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Vier Bestsellerautorinnen, können Bücher Menschen beeinflussen und die Gesellschaft verändern?

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Grazyna Wanat: Guten Tag, Herzlich willkommen zu der bereits 44. Folge unseres Podcasts. Heute haben wir was ganz Besonderes vor. Wir präsentieren einen Mitschnitt des Gesprächs, das zur Eröffnung des Literaturfestival Sechs Tage Nürnberg geführt wurde. Vier Autorinnen haben unterschiedliche Erzählformen gewählt, um über aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse zu erzählen, und ich dürfte mit ihnen darüber sprechen. #00:00:33-0#

Deniz Ohde: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:40-5#

Grazyna Wanat: Guten Abend! Herzlich willkommen beim Eröffnungsgespräch des Literaturfestivals Text in Nürnberg. Mein Name ist Grazyna Wanat und ich spreche heute mit vier wunderbaren Gästen. Zwei von ihnen sind hier im Raum in Nürnberg und zwei werden live zugeschaltet. Und bevor ich meine Gäste Ihnen vorstelle, möchte ich ganz kurz sagen, wo wir sind und was wir hier überhaupt machen. Das Konzept des Festivals unterscheidet sich von anderen Literatur Festivals dadurch, dass in den Mittelpunkt des Festivals nicht das Lesen, sondern das Schreiben steht. Und deshalb bitten die Autorinnen, die zu uns kommen, dieses Jahr tatsächlich ausschließlich Frauen, sogenannte Meisterklassen, also zweitägige Kurse für kreatives Schreiben an, und dann gibt es auch mit den Autorinnen öffentliche Lesungen, die jedoch viel mehr Gespräche mit dem Publikum sind, wo es immer um bestimmte Aspekte des Schreibens geht. Also wir machen ein bisschen die Geschichten hinter den Büchern sichtbar. Und auch das wollen wir heute machen uns gemeinsam Texte anschauen, ihre Entstehungsgeschichten und ihre erwünschte und auch tatsächliche Rezeption. Und wir stellen uns gemeinsam die Frage Wie viel Macht haben Texte, wie viel Macht können und wollen sie haben? Und können sie Prozesse, Benachteiligungen, soziale Ausgrenzungsmechanismen sichtbar oder sichtbarer machen? Meine Gesprächspartnerinnen heute vor Ort mit so viel Kümmel. Ihr aktuelles Buch Der Debütroman Kind zu gehen, wurde mit einem Literaturpreis der Jürgen Ponto Stiftung und dem Aspekte Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosa Debüt 2019 ausgezeichnet und war auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. In Ihrem Buch geht es um das Zusammenleben einer Außergewöhnlichen Patchworkfamilie. Ein schwules Paar. Der ältere Freund und dessen Tochter treffen sich am Wochenende in der Uckermark und es entwickelt sich ein psychologisch raffiniertes Kammerspiel. Hallo Frau Kühmel. #00:03:09-5#

Miku Sophie Kühmel: Hallo. #00:03:10-2#

Grazyna Wanat: Auch vor Ort. Julia Friedrichs Autorin, Filmemacherin, Journalistin. Sie arbeitet vor allem für die Zeit, den WDR, die ARD und das ZDF für ganz viele Buchstaben. In den letzten Jahren war sie Autorin der Filme Neuland, Heimatland und Ungleichland. Sie hat mehrere Sachbücher veröffentlicht. Wie Wir erben, was Geld mit Menschen macht und 2008 den Bestseller Gestatten Elite. Für ihre Arbeit hat Julia Friedrichs zahlreiche Preise gewonnen, unter anderem den Grimme Preis. In dem aktuellen Buch Working Class stellt sie die These, dass das Aufstiegsversprechen in Deutschland schon längst nicht mehr funktioniert. Ich zitiere aus dem Buch Arbeit hat verloren, Kapital hat gewonnen. Alexandra und seit zwei Protagonisten des Buches stehen nun auf der falschen Seite. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland steht da. Hallo in Nürnberg, Frau Friedrichs! #00:04:11-3#

Julia Friedrichs: Hallo. #00:04:11-7#

Grazyna Wanat: Aus Leipzig zugeschaltet. Deniz oder auch eine Debütantin, die mit ihrem Erstlingsroman Streulicht für viel Interesse gesorgt hat. Auch sie ist wie Microsoft mit ihrem Roman gleich auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelandet. Und auch sie hat einen Literaturpreis, den Jürgen Ponto Stiftung und den Aspekte Literaturpreis erhalten. Das Buch Getreulich stand auf mehreren Bestsellerlisten. Die Protagonistin des Buches Streulicht ist eine junge Aufsteigerin in der Arbeiterschicht, die sich während eines Besuches in der Heimatstadt an ihre Kindheit und Schulzeit in den 90er Jahren erinnert und an die Ausgrenzungen und Zuschreibungen, denen sie permanent ausgesetzt war. Guten Tag, Frau Ohde. #00:05:00-6#

Deniz Ohde: Hallo. #00:05:01-4#

Grazyna Wanat: Aus Berlin zugeschaltet Emilia Roig, Gründerin und Direktorin des Center for Intersektional Justice. Emilia Roig lehrte in Deutschland, Frankreich und den USA. Intersektionalität, Critical Race Theorie und postkoloniale Studien sowie Völkerrecht und Europarecht. Als Politologin und Aktivistin hat sie europaweit Vorträge zum Thema Intersektionalität, Feminismus, Rassismus, Diskriminierung, Vielfalt und Inklusion. Und sie ist Autorin. Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Englisch und Französisch. Sie ist Interviewpartnerin in Sibylle Berg. Bestseller Nerds retten die Welt. In ihrem Buch Why Mutter beleuchtet sie, wie Zustände, die wir für normal halten, wie zum Beispiel die Bevorzugung der Enge des menschlichen Körpers in der Medizin oder der Kanon klassischer Kultur historisch gewachsen sind. Guten Tag, Frau Roig. #00:06:02-8#

Emilia Roig: Guten Tag. #00:06:03-6#

Grazyna Wanat: Okay, mit den zwei Sachbüchern in der Runde wollte ich eben anfangen, und zwar ausgehend von vielleicht dem offensichtlichsten Aspekt, nämlich von dem Titel. Es ist mir aufgefallen, dass beide Titel ähnlich konstruiert sind, nämlich mit einem englischen Titel und einen deutschen Untertitel Und. Und das Interessante für mich ist auch, dass beide Bücher Fragen stellen, die eigentlich ein bisschen irritierend sind, weil das so naheliegende Antworten sind, wie zum Beispiel Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können. #00:06:40-1#

Julia Friedrichs: Ist ja keine Frage, ist ja eher eine Feststellung. Also der Titel Working Class. Den habe ich gewählt, weil ich das Gefühl hatte, dass wir neue Wörter brauchen, um eine Gruppe zu beschreiben, von der es oft heißt Die gibt es in Deutschland nicht mehr, nämlich die Arbeiterklasse, die Arbeiterschicht. Viele sagen, das ist Vergangenheit, und ich glaube, das liegt vor allem auch an alten Worten, an alten Begriffen. Wenn man Arbeiterklasse sagt, denkt man in Deutschland entweder an die DDR oder man denkt an den Kohlekumpel untertage oder zumindest den Fabrikarbeiter in einer großen Belegschaft. Alle männlich, alle weiß. Und daraus, dass diese Gruppen geschrumpft sind oder es eben mit der Mitte die DDR eben nicht mehr gibt, ziehen viele den Schluss Es gibt keine Arbeiterklasse mehr in Deutschland. Und ich wollte klar machen mit dem Begriff, ob es jetzt der sein muss oder ob man andere findet, dass das falsch ist. Für mich ist working class sind die Menschen, die allein aus Arbeit heraus leben müssen. Ich richte mich da an alle US Ökonomen aus, die auch die Trennung Machen. Wer hat Vermögen, Wer hat kein Vermögen? Also Vermögen als große Trennlinie der Gesellschaft? Und wenn wir das als als Trennlinie nehmen, dann müssen wir sagen Die Hälfte der Menschen in Deutschland hat kein nennenswertes Vermögen, ist also lebt im Wesentlichen aus Arbeit heraus. Und das ist eben eine Gruppe, die sich verändert hat. Die ist mehr in den Dienstleistungsberufen unterwegs, sie ist weiblicher, sie ist diverser, und sie ist eben nicht mehr in so großen Belegschaften organisiert, sondern vereinzelter, atomisierter. Und um dieser Gruppe eben neuen Begriff und sie in die Diskussion wieder reinzuholen, habe ich eben dieses Wort gewählt. Ich bin aber auch damit einverstanden, wenn es andere, bessere Begriffe gibt, um eine moderne Arbeiterklasse zu beschreiben. #00:08:31-3#

Grazyna Wanat: Es gibt in Ihrem Buch ein unglaublich plastisches Bild von der Vermögensverteilung in Deutschland. Das erzähle ich jetzt immer wieder, seitdem ich das Buch gelesen habe. Also man nehme, wenn man DIN A4 Blätter nehmen und stellt sich vor, dass ein Zentimeter auf dem Blatt 50.000 € Vermögen entspräche. So kann man problemlos 95 % der Bevölkerung auf einem Blatt abtragen. Und um bei den Reichsten zu landen, müsste man mehr als 23.000 Blätter verwenden. Das ist ein schockierendes Bild, würde ich sagen. Und deswegen würden Sie sagen, dass das Vermögen das Entscheidende ist und nicht das Einkommen. #00:09:15-4#

Julia Friedrichs: Genau. Wir sehen seit Mitte der 90er Jahre, dass sich das Vermögen vor allem am oberen Ende verselbstständigt hat. Das Problem ist man kann sich diese großen Zahlen gar nicht vorstellen. Deshalb finde ich auch dieses DIN A4 Blatt so hilfreich. Aber wir sehen eben In der Vermögensverteilung ist Deutschland eines der ungleichsten Länder der westlichen Industrieländer. Fast wie die USA, wo wir ja immer sagen Oh Gott, amerikanische Verhältnisse. 5 % der Menschen in Deutschland besitzen so viel wie die restlichen 95 %. Das ist die Trennlinie. Und mir haben Ökonomen in der Recherche zu Beginn der Recherche immer gesagt, warum es Vermögen so wichtig Vermögen ist. Eine Art Puffer ist eine Art Beschleuniger von Chancen. Und ich habe das bei den Menschen, die ich begleitet habe, während der Pandemie zum Beispiel bemerkt. Die hatten keine Rücklagen, kein Vermögen. Wie gesagt, wie fast die Hälfte der Bevölkerung. Und eine der Protagonistinnen oder Protagonisten, Alexandra und Richard, die sind Musikschullehrer auf Honorarbasis. Die unterrichten 110 Schülerinnen an sechs Musikschulen. Hoch, aktiv, wahnsinnig fleißig. Aber sie werden nur bezahlt, wenn sie die Stunde auch geben. Und als die Pandemie dann da war, wussten sie von einem Tag auf den anderen nicht. Wie werden wir denn die Familie über die Runden kriegen? Sie haben sofort Versicherungen gestoppt, Sie haben Zahlungen gestoppt. Sie haben mir gesagt, unser Geld reicht noch für einen Monat. und Alexandra hat sich direkt einen 450 € Job als Seniorenassistentin geholt. Und da ist mir klar geworden Auch ich bin selbstständig. Aber ich wusste, wie ich die nächsten drei, vier Monate überbrücken werde. Und man blickt komplett anders aufs Leben. Man ist nicht sofort mit dem Rücken an der Wand, man ist nicht sofort unter Stress. Und das, glaube ich, macht Vermögen so wichtig. In einer Zeit, in der Arbeit logischerweise brüchiger, flexibler, ja unkalkulierbarer geworden ist. Und deshalb wäre es so wichtig, dass gerade ein Land wie Deutschland es schafft, dass auch die ärmere Hälfte, also die die nicht vermögende Hälfte der Bevölkerung wieder vermögen, aufbaut. Das war ganz lange ein zentrales Versprechen der Bundesrepublik. Adenauer. Von dem ist es nicht so bekannt. Aber auch Erhards Wohlstand für alle, das war ganz lange, dass man gesagt hat, Das muss die Triebfeder sein, dass der Wohlstand sich in der Breite verteilt und das ist auch relativ lange ganz gut gelungen. #00:11:45-1#

Grazyna Wanat: Und damit ist es vorbei. #00:11:47-3#

Julia Friedrichs: Eindeutig ja. Vorbei ist es mir zu sehr. Quasi. Man überschreitet eine rote Linie, aber in der Tendenz sieht man eben, dass während bei denen, die in den westdeutschen Nachkriegsjahren zur Welt gekommen sind, haben fast 90 % die eigenen Eltern wirtschaftlich übertroffen. Also dieses Meine Kinder sollen es einmal besser haben. Das hat wirklich bei den allermeisten funktioniert. Wenn man die mit Geburtsjahr 1980 nimmt, also die nach Babyboomer, dann sieht man eben, dass nur noch 50 % die eigenen Eltern wirtschaftlich übertreffen. Jetzt kann man sagen, in einem vermögenden Land, da kann es nicht immer aufwärts gehen. Es können nicht alle immer und immer wohlhabender werden. Aber wir sehen eben vor allem, dass das da nicht mehr gelingt. Der Aufstieg durch eigene Anstrengung, wo es besonders nötig wäre, also bei denen, wo es in den Familien eben keine, keine großen finanziellen Möglichkeiten gibt, also der Aufstieg vor allem derer, die in den unteren 20 % zur Welt gekommen sind, der Vermögens, der Einkommensverteilung. Das gelingt immer, immer schlechter. Und bei den Menschen, die ich begleitet habe, zum Beispiel bei Zeit, der in Berlin die Bahnhöfe reinigt, der dafür, als ich ihn kennenlernte, 10,56 € brutto die Stunde verdiente, der aufstocken gehen musste, bevor sein Sohn eine Lehre bekommen hat, da habe ich das eben gespürt. Sein Hauptantrieb ist Ich mache das, um meinen Kindern eine gute Chance zu ermöglichen. Und wenn er das Gefühl bekommt, egal was ich tue, ich werde das nicht erreichen, mein großes Ziel, dann wird das glaube ich, auf Dauer nicht nur für ihn persönlich zum Problem, sondern dann auch für das, was man so abstrakt zusammenhält, Zusammenhalt der Gesellschaft nennt. #00:13:28-7#

Grazyna Wanat: Und ich zitiere noch mal Während das Herz der Working Class schwächelt, pumpt das der Kapitalseite immer schneller, immer kräftiger. Auch weil die Regierungen der meisten wohlhabenden Länder entscheiden, dass die Arbeit die Hauptlast tragen solle, wenn es um die Finanzierung der gemeinsamen Aufgaben und der Sozialsysteme geht. Und jetzt stelle ich eine naive Frage Das ist doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Und wie kam es dazu, dass wir das alles so billigend in Kauf nehmen? #00:14:00-4#

Julia Friedrichs: Ja, es gibt nicht den einen Grund, die ich die eine Patrone, die quasi die working class getroffen hat. Man sieht tatsächlich, dass sich seit Ende der 80er Jahre ganz viele Entwicklungen gegen diese Gruppe verschworen haben. Also zum einen sind die Löhne nicht mehr angemessen gestiegen, die unteren 30 % der Einkommen haben sogar eine ganze Zeit real verloren. Seit Vater war auch Ungelernter ist LKW gefahren auf dem Berliner Großmarkt. Der hat kaufkraftbereinigt mehr verdient als seit heute und sagt zu seinem Sohn Mit deinem Gehalt hätte ich mir den Hintern abgewischt. Das heißt, die Löhne sind nicht gestiegen, die Sozialabgaben sind gestiegen, die Wohnkosten sind gestiegen. Und wir sehen eben das, was Sie gerade zitiert haben Wir bauen unseren, unser Land, das Sozialsystem im Wesentlichen auf Arbeit. Und das macht es natürlich für die schwerer, die nur die Arbeit haben, weil die müssen die die ganze Last. Um es mal so ich das ist gut, dass wir dieses Sozialsystem haben, aber die müssen das tragen, die müssen das finanzieren und das war lange eben auch okay. Aber wir haben jetzt nun mal Vermögen, die ein Ausmaß angenommen haben, dass sie eben eine Komponente sind, die wahnsinnig wichtig ist. Und wenn man die einen belastet, die Arbeit und die Vermögen gar nicht. Es gibt in Deutschland fast gar keine vermögensbezogenen Steuern, das Sozialsystem. Da werden Vermögen nicht nicht herangezogen. Dann passiert halt das, was offensichtlich ist Die einen heben ab und sind befreit und schweben davon und die anderen haben das Gefühl, wir kommen nicht mehr vom Fleck. Die Menschen, die ich getroffen habe, die sind ja nicht arm, die sagen alle, wir haben eine Unterkunft, wir haben auch ein Auto, wir wissen, was es zu essen gibt. Aber sie haben eben nicht mehr das Gefühl, durch ihre eigene Anstrengung was aufbauen, was erreichen zu können und das sichere Ufer zu erreichen, sondern sie haben immer denken immer okay, mit ganz viel Mühe können wir den Status Quo halten, aber wir haben nie den Eindruck, jetzt sind wir durch. Jetzt haben wir es geschafft, jetzt ist es uns gelungen. Und das ist was, wonach Sie sich aber sehr, sehr sehnen. Also das, was man früher Laufbahn oder Karriere oder so nannte, die sind alle in ihren 40er, das heißt, die haben es als alle Zeit. Zum Beispiel macht es seit 18 Jahren diesen Job und es würde ihm sehr viel besser gehen, wenn er das Gefühl hätte, sein permanentes Dasein, sein Pflichtbewusstsein sein, dass er den Job gut macht. Das würde in irgendeiner Art und Weise honoriert, anerkannt, anerkannt. Genau. Es geht auch ganz viel bei ihm um Respekt Seit seinen Job outgesourct ist, muss er. Zum Beispiel muss er sich eine U Bahn Karte kaufen, nachdem er den ganzen Laden sauber gemacht hat. Früher, als das noch die Festangestellten der Berliner Verkehrsbetriebe gemacht haben. Die Reinigung war bei denen, die U Bahn Fahrt zum Beispiel inklusive. Das sind natürlich Dinge, die mit Respekt zu tun haben. #00:16:53-7#

Grazyna Wanat: Wie kommen auf das Buch gleich wieder zurück. Aber jetzt wollte ich Frau ruhig fragen. Hoffentlich hört sie uns das jetzt besser. Okay, eigentlich am Anfang die gleiche Frage stellen wir Meter Wie kann man das fragen wie Meter Wie bedeuten alle genau so viel oder oder nicht? Und warum haben Sie sich eben auch für so einen zweiteiligen Titel entschieden? #00:17:16-0#

Miku Sophie Kühmel: Ja, also ich würde sagen, ich habe mich für einen englischen Untertitel, weil der Slogan Black Lives Matter eben nicht wirklich übersetzbar auf Deutsch ist. Und ich glaube, daraus können wir auch sehr viel leisten, über die Unterdrückung zu sprechen. Und am Anfang war ich mir nicht sicher. Aber ich dachte ja doch, das passt eigentlich. Und es ist natürlich eine rhetorische Frage, das ist ja keine Frage, das ist eine Selbstbehauptung. Das ganze Buch geht darum, also nicht zu sagen so Doktor, wir sind auch gleich wert, sondern wirklich zu sagen bisher, wann manche leben als wertvoll oder werden manche leben als wertvoller als andere. Und und deswegen müssen wir das erstmal anerkennen. Das, obwohl wir laut dem Grundgesetz alle gleich sind. Das sind wir de facto nicht. Und es gibt immer noch eine Hierarchie, die sehr wirkmächtig ist. Und es gilt darum, sie sichtbar zu machen. Und da ist Untertitel Das Ende. Das Ende der Unterdrückung. Es hat natürlich etwas Utopisches an sich, aber für mich die Utopie ist auch etwas, was wir brauchen, um Fortschritte zu machen. Das heißt, es keine soziale Fortschritte sind bisher passiert, Ohne dass wir im Hintergrund utopische Zukünfte ausgemalt haben und auch uns die Freiheit gegeben haben, darüber nachzudenken und überhaupt, ja uns die Hoffnung zu geben, dass es einmal passieren konnte. Die Sklaverei war einmal utopisch. Die Tatsache, dass zwei Frauen heiraten können und Kinder bekommen können, war auch einmal utopisch. Das ist eine Bundeskanzlerin. Gibt war utopisch in Wahlen und deswegen war es mir wichtig, auch diesen Aspekt im Buch zu haben und und auch sicherzustellen, dass wir, dass wir diese Hoffnung nicht verlieren und dass wir auch die Macht der Utopien mobilisieren. #00:19:10-2#

Grazyna Wanat: Auch in Ihrem Buch geht, wie gesagt, viel um Sichtbarmachung von Phänomenen und gesetzten Normen, die zu Ungerechtigkeiten führen, aber als ganz selbstverständlich von der Gesellschaft hingenommen werden und reproduziert werden. Und jetzt stelle ich die Frage, weil wir uns eben die Frage nach Texten und nach Macht der Texten herstellen wollen, können Texte wie ihr Buch, aber auch einige Titel mehr, die aktuell erschienen sind und sich mit diesem Thema beschäftigen, wie zum Beispiel von Alice Hass, Das kokette Auto. Etwas an der kollektiven Wahrnehmung ändern? Haben Texte, haben Bücher solche Macht, so eine Empathie für für allgemeine Empathie zu sorgen? Weil ich glaube, Empathie scheint für gesellschaftliche Veränderungen eine sehr wichtige Sache zu sein. #00:20:02-9#

Miku Sophie Kühmel: Also ja, absolut. Ich glaube tatsächlich, dass diese Bücher diese Macht haben und die Tatsache, dass alle Bücher, die Sie jetzt genannt haben, auch nicht das Bild also ich glaube, vor zehn, 20 Jahren wäre das gar nicht denkbar gewesen, dass so viele schwarze Frauen in kürzester Zeit Bücher zu dem Thema schreiben, ohne das es heißt okay, wir haben jetzt ein Buch, das reicht. Diese eine Perspektive wird vertreten für alle schwarze Frauen bleibt hier, was wir übrigens niemals sagen würden über ein Buch, das von einem weißen Mann geschrieben wird, auch über ein Thema. Das heißt diese, diese, dieses mangelnde Privileg der Individualität ändert sich auch dadurch. Und ja, die Wahrnehmung ändert sich. Das heißt, viele Leute erleben Unterdrückung nicht persönlich. Ich glaube, dass viele Menschen es erleben, aber merken nicht oder können das nicht artikulieren. Das heißt, es gibt ein Bauchgefühl, dass irgendwas nicht stimmt oder dass eben das, dass die Macht auch ausgeübt wird, aber dennoch ohne es zu benennen. Und mein Wunsch oder meine Meinung, mein ja, mein Wunsch war, dass Menschen sich wiederfinden in dem Buch, dass sie merken okay, das was mir passiert ist oder wie ich mich damals gefühlt habe, hatte nicht nur mit meiner eigenen Wahrnehmung zu tun. Das war keine individuelle Situation, sondern es hat etwas Strukturelles an sich und. Und ja, in diesem, in dieser Hinsicht können Bücher unsere Perspektive ändern. Sie können auch zu Paradigmenwechsel beitragen. Und ja, das ist das Schöne daran, weil auch sie leben länger. Bücher, also zum Beispiel das Buch von zu viel Geld, wurde in 2017, ist in 2017 erschienen und ist erst in 2020 zum Bestseller geworden nach dem Mord. Das heißt, es gibt auch eine Temporalität an Büchern, die auch sehr wichtig ist, weil es zeigt uns, wie viele Fortschritte wir machen oder nicht in der Gesellschaft. Und jetzt reden wir von drei Jahren. Aber es gibt auch Bücher, zum Beispiel die Bücher von Octavia Butler in den USA, die in den 60er Jahren geschrieben wurden und erst in 2020, nachdem sie schon gestorben war, zum Bestseller geworden sind. Das Gleiche auch so, dass die Bücher von James Baldwin haben ein Revival erlebt, auch in den letzten Jahren. #00:22:23-1#

Grazyna Wanat: Beide haben sie in ihren Büchern eine Methode angewendet, das Persönliche in den Mittelpunkt zu stellen oder private Geschichten, um über allgemeine Phänomene zu sprechen und diese zu illustrieren. Und Frau Friedrich begleitet einige Menschen, die ganz private Geschichte erzählen. Und Frau Reusch geht vielleicht in gewisser Weise noch einen Schritt weiter, weil sie eigene persönliche Geschichten, ganz berührende, aber sehr, sehr, sehr private Geschichten erzählt aus eigener Biografie, um gleichzeitig eine sehr allgemeine Geschichte zu erzählen. Und beide würde sich gerne fragen, warum sie sich für diese Methode entschieden haben. Warum haben Sie sich dafür entschieden? Und setzen Sie sich nicht den Vorwürfen aus, dass das Anekdotische keinen Wert oder wenig Wert für fundierte Erzählung der gesellschaftlichen Entwicklungen hat? Frau Friedrich. #00:23:21-5#

Julia Friedrichs: Also ich habe mich dafür entschieden, weil ich Reporterin bin und das ist meine Profession, ist genau so zu erzählen. Dieser Vorwurf kommt manchmal selten, überraschend selten. Ich hatte damit häufiger gerechnet, von sehr wirtschaftsliberaler Seite. Aber ich habe ja die Menschen nicht beliebig ausgewählt, weil ich dachte, das sind ganz nette Geschichten. Sondern die Arbeit passiert ja vorher, dass ich mir überlegt habe, was sind denn die Menschen, die die Entwicklung, die ich vorher in den Statistiken und in den Gesprächen mit Expertinnen und Politikerinnen analysiert habe? Was sind denn die Menschen, die für diese Entwicklung stehen? Und wenn wir mal beiseite zum Beispiel bleiben, dem Bahnhofreiniger, da steht er dafür, dass Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge zum Beispiel privatisiert wurden, outgesourced wurden. Er steht. Dafür habe ich schon gesagt, dass die Generation der Eltern gerade bei Ungelernten oftmals mehr verdient hat und eher das Gefühl hatte, wir haben ein sicheres Leben als die Generation der Kinder. Und ich fand seinen Beruf als jemanden, der die Ubahn reinigt, auch noch mal als jemanden wie einen Seismograf für das, was in der Stadt passiert, was er erlebt und das ja sein Gefühl ist. Das Elend der Stadt landet am Ende auch noch bei mir und er hat das Gefühl, es wird schlimmer. Die Stimmung wird aggressiver, er ist dem mehr ausgesetzt, den den Verwerfungen. Insofern greift der Vorwurf finde ich, gar nicht, weil es immer die Einordnung, immer den Beleg geht wer steht wofür? Warum genau diese Person mit ihrer Geschichte. Und das ist einfach erzählerischer Journalismus, das ist eben das Handwerk. #00:25:07-1#

Grazyna Wanat: Und Frau Reich. Gibt es überhaupt eine neutrale, universelle Perspektive? Damit setzen Sie sich auch in dem Buch auseinander. Deswegen stelle ich gerne auch diese Frage an Sie? #00:25:20-0#

Miku Sophie Kühmel: Ja. Nein, die gibt es nicht. Und das ist auch aus diesem Grund, weil das ist ein wissenschaftliches Buch, das ich geschrieben habe auch. Also es gibt Teile, die wirklich wissenschaftlich sind und ich wollte auch dieses Mythos brechen und zeigen, es gibt nicht die Wissenden und diejenigen, über denen geforscht wird. Es gibt nicht diejenigen, die objektiv, neutral und rational sind und erzählen können und Wissensproduktion und Wissen produzieren können und die anderen, die nur Erfahrungen haben. Man kann Gleichheit also gleichermaßen, also man kann Erfahrungen haben, man kann Emotionen auch zeigen und gleichzeitig Wissen produzieren. Und das war mir ganz wichtig zu zeigen Unterdrückung geht uns alle an, es betrifft uns alle, auf manchen Ebene weniger oder auf manchen Ebene auf der privilegierten Seite und auf anderen auf der Benachteiligungsseite. Aber ich wollte auch nicht den Eindruck erwecken, dass wir über Unterdrückung sprechen können und uns komplett als Menschen loslösen von der Debatte. Deswegen. Es war für mich auch intuitiv. Das war jetzt nicht, dass ich dachte okay, als Methode werde ich das verwenden oder vielleicht doch am Anfang. Also es gibt auch eine eine Methode in den rechtlichen Rechtswissenschaften von Storytelling und vor allem was aus den USA kommt und vor allem auch aus den Critical Race Theory, wo es darum geht, eben Unterdrückung sichtbar zu machen und zu analysieren. Aber ich habe das dann gar nicht thematisiert. Also das war für mich selbst. Also das war eine Selbstverständlichkeit, dass ich das machen würde, einfach nur, weil ich wollte auch auf die emotionale Ebene gehen. Ich wollte, dass Menschen sich wiederfinden können. Ich wollte auch mich verletzlich zeigen und sagen Okay, ich kann trotzdem eine. Also meine Sicht über Unterdrückung ist nicht weniger legitim oder nicht weniger objektiv sozusagen, weil es keine Objektivität sowieso gibt als ein weißer Mann, der heterosexuell ist und zum Beispiel über Homophobie, über Rassismus und und über Sexismus sprechen würde. Und das ist mir dann danach auch passiert. Also als ich mein Buch auch schon herausgegeben hatte, war ich auf einem Panel und ein weißer Professor hat einen Bericht über Rassismus vorgestellt und er wurde eingeführt als. Und hier haben wir Professor so und so, der seine Expertise auch zeigen wird, über Rassismus seinen Bericht vorstellen möchte. Und als ich dran war, dann hieß es Und jetzt haben wir Freunde, die aus der Betroffenen sperspektive sprechen wird. Und das muss ich, das muss ich auch sagen. Also das heißt, in dieser Situation habe ich auch gesagt, wenn ich aus der betroffenen Perspektive rede, dann möchte ich gern, dass Sie auch den Herr Professor so und so einladen und sagen Okay, und jetzt hören wir aus der Täterperspektive zum Beispiel deswegen Diese Dichotomie ist für mich sehr schädlich. Und sie zeigt auch, wie die Hierarchie wirkt auf sehr subtile, dennoch machtvolle Art und Weise. #00:28:14-6#

Grazyna Wanat: Subtile und machtvolle Weise. Das ist auch ein super Stichwort für das Buch von Dennis, oder? In Ihrem Buch kommen einige von diesen Aspekten zur Sprache, von denen wir gerade jetzt auch gesprochen haben. Also soziale Ausgrenzung, auch Armut, Aufstiegschancen oder fehlende Aufstiegschancen, Bildungsversprechen und auch Rassismus und diskriminierende Zuschreibungen. Zuerst wollte ich nach der Form fragen, wie Sie sich entschieden haben. Sie haben nämlich einen Roman geschrieben. Was stand am Anfang? Die Protagonistin, die Geschichte oder das Thema, für das Sie zuerst eine Form gesucht haben? #00:28:58-4#

Emilia Roig: Eigentlich weder noch. Also ich. Für mich stand am Anfang der Ort. Also dieser Roman spielt ja an einem Ort, der so halb Stadt und halb Land ist und an einem Industriepark liegt, der die Landschaft bestimmt. Und dieser Ort war eigentlich das allererste, was für mich da war. Also diese Landschaft hat mich interessiert. Diese Industrie. Schnee, der da fällt. Und aus diesem Ort ist dann erst diese Protagonistin entsprungen. Eigentlich, wie sie das dann selber im Text auch an einer Stelle benennt. Und aus diesem düsteren Ort ist dann auch diese düstere und etwas melancholische Person dann entsprungen. Also. Und dass ich dann gemerkt habe, auf welche Themen ich hinauswill, das hat sich danach erst entwickelt. Also ich bin dann mit dieser Erzählerin durch diesen Ort gegangen und bin dann halt in diesem Zimmer von dem Vater gelandet. Und dort habe ich dann gemerkt, okay, ich berühre hier diese Themen Arbeiterklasse und Aufstieg und Gewalterfahrungen auch. Ja. #00:30:03-4#

Grazyna Wanat: Das ist immer toll zu hören. Man hat immer im Kopf so ein Bild. Eine Schriftstellerin, die komplett die Idee von Anfang bis zum Schluss hat, bevor sie sich zum Schreiben hinsetzt. Und dann erfährt man, dass es gar nicht so war, dass da dass die Geschichte erst geboren wurde. Im Laufe des Schreibens finde ich super spannend. Und Sie haben eine Figur eines Mädchens in diesem Buch kreiert, das andauernd von klein auf widersprüchliche Signale bekommt. In der Schule soll sie lauter sprechen und zu Hause soll sie leise sein. Und wenn sie rassistisch beleidigt wird, dann weiß ihre Mutter das ab. Das kann nicht sein, Du bist ja Deutscher. Und das Mädchen vermutet, dass irgendetwas mit ihr nicht nicht stimmt, weiß aber nicht genau, was das ist. Ist das der zweite Vorname, der lieber geheim bleiben sollte? Oder sind das vielleicht die Augen oder das kaputte Zuhause, für das sich das Mädchen schämt? Und es ist sehr bedrückend zuzuschauen, wie sie ständig ebenso subtilen, wovon wir schon gesprochen haben, so subtilen Ausgrenzungen und Abwertungen ausgesetzt wird. Und sie selbst versteht gar nicht, was mit ihr geschieht. Eigentlich. Und und niemand nimmt das nur wahr. Mit mir stimmt irgendetwas nicht. Und da ist tatsächlich ein Punkt, an dem ich sehr starke Gemeinsamkeiten zwischen dem Roman und den beiden Sachbüchern sehe. Weil auch hier geht es wieder um Sichtbarmachen von etwas, was da ist und wir damit leben, als ob das gar nicht da wäre und nehmen das wirklich nicht wahr. Und auch die Betroffenen nehmen das oft gar nicht wahr. Das ist sehr perfide an dieser Art von Ausgrenzung. Und was steht diese, diese Mädchen diesem Kind in dem Buch wirklich so im Weg? Das diskriminierende Schulsystem, ihre soziale Herkunft, vielleicht ihr Geschlecht, das empathielose Umfeld oder die eigene Unfähigkeit, die Realität richtig einzuordnen. #00:32:11-5#

Emilia Roig: Ja, ich würde sagen, das greift eben alles ineinander. Und mir war es auch eben wichtig, genau diese subtilen Mechanismen von Unterdrückung sichtbar zu machen, aber eben auf eine literarische Art und Weise. Und ich hatte auch das Gefühl, dass ein literarischer Text sich dafür am ehesten eignen würde als eben eine analytische oder wissenschaftliche Auseinandersetzung. Und ich wollte eben genau zeigen, dass es nicht die eine Antwort gibt. Also man kann jetzt, man könnte über diese Erzählerin nicht sagen, ja, sie hat einen Migrationshintergrund, deswegen wird sie diskriminiert, sondern es sind eben mehrere Faktoren und auch persönliche Faktoren. Aber ich wollte eben auch zeigen, wie diese persönlichen Faktoren, diese Charaktereigenschaften, die sie auch daran hindern, selbst zu realisieren, dass sie tätig werden kann, dass sie eine Entscheidungsmacht hat über ihr eigenes Leben. Also wie die auch zustande gekommen sind, dass sie nicht aus dem Nichts gekommen sind und dass es vor allem nicht um Schuld geht oder so, Also das war so mein Gedanke. #00:33:19-2#

Grazyna Wanat: Die Protagonistin kann auch als ihr Alter Ego gelesen werden und das wird gerne gemacht. In manchen Besprechungen habe ich schon einiges gelesen oder gehört und dann wird die Autorin nach autobiografischen Bezügen gefragt. Meine Frage wäre Wie gehen Sie damit um? Finden Sie solche Schlussfolgerungen berechtigt und in Ordnung und in Ihrem Sinne oder eher irritierend? #00:33:46-9#

Emilia Roig: Also ich verstehe das Interesse natürlich. Also ich kann das schon irgendwie nachvollziehen, dass man die Frage gerne stellt und aber meine Antwort habe ich das Gefühl, hört dann meistens niemand, weil die Leute gerne halt hätten, dass ich das bin. Aber ich bin das halt nicht auf die Art und Weise. Ich habe zwar so eigene Erfahrungen verarbeitet und meinen eigenen Bildungsweg auch nachgezeichnet, aber eben mit einer Figur, die charakterlich ganz anders aufgestellt ist als ich selbst. Und ich habe eigentlich kurz oder? Die Zeit, bevor der Roman erschienen ist, habe ich schon natürlich damit gerechnet, weil wenn man den Icherzähler verwendet, dann wird man das halt gefragt. Und ich habe halt auch eigentlich beschlossen, das so zu ignorieren. Denn wenn Leute das irgendwie nicht richtig verstehen und letztendlich, wenn es eigentlich war, dass so eine Besprechung, die den Ausschlag gegeben hat, wo ein Journalist behauptet hat, es sei ein autobiografischer Text, einfach so, ohne dass ich das je behauptet hätte, selbst dann ist das ja eigentlich seine schlechte Arbeit. Also es hat ja nichts wirklich mit mir dann zu tun. #00:35:02-7#

Grazyna Wanat: Deshalb ja die Beziehung Autorin Text ist auch im Fall von Frau Kümmel ganz besonders eine interessante Geschichte. Ja, das Buch. Zunächst wollte ich sagen, das Buch fehlt vielleicht leicht aus dem Rahmen, den wir gerade heute gezeichnet haben. Weil es geht in diesem Buch um schwule Männer, die wir zunächst assoziativ als benachteiligte und von Ausgrenzung betroffene Gruppe lesen und dann, sobald wir anfangen, den Roman zu lesen, bewundern, wie zuerst dieser Wechsel der Perspektiven, den sie betreiben. Das finde ich wirklich unheimlich toll, was Sie da gemacht haben. Aber es wird immer klarer, dass es auf keinen Fall um Benachteiligungen wegen der Homosexualität in diesem Buch geht und gehen wird. Und es geht um eine Beziehung, eine etwas komplizierte, wie das oft bei den Beziehungen ist. Aber die sexuelle Orientierung ist hier nicht die Quelle des Leidens, der Ausgrenzung. Die ist einfach da, wie die Heterosexualität der Protagonisten in anderen Büchern einfach da ist. Und da haben wir ein Beispiel von einer Minderheit, die einen emanzipatorischen Leidensweg gegangen ist, aber zum Absolvierte sozusagen und zum Befreiung gekommen ist. So kann man es vielleicht formulieren. Und war das auch Ihr Ziel, als Sie angefangen haben, das Buch zu schreiben, tatsächlich über Homosexualität als etwas Neutrales und Ballast Befreites zu schreiben, zu erzählen? #00:36:46-7#

Deniz Ohde: Also ich glaube, ich kann ja gar keine Sachbücher schreiben. Ich kann ja nur Romane schreiben und ich werde häufig oder wurde auch schon häufig nach dem Ersten gefragt, was da war. Und das sind eben ganz viele Sachen und eines davon war die Idee, dass ich gerne über ein queeres Mittelalter schreiben wollte. Dass es zwei Männer sein würden, hat sich dann so ergeben, weil ich schreiben wollte über so eine bestimmte familiäre Beziehung, die ich nennen würde, die ja über kreuzgeschlechtliche Eltern Kind Beziehung, das heißt über die Beziehung von Müttern zu ihren Söhnen und die Beziehung von Vätern zu ihren Töchtern. Und dann war die Idee Wäre das nicht interessant, man hätte das so wie so Sedimentschichten überlagert, Man hätte nur eine Generation Mütter. Das sind die Mütter der drei Männer. Die drei Männer heißen Max und Tonio, und es geht um deren Erinnerung an ihre Mütter. Es geht um die selber als Söhne und es geht um die selber als Vaterfiguren für diese Pilger. Die Tochter des einen, die aber auch so ein bisschen die Tochter der anderen beiden ist, weil das eigentlich so eine Familienkonstellation ist, die sehr eng zusammensteht und das so hat sich das eigentlich ergeben, dass das queere Thema, was mich aber eh lange schon beschäftigt, da so mit reinkam. Und Emilia hat vorhin gesprochen von dem Wert der Utopie und ich glaube, angesprochen darauf würde ich, würde ich sagen, dass mein Buch ein bisschen so eine leise Utopie ist. Man weiß, man merkt das kaum, aber das sind natürlich weiße Männer. Hier geht gerade ein Rollo runter. Irgendwo. #00:38:23-2#

Grazyna Wanat: Ja, die gehen automatisch hoch, aber das war's. #00:38:26-2#

Deniz Ohde: Also das sind natürlich weiße Männer. Und das sind auch Männer, die Geld haben. Und auch ein junges Mädchen, was verhältnismäßig für eine Studentin relativ gut aufgestellt ist, weil sie irgendwie mit Vermögen aus ihrem Hintergrund arbeiten kann. Das heißt, die sehen, die stehen erst mal relativ gut da. Und es ist tatsächlich so, dass es keine Coming Out Story ist, sondern es sind eben diese Männer, die einfach eine Beziehungskrise haben und alle vier Protagonistinnen stehen an so einem Wendepunkt in ihrem Leben. Gerade da verändern sich Dinge, die zumindest ein paar Jahre lang immer sehr gleichbleibend waren. Und natürlich geht es schon um so eine Vergangenheit. Das denke ich immer, wenn ich die erste, das erste Kapitel vorlese, in dem Max und Rick auch Sex miteinander haben, dass das was ist, was bis 1994 in der BRD ein Straftatbestand war, Homosexualität auszuleben. Von daher ist das alles auch gar nicht so lange her. Und wenn man jetzt die aktuelle Berichterstattung um das Spiel gegen Ungarn verfolgt hat und die Frage nach der Regenbogenbeleuchtung und soweiter und wie schnell da auch wieder so so homophobe Tendenzen und ich sag mal lieber heterosexistische Tendenzen, weil homophob klingt nach so einer Angst, aber eigentlich ist es eher eine Aggression. Die kommt dann doch schnell wieder zum Vorschein. Und gerade weiße, Schwule cis Männer sind vielleicht nicht der Teil der queeren Gruppe, die auf den ersten Blick die größte Marginalisierung, Marginalisierung, Erfahrung haben aktuell. Nichtsdestotrotz gibt es auch immer wieder schnell so eine Tendenz, das abbügeln zu wollen, das nicht so sichtbar haben zu wollen. Es gibt nach wie vor systemische Diskriminierung und ich fand jetzt ganz interessant in dieser Berichterstattung, die ich gerade angesprochen habe, wie schnell man zum Beispiel auch in den Kommentarspalten usw überall die Reaktion sagt Jetzt ist aber mal gut, jetzt haben wir ja zwölf Stunden lang über diese Regenbogenfarben geredet und jetzt muss es auch mal wieder reichen. Oder wir sind gerade noch im Juni. Das ist der so ausgerufene Pride. Ganz viele große, also Corporations. Große Firmen malen sich jetzt gerne so das Regenbogenlogo um auch macht so ein bisschen für sich selbst damit Werbung zu machen, um ihr eigenes Logo rum oder setzen das irgendwie, setzen das irgendwie ein. Und da gibt es eben auch gerne den Vorwurf, dass sich damit dann eher geschmückt wird, weil man sich auf der einen Seite natürlich darüber freut, dass es so eine Art von Sichtbarkeit ist, aber auf der anderen Seite das eben immer mit diesem kapitalistischen Hintergrund, den diese Firmen haben, so einen Beigeschmack hat. Und vor allem dann, wenn es wie bei BMW zum Beispiel passiert, dass das nur in den Ländern, in denen Homosexualität nicht in dem Sinne offiziell verpönt ist, durchgezogen wird. Diese ganze Kampagne und natürlich in Ländern, in denen es noch illegalisiert oder zumindest Frauen ist, da wird das nicht gemacht. Das sind, das sind alles zweischneidige Schwerter. Und deswegen ist es vielleicht ein bisschen versteckter, das Thema der Marginalisierung. Aber gerade der Gedanke oder die Erinnerung an diesen Paragraf 175. Der ist auch im Buch noch thematisiert, weil die Männer jedenfalls den Anfang ihres Lebens quasi noch in so einer Art Illegalität verlebt haben und das alles gar nicht so lange her ist. #00:42:06-7#

Grazyna Wanat: Ich würde gerne auch noch kurz zurückkommen zu diesem Thema Perspektive. Und wer darf über was erzählen und was das Autobiografische? Welche Rolle das spielt? Ich fand es nämlich sehr spannend, eine Rezension, die ich in einem queeren Onlinemagazin sitze, gelesen haben. Können Sie bestimmt, oder? Oder nicht? #00:42:31-1#

Deniz Ohde: Ich glaube ja. #00:42:32-1#

Grazyna Wanat: Also ich zitiere gerne. Es ist noch immer eine Ausnahme, dass heterosexuelle Autoren und Autorinnen sich ihre Hauptfiguren in den queeren Vielfalt suchen. Kein Zug von Microsoft Kümmel ist eine solche Ausnahme und verdient deshalb Beachtung. Und danach folgt eine etwas distanzierte Besprechung, die so endet. An Mut, sich in fremde Lebenswelten einzufühlen, mangelt es ihr jedenfalls nicht. Wie sie zum Beispiel Männersex gleich auf der ersten Seiten beschreibt, ist verblüffend gekonnt, wenn sie eines Tages ihre eigenen Themen findet. Muss sich, muss sie sich keine Pappkameraden mehr vorführen. Darauf kann man gespannt sein. Und ich finde es so interessant, dass man festlegt, zuerst ihre sexuelle Ausrichtung vermeintliche und dann definiert, was die eigentlich sagen dürfen oder nicht dürfen. Und meine Frage wäre eben, wie ist es mit der Position der sprechenden Person? Welche Rolle spielt sie dann bei der Rezeption und ergeben sich aus der persönlichen Betroffenheit besondere Berechtigungen? Darf man für über welche Themen schreiben oder darf man eben nicht, wenn man zu irgendeiner Gruppe nicht gehört? #00:43:52-5#

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Deniz Ohde: Ja, das ist interessant, dass Sie gerade diese Rezension rausgepickt haben, weil das natürlich ein schwules Magazin, ein queeres Magazin ist. Und da sind mehrere Dinge interessant. Grundsätzlich muss ich dann immer so ein bisschen schützend vielleicht oder verzeihlich sagen Natürlich ist das auch erst mal eine Überforderung. Eine junge Frau, die nicht aus der Perspektive einer jungen Frau schreibt, ist direkt tendenziell. Damit rechnet man irgendwie in der deutschen Literaturbranche nicht. Das findet man irgendwie ungehörig, das versteht man nicht. Und es gibt eine einen Verriss im Cicero, auf den ich sehr stolz bin, in dem das auch bemängelt wird. Was denn diese junge Frau denn das Jung und das Frausein wird auch immer wahnsinnig betont an meiner Identität als Autorin. Was die sich denn für alte Männer interessieren würde, was aber direkt so einen unguten Unterton hat. Beim Sissy Maker ist jetzt der Nebenaspekt, dass sie sofort meine Sexualität Thematisieren, die sie nicht kennen und die sie auch missgedeutet haben. Das hat damit zu tun, dass es eben auch in der queeren Community manchmal noch Perspektiven gibt, die so ein bisschen unten durchfallen und zum Beispiel bisexuelle Personen sind sowas, was schnell überlesen wird. Das ist auch total interessant, dass in meiner leisen Utopie, wie ich sie nennen würde, jeder mit jedem schlafen kann, solange das irgendwie unter Consent läuft und es gar nicht darum geht, wer welchen welches Label sich selbst gibt. Labels können manchmal ja hilfreich sein, um sich selbst ein bisschen zu finden oder zu wissen, wo sortiert man sich ein oder wie vernetzt man sich mit anderen usw. Aber für mich war das, was diese Protagonisten angeht, eigentlich nicht so relevant. Da sind Max und drei, die lieben sich so und dann gibt es auch noch diese anderen zwei Leute und das sind auch Beziehungen, die aber ein bisschen anders funktionieren und von der Rezensent Innenseite, musste aber sofort ein homosexuelles Paar gehen und den bisexuellen Freund und die heterosexuelle Tochter. Und das war so, das war so lustig, weil ich selbst das nie so gesagt habe. Und es tröstet mich dann aber, dass es auch immer wieder hinterfragt wird. Es gibt eine Hörbuchfassung vom Buch und eine Hörerin schrieb mir, als sie das gehört hatte Es gibt gegen Ende des Buches. Die junge Frau hat Liebeskummer und leidet darunter. Und dann gibt es den Satz im Epilog, dass sie irgendwann klarer sehen wird, was heißen sollte, Sie erholt sich so ein bisschen von diesem ganzen Liebeskummer. Und diese Hörerin schrieb mir, sie würde das so toll finden, dass bisexuell sei, weil sie ja klarer sehen würde. Und natürlich habe ich das nicht korrigiert, weil ich all diese Lesarten irgendwie mit offenen Armen empfangen und ich eigentlich gehofft hatte, dass das sozusagen, ja, dass meine Sicht da auch noch häufiger geteilt wird. Aber das ist eben das sind Baby Steps. Weil auch queere Themen gar nicht so super repräsentiert sind in der Literaturlandschaft, wie man das denken würde oder wie ich das am Anfang vermutet hätte. Das wird gerade immer mehr, aber das Sprechen darüber ist einfach noch nicht so, so weit vielleicht. Und auf der anderen Seite respektiere ich das auch, wenn mir zum Beispiel ein schwuler Mann, der das rezensiert, da seine Perspektive zu mit in seine Rezension schreibt. Natürlich, weil der Text gehört dann ja immer auch den Leserinnen ein Stück weit und deswegen kann ich das dann auch abgeben in dem Moment. #00:47:24-1#

Grazyna Wanat: Sie haben das Wort Identität benutzt und jetzt muss ich leider das schreckliche Wort Identitätspolitik wieder nennen. Haben wir vielleicht alle schon ein bisschen satt? Aber trotzdem, glaube ich, ist es interessant, darüber zu sprechen, weil ich habe das Gefühl, alle diese Bücher sind ein Teil der aktuellen identitätspolitischen Debatte und Identitätspolitik wird auch unterschiedlich definiert für euch. Sie haben auch an unzähligen Debatten teilgenommen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Würden Sie uns sagen, was ist Ihrer Meinung nach diese berühmte Identitätspolitik? #00:48:02-9#

Miku Sophie Kühmel: Identitätspolitik ist nichts weniger als Bewegungen für die Befreiung. Das sind Befreiungsbewegungen, das sind Bewegungen, die da sind, um sich von den unterdrückenden Muster und Systemen zu befreien. Und unterdrückte Gruppen eigentlich. Es gibt diese implizite Erwartung, dass unterdrückte Gruppen einfach ihre Situation akzeptieren. Und wenn unterdrückte Gruppen für sich stehen wollen und Nein sagen und einfach sagen, so nein, Keine Diskriminierung mehr, keine Unterdrückung mehr, auch keine Ungleichheit mehr. Dann natürlich wird es auch dafür sorgen, also für Unruhe sorgen und auch für Widerstand. Was ich sehr störend finde, ist, dass wir die Debatte wie es erlauben, dass die Debatte lenkt in eine Richtung, die weiterhin auch definiert wird von den Menschen mit den meisten politischen, wirtschaftlichen und kulturelle Macht. Das heißt, im Moment haben manche Leute wirklich Probleme mit Identitätspolitik. Sie haben Probleme mit der Befreiung von unterdrückten Menschen und es geht nur darum Und ich würde denken, ja, also dann können die Menschen, also diese Menschen, ein bisschen wütend sein. Wir müssen nicht dafür sorgen, dass es ihnen gut geht dabei. Wir müssen nicht so ihre Gefühle und ihren Widerstand und ihren Trigger sozusagen zentrieren. Das ist aber was passiert. Und genau deswegen. Also ich rede immer wieder in und ich mische mich ein auch in der Debatte. Aber ich behalte auch diese Linie, um zu sagen, das ist jetzt nicht komplex. Wir haben nicht mit einem komplexen System zu tun. Wir haben nicht mit einem komplexen Thema zu tun. Identität strukturiert unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten. Das ist jetzt nicht neu, Das sind nicht Frauen und People of Color, Schwarze Menschen, LGBTI, Menschen, die jetzt plötzlich auf Identität oder. Ja, dass sie denken okay, lass uns Identitäten nutzen sondern genau Identitäten sind da wurden auch benutzt. Und jetzt? Die Schwierigkeit in der Debatte hat eben mit diesem Widerstand zu tun. Es hat mit dem Widerstand zu tun, was von den Menschen, die über die meiste politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht verfügen. #00:50:21-1#

Grazyna Wanat: Ja, aber es wird auch oft behauptet, dass Identitätspolitik die Harmonie stört, was natürlich lächerlich ist, aber auch, dass die kleinere Gruppen genau kleinere Gruppen hervorhebt, die gegenseitig konkurrieren. Also hat sie im Endeffekt eine destruktive, spaltende Macht für die Gesellschaft. #00:50:45-8#

Miku Sophie Kühmel: Also nein. Teile und Herrsche als Strategie wird schon seit Jahrhunderten benutzt. Und dann natürlich in der Identitätspolitik. Wenn mehrere Gruppen auch eben für sich selbst auch ein Raum schaffen wollen, dann könnte es dazu führen. Und das wird auch. Das ist auch eine der Risiken und es ist auch eine der negativen Effekte. Es kann eben zu zu Spaltung führen innerhalb dieser Gruppen. Aber das ist nicht die Identitätspolitik, die daran schuld ist, sondern das ist die weiße Vorherrschaft, das Patriarchat und der Kapitalismus, der eben diesen ganzen Menschen und in ihrer Benachteiligung eben gespaltet hat. Und also es gibt auch eine andere Debatte und das ist dann interessant, dass sie auch beide da sind, weil es gibt also jetzt mit dem Buch zum Beispiel von Sahra Wagenknecht, wo gesagt wird Ja, es geht um Klasse. Das Klasse ist das Hauptproblem. Und dazu sage ich Nein, das ist nicht das Hauptproblem und das kann man nicht trennen von Geschlecht und von ethnischer Herkunft, von Migration, Status etc. und auch nicht von Behinderung, wenn wir auch Behinderung mit einbeziehen, was wir eigentlich tatsächlich sollten, sondern wir schauen und das in der Arbeiterklasse. Working class. Überproportional Frauen vertreten sind überproportional Menschen mit Migrationshintergrund aus ethnischen Minderheiten schwarze Menschen vertreten sind und überproportional von Menschen mit Behinderung. Deswegen es gibt keine Sache als eine reine Klasse, die losgelöst ist von den anderen Merkmalen, von den anderen Kategorien. Das ist spaltet. Das ist eben das Spiel von Teile und Herrsche. Und deswegen Identitätspolitik an sich ist nicht das, was spaltet die Reaktion und die die, die, die sehr machtvolle Muster oder Taktiken und Logik von Teile und Herrsche und Hierarchisierung sind das. Also es ist eine Verschiebung der Debatte. Das wäre sozusagen ja der Feminismus Spalte. Deswegen sollten wir es loswerden. Es ist eigentlich keine gute Idee. Nein, oder? Ja, also ein Kampf für Gerechtigkeit, auch aus der Arbeiterklasse weltweit ist das, was auch spaltet. Nein, ist es nicht. Das ist die Reaktion darauf. #00:53:08-1#

Julia Friedrichs: Ja, ich würde da ganz gerne anknüpfen, weil mich das tatsächlich auch furchtbar nervt in der Debatte gerade um die Working Class, dass man so tut. Das wäre eine homogene Gruppe, und die bestünde aus weißen Männern, die gerne Fleisch essen und die deshalb, wenn diese Themen aufkommen, sich sofort an den Rand gedrängt fühlen. Ich glaube, Menschen sind fähig, mehr als eine klare Identität zu haben. Sie können eine ökonomische Identität haben. Da gehört man ohne Vermögen dann vielleicht zur marginalisierten Gruppe. Sie können eine geschlechtliche Identität haben, eine religiöse Identität haben. Sie können eine Identität haben qua Herkunft oder nicht. Das heißt, Identität setzt sich aus ganz, ganz vielen Bausteinen zusammen. Und mich hat das sehr empört. Gerade die die Diskussion, die es in der Sozialdemokratie gab, von älteren Sozialdemokraten und die ja jetzt auch von Sahra Wagenknecht aufgebracht wird, hat das Gendersternchen verhindert, dass sich die SPD noch um die Arbeiterklasse kümmert? Ich finde, das ist wirklich eine Schwachsinnsdualität, weil ich würde der SPD zutrauen, dass sie beides machen kann, dass sie sich um sprachliche Repräsentanz kümmern kann und dass sie gleichzeitig die ökonomischen Sorgen und Nöte Von Menschen wie Said ja behandelt. Und es wird sicherlich mit Sicherheit auch queere Bahnhofsreiniger geben, die trotzdem in derselben Lage wie Said sind. Auch seine Migration, seine Migrationsgeschichte spielte für seine Geschichte jetzt auch gar nicht so eine herausgehobene Rolle, sondern er war da ähnlich wie wie seine Kollegen, die da nicht nicht die Migrationsgeschichte hatten. Also das finde ich wirklich sehr, sehr eindimensional. Was mir aber trotzdem wichtig ist, ist, dass wir darauf achten, dass es eine ökonomische Gruppe geben kann. Wie auch von dir angesprochen zum Beispiel vermögende schwule Männer, die dann eben auf der, wenn wir die ökonomische Komponente betrachten, auf der Gewinnerseite stehen. Und das ist natürlich was, wo man auch präzise sein muss und wo man sagen muss, ja, das ist dann eine Gruppe, wo man sich ökonomisch dann vielleicht gerade mal nicht kümmern muss. Aber bei der rechtlichen Gleichstellung sind sie noch marginalisiert. Bei der Geschichte vielleicht. Also dass ich mir einfach da mehr Präzision, mehr Klarheit wünschen würde. Und als letzten Punkt das ich Aber trotzdem Wenn ich eine Gefahr sehe, dann die, dass eine die Sprache nicht zu akademisch werden kann, nicht zu verkopft. Und dass wir dadurch aufpassen, dass wir nicht Menschen ausschließen in manchen Diskursen, dass dann gesagt wird, wichtiger ist jetzt die präzise Sprache als das, was ihr sagen wollt. Also da sehe ich schon manchmal, manchmal die Gefahr, dass dann Menschen Angst haben, an Diskursen teilzuhaben, weil sie denken Oh, ich hab jetzt ein paar Entwicklungen der neuen Begrifflichkeiten verpasst. Ich kann vielleicht gar nicht mitreden, Ich will nichts falsch sagen, dann sage ich lieber gar nichts. Und das glaube ich, ist schon ein Problem. Das man, das man angehen muss, dass man sagt, wichtig ist erst mal, dass alle gehört werden, dass alle das Gefühl haben, sie dürfen reden. Gerade die Working Class ist eine Gruppe, die lange kaum vorkam. Nicht in Filmen, nicht in Romanen. Das ändert sich zum Glück. Jetzt ändert sich das langsam auch in Streulicht, was ich wirklich auch unter dem Aspekt sehr, sehr, sehr gern gelesen habe. Und ich glaube, da darf man die Hürden nicht zu hoch setzen, dass Menschen nicht das Gefühl haben, sie können so viel, so viel falsch machen. Aber das hat nicht nur mit Gender korrekter Sprache zu tun, sondern genauso mit einer sehr substantivierten Sprache, mit einer formalen Sprache. Es gibt ja ganz viele Sprachen, die Menschen ausschließen. Und dass wir uns jetzt an dieser einen quasi so aufhängen, zeigt auch, dass das am Ende gar nicht darum geht, sondern ein Stellvertreterkrieg ist. Und es geht denen, die sagen Oh, die Gender Gender Sprache schließt Menschen aus. Denen geht es in Wahrheit gar nicht darum, sondern die benutzen das nur. #00:57:15-9#

Grazyna Wanat: Es gibt genügend viele Behörden, Briefe zum Beispiel, die man bekommt und überhaupt nicht versteht, was da. Und niemand kümmert sich darum, dass diese Sprache nicht verständlich ist. #00:57:25-7#

Julia Friedrichs: Oder Schulbriefe, also meine Kinder gehen in Schulklassen, in denen viele Eltern Migrationsgeschichte haben. Da frage ich mich oft wie um. Warum kümmert sich niemand darum, dass alle, die die Schulbriefe wirklich auch verstehen können? Also nicht nur, dass sie in verschiedene Sprachen transferiert werden, sondern einfach von der Art, wie gesprochen wird. Das ist ja sehr, sehr oft aus ganz vielen anderen Gründen ausschließen. #00:57:49-6#

Grazyna Wanat: Also würden Sie sagen, schon abgesehen von der Sprache nicht, dass es so eine Art Aufmerksamkeitkonkurrenz gibt und dass diese Identitätspolitik das wichtigere Soziale überdeckt, was manche auch behaupten. #00:58:03-5#

Julia Friedrichs: Also ich vertraue sehr fest darauf, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit mehreren Themen gleichzeitig widmen können. Und ich glaube, dass man den Menschen damit auch nicht überfordert. Und man kann auch gegen verschiedene Ungleichheiten gleichzeitig kämpfen. Und wenn man das nicht tut, ist dieser Kampf am Ende dann auch ein bisschen sinnlos. Ich beschreibe ja in meinem Buch Die westdeutschen 80er als Zeit einer größeren ökonomischen Gleichheit, aber ohne jede Nostalgie. Weil es war natürlich eine furchtbare Zeit für Frauen. Es war eine furchtbare Zeit für Menschen, die nicht in das Norm Raster, was damals ja noch viel, viel enger war, gepasst haben. Und deshalb würde ich auch niemals sagen dahin soll es zurückgehen, sondern dass wir versuchen, einen Teil der ökonomischen Sicherheit, die sich damals geboten hat, zu transferieren in eine liberalere, offene, offene Welt. Das wäre ja die, die Utopie da. #00:58:58-7#

Grazyna Wanat: Genau da haben Sie mich schon wieder ein Stichwort gegeben Utopie. Ich würde gerne, nachdem wir ein bisschen diese Missstände beschrieben und haben und darüber gesprochen haben, ein bisschen über diese Utopien sprechen. Was haben wir für Rezepte und Ideen für die Zukunft? Wie können wir das alle machen, dass es besser wird? Frau Roy, Sie sprechen von radikaler Solidarität. Was sollte das sein? #00:59:23-9#

Miku Sophie Kühmel: Ja, radikale Solidarität ist auch ein Begriff. Es ist manchmal schwierig zu begreifen, was genau damit gemeint wird. Und ich glaube radikale Solidarität. Es gibt mehrere Ebenen. Eine Ebene davon ist eben das Ende der Unterdrückung, nicht als Gabe zu sehen. Das heißt, Gleichheit bedeutet nicht umgekehrte Unterdrückung. Das heißt, viele Männer, die von Feminismus getriggert werden, denken Oh, wenn Frauen mehr Rechte bekommen, dann verlieren wir etwas. Oder weiße Menschen denken mehr Rechte für schwarze Menschen. Und People of Color heißt weniger Rechte für uns und das gleiche auch für hetero Menschen und die Community. Und ich glaube, wir müssen jetzt einen Paradigmenwechsel vorantreiben, wo wir merken, dass Macht und Ressourcen sind nicht knapp. Also materielle Ressourcen schon, aber wir reden jetzt wirklich über so eine expansive. Also expansive Energien. Also ich rede auch darüber im dritten Teil des Buches und das nimmt auch eine spirituelle Wende, weil es eben wichtig ist zu sehen, dass wir alle von dem Ende der Unterdrückung gewinnen können. Das heißt, das heißt nicht mehr für die einen und weniger für die anderen zwangsläufig. Und deshalb hilft es uns, radikale Solidarität zu üben, weil dann sind wir losgelöst von dieser Angst, dass wir automatisch etwas verlieren, wenn wir uns mit Menschen solidarisieren, die weniger haben. Genau. Also uns als utopische Zukünfte. Ich würde sagen, es ist wichtig, auch nicht Angst vor dem Tod zu haben und von dem Tod von Systemen zu haben. In dem Buch spreche ich über das Ende der Unterdrückung. Natürlich. Aber das Ende der Unterdrückung wird nicht passieren, meiner Meinung nach. Ohne das Ende der Polizei und der Gefängnisse, ohne das Ende der Ehe als Institution natürlich. Ich rede natürlich nicht über Beziehungen und Ehe, aber das Ende der Ehe als Institution, das Ende der Lohnarbeit. Und wenn wir über die Arbeiterklasse sprechen und auch diese Erosion von Möglichkeiten von Einkommen. Die Tatsache, dass es reicht, nicht zu arbeiten in unserer Gesellschaft. Es ist auch mit, glaube ich, den Grenzen des Kapitalismus, der Kapitalisten, des Kapitalismus verbunden, dass das Ende der Lohnarbeit Ende des Geldes und. Jetzt rede ich wirklich über Utopie, weil es ist unvorstellbar für uns. Alleine. Das Ende der Polizei und der Gefängnisse ist unvorstellbar, geschweige denn das Ende von dem Ende des Geldes oder des Nationalstaates. Aber dennoch genau für mich. Eine Zukunft ohne Unterdrückung bedeutet ein Ende von diesen sechs Sachen. #01:02:05-0#

Grazyna Wanat: Das klingt interessant. Sehr utopisch. Tatsächlich. #01:02:08-4#

Julia Friedrichs: Also ich würde gerne von den Menschen sprechen, die ich begleitet habe, dass die relativ wenig Sehnsucht nach sehr großen Utopien haben, aber sehr große Sehnsucht nach der konkreten Lösung von Problemen, die sich ihnen hier und jetzt stellen und zum Beispiel das Ende der Lohnarbeit. Oder auch die Diskussion um das Grundeinkommen, die ja in vielen Kreisen kursiert, ist etwas, was ich von meinem Protagonisten nie gehört habe. Nicht von den dreien, aber auch von ganz vielen anderen, die ich begleitet habe, nicht. Das ist keine Sehnsucht, die jemals ausgesprochen wurde, sondern die Sehnsucht ist, besser bezahlt zu werden, anständig bezahlt zu werden, vielleicht weniger zu arbeiten und für das, was sie tun, respektiert zu werden. Aber eigentlich auf gar keinen Fall. Diesen Zusammenhang, den auch die Lohnarbeit bietet Kollegen, Leute, wo man Anerkennung findet. Ein Feld, auf dem man auch eine gewisse Professionalität, eine gewisse Profession erlangt, das aufzugeben. Und deshalb tue ich mich immer sehr schwer damit, gerade die Menschen, die ich begleite, denen Utopien auf zu stülpen. Die, die aus ihnen heraus zum Beispiel überhaupt gar nicht kommen. Weil ich bin ja, wer ist man denn? Man ist ja nicht der, der ihnen sagt, was sie, was sie träumen sollen, sondern das muss schon, muss schon aus ihnen kommen. Und sie haben sehr konkrete, sehr klare Träume, aber sehr viel mehr, die mehr zum System passen. #01:03:39-0#

Grazyna Wanat: Hm, ja, Sie sprechen auch viel mit Ihren Protagonisten über Ihre politische Entscheidungen. Und wir stehen ja jetzt kurz vor den Wahlen. Haben Sie das Gefühl, dass in diesen Wahlen das Potenzial für grundlegende Änderungen auf dem Gebiet der sozialen Ungerechtigkeiten steckt? #01:03:57-0#

Julia Friedrichs: Ich glaube, das ist eine wahnsinnig schwierige Frage. Ich hatte hatte da mal größere Erwartungen an diesen Wahlkampf, die jetzt so ein bisschen verpuffen, weil ich nicht sehe, dass es eine Partei gibt, die das entschlossen in den Mittelpunkt rückt. dieses dieses Thema. Ich glaube, wenn man tatsächlich so was wie so eine große Vermögensungleichheit, wie wir sie inzwischen in Deutschland haben, angehen wollen würde, dann würde das nur mit ganz großer Entschlossenheit gehen, weil das ist nichts, was man mal so eben nebenher schaffen kann. Da geht es ja auch um stark organisierte Lobbyinteressen, die jetzt nicht sagen würden Oh schön, ihr sprecht es mal an, Ja, klar, geben wir was ab. Sondern das müsste man schon als große politische Erzählung einer ökonomischen Moderne angehen und sagen Das ist das Ziel, was wir haben. Das sehe ich in den USA teilweise. Da bin ich auch sehr überrascht, dass sie uns so weit voraus zu sein scheinen, was die Radikalität auch angeht, mit der diese Fragen angesprochen werden. Aber in Deutschland sehe ich das einfach gerade gar nicht. #01:05:06-7#

Grazyna Wanat: Rein theoretisch müsste es ganz einfach sein, wenn wir über diese Prozente gesprochen haben. Auf welche Seite? Die Mehrheit der Menschen. #01:05:14-3#

Julia Friedrichs: Ja, aber es ist ja nicht so! Also Menschen wählen ja auch gegen ihre eigenen Interessen. Und wenn man zum Beispiel sagt begleitet, merkt man, dass da auch Sozialromantik nicht angebracht ist, weil er tritt massiv nach unten. Also für ihn sind seine Gegner sind die Menschen, die ganz knapp unter ihm stehen. Zum Beispiel die, die in der Ubahn lagern und die U Bahn schmutzig machen oder die, die Grundsicherung kassieren und schwarz arbeiten. Das sind die, gegen die er sich wendet. Und das damit ist ja glaube ich relativ relativ typisch. Es gelingt ja sehr gut, die Menschen zu vereinzeln und ihnen klar zu suggerieren Dein Feind ist der, der quasi neben dir steht oder ganz knapp unter dir, als zu sagen Willst du dich nicht vielleicht nach oben wenden gegen die, die davon profitieren, wie es dir jetzt gerade geht? #01:06:03-6#

Grazyna Wanat: Mann und Frau oder sie haben über 90er Jahre gesprochen. Haben Sie das Gefühl, dass das Bildungssystem aus Ihren Fehlern gelernt hat und sich jetzt grundlegend geändert hat und sich immer zum Besseren ändert. #01:06:18-0#

Emilia Roig: Oh Gott, das ist eine Frage, die kann ich glaube ich, überhaupt nicht beantworten. Also aber vielleicht noch mal zu dem Begriff des Utopischen zurück. Also ich habe so den Eindruck, das ich zumindest eigentlich genau das Gegenteil in meinem Text gemacht habe. Also das so ein Punkt der öfters kritisiert wird, das meine Erzählerin sich nicht befreien würde und nicht rebellieren würde und aufbegehren. Und das finde ich immer interessanter, weil ich so den Eindruck habe, das möchten wir gerne von fiktiven Figuren und von Geschichten, dass sie eben die Probleme, die wir so sehen, lösen und auch vielleicht so korrigieren, was wir das Gefühl haben, was wir falsch gemacht haben im Leben oder so und das ist so ein Gefallen, den wollte ich halt niemandem Machen. Ich habe diese Erzählerin extra nicht einen Aufschrei machen lassen und dann das, dass ich daraus die Illusion ergeben hätte, das würde das Bildungssystem irgendwie ändern, nämlich eine individuelle, rebellische Aktion. Sondern ich wollte ja darstellen, dass andere Leute in der Verantwortung dafür sind und am längeren Hebel sitzen, egal ob man jetzt laut oder leise ist. Und ich frage mich aber schon, ob ich jetzt mit so einer irgendwie auch etwas pessimistischen Poetik dann weitermachen sollte. Und aber zumindest kann ich sagen, ich kann überhaupt nicht einschätzen, was genau sich im Bildungssystem ändern müsste. Also an konkreten Veränderungen, was die Struktur angeht oder die Institution angeht. Also das ist, glaube ich, eine Aufgabe, die muss jemand anders übernehmen. #01:08:05-1#

Grazyna Wanat: Allerdings, dann würde ich gerne noch zum Abschluss Abschlussfragen. Wir sind ja ein Festival, in dem wir uns mit schreibende Texte beschäftigen. Und ich glaube, jetzt würde ich noch abschließen und eine Frage stellen, ob sie einen Tipp hätten für angehende Autorinnen. #01:08:25-9#

Deniz Ohde: Wer möchte anfangen? #01:08:28-1#

Grazyna Wanat: Genau. Wenn ich keine gezielte Frage stelle, dann sind wir in der Schule. Also Frau Kümmel vielleicht. #01:08:35-9#

Deniz Ohde: Moment. Stur sein ist ein guter Tipp, wenn man Bücher machen möchte. Und wenn man schreiben möchte, dann Es ist immer. Kommt immer sehr darauf an, wer man ist und wo. Aber ich glaube, dass wenn man das wirklich möchte, dann setzt sich das halt immer irgendwie so durch. Gegen alle. So gegen viele, viele Hindernisse. Also ich glaube, sich das erlauben ist erst mal Gerade für Autorinnen und Autorinnen oft auch so ein Thema. Sich das überhaupt zuzugestehen und dafür sind wahrscheinlich schon solche. Solche Momente, in denen man sagt das ist und das ist der Moment am Morgen oder der Moment am Abend, wo ich das mache, was ich da machen will. Und ich probiere einfach mal aus. Ich glaube, das ist ein gar nicht zu unterschätzender großer Schritt, dass man sich das zugesteht und nicht darauf wartet, dass jemand kommt und einen legitimiert als Autorin, weil das passiert in der Regel nicht. #01:09:42-0#

Grazyna Wanat: Haben Sie sich vorgestellt, dass Sie sofort so einen Erfolg haben mit dem ersten Buch? Nein, bestimmt nicht. Und wie ist es bei Ihnen? Was würden Sie ihm als Tipp geben? #01:09:55-0#

Julia Friedrichs: Na ja, ich schreibe ja nur eine ganz andere Sorte Bücher. Ich würde mir niemals zutrauen, einen Roman zu schreiben. Das wäre für mich wie ein unbezahlbarer Berg. Aber ich habe ja auch einen anderen Beruf. Ein erzählerisches Sachbuch, würde ich immer sagen. Da muss im Zentrum die Recherche stehen, die ganz, ganz gründliche, akribische, lange Recherche. Ich habe mit ganz vielen Menschen mehr gesprochen, bevor ich gesagt habe Mit den dreien werde ich mich jetzt ein Jahr lang immer wieder treffen. Und was das Schreiben angeht, bin ich da tatsächlich sehr calvinistisch. Ich setze mich zur möglichst selben uhrzeit an den Schreibtisch und schreibe immer 5000 Zeichen pro Tag. Und bevor ich die nicht geschrieben habe, bleibe ich da sitzen. Und meine Erfahrung ist selbst wenn man dann an vielen Tagen Texte hat, mit denen man nicht zufrieden ist, dass man so einfach über über Hügel nur rüberkommt, von denen man sonst sehr, sehr lange steht. Also einfach, dass man durch das Schreiben schreibt, so banal das ist, dass man es einfach regelmäßig tun muss, wie alle anderen Dinge auch. #01:11:10-4#

Grazyna Wanat: Sind Sie mit der Rezeption des Buches zufrieden? #01:11:14-0#

Julia Friedrichs: Ja, ich bin wahnsinnig zufrieden. Ich hatte befürchtet, dass das Thema wie viel weniger Aufmerksamkeit erlangen würde. Ich schreibe ja sonst über Vermögende, über Eliten geschrieben. Da ist natürlich auch ein gewisser Voyeurismus dabei. Und bin sehr, sehr froh, dass ein Buch über die Working Class in Deutschland solche Aufmerksamkeit findet und habe das Gefühl, dass nach wirklich langer Zeit, in der man Menschen wie die, die ich begleite, gar nicht wahrgenommen hat. Weil es ist auch keine laute Gruppe. Es ist keine Gruppe, die irgendwie starke eine starke Lobby an ihrer Seite hat. Dass sich das nun ganz, ganz, ganz langsam verschiebt und würde mir sehr wünschen, dass das auch dann in einer tatsächlichen Veränderung irgendwann mündet. #01:11:59-6#

Grazyna Wanat: Frau Ode, darf ich Sie auch fragen nach Ihrer Tipps für Autorinnen und Autoren. #01:12:06-6#

Emilia Roig: Also erstens würde ich sagen, man muss sich halt hinsetzen und das schreiben. Also es gibt einfach keinen anderen Weg. Man muss sich hinsetzen und das schreiben und man muss. Also mein Rat wäre also erstens mal nicht auf irgendwelche Ratschläge hören auch. Und dann die Sachen schreiben, die man wirklich schreiben will. Die eigene Stimme ernst nehmen. Das ist alles sehr viel Arbeit, das wirklich ernsthaft zu versuchen, also sich selber ernst zu nehmen in dem, was man machen will und nicht, sich irgendwie so herunterzudummen, weil man irgendwie so eine Vorstellung hat, was die Leute gerne hören wollen oder welche Geschichten gerade in sind oder gefragt oder so und dann in die Falle zu tappen, dass man sich irgendwie so anbiedert oder so, Deswegen finde ich es sehr wichtig, irgendwie so ein Selbstbewusstsein am Schreibtisch zumindest zu entwickeln. Und dann genau wie schon gesagt hat, muss man damit halt dann auch rausgehen. Also wenn man immer nur am Schreibtisch sitzt, dann merkt es keiner. Deswegen sollte man die Sachen dann auch irgendwann irgendwo hinschicken. Das wären meine konkreten Tipps. #01:13:15-1#

Grazyna Wanat: Super, Danke. Und Sie haben mit Ihrem Buch schon einige Lesungen gemacht. Viele Lesungen mit Menschen oder meistens so wie heute. #01:13:26-6#

Emilia Roig: Meistens so wie heute. Also anfangs hatte ich ein bisschen Publikum, aber eigentlich ist für mich der Normalzustand, so vor der Kamera zu sitzen deswegen. Mal sehen, wie es wird. Wenn ich wieder vor Publikum sitze, dann. #01:13:40-4#

Grazyna Wanat: Machen Sie das gerne. Treffen Sie gerne Publikum? Das ist unterschiedlich bei unterschiedlichen Autorinnen und Autoren. Und wahrscheinlich haben Sie das vorher nicht gewusst, weil das eben das erste Buch ist. Also jetzt machen Sie die Erfahrung. Können Sie bestimmt schon beantworten. #01:13:54-0#

Emilia Roig: Ja, ich weiß es ja nicht wirklich, ob ich das gerne mache, weil ich das nicht so richtig gemacht habe. Also auch bei meiner Buchpremiere. Da waren auch nicht viele Leute da, weil es halt nicht erlaubt war. Und mir wurde gesagt ja, in Wirklichkeit werden jetzt hier bestimmt 100 Leute oder so und konnte ich mir gar nicht vorstellen. Also mal sehen, ob ich das gerne mache. #01:14:12-5#

Grazyna Wanat: Aber ist das bereichernd? Leute haben dann immer was zu sagen. Nicht nur fragen, sondern erzählen eigene Geschichte. Das habe ich schon öfters bei Lesungen gesehen. Finden Sie das bereichern oder nicht so? #01:14:27-6#

Emilia Roig: Doch, auf jeden Fall. Also ich finde ja schon allein das total abgefahren, dass Leute das halt gelesen haben und sich Gedanken dazu gemacht haben. Also das ist ja. Also für jede einzelne Person ist das für mich irgendwie total die Ehre, dass Leute das gelesen haben und dann auch das Bedürfnis haben, mir was dazu zu sagen oder darüber zu sprechen oder so, Also das ist auf jeden Fall bereichernd. Ja. #01:14:51-1#

Grazyna Wanat: Und Frau Reich haben Sie für uns und für unsere Autorinnen und Autoren einen Tipp, wie man erfolgreiche Autorin wird. #01:14:59-3#

Miku Sophie Kühmel: Also ich würde sagen, Authentizität ist sehr wichtig und ich hatte oft das Gefühl, dass ich mich, also dass ich Kompromisse machen musste, wie ich die Sachen sage, ob ich manchen Sachen lieber verschweige, verschweigen soll oder nicht. Und Authentizität glaube ich sowieso immer eine eine sehr gute Eigenschaft eigentlich, weil ja, ich würde sagen, ich habe ein Sachbuch geschrieben, aber das ist auch teilweise, also ich habe auch meine persönliche Geschichte auch reingebracht und das war mir wichtig, auch verletzlich zu sein, verletzlich und authentisch. Das heißt, dass die Menschen auch sich wiederfinden können und auch als weiteres. Also weiteres Tipp Ja, man muss schreiben und es kann nicht perfekt sein. Es gibt auch einen Spruch und es gibt keine perfekte Bücher. Es gibt nur fertige Bücher und Es wird nie perfekt sein. Und ich musste irgendwann auch sagen okay, ich höre jetzt auf, weil sonst könnte ich noch zehn Jahre das Buch schreiben und es würde immer wieder sich ändern. Und das ist ein Prozess. Irgendwann muss es aufhören und das ist in diesem Zeitpunkt. Das Buch sieht so aus und ja klar, wenn ich es heute schreiben würde, würde ich jetzt sehr anders schreiben. Aber ja, ich glaube so, man muss auch loslassen und auch eine gewisse Bescheidenheit in den Prozess bringen und wissen, es ist nicht nur mein Buch, das ist auch das Ergebnis von. Es ist in einer, ja, in einer. Es kommt in einer Geschichte sozusagen. Es gibt viele Menschen, die vorher Bücher geschrieben haben, die mich inspiriert haben, die mich dazu gebracht haben, die den Weg geebnet haben für dieses Buch. Und wenn ich mich als einzelne Autorin und zum Beispiel meine Erfolge als nur mein Erfolg sehe, dann habe ich, glaube ich, eben etwas falsch verstanden, weil es wirklich eine kollektive Kreation, würde ich sagen. Und ja. #01:16:58-1#

Grazyna Wanat: Aber wenn Sie sagen Loslassen und das Buch ist jetzt endlich zu Ende und fertig, dann ist es vielleicht auch mit dem Rezeptionsgeschichte was Ähnliches. Jetzt machen Sie ganz viele Besprechungen, Lesungen, Diskussionen, werden immer wieder eingeladen zu demselben selben Thema. Und dann steckt man als Autorin ständig in dem Buch, was man eigentlich schon abgeschlossen hat und eventuell zu weiteren Themen möchte. Wie kann man damit gut umgehen? #01:17:27-5#

Miku Sophie Kühmel: Also im Moment ich bin noch nicht so weit, weil mein Buch ist im Februar rausgekommen und also vielleicht ja, aber ich nehme jetzt Urlaub und das brauche ich auch, glaube ich. Und aber ich habe das auch von einer Freundin von mir, die ja auch einen Bestseller geschrieben hat und sie meinte ich kann jetzt nicht mehr, also seit anderthalb Jahren. Ich will nicht mehr das Buch sein, ich will was anderes machen und jetzt werde ich so sehr damit assoziiert, dass es schwierig ist für sie, so rauszukommen aus dieser Rolle. Ja, ich würde sagen, dann ein weiteres Buch schreiben. Und das ist auch, glaube ich, okay, das auch zu sagen in dem Prozess. Also wenn ich über das Buch sprechen soll, dann auch zu sagen ja, also seitdem hat sich auch viel getan und auch offen und transparent zu sein über den Prozess. #01:18:18-3#

Grazyna Wanat: Ja, ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch. Wir haben ganz viele Themen nur angefasst und man könnte eigentlich viel tiefer einsteigen. Das geht in so einem Format nicht. Wir wollten einfach das Publikum neugierig auf diese Bücher und auf diese Themen machen und herzlich einladen dazu, die Bücher zu lesen. Ich möchte mich herzlich bei unseren Gästen bedanken und bei Ihnen. Danke sehr. Und so war es am 25. Juni 2021 zur Eröffnung der Texttage in Nürnberg. Wir freuen uns wie immer auf Ihr Feedback, auf Ihre Anmerkungen unter der E Mail Adresse bz Podcast Stadt nürnberg .de. Und falls Ihnen das Gespräch so gut gefallen hat wie uns, dann freuen Sie sich vielleicht mit uns auf die zweite Aufzeichnung, die wir auch bald präsentieren werden. Dort haben nämlich zwei Übersetzerinnen über Texte und Sprachen gesprochen, also darüber, was passiert mit den Texten, wenn sie übersetzt werden? Danke und bis bald. Tschüss. #01:19:30-9#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Julia Friedrichs, Deniz Ohde, Miku Sophie Kühmel und Emilia Roig im Gespräch über die Macht der Texte.

Vier Autorinnen haben unterschiedliche Erzählformen gewählt, um über gesellschaftliche Verhältnisse zu sprechen – und haben jeweils einen Bestseller gelandet. Im Podiumsgespräch zu Eröffnung der texttage.nuernberg am 25. Juni 2021 sprachen sie darüber, wie Texte bestimmte Gesellschaftsgruppen und Themen sichtbar machen können.

Manche Texte wirken wie ein Lichtstrahl: Es macht „Klick“ – und es wird hell, und schon lässt sich etwas anschauen, was bisher ewig lange in der Dunkelheit versank. Und plötzlich sind sie da: Menschen. Themen. Konflikte. Waren sie schon immer da, oder werden sie von Texten kreiert?

Können Bücher, die sich mit Rassismus in Deutschland auseinandersetzen, für allgemeine Empathie sorgen und die kollektive Wahrnehmung der existierenden Unterdrückung schärfen? Darf das individuelle, private Erlebnis in einem Sachbuch stellvertretend für allgemeine Erfahrungen stehen? Sind queere Themen in der deutschen Literaturlandschaft gut repräsentiert? Gibt es eine „neutrale“ Perspektive?  Erfüllt das Bildungssystem das Aufstiegsversprechen? Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können? Darf eine junge Romanautorin aus der Perspektive der älteren Männer sprechen? Brauchen wir auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft soziale Utopien oder sind sie nicht zielführend? Welche sind die besten Tipps für angehende Autorinnen und Autoren?

Über diese und viele andere Themen sprechen: Julia Friedrichs [„Working class“], Deniz Ohde [„Streulicht“], Miku Sophie Kühmel [„Kintsugi“] und Emilia Roig [„Why we matter“].

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Aufgenommen am: Freitag, den 25. Juni 2021 
Veröffentlicht am: Donnerstag, 2. September 2021
Moderation: Grazyna Wanat
Im Gespräch: Julia Friedrichs, Deniz Ohde , Miku Sophie Kühmel  und Emilia Roig.

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Wir sind mindestens jeden zweiten Donnerstag mit einer neuen Folge online, manchmal öfters.
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