung, wie das ist, wenn man auf einmal so unbeweglich wird und das Leben komplett anders meistern muss, und diese ganzen Erfahrungen, von denen du jetzt erzählt, haben wir auch mitgemacht, plus natürlich diese psychische Belastung, die dann so unglaublich ist, und dann habe ich dich so strahlend gesehen, und ich dachte: Ja, es geht alles wunderbar. #00:12:14-1#

Anna Osicki: Doch es geht auch. Alles ist halt natürlich anders. Das Leben ist manchmal so, dass man Herausforderungen hat, aber wichtig ist ja, was machst du daraus. Hast du den Mut, und wenn du nur einen Schritt gehst, dann hast du eigentlich schon gewonnen. Wenn du stehen bleibst, was bringt dir das? Du musst nicht den ganzen Weg gehen, du musst auch kein Marathon laufen, aber ein Schritt reicht schon. #00:12:40-6#

Grazyna Wanat: Genau, und die Prothese hast du nicht sofort bekommen. Zuerst die Krücken, und dann müsste natürlich die Wunde heilen. Bis man überhaupt an Prothese denken konnte, wie lange hat es gedauert, bis du die erste Prothese bekommen hast? #00:12:58-0#

Anna Osicki: Ich habe sie einen Tag vor Weihnachten bekommen. #00:13:01-4#

Grazyna Wanat: Ein Geschenk? #00:13:02-6#

Anna Osicki: Ja, das war das schönste Geschenk. Ich bin einen Tag vor Weihnachten meine ersten Schritte gegangen und es war "magisch". #00:13:10-4#

Grazyna Wanat: Deine erste Prothese. Wie viele Prothesen hattest du inzwischen jetzt schon oder wird immer die gleiche noch angepasst? Wie funktioniert das? #00:13:20-4#

Anna Osicki: Also, du hast eine Interimsprothese, das ist so eine Probeprothese, die hast du circa ein halbes Jahr aber bei mir ging es ein bisschen länger. Damit lernst du laufen. Also, das ist jetzt auch keine Prothese, sag ich mal, wo du ja, die ist einfach zum Laufen da, und danach, wenn du fit genug bist, dann kriegst du deine Definitivprothese und das ist dann schon wieder anders. Also, damit kannst du ja leichtes Joggen, du kannst schwimmen gehen, du kannst so viele Dinge. #00:13:52-5#

Grazyna Wanat: Ich habe gesehen, dass du Fahrrad fahren kannst, dass du Inline Skates fahren kannst, dass du Trampolin springen kannst und dann auch schwimmen kannst. Kann man sogar mit dieser Prothese ins Wasser? Die ist Hightech, doch voll Elektro! #00:14:09-9#

Anna Osicki: Ja, also meine ist wasserfest. Es gibt aber auch andere Prothesen, die sind nicht wasserfest, aber dann gibt es noch extra Schwimmprothesen, genau! #00:14:20-5#

Grazyna Wanat: Also okay, und die Frage, die wahrscheinlich viele stellen, aber die stellt sie einfach so. Ist das eine Krankenkassenleistung, oder muss man sich diese kaufen? #00:14:31-8#

Anna Osicki: Also nein, das kann man sich auch klar nicht leisten. Natürlich muss man auch manchmal ein bisschen kämpfen. #00:14:42-1#

Grazyna Wanat: Mhm. #00:14:42-4#

Anna Osicki: Aber im Prinzip steht jedem eine Prothese zu. Es geht halt dann um welches Gelenk, Altersgruppe, Mobilität und so weiter. Aber jeder kriegt eine Prothese, und du musst auch nichts zahlen, außer vielleicht eine kleine Zuzahlung von 10 €, aber das ist nichts. #00:14:59-8#

Grazyna Wanat: Und wie gesagt, sie ist Hightech , sie wird angesteuert, aber wie wird sie angesteuert? Woher weiß die Prozesse, dass sich das Knie beugen sollte und wie? #00:15:10-9#

Anna Osicki: Die ist Mikroprozessor gesteuert und auch so mit Körper Verlagerungen, also wenn ich jetzt zum Beispiel mit dem Po nach hinten gehe. #00:15:21-2#

Grazyna Wanat: Dann versteht die Prozesse. Diese Bewegung bedeutet, ich will dies oder jenes? #00:15:25-3#

Anna Osicki: Genau, ich will mich hinsetzen, zum Beispiel, oder wenn ich zum Beispiel die Treppe hochgehen will, dann muss ich so eine Wischbewegung nach hinten machen, dann weiß die Prothese okay, sie will Treppen hochgehen. Oder wenn ich auf der Treppe stehe und runter möchte, dann muss die Hälfte von der Fußsohle über der Stufe sein und dann weiß sie, ich will jetzt Treppen heruntergehen. Also, das ist ein bisschen komplexer. Man muss am Anfang schon ein bisschen darauf achten, weil, wenn du da nicht so drauf achtet, dann kann es auch mal sein, das du dann stolperst auf der Treppe. Da ist natürlich dann nicht so gut. Aber das ist alles, das hast du so schnell drinnen, da ist es überhaupt kein Problem mehr. #00:16:03-9#

Grazyna Wanat: Aber am Anfang steht bestimmt ein Training auf dem Plan. Du musst lernen, wie du mit deiner Prothese kommunizierst. #00:16:10-4#

Anna Osicki: Wichtig ist, du musst dich trauen, weil oftmals ist der Kopf, der zwischen einem steht, und ich habe damals die Prothese angezogen, und ich bin direkt losgelaufen und alles so richtig sprachlos. Meine Prothesentechniker, mein Physiotherapeut, alle standen haben gesagt, das gibt es nicht, die läuft einfach los. #00:16:29-0#

Grazyna Wanat: Sich zu trauen ist bestimmt nicht dein Problem. Oder? Du bist mutig. Du bist, manchmal habe ich das Gefühl, immer mutig. #00:16:35-1#

Anna Osicki: Ja, gerade auch so Sachen wie Fahrrad fahren oder so. Da sagt meine Freundin immer, jetzt mach mal ein bisschen langsam und nicht so. Ja, aber ich will ja, ich will ja vorwärtskommen, und ich glaube, wenn du jahrelang nichts mehr konntest, dann willst du manchmal alles auf einmal, ist natürlich auch nicht gut. Aber ich sage mir immer, lieber so, wie wenn ich jetzt zu der Zeit noch zum Beispiel im Rollstuhl sitzen würde. Aber jeder braucht halt seine Zeit, und das ist auch in Ordnung. #00:17:04-2#

Grazyna Wanat: Ja, und wenn man sich deine Videoberichte anschaut, wirklich mit diesen ganzen Übungen wie Kopfstand, Kopfstand machst du auch, dann wird es auch deutlich, dass du dir auch zur Aufgabe gemacht hast, Trost und Hoffnung Menschen zu geben, die vielleicht in ähnlichen Situationen sind, aber lange noch nicht so viel Kraft und Mut wie du haben. Das heißt, erst mal die sozialen Medien, deine Unterstützer, und dann gibst du sozusagen das zurück, was du bekommen hast. Sind deine Follower für dich eine anonyme Gruppe, so viele, oder entwickeln sich da einzelne individuelle Beziehungen oder Dialoge, und einzelne Personen werden dann sichtbarer? #00:17:51-4#

Anna Osicki: Oh, es ist schwierig! Also ich kann es manchmal gar nicht realisieren, dass mir so viele Menschen folgen. Ich denke mir, ich bin ein ganz normaler Mensch wie jeder andere auch und ich merke das dann immer erst, wenn ich zum Beispiel durch die Straßen gehe oder so und mich dann Leute ansprechen und teilweise auch weinen, weil sie so glücklich sind, dass sie mich gerade sehen und dann nach einem Bild fragen. Dann realisiere ich das erst nicht so: "Ah ja, da war ja was". Ich kann das jetzt gar nicht so beantworten. Ich bin dankbar über jeden Menschen, der da an meiner Seite ist und mich da begleitet hat, weil man bekommt täglich so viele Nachrichten, so wie süße Nachrichten, also so Hass und sowas gibt's bei mir gar nicht, wo ich auch so glücklich bin. Ich bin da wirklich so stolz und so glücklich, dass das wirklich so ist. #00:18:44-6#

Grazyna Wanat: Also, das wäre dann später auch meine Frage, weil ich sehe schon diese ganzen positiven Seiten, die die sozialen Medien für dich bedeuten. Aber natürlich hat Internet und soziale Medien haben natürlich diese dunkle Seite, und die gibts zumindest in Form von Hass Nachrichten bei dir überhaupt nicht? #00:19:04-4#

Anna Osicki: Nein. #00:19:04-5#

Grazyna Wanat: Das ist so schön und toll. #00:19:06-0#

Anna Osicki: Ja, da bin ich auch sehr froh. Ich glaube, sonst würde ich das gar nicht so gerne machen, und selbst wenn mal, wenn mal irgendwas kommen sollte, das ist dann auch kein Hass, sondern eher so ein blöder Kommentar oder so. #00:19:18-4#

Anna Osicki: Die gibt es aber schon oder? #00:19:18-4#

Anna Osicki: Alle paar Monate mal einer, aber es ist kein Hass. Eher so unüberlegt. #00:19:25-6#

Grazyna Wanat: Überlegt und nicht böse gemein, sondern manche Leute haben vielleicht ein bisschen weniger Empathie und verstehen nicht, was sie mit manchen Sätzen anrichten können. Das stimmt ja. Aber dass soziale Medien eine negative Seite haben, ist klar. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift "DIE Zeit" gab es ein Titelthema "Achtung TikTok " und mit einem Leitartikel: "TikTok toxisch!" #00:19:55-9#

Anna Osicki: Ja! #00:19:56-8#

Grazyna Wanat: Es ging zum Beispiel darum, dass auch düstere Videos veröffentlicht werden und dann mit einem Algorithmus. Wenn jemand schon angefangen hat, was Trauriges anzuschauen, kriegt er immer mehr traurige, depressive, runterziehend Videos zu sehen. Das ist so eine Art "Rabbit hole", dass man reinfallen kann und kaum rauskommen kann. Oder es gibt auch diese grausame Challenges, an den Kinder teilnehmen und zum Teil sogar daran sterben, also schon wirklich ganz extrem böse Sachen. #00:20:30-8#

Anna Osicki: Ich sehe es an meiner Nichte, die ist neun, und sie nutzt schon TikTok, aber sehr überwacht, sehr, sehr überwacht, und sobald wir irgendwas sehen, sofort löschen, weil da muss man schon dahinter sein. Das ist eigentlich keine Plattform für Kinder. #00:20:50-4#

Grazyna Wanat: Eigentlich offiziell nicht zugelassen, aber es ist klar, dass ganz viele Kinder drin sind. #00:20:57-4#

Anna Osicki: Ja, ich habe gesagt, wenn sie jetzt nur mich anschaut, weil sie so stolz auf ihre Tante ist, dann ist der Rhythmus auch anders. Wir sehen alles, was sie macht, was sie sieht. Gut ist es nicht, und da muss man wirklich dahinter sein, wenn man das dann akzeptiert. #00:21:18-2#

Grazyna Wanat: Ja, aber das Wissen nicht alle. Eltern oder Erwachsene Menschen verstehen auch dieses Medium ganz oft nicht. #00:21:27-3#

Anna Osicki: Ja, weil die sind so der Meinung, das ist eine Plattform, da sind lustige Videos drauf. So war es mal, wo TikTok noch nicht TikTok war, sondern quasi eine andere Plattform. Da war es so, da hast du noch lustige Videos gedreht und mit Musik quasi so so getan, als würdest du singen, so Lip sync. Mittlerweile ist es gar nicht mehr so. #00:21:52-7#

Grazyna Wanat: Ja, ja, und das ist super wichtig, dass auch Eltern lernen, damit umzugehen, weil verbieten lässt sich das nicht wirklich. Die Kinder würden es irgendwo schon anschauen. #00:22:03-8#

Anna Osicki: Und dann machen sie es heimlich! #00:22:05-4#

Grazyna Wanat: Und dann machen sie es heimlich, dann ist es besser, wenn das betreut wird. Aber Medienkompetenz, auch bei Erwachsenen ist schon so eine Geschichte. Was ich auch spannend finde, du hast eine Art Mission, und das bedeutet aber auch, dass du meistens oder fast immer gute Laune verbreitest und das ist natürlich toll, und ich sehe das schon auch, dass das zu deinem Wesen auch gehört. War aber auch nicht immer in der meinem Leben so und man kann auch nicht immer gut gelaunt sein, und bestimmt gibt es auch schlechtere Tage. Und hast du nicht das Gefühl, dass du ein bisschen unter Druck stehst, immer positiv zu sein, auch wenn du ganz schlecht gelaunt bist? #00:22:51-4#

Anna Osicki: Ja, also ganz am Anfang war das so, gerade nach der Amputation, aber eher darauf bezogen. Ich lag im OP und in der Zeit haben die Medien schon berichtet, und ich wusste aber nichts davon, und du wirst wach und siehst das, und dann bin ich entlassen worden. Dann stand schon das erste Kamerateam vor der Tür, ohne mich überhaupt zu Fragen, und solche Sachen. #00:23:16-0#

Grazyna Wanat: Geht das überhaupt? #00:23:19-2#

Anna Osicki: Ja, das geht! #00:23:19-2#

Grazyna Wanat: Also ich würde sagen, das geht eigentlich nicht ohne deine Genehmigung. #00:23:22-8#

Anna Osicki: Ja, eigentlich nicht, aber sie stehen halt trotzdem da und das war so die ersten Monate, vor allem nach der Amputation war es für mich sehr schwer, weil ich wollte erstmal im Leben ankommen. Ich wollte erst mal damit klarkommen, ein Bein weniger zu haben, aber du konntest nicht dir die Zeit nehmen, weil jeden Tag was anderes war, und das war so bisschen eine Schattenzeit. Aber mittlerweile, ich habe gesagt, das, was ich machen möchte, mache ich und alles, wo ich weiß, okay, das tut mir gerade nicht gut, das mache ich dann auch nicht. Also ich hab dann schon gelernt, ne Grenze irgendwann zu ziehen und zu sagen, hey, jetzt kann ich aber auch nicht mehr. #00:24:04-1#

Grazyna Wanat: Mhm, ja, aber diese Doku, wie viele Teile sind es? #00:24:09-5#

Anna Osicki: Ich glaube, vier Teile. #00:24:11-9#

Grazyna Wanat: Diese Doku hat auch schon vorher angefangen, noch vor der Amputation, das hast du genehmigt? #00:24:20-1#

Grazyna Wanat: Ja! #00:24:20-1#

Grazyna Wanat: Und wie haben die Produzenten dich gefunden? Wie sind die auf dich gekommen? #00:24:26-2#

Anna Osicki: Das ist eine gute Frage. Ich habe da erst vor paar Tagen drüber nachgedacht, aber ich glaube, über Instagram. #00:24:31-3#

Grazyna Wanat: Mhm. #00:24:31-8#

Anna Osicki: Okay. #00:24:32-4#

Grazyna Wanat: Und Alex war auch in dieser Serie, aber ihr habt euch schon vorher gekannt? #00:24:37-2#

Anna Osicki: Ja! #00:24:37-2#

Grazyna Wanat: Und er wurde auch unabhängig von dir angesprochen. Oder hast du den Tipp gegeben? Da kenne ich noch jemanden, oder hat er auf dich hingewiesen? #00:24:46-2#

Anna Osicki: Nee, wir wurden auch gleichzeitig angefragt. Die haben halt gesehen, okay, das ist so eine wahnsinnige Freundschaft, das wäre gut, und ja! #00:24:55-4#

Grazyna Wanat: Ja, das ist so eine tolle Geschichte. Du und Alex. Ist diese Freundschaft nach wie vor so toll? #00:25:01-6#

Anna Osicki: Ja klar! Man sieht sich selten, weil er einfach in Köln wohnt und ich hier, aber wenn man sich sieht, dann ist es wie, als hätte man sich jeden Tag gesehen. #00:25:12-6#

Grazyna Wanat: Ich werde die Serie verlinken und auch zu deinen Profilen, und dann können sich unsere Zuhörer*innen auch ein bisschen anschauen, weil es ist wirklich schön anzuschauen, auch wie ihr euch gemeinsam präsentiert. Auch ja, wir haben in unserem Podcast eine Art "Meckerecke", das heißt, man kann da einmal wirklich schlecht gelaunt ein bisschen schimpfen über das, was einem gerade sehr nervt. Was wäre das bei dir? #00:25:46-3#

Anna Osicki: Was nervt mich? Es sind eher so allgemeine Themen, glaube ich, so wie die Prothese passt oft nicht. #00:26:04-9#

Grazyna Wanat: Mhm. #00:26:05-0#

Anna Osicki: Gerade so, wenn es wärmer wird, man lagert mehr Wasser ein und dann hat man Schmerzen. Ein weiteres Thema ist die Sportprothese. #00:26:17-5#

Grazyna Wanat: Aha! #00:26:18-3#

Anna Osicki: Ja, das ist auch so ein allgemeines Thema, wo ich sage, das darf eigentlich nicht sein, weil Sportprothesen nicht genehmigt werden und ich finde, ich durfte die einmal testen. Ich finde, jedem sollte dieses Gefühl zustehen können, zu rennen oder wieder aktiv im Leben teilzuhaben und das macht mich schon ein bisschen traurig, ein bisschen wütend. Der Moment war so wunderschön. Als Kind zum Beispiel wird dir das genehmigt, oder wenn du in der Schule bist, und danach wird es dir weggenommen und erklär das mal diesem Kind dann, was alles machen konnte, im Leben teilhaben konnte, und dann auf einmal: "Zack weg". Du stehst dann da. Es ist so eine Leichtigkeit, was dir einfach fehlt, wenn du eine Beinprothese hast, weil du kannst nicht einfach losrennen oder mal schneller gehen, wenn du den Bus hinterherrennen muss oder sonstiges, und das fehlt schon. Ja! #00:27:22-4#

Grazyna Wanat: Mhm, und was kostet so eine Sportprothese, wenn man sich so einen kaufen will? #00:27:27-9#

Anna Osicki: 10.000 Euro. Aber das ist ein mini Bruchteil von einer Beinprothese, wie jetzt meine. #00:27:37-1#

Grazyna Wanat: Mhm, Okay. #00:27:38-9#

Anna Osicki: Darf ich den Betrag sagen? #00:27:40-2#

Grazyna Wanat: Ja, natürlich, wenn du den weißt. #00:27:42-1#

Anna Osicki: Ja, also nur das Gelenk, also ohne Fuß, ohne nix kostet 68.000 Euro. #00:27:49-4#

Grazyna Wanat: Mhm, Okay. #00:27:50-5#

Anna Osicki: Und deswegen sage ich ja, das ist der einzige Punkt, was mir fehlt, weil ich liebe Sport, aber wo ich mich auch noch einsetzen möchte für andere. Lieber verzichte ich für mich darauf, aber dafür mache ich jemand anderen damit glücklich, und deswegen ist es so ein Thema, was ich schon noch gerne größer machen würde. #00:28:10-2#

Grazyna Wanat: Mhm, ach, so, mehrere Fragen gleichzeitig. Noch kurz ein bisschen zu diesen negativen Geschichten. Die Leute, die dich anschreiben, die sind auch oft verzweifelt. #00:28:26-1#

Anna Osicki: Ja! #00:28:26-1#

Grazyna Wanat: Hast du keine Angst vor diesen Emotionen und von diesem Leid, dass sie dich ein bisschen runterziehen können? #00:28:36-4#

Anna Osicki: Nein, ich glaube aber, es liegt auch daran, dass ich in der Pflege gearbeitet habe und man da schon Leid mitbekommt. Man muss halt sehen, okay, wenn die Person mir schreibt, du kannst Tipps geben und auch wenn du vielleicht nicht das Leben verändern kannst, kannst du vielleicht die Situation gerade ein bisschen besser machen, und das darf man auch nur sehen. #00:28:59-4#

Grazyna Wanat: Du hast gesagt, dass du dann Instagram schließen kannst oder deine sozialen Medien schließen kannst, um dann in das Private gehen kannst. Aber das kannst du nicht wirklich. Weil du so sichtbar wirst, hast du gesagt, du wirst angesprochen, und ich habe dieses kleine Video gesehen, wo du hier über den Gewerbemuseumsplatz, vor unserer Einrichtung läufst, ohne Prothese, tatsächlich mit Krücken und hinter dir ein Kind ganz laut ruft: "Schau, sie hat nur ein Bein", und du drehst dich um und lachst. Und das fand ich so schön, auch deiner Reaktion. Aber da habe ich mir auch gedacht, wann wird es dir zu viel? Welche Aktionen sind noch okay? Und vor allem, wenn das ein Kind ist, ist es irgendwie so selbstverständlich, so reagieren Kinder halt. Aber wann sind diese menschlichen Reaktionen für dich zu viel oder nicht okay? #00:29:55-8#

Anna Osicki: Ich hatte den Punkt eigentlich noch gar nicht, wo mir das zu viel wird. Ich finde eher gerade auch so, was Kinder bezogen ist. Mir gefällt oft die Reaktion der Eltern nicht, aber ich verstehe beide Seiten, die Eltern, denke ich, okay, vielleicht mag die Person das gerade nicht, aber ich würde mir eher wünschen, dass entweder die Eltern aufklären oder sagen, hey, geh doch mal hin, frag doch, oder wir gehen zusammen hin. Da ist natürlich jeder unterschiedlich. Nicht jeder, der jetzt irgendwas, irgendeine Behinderung oder ähnliches hat, ist da so offen. Aber ich finde, wenn man aufklärt, dann gerade für Kinder, ist es irgendwann nichts mehr Besonderes. Dann sehen die den Menschen so, wie er halt ist, ob er jetzt ein Bein hat oder zwei Beine oder gar keins, das spielt dann keine Rolle mehr. Teilweise hast du so Reaktionen, wo die Eltern das Kind wegziehen und sag ich mal schimpfen, und das finde ich halt so schade, weil du siehst es halt nicht jeden Tag. Also, ich hätte genauso reagiert als Kind, wenn da jemand halt vorbeiläuft, mit einem Bein weniger, dann hätte ich auch was zu meiner Mama gesagt. Dann würde ich aber nicht sagen, wie kannst du nur so was sagen, weil das Kind ist halt erstaunt, es sieht sowas halt nicht jeden Tag, und dann liegt es halt an den Eltern, es richtig zu erklären oder wie auch immer. #00:31:18-9#

Grazyna Wanat: Man sieht definitiv nicht jeden Tag so eine Person, zum Beispiel auch mit einer glitzernden Prothese. Und wirst du dann auch tatsächlich so angesprochen? Kommen Leute und sagen, ach, komm, lass darüber sprechen, oder kannst du mich aufklären oder kannst du mir was dazu sagen oder stellen direkte Fragen, passiert das auch oder wirst du nur angeschaut? #00:31:41-7#

Anna Osicki: Selten, also eher angeschaut, aber zum Beispiel am Wochenende, das fande ich so süß. Da kam auch eine Omi zu mir und meinte: "Hey, mein Enkelkind ist so fasziniert von deiner Prothese. Können wir, oder könnt ihr zusammen ein Bild machen, oder kann ich ein Bild von euch beiden machen?" Sie trägt auch eine Beinprothese schon von Baby an und ist so auf die Welt gekommen, und die war so fasziniert von dieser Prothese. Ich fande es so süß, dass sie mich gefragt hat ob wir ein Bild zusammen machen können, ohne dass sie mich kennt oder ähnliches. Das ja, fand ich schön. #00:32:18-1#

Grazyna Wanat: Das stimmt. Du bist Influencerin. Heißt das, dass du damit Geld verdienst, und kannst du von diesem Geld leben oder ist es nur ein kleiner Nebenverdienst? #00:32:30-5#

Anna Osicki: Man kann gut davon Leben, aber es ist nicht mein Ziel, also es war noch nie. Ich will wieder in die Pflege zurück. Das ist mein größter Wunsch, und dass soll auch mein Beruf weiterhin bleiben, und heißt aber nicht, dass ich das andere nicht gerne mache oder nicht weiterhin mache. Auf jeden Fall. Aber ich will noch mehr Gutes tun, und ich will noch mehr Menschen erreichen, und wenn ich beides zusammen machen kann, ich glaube, dann bin ich der glücklichste Mensch. #00:32:58-4#

Anna Osicki: Und wie stehen die Aussichten? #00:32:59-0#

Anna Osicki: Hm fraglich, ich weiß es nicht. Jetzt gerade noch nicht. Ich muss erst mal schauen, dass die Prothese passt, dass ich wirklich auch jeden Tag aufstehen kann und sagen kann: "Okay, jetzt passt sie, mir geht's gut", weil wenn ich jetzt wieder in den Beruf gehen würde, ich wäre alle zwei Tage krank und es wäre dann auch nichts in der Sache. #00:33:20-9#

Grazyna Wanat: Wie sehr unterscheidet sich die Anna vor der Krankheit von der heutigen Anna?Also ich meine, an deiner Persönlichkeit. Was hat sich da geändert oder nichts? #00:33:31-3#

Anna Osicki: Doch ich bin viel glücklicher. Ich mecker nicht so viel, oder ich mecker vielleicht über andere Dinge, aber ich bin viel offener, offener auch fürs Leben. #00:33:44-4#

Grazyna Wanat: Mhm ja, da öffnen sich noch zwei Ecken in unserem Podcast gleichzeitig. Also außer Meckerecke haben wir noch eine Ecke für Glücksmomente. Was macht dich besonders glücklich? #00:33:58-3#

Anna Osicki: Einfach, dass ich wieder zwei Beine habe, auch wenn das jetzt nicht mein Bein ist, aber es ist irgendwo ja mein Bein so. Ich glaube einfach diese Leichtigkeit, wiederzuhaben. Jeden Morgen aufzustehen und zu sagen: "Okay, ich kann wieder gehen, ich kann wieder Treppen gehen", das wäre nie wieder so gewesen. Und jeden Tag stehe ich auf und denke mir, ich bin so froh, dass ich diese Amputation gemacht habe. Das klingt blöd für jeden. Ich glaube, wer wünscht sich das? Aber ich glaube, wenn man das auf die Jahre bezieht und darauf, dass ich das nie wieder hätte so erleben können, das macht ein so glücklich. #00:34:46-4#

Grazyna Wanat: Mhm, ja, man schätzt natürlich das Leben völlig anders. Ja und die letzte Ecke, die wir bei uns haben, heißt "Gerne Lernen". Wir sind natürlich eine Bildungseinrichtung und bei uns geht es hauptsächlich ums Lernen. Und übrigens, wenn du hier vorbeiläufst, kennst du überhaupt das Bildungszentrum? Hast du überhaupt einen Kurs bei uns besucht? #00:35:10-7#

Anna Osicki: Nein, also ich kenne es aber habe noch keinen Kurs besucht. #00:35:14-9#

Grazyna Wanat: Aber womit verbindest du das? Was sind deine Assoziationen? Was kann man an so einem Bildungszentrum machen? #00:35:23-0#

Anna Osicki: Vielleicht auch Fortbildungen? #00:35:25-7#

Grazyna Wanat: Das erste was den meisten bei dieser Frage einfällt, sin die Sprachkurse, und das haben wir tatsächlich. Alle möglichen Sprachen kann man bei uns lernen. Was würdest du gerne frei und unabhängig vom Bildungszentrum, wenn du frei noch was lernen könntest und Zeit hättest? Und was würdest du gerne noch lernen? #00:35:48-8#

Anna Osicki: Oh gute Frage. #00:35:50-7#

Grazyna Wanat: Du hast so viele Sachen komplett neu lernen müssen und fällt dir im Moment nichts ein, dann habe ich vielleicht ein paar Ideen. #00:36:06-5#

Anna Osicki: Da wird mit Sicherheit was dabei ist, denn ich habe so eine Ahnung. #00:36:10-2#

Grazyna Wanat: Ich gespannt aber natürlich. Vor unserem Gespräch haben wir einen kurzen Spaziergang durch die Stadtbibliothek gemacht, und auch auf der Musiketage ist mir schon aufgefallen, dass du besondere Sachen magst. Das habe ich vorher nicht gewusst. Aber ich habe gedacht, zum Beispiel, ja, ich weiß nicht, ob das erste auf der Liste was für dich wäre. Da haben wir Sachbuch des Monats, also jeden Monat besprechen wir ein Sachbuch. Im Juni haben wir zum Beispiel ein Comic Buch zum Sachbuch des Monats erklärt und da wird in diesem Buch in kurzen gezeichneten Geschichten über Frauen gesprochen, die eigentlich unbekannt blieben, weil sie im Schatten von ihren Männern standen. Wäre zum Beispiel ein Vorschlag. Oder wir haben ein Literaturfestival, und zur Eröffnung kommt der Autor und macht eine Lesung, und sie sagt: "Leben, schreiben, atmen. Das gehört alles zusammen". Man bekommt auch Tipps, wie man Bücher schreiben kann. Das wäre was vielleicht für dich weil? #00:37:19-5#

Anna Osicki: Ich möchte ein Kinderbuch schreiben. #00:37:21-1#

Grazyna Wanat: Du möchtest ein Kinderbuch schreiben? Ich finde es super spannend. Wir haben jede Menge Schreibkurse, ich zeig sie dir später. Oder zum Beispiel im September haben wir einen Kriminalgeschichten- Rundgang durch die Nürnberger Altstadt unter dem Titel "Mörder, Fälscher, Messerstecher", also die Stadt aus einer völlig anderen Perspektive kennenzulernen. Wie haben auch Sommer Malkurse, ich weiß nicht, ob Malen dein Zeug ist. #00:37:51-6#

Anna Osicki: Ich zeichne schon seit meiner Kindheit. #00:37:52-8#

Grazyna Wanat: Schau mal her, und fünf Sachen habe ich mir nur aufgeschrieben, aber wir haben natürlich Tausende von Kursen. Das letzte, was auf meiner Liste steht, heißt "Selbstkompetenz und Selbsterfahrung, Selbstverteidigung gegen negative Informationsflut vom richtigen Umgang mit negativen Nachrichten". #00:38:13-7#

Anna Osicki: Ein wichtiges Thema. #00:38:17-0#

Grazyna Wanat: Bei uns kann man auch Theaterspielen lernen, singen, Stimmbildung, Angebote ohne Ende. Was wäre von dieser Liste für dich am interessantesten? #00:38:28-2#

Anna Osicki: Auf jeden Fall mit Musik. #00:38:30-7#

Grazyna Wanat: Mhm. #00:38:31-2#

Anna Osicki: Bücher schreiben, aber auch Malen. Ich mag alles. #00:38:36-1#

Grazyna Wanat: Schau dir die Sachen an, vielleicht sprechen wir dann später drüber. Ich würde dich gerne in einen Kurs zum probieren einladen. #00:38:44-7#

Anna Osicki: Ja immer gern. #00:38:45-6#

Grazyna Wanat: Ich bedanke mich für das Gespräch und hoffe, dass die Aufnahme geklappt hat. #00:38:49-9#

Anna Osicki: Vielen, vielen dank. Es war schön! #00:38:51-0#

 

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Mit gerade einmal 25 Jahren musste sich Anna Osicki für eine Beinamputation entscheiden. Wie sie mit Ihrem Schicksal umgeht, ist beeindruckend.

Nach über 30 Operationen und jahrelangen Schmerzen entscheidet sich Anna Osicki, ihr Bein amputieren zu lassen. Aus ihrem Schicksal hat sie eine erfolgreiche Story gemacht, die auch anderen Betroffenen Mut schenkt. Die wachsende Popularität ihrer Social-Media-Kanäle zeigt auch, wie immer mehr Menschen auf ihre Geschichte aufmerksam werden.
Zur Zeit der Veröffentlichung des Podcasts zählt sie bereits bei Instagram (@mrsannna) 315.000 Follower*innen - mehr als doppelt so viele als während des Gesprächs, das vier Wochen davor aufgenommen wurde. Bei TikTok folgen Ihr 2,8 Millionen Menschen (@mrsxanna.lyx)! Im Podcast teilt sie ihre Geschichte, erzählt, welche Rolle in ihrem Leben die sozialen Medien spielen, wie eine (in ihrem Fall glitzernde!) Hightech-Prothese funktioniert und verrät, was sie glücklich macht.

Außerdem spannend:
Die vierteilige Serie „Cyborgs auf Instagram“ mit Anna und zwei weiteren jungen Menschen, die ihr Leben mit Hightech-Prothesen meistern.

 

 

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Aufgenommen am: Montag, 5. Juni 2023
Veröffentlicht am: Donnerstag, 13. Juli 2023
Moderation: Grazyna Wanat
Im Gespräch: Anna Osicki

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
Wen sollen wir noch befragen - haben Sie Ideen und Anregungen? Oder möchten Sie Ihre eigenen „Glücksmomente“ (manchmal am Ende des Interviews zu hören) an uns schicken? Schreiben Sie uns an!