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Johanna Böhm, wie gehen wir mit geflüchteten Menschen um?

Ansage: KontaktAufnahme. Der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg. #00:00:10-9#

Hannah Diemer: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von KontaktAufnahme. Mein Name ist Hannah Diemer und bei mir im Büro ist heute Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Hallo Johanna. #00:00:24-1#

Johanna Böhm: Hallo Hannah, vielen Dank für die Einladung. #00:00:27-0#

Hannah Diemer: Ich freue mich seit ungefähr einem Jahr auf dieses Gespräch, weil wir ungefähr vor zwölf Monaten die Gelegenheit hatten, beim "On the Move"-Festival zusammen über die Kriminalisierung von Geflüchteten und deren HelferInnen zu sprechen und damals haben wir schon gesagt, wir möchten unbedingt zusammen einen Podcast machen und jetzt ist es endlich soweit. #00:00:49-1#

Johanna Böhm: Jetzt ist es soweit, jetzt haben wir es geschafft. #00:00:51-1#

Hannah Diemer: Ich freue mich sehr, dass du uns heute ein bisschen Licht in dieses Dunkel bringst von diesen vielen Gesetzeslagen, die wir aktuell haben, denn du engagierst dich hauptamtlich für Geflüchtete, und zwar beim Bayerischen Flüchtlingsrat. Was ist denn der Bayerische Flüchtlingsrat? #00:01:07-1#

Johanna Böhm: Der Bayerische Flüchtlingsrat ist eine Menschenrechtsorganisation, die ist schon relativ alt. 1986 wurde der Bayerische Flüchtlingsrat in München gegründet. Und zwar, ja, aus so einem, also ich war damals nicht dabei, aber die Erzählungen, die Überlieferungen sagen, ja das war so eine Mischung ganz vielen Menschen, die irgendwie zu dem Thema Flucht und Migration aktiv waren. Einzelpersonen, Geflüchteten Selbstorganisationen, irgendwelche anderen Initiativen, die alle versprenkelt ihr Zeug gemacht haben und sich irgendwann dachten, es macht doch Sinn, so eine Art Dachverband zu etablieren, dass wir, das alle ein bisschen zusammenarbeiten und sich so einen gemeinsamen Titel geben und das war so ein bisschen die Initialzündung für den Bayerischen Flüchtlingsrat. Alles ehrenamtlich, alles aktivistisch und so nach und nach hat sich immer mehr entwickelt, dass dann mal Geld beantragt wurde. Dann haben sie sich, ich weiß es gar nicht mehr, mehrere Köpfe eine Stelle geteilt und so ist das über die Zeit gewachsen und gewachsen und mittlerweile sind wir um die 15 MitarbeiterInnen mit der Hauptgeschäftsstelle in München und einem Büro in Nürnberg. #00:02:14-0#

Hannah Diemer: Und was machst du jetzt in Nürnberg für den Bayerischen Flüchtlingsrat? #00:02:17-8#

Johanna Böhm: Alles Mögliche. Das ist tatsächlich, glaub ich, bei den wenigsten von uns ein bisschen klar zuordenbar, wer da was eigentlich macht. Ich bin schwerpunktmäßig in unserem Gewaltschutzprojekt, das heißt "Let's talk about you rights", da geht es um Gewaltschutz an der Schnittstelle von Asyl und Migration für Frauen und Kinder und ansonsten Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfallberatung, Lobbyarbeit und alles, was so anfällt. #00:02:44-2#

Hannah Diemer: Was macht ihr da für die Frauen und Kinder? #00:02:46-2#

Johanna Böhm: Wir machen Workshops in, also genau, das Ziel ist, in jedem Regierungsbezirk drei Workshoptage anzubieten, vor allem in Regionen, die eher ländlich sind, so ein bisschen im Hinterland, also dahin zu fahren, wo in der Regel der Anschluss, die Beratungsstruktur nicht so wahnsinnig gut ist. Genau das ist so das Ziel, ist aber auch in der Umsetzung natürlich schwierig, weil klar, wenn Leute da untergebracht sind, wo es wenig Anschluss gibt, dann kommen wir ja da auch relativ schwer ran oder auch hin, muss man auch sagen. Also es gibt tatsächlich riesige Unterkünfte. Wir waren letztens in der Schutzunterkunft von Frauen und Kindern, die so weit draußen war, dass ich in Nürnberg dann nicht hätte morgens losfahren können, um mittags da zu sein, sondern am Tag vorher starten müssen. #00:03:35-6#

Hannah Diemer: Aber trotzdem in Bayern? #00:03:38-0#

Johanna Böhm: In Bayern. Also mit so einer Busverbindung, die dreimal am Tag fährt. Und das sind, genau das sind so die Strukturen, das lernt man dann auch erst mal kennen, wenn man sich mal so außerhalb der Bubble, oder außerhalb der Großstadt raus bewegt und dann wirklich merkt so: Ah, okay, auf dem Land ist es noch mal, ist es noch mal deutlich, deutlich beschissener manchmal. #00:03:58-2#

Hannah Diemer: Wenn du angekommen bist, was machst du denn in deinen Workshops mit diesen Frauen und Kindern? #00:04:04-3#

Johanna Böhm: Wir, ist auch sehr unterschiedlich, wir haben schon die Schwerpunktthemen Asyl, Aufenthalt, Bleiberechtssicherung, dann aber auch Gewaltschutz, das heißt, was gibt es für Formen von Gewalt, was gibt es für Unterstützungsstrukturen und alles, was ein bisschen unter dem Primat von Empowerment, Vernetzung, also immer wieder auch mit kleinen, mit kleinen Einheiten zu Bewegung, was tut mir gut und aber auch ganz viel Wünsche von den teilnehmenden Personen, welche Themen wollen wir besprechen? Und da hat sich dann schon noch mal gezeigt, dass natürlich, bevor man sich vielleicht auch damit auseinandersetzen kann was tut mir gut, wie kann ich mich selber stärken oder mich und mein Umfeld? Erst mal fragen von, genau, sicherer Aufenthalt, ich möchte umziehen, ich will hier nicht weiter wohnen, mir wurden meine Sozialleistungen gekürzt und dann relativ viel erst mal praktisch, ein bisschen Existenz-, Lebensunterhaltsthemen und dann so in den letzten Workshopstunden ging es dann schon auch viel um Frauen Empowerment. #00:05:12-3#

Hannah Diemer: Was jetzt auch relativ neu ist in Bayern und ich glaube inzwischen auch in anderen Bundesländern ist die Bezahlkarte, mit denen die Geflüchteten bezahlen müssen. Was ist denn diese Bezahlkarte? #00:05:26-9#

Johanna Böhm: Die Bezahlkarte ist, ja, man kann sich so ein bisschen vorstellen, wie eigentlich eine EC-Karte oder eine Kreditkarte. Da wird, genau, also alle Geflüchteten in Bayern, die im Asylverfahren sind oder in Unterkünften wohnen, bekommen diese Karte erstmal. Da werden die kompletten Sozialleistungen drauf gebucht, komplett, automatisch und die Personen können dann quasi Sie mit dieser Karte zahlen. Es ist also wie ein Girokontoersatz, was, wäre es das, also könnten wir dann nach einem Punkt machen, die total super wäre, weil es für geflüchtete Personen oft sehr schwer ist, ein Girokonto zu eröffnen, wenn dann kein Pass vorliegt ist das manchmal sehr kompliziert bei den jeweiligen Banken. Allerdings ist die Bezahlkarte nicht als Verbesserung eingeführt worden, sondern der Tenor der Einführung war schon eine Verschlimmerung, eine Verschärfung, um eben Migrationen einzudämmen, um Fluchtzahlen zu senken, denn die großen Nachteile der Bezahlkarte sind, die Personen dürfen im Monat pro Person nur 50 € abheben, also ist quasi nur noch möglich, über 50 € in bar zu verfügen. Jede Überweisung, jeder Lastschrifteinzug muss beim Sozialamt beantragt werden. Das Sozialamt gibt es dann ans Innenministerium weiter. Das ist ein wahnsinniger bürokratischer Aufwand und wird ja oft auch einfach nicht genehmigt. Das heißt die Leute sind nicht mehr zahlungsfähig, können ihre Rechnungen am Ende nicht mehr begleichen und dann gibt es noch allerhand mehr Verschärfungen, zum Beispiel, dass die jeweilige, das jeweilige Sozialamt kann eine Postleitzahlenbeschränkung auf die Bezahlkarte buchen quasi. Das heißt Personen können, wenn sie diese Beschränkung haben, nur noch in einem bestimmten Postleitzahlengebiet mit der Karte überhaupt zahlen. #00:07:11-1#

Hannah Diemer: Das hört sich nach ganz massiven Einschränkungen an im Alltag von geflüchteten Menschen. Was berichten die dir denn, wie es ihnen damit geht? #00:07:20-2#

Johanna Böhm: Für viele ist das tatsächlich eine absolute Vollkatastrophe, zumal die die Frauen aus dem einen Workshop, auf dem Land in Niederbayern, die haben das sehr viel von berichtet. Die hatten nämlich die Postleitzahlenbeschränkungen und konnten nur noch bei sich, also wirklich in einem, ich weiß es gar nicht, paar 100 Seelen Dorf damit zahlen und mit einem, in einem kleinen Teil der nächstgrößeren Stadt. Und ansonsten ging da gar nichts mehr. Das heißt die hatten ein paar Supermärkte zur Verfügung und das war es eigentlich schon. Alle weiteren Läden, günstigere Läden, Läden aus dem eigenen Kulturkreis, das alles ging nicht mehr. Die konnten da nicht mehr, nicht mehr einkaufen gehen und waren, ich glaube wirklich so auf Lidl, Rewe, Edeka und irgendeine Drogerie beschränkt. #00:08:05-4#

Hannah Diemer: Und wenn man jetzt an dieses ganze digitale Netzwerk Deutschlands denkt, kann man ja grundsätzlich relativ selten auch mit Karte bezahlen. Also ich denke jetzt auch an zum Beispiel so private Sachen, Flohmärkte oder Second Hand Läden, wo ja günstigere Produkte vorhanden wären, die vielleicht diese geflüchteten Zielgruppe auch bräuchte, die da jetzt gar nicht mehr möglich ist. #00:08:29-2#

Johanna Böhm: Genau, auch das ist ein Riesenproblem. Also der günstige Zahlungsverkehr, also Sachen zweiter Hand zu kaufen, dann tatsächlich aber auch einfach Alltag. Ein Eis, das Pausenbrot in der Schule, das Sommerfest irgendwo, das läuft ja alles bar und ich fand es dann ganz interessant, als die Bezahlkarte diskutiert wurde und Bayern ja relativ schnell war, von wir wollen jetzt schneller als der Bund umsetzen, hat mir eine Freundin eine Sprachnachricht geschickt und erzählt, dass sie total müde ist und krank und eigentlich nur nach Hause will und sich jetzt noch eine Tiefkühlpizza kaufen und meinte: Ich war jetzt in vier oder fünf Läden und ich konnte nirgendwo diese Pizza kaufen, weil ich kein Bargeld hatte und mit der Karte nicht zahlen konnte. Und es war so und es war so zeitgleich mit der Einführung der Bezahlkarte in Bayern und das war so: Ja, genau so ist es. Also Kartenzahlung gibt es einfach nicht überall. Das mag in einer Großstadt noch ganz gut funktionieren, dass du dann auch auf eine Alternative zurückgreifen kannst, wenn es irgendwo nicht funktioniert. Aber sobald es kleiner würde und im ländlichen Bereich, da bist du eigentlich aufgeschmissen, wenn du kein Bargeld hast. #00:09:30-9#

Hannah Diemer: Wenn wir uns die aktuellen Zahlen zum Thema Migration anschauen, dann ist vom OECD gerade rausgekommen, dass wir auf einem Höchststand der Einwanderinnen sind, in den insgesamt 38 OECD Staaten. Also das ist nicht nur in Deutschland so, sondern es ist insgesamt so. Die nennen den Hauptgrund sei der Nachzug von Familienangehörigen und natürlich die humanitäre Migration aufgrund von Notlagen. Wer kommt denn da gerade zu uns, jetzt nach Deutschland? #00:09:58-9#

Johanna Böhm: Es hat sich da in den letzten Jahren zahlenmäßig natürlich mal wieder was verändert. Von den von den, genau, 2015, 2016, wo sehr viele Menschen nach Europa und nach Deutschland kamen, dann sind die Zahlen danach auch wieder massiv zurückgegangen, was natürlich auch an Verschärfungen und Abschottungen lag, als es sehr viel schwieriger wurde, das europäische Festland überhaupt zu betreten oder da weiter zu kommen. Und genauso unterschiedlich sind auch die Fluchtzahlen, wie auch jeweils die Länder, aus denen Personen kommen, wo ich sagen muss, so unter den Top 3, Top 5 Ländern sind Syrien, Afghanistan zum Beispiel, die sind seit ich weiß es gar nicht, Jahrzehnten ganz oben mit dabei und immer noch Syrien, genau, Top 1 Menschen, die in Deutschland Asylantrag stellen. Danach kommt Afghanistan, dann kommen Personen aus der Türkei. Seit dem erfolglosen Putschversuch vor einigen Jahren sind die Zahlen von Schutzsuchenden aus der Türkei, vor allem kurdischen Personen aus der Türkei massiv nach oben gegangen. #00:11:03-2#

Hannah Diemer: Hat es auch damit was zu tun, wie groß die Aussichten auf Asyl überhaupt sind? Ich meine, es gibt ja auch in anderen Ländern der Welt massive humanitäre Krisen, die aber von Deutschland quasi nicht als solche betitelt werden. Hat es auch dann direkten Einfluss darauf? #00:11:21-6#

Johanna Böhm: Ich glaube, so genau kann ich es gar nicht sagen. Letztlich würde ich sagen, wenn wir uns die Fluchtzahlen anschauen, oder die Herkunftsländer, die nach Deutschland kommen und dann die Anerkennungszahlen, hat es, würde ich eher sagen, eine marginale Auswirkung. Ich gehe davon aus, dass die Gründe die Menschen in die Flucht treibt sind die katastrophalen Bedingungen vor Ort und dann natürlich die Situation auf der Fluchtroute. Was ist überhaupt möglich zu erreichen? Wie kommen Menschen weiter? Wo gibt es auch schon Strukturen, wo Menschen fliehen können, auf eben den Fluchtrouten? Wo gibt es die noch nicht? Und genau, ich glaube, es ist einfach super unterschiedlich und vielfältig. Ich bin aber auch immer wieder überrascht, wenn ich mir so die Hauptherkunftsländer anschaue, aus denen Menschen weltweit fliehen, ist ja zum Beispiel Venezuela ganz, ganz, ganz weit oben mit dabei, was wir im Westen, in Europa ja fast gar nicht mitbekommen. Aber klar, das ist natürlich noch mal ein ganz anderer Weg, von Lateinamerika nach Europa zu kommen. #00:12:17-7#

Hannah Diemer: Das zeigt ja auch nur, dass die Menschen, die flüchten, auf der Suche nach Schutz sind und deshalb oft einfach an dem erstmöglichen Ort, wo sie sich sicherer fühlen, auch einfach bleiben. Die allermeisten Menschen kommen ja überhaupt nicht nach Europa oder nach Deutschland, sondern sind dann in Nachbarländern untergekommen. #00:12:37-0#

Johanna Böhm: Genau. Der absolute Großteil, also der absolute Großteil, flieht im eigenen Land und sucht erst mal wirklich aus der jeweiligen krisenhaften Situation rauszukommen. Die zweitgrößte Gruppe flieht in die Nachbarstaaten und dann die drittgrößte Gruppe, die aber verglichen zu den vorherigen tatsächlich gering ist, versucht, langfristigen, internationalen humanitären Schutz woanders zu suchen. #00:12:59-5#

Hannah Diemer: Und wenn die Menschen jetzt bei uns in Deutschland zum Beispiel ankommen, gibt es ja die verschiedensten Formen von Bleiberechten. Könntest du uns mal erläutern, was denn diese unterschiedlichen Bleiberechte sind? #00:13:15-8#

Johanna Böhm: Ja, ich kann es versuchen und versuche es auch nicht zu kompliziert zu machen. Leute, packt eure Notizzettel aus. Ich glaube, ganz allgemein kann man sagen, das Asylverfahren ist komplex und es ist kompliziert. Und es ist auch für BeraterInnen, JuristInnen total kompliziert und immer wieder kommt was Neues dazu muss ich immer wieder weiterbilden. Und dann natürlich umgedacht von, wenn es für die die den täglich Brot das ist die sich wirklich täglich damit auseinandersetzen, hauptamtlich, hauptberuflich, da schon kaum hinterherkommen, wie soll es denn dann für betroffene Personen sein? Es ist tatsächlich einfach zum Teil sehr schwer zu durchdringen. Genau die ganz klassischen Bleibemöglichkeiten im Asylverfahren, da sind ja auch noch mal Unterschiede, es gibt ja Bleibemöglichkeiten, die kann ich nur durch das Asylverfahren bekommen und dann Bleibemöglichkeiten, die kriege ich auch aus anderen Gründen, zum Beispiel durch eine Arbeitsaufnahme oder familiäre Beziehungen etc.. Jetzt ganz klassisch im Asylverfahren. Jemand stellt einen Asylantrag, der wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft, irgendwann gibt es eine Entscheidung, die Entscheidung kann positiv oder negativ sein und es gibt mehrere positive und auch mehrere negative Entscheidungsformen. Positive gibt es quasi die Asylanerkennung, für das klassische Asyl, das man immer hört, die ist total selten. Die ist im Grundgesetz geregelt und wurde in den 90er Jahren aber verschärft, so dass das eigentlich fast gar nicht mehr möglich ist, eben diese klassische Asyl Anerkennung zu bekommen. Dem gleichgestellt ist aber die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Dann gibt es noch den subsidiären Schutz und es gibt das Abschiebungsverbot. Das sind so die drei Schutzformen, die durch das Asylverfahren erhalten werden können. #00:15:02-1#

Hannah Diemer: Und welche Rechte hätte ich jetzt, wenn ich Asyl gewährt bekomme? #00:15:06-1#

Johanna Böhm: Das sind quasi die gleichen Rechte wie bei der Flüchtlingseigenschaft. Man bekommt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Also man muss drei Jahre sich erstmal, genau, ist der Aufenthalt relativ, "relativ" in Anführungszeichen sicher. Die Menschen bekommen sofort einen Zugang zum Arbeitsmarkt, also eine Arbeitserlaubnis und ganz wichtig die Möglichkeit des Familiennachzugs und auch die Möglichkeit des erleichterten Familiennachzugs. Was ganz, ganz wichtig ist, weil der erleichterte Familiennachzug eigentlich nur bei diesen Formen möglich ist und bei den anderen Aufenthaltsformen, beziehungsweise Schutzformen, dem subsidiären Schutz und dem Abschiebungsverbot noch mal deutlich schwieriger. #00:15:47-9#

Hannah Diemer: Und das zweite, mit dem es ähnlich gestellt ist, diese Flüchtlingseigenschaft. Was bedeutet das? #00:15:54-5#

Johanna Böhm: Also man kann sich so ein bisschen vorstellen, dass so von, ich sage immer, so wie ein Fußballspiel, so eine Fußballmetapher. Das habe ich irgendwann mal in einer Fortbildung gehört und fand es total eindrücklich und auch gut aber auch zu erklären in der Beratung. Du hast ein Fußballspiel und die Flüchtlingseigenschaft oder eben die Asylanerkennung, das ist ein 3:0, das ist super, so das ist ein Kantersieg, relativ eindeutig. Das ist für Menschen, die in ihrem Herkunftsland aufgrund von einer individuellen Eigenschaft politisch verfolgt werden, von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren, zum Beispiel aufgrund von der politischen Überzeugung, des Geschlechts, der Sexualität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie etc.. Da kann die Flüchtlingseigenschaft, nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die ja quasi in Tradition oder nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, kann es gewährt werden. #00:16:47-4#

Hannah Diemer: Und diese weniger guten Chancen, also subsidiärer Schutz, was bedeutet das? #00:16:53-7#

Johanna Böhm: Danach kommt man das zwei zu null, quasi auch noch gut, auch ein Sieg, auch super. Der subsidiäre Schutz, der subsidiären Schutz ist quasi, wenn es keine individuelle Verfolgung ist, aber trotzdem aufgrund von innerstaatlichen Konflikten eine lebensbedrohliche Situation für die Person entstehen kann. Da ist ganz klassisch ein Bürgerkrieg, also kriegerische Auseinandersetzungen im jeweiligen Land. Aber es ist quasi die Verfolgung ist nicht aufgrund der individuellen Persönlichkeit, sondern eben das trifft mehrere Personen in einer Region. #00:17:25-8#

Hannah Diemer: Und was hat das denn für Folgen hier in Deutschland? #00:17:29-7#

Johanna Böhm: Da gibt es in der Regel gibt es eine 1-jährige Aufenthaltserlaubnis, auch eben den sofortigen Arbeitsmarktzugang, aber einen eingeschränkten Familiennachzug. Das war mal anders. Da konnten Personen, die einen subsidiären Schutz bekommen haben, auch da dann erleichterten Familiennachzug wahrnehmen. Das wurde ich, kann das Jahr nicht mehr genau sagen, vor einigen Jahren, 2017, 2018, 2019, wurde das noch mal verschärft. Da wurde der Familiennachzug beim subsidiären Schutz ausgesetzt für eine gewisse Zeit und dann wurden Quoten etabliert, dass in einem Monat nur 1000 Personen den Familiennachzug beantragen können sollen dürfen. Und das war natürlich, das war eine massive, massive Veränderung für die betroffenen Personen, war klar, das ist ein wahnsinniger Unterschied. Kann ich meine Familie wieder zu mir holen? Meine Kinder? Meinen Mann? Meine Frau? Oder kann ich das nicht? #00:18:27-2#

Hannah Diemer: Vor allem, wenn es um Bürgerkriegssituationen geht. Möchte ich ja auch, dass meine Familie sicher ist. Und wenn der Asylantrag quasi abgelehnt wird, was passiert dann? #00:18:41-4#

Johanna Böhm: Dann ist es auch sehr unterschiedlich. Es gibt ja mehrere Ablehnungsarten. Es kommt so ein bisschen darauf an, was ist das für ein Verfahren? Also ist es dieses klassische Dublinverfahren, wo Deutschland feststellt: Hey, wir sind überhaupt nicht zuständig, da war jemand in einem anderen EU Staat zuerst, die Person muss da ihr Asylverfahren durchführen. Da wird der Asylantrag als unzulässig abgelehnt. Und dann gibt es noch die Ablehnungsformen, wenn eine Person in Deutschland das Asylverfahren durchlebt hat, und zwar einmal einfach unbegründet und einmal offensichtlich unbegründet. Und auch da gehen verschiedene Konsequenzen mit einher. Einfach unbegründet bedeutet für die Personen, sie haben länger Zeit Klage einzulegen, sind während der Klage vor Abschiebung geschützt und können erstmal Arbeit, Ausbildung etc. noch, in der Regel noch fortsetzen. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet, da hat man nur eine Woche Zeit zu klagen, ist nicht vor Abschiebung geschützt. Wenn die Klage, wenn der Entscheidung stattgegeben wird, dann unterliegen die Personen einem absoluten Arbeitsverbot. Also dürfen danach auch als, eigentlich gibt es dann danach nach diesem negativen Asylverfahren, mit der Ablehnung offensichtlich unbegründet fast keine Chance mehr, in Arbeit zu kommen. Und es sind auch die meisten Aufenthaltstitel, also wir haben ja ganz viele Bleiberechtsregelungen für Leute, die eigentlich, wo das Asylverfahren negativ war, aber trotzdem gibt es da ja irgendwie Sachen, da gibt es ja wirklich viel. Die Personen haben da qua Gesetz eigentlich keine Chance mehr drauf. #00:20:07-3#

Hannah Diemer: Okay, wir haben jetzt gehört von vier verschiedenen Stati nach dem Asylrecht und wir machen jetzt noch mal weiter, weil du hast es schon angesprochen, es gibt dann noch mal verschiedene Formen von Bleiberecht, unter anderem, was man häufig hört, ist eine Duldung. Was ist denn jetzt eine Duldung? #00:20:25-6#

Johanna Böhm: Die Duldung ist, genau, das auch in den letzten Jahren immer wichtiger, das Papierdokument geworden, immer wichtiger, immer kontroverser. Die Duldung ist Letztlich, ist es die Aussetzung der Abschiebung. Das steht auch vorne drauf. Die Duldung ist so ein grünes Zettelchen, Papierzettelchen. Vorne steht groß drauf "Aussetzung der Abschiebung", das heißt die Duldung sagt erstmal nur: Du bist ausreisepflichtig, also die Person muss laut Gesetz das Land verlassen. Die Abschiebung ist ausgesetzt bis zum jetzigen Tag. Also quasi, es kann jederzeit abgeschoben werden und es gibt verschiedene Gründe, warum die Abschiebung jetzt sofort noch nicht durchgeführt wurde. Zum Beispiel weil so schnell geht es ja gar nicht, von jetzt auf gleich. Das ist ja eine Organisation auch für die jeweiligen Behörden, weil eine Person sehr krank ist, weil eine Person vielleicht auch keinen Pass hat und aber ein Pass für die jeweilige Abschiebung gebraucht wird. Das sind alles Gründe, familiäre Gründe, humanitäre Gründe, um so eine Duldung auszustellen. Früher gab es eine Duldung. Mittlerweile gibt es auch vier verschiedene Duldungsformen, um das Ganze noch komplizierter zu machen. #00:21:38-6#

Hannah Diemer: Wahnsinn. #00:21:39-4#

Johanna Böhm: Also es wird immer. es wird immer komplexer. Das Asylverfahren oder alles, was mit Migration und Flucht und Aufenthalt zu tun hat. Es wird alles viel, viel komplexer. Immer, immer mehr. Immer wieder wird noch was im Gesetz reingeschrieben und noch mal irgendwas geändert und auch mal irgendwas rausgenommen oder umgeändert oder irgendwo noch ein Wort dazu. Genauso auch bei der Duldung, da gibt es viele verschiedene. Von guten bis schlechten Duldungen. Aber letztlich ist die Duldung kein Aufenthaltsrecht oder kein Aufenthaltstitel. Das ist erst mal ist das ein Papierzettelchen, das sagt, eine Person ist ausreisepflichtig und müsste eigentlich Deutschland verlassen, kann es im Moment noch nicht verlassen. Und wie lange dieser Moment ist, ob das nur heute ist oder die nächsten vier Jahre, das ist so ein bisschen offen. #00:22:27-4#

Hannah Diemer: Welches andere Wort man da auch häufig hört, ist diese Fiktionsbescheinigung. Was ist denn das? #00:22:34-0#

Johanna Böhm: Fiktionsbescheinigung ist ein Papier, das ist eigentlich was Gutes? Wenn eine Person einen Aufenthaltstitel zum Beispiel verlängert und es dauert total lange, also alles was man bei der Ausländerbehörde beantragt, bei vielen Behörden, leider geht fast gar nichts schnell, in Deutschland, was zumindest die Anzeige auf Behördenseite angeht. Die Fiktionsbescheinigung kann ausgestellt werden, wenn eine Person zum Beispiel den Aufenthalt verlängert. Also der alte ist abgelaufen und es dauert aber, bis die Aufenthaltskarte ausgestellt wird, dann bekommt die Person in der Zwischenzeit Fiktionsbescheinigung, die sagt, das ist die Fiktion über das Weiterbestehen des jeweiligen Aufenthalts. Das heißt, man kann, wichtig für auch Arbeit, Wohnungssuche zu sagen: Hey, ich habe zwar gerade nicht diese Aufenthaltskarte, die gültig ist, aber eine Bescheinigung, dass ich sie bald wahrscheinlich bekomme. #00:23:29-4#

Hannah Diemer: Also das quasi so ein Überbrückungsdokument. #00:23:31-2#

Johanna Böhm: Genau. Kurz gesagt, es ist ein Überbrückungsdokument. Ja. #00:23:34-3#

Hannah Diemer: Das ist ja ein unglaublich bürokratischer Aufwand. Vor allem, weil du gesagt hast, diese Aufenthaltsstati müssen regelmäßig neu beantragt werden. Also wenn ich quasi Asyl beantragt habe, dann muss ich nach allen drei Jahren das erneut beantragen. Und dieser subsidiäre Schutz jedes Jahr. #00:23:55-4#

Johanna Böhm: Genau. Das ist alles total unterschiedlich. Also Aufenthaltstitel ist es wirklich unterschiedlich. Flüchtlingseigenschaft drei Jahre, dann subsidiärer Schutz, in der Regel ein Jahr, Abschiebungsverbot auch in der Regel ein Jahr. Bei anderen Aufenthaltstitel kommt es darauf an zwischen ein und zwei Jahren. Man kann natürlich nach ein paar Jahren in eine Niederlassungserlaubnis versuchen reinzukommen, das heißt, das ist dann unbefristete Aufenthaltstitel. Der Weg dahin ist aber auch sehr schwer und steinig. Und zur Geschichte, wie zum Beispiel Duldung, die ist ja auch befristet für einen bestimmten Zeitraum und da ist die Befristung total unterschiedlich. So unterschiedlich wie die Duldung ist, so unterschiedlich ist auch die Befristung. Manche sind auch zum Beispiel die Ausbildungsduldung für die komplette Zeit der Ausbildung gültig. Andere und das ist dann das Ermessen der jeweiligen Behörde, beziehungsweise der jeweiligen Sachbearbeitung, sind für ein paar Monate, manche auch nur für ein paar Wochen und manchmal nur für ein paar Tage gültig. Das heißt die Person muss alle paar Tage zur Ausländerbehörde, um das Dokument wieder verlängern zu lassen. Ich meine, da geht es nicht nur um diese Duldung, es geht darum, dass die Ausländerbehörde will, dass die Person vorstellig wird, dass die gesehen wird, dass sie quasi für die Abschiebung bereit ist, aber das genau sind natürlich auch so Sanktionsformen, über eben die Verlängerung von Papieren Leute zu gängeln #00:25:12-4#

Hannah Diemer: Ja und vor allem auch wahnsinnig zu beschäftigen. #00:25:14-8#

Johanna Böhm: Genau. Und die Leute und aber halt auch die SachbearbeiterInnen in der Ausländerbehörde wahnsinnig zu beschäftigen, mit so einem Scheiß wie alle drei Tage irgend so ein Papier zu verlängern. #00:25:24-9#

Hannah Diemer: In deiner Erfahrung in der Arbeit mit geflüchteten Menschen, wie ist denn die Verteilung von den Menschen, die tatsächlich auch da bleiben wollen und sich quasi ein neues Leben aufbauen wollen und den Anteil der Menschen, die eigentlich wieder zurück wollen? Kannst du dazu was sagen? #00:25:43-3#

Johanna Böhm: Uff, also ich glaube offizielle Zahlen weiß ich nicht. Vor allem weil sie tatsächlich auch viel mit dem wollen, du hast wollen gesagt, das ist ja auch schwer immer so einzuschätzen, wer macht wann was, wie freiwillig. Ich habe die Zahlen der freiwilligen, oder in Anführungszeichen "freiwilligen Ausreise" nicht im Kopf. Die steigen in den letzten Jahren, so viel kann ich sagen, aber da muss ich schon auch mal sagen es ist einfach sehr unterschiedlich, wie freiwillig Menschen ausreisen. Also manche machen das vielleicht wirklich freiwillig freiwillig. Vielleicht auch, weil sich die Situation im jeweiligen Land geändert hat, oder weil vielleicht auch familiäre Gründe Personen dann quasi zwingen, wieder zurückzugehen gehen. Und ganz viele der freiwilligen Ausreisen sind aber nicht freiwillig, sondern das sind Personen, die diesem Druck nicht mehr standhalten, die lieber in die jeweiligen katastrophalen Umstände zurückgehen, als als in Deutschland so wahnsinnig abhängig und ohnmächtig zu sein. Und ganz viel sind auch Ausreisen von Personen, die hier ein negatives Asylverfahren durchlebt haben, die danach eine Ausbildung oder eine qualifizierte Arbeit gefunden haben, diese Arbeit aber nicht antreten dürfen, weil die Ausländerbehörde sagt: Nein, wir erlauben sie das nicht, du hast nicht das erforderliche Visum, du bist ausreisepflichtig, du musst noch Deutschland verlassen, wenn du diese Arbeit oder Ausbildung aufnehmen willst, dann musst du ausreisen und mit dem erforderlichen Visum wieder einreisen. Und das ist so der Trend der letzten Jahre, der immer stärker und stärker wird und das sind, glaube ich, auch ganz viele dieser freiwilligen Ausreisen, von Personen, die sagen, ja dann mache ich jetzt das halt, obwohl es absurd ist. Ich reise aus und komme halt ein halbes, 3/4 Jahr, ein Jahr, zwei Jahre später wieder mit dem Visum zur Ausbildungsaufnahme, obwohl ich sie eigentlich ja jetzt übermorgen auch schon beginnen könnte. #00:27:35-3#

Hannah Diemer: Das ist total verrückt, weil da wird ja einfach mit dem Leben von Leuten so gespielt und wenn man sich das vorstellt, diese Zeiteinheiten, das hat ja einen massiven Effekt, wenn ich für so eine lange Zeit nichts machen darf. Ich denke, das hat sicher jeder in seinem Leben schon mal erfahren, in so unsicheren Zeiten. Und es ist ja bei uns jetzt in Deutschland meistens sehr kurz. So eine unsichere Zeit, also vielleicht meine Arbeitslosigkeit, die dann irgendwie wenige Jahre vielleicht mal andauert, oder eine Unsicherheit zwischen was soll ich überhaupt machen nach Studium, Ausbildung und auch das ist ja schon wahnsinnig belastend, wenn das jetzt ein Faktor ist von außen, das kann man sich ja kaum vorstellen, was das auf die Menschen für eine Auswirkungen hat. Was würdest du denn sagen, oder was ist denn so aus Sicht vom Bayerischen Flüchtlingsrat eine Unterstützung für Menschen, die ankommen würden? Was würden die denn brauchen am Anfang? #00:28:29-7#

Johanna Böhm: Da würde ich auch unterschiede machen, vorallem, was es von staatlicher Seite braucht und was es vielleicht von zivilgesellschaftlicher Seite braucht. Im besten Fall braucht es die Zivilgesellschaft nicht so massiv, weil von staatlicher Seite relativ viel organisiert wird, beziehungsweise möglich gemacht wird, im Sinne von es gibt halt keine Arbeitsverbote und es gibt nicht die Verpflichtung in diesen riesigen Aufnahmeeinrichtungen/Lagern wohnen zu müssen. Super unterschiedlich von einer Unterstützung und Beratung am Anfang im Asylverfahren, was wahnsinnig wichtig ist. Das Asylverfahren ist, wie schon gesagt, komplex und kompliziert und natürlich auch eine wahnsinnige Belastung für die Personen. Der Kernstück des Asylverfahrens ist ja das Interview, wo Menschen erzählen: Warum musste ich fliehen? Sich darauf vorzubereiten, das ist quasi, das ist so der Hauptteil des Ganzen, des ganzen Komplex Asylverfahren, für die Vorbereitung, da braucht es einfach viel mehr Beratungsstellen, Strukturen, aber auch ehrenamtliche Unterstützung, dass Leute das überhaupt wissen leute sich da ausführlich und intensiv genau vorbereiten können. Es braucht alles Mögliche, aber ich glaube mit so bei, auch vor allem zivilgesellschaftlicher Unterstützung sind dann. Ich finde es ein bisschen schwierig, das zu beantworten, weil das System ja schon so darauf ausgelegt ist, dass Leute da eigentlich nur gut durchkommen, wenn sie diese zivilgesellschaftliche Unterstützung haben. Vor allem bei Herkunftsländern, wo es ein bisschen schwieriger ist im Asylverfahren, die dann viel über diese Bleiberechtsregelungen versuchen müssen, an einen sicheren Aufenthalt zu kommen. Und das sind in der Regel, wenn Leute das schaffen, sind es meistens Leute, die total gut angebunden sind, die eine riesige Struktur um sich herum hatten, von UnterstützerInnen, von FreundInnen, von HelferInnenkreisen, gute Beratungsstellen. Leute, die das nicht so hatten, das ist dann schon häufiger der Fall, die haben dann weniger Chancen auf ein Bleiberecht, also das würde ich schon so sagen, aus der Beratungserfahrung. Und da ist so ein bisschen die Frage, ist dann der Appell, dass die Zivilgesellschaft sich stärken muss, beziehugnsweise größer werden muss, oder mehr machen muss, oder ist es dann schon eher der Appell, da muss ich halt politisch und staatlich was ändern. Aber genau, es braucht auf jeden Fall an allen möglichen Ecken, so wie überall mehr, mehr, mehr Engagement, mehr Menschen, die was machen, Position beziehen, auf die Kacke hauen, auch vielleicht. #00:31:04-2#

Hannah Diemer: Wir hatten in unserem Gespräch im letzten Jahr dieses Chancenaufenthaltsrecht thematisiert. Das wurde damals relativ neu, glaube ich, eingeführt, oder war schon in der Einführung. Was war das denn konkret? Hat man damit eine Chance auf einen Aufenthalt? #00:31:21-8#

Johanna Böhm: Das Chancenaufenthaltsrecht, das war Teil des Koalitionsvertrags. Eigentlich eine schon sehr, sehr, sehr coole Sache. Wir haben uns da wahnsinnig darüber gefreut, erst mal mit ganz viel Kritik. Das Chancenaufenthaltsrecht war eine Bleibemöglichkeit, oder sollte Menschen, die schon lange in Deutschland sind, aber einen abgelehnten Asylantrag oder abgelehntes Asylverfahren hatten und in Duldungen waren, die Möglichkeit zu einem langfristigen Aufenthalt geben. Das ist quasi Stichtagsgebunden. Es hieß, Menschen, die bis zu einem bestimmten Stichtag fünf Jahre in Deutschland sind, können das beantragen. Das gilt für 18 Monate, in diesen 18 Monaten haben, genau das ist ein Aufenthaltstitel, das heißt Leute dürfen arbeiten. In diesen 18 Monaten müssen es Leute hinbekommen, den kompletten Lebensunterhalt zu sichern, sich einen Pass zu besorgen, wenn sie noch keinen haben und genau mindestens ein Sprachniveau von A2 zu erreichen, um dann einen Anschlussaufenthalt, also das sind dann andere Bleiberechtsregelungen, beantragen zu können. An sich eine gute Sache. Klar gab es die Kritik von es gibt einen Stichtagsregelung, das heißt viele Leute fallen da ja auch raus, die eben kurz nach dem Stichtag erst fünf Jahre in Deutschland waren. Und eben, ich habe es ja vorhin schon gesagt, die Duldung, dieses kontroverse Papier in Deutschland, es steht im Gesetz, dass nur Menschen, die geduldet sind, diesen Chancenaufenthalt beantragen können, beziehungsweise bekommen können und da dann ganz viele Diskussionen, wer gilt in Deutschland als geduldet und nicht und da auch eine sehr unterschiedliche Auslegung von Bundesland zu Bundesland und von Ausländerbehörde zu Ausländerbehörde. #00:32:59-6#

Hannah Diemer: Und jetzt, nachdem es in Kraft getreten ist, wie sind denn die Erfahrungen mit diesem Chancenaufenthaltsgesetz? #00:33:06-0#

Johanna Böhm: Teils, teils. Also ich glaube, es hat sich komplett unsere Kritik, jetzt nicht nur unsere Kritik originär vom Bayerischen Flüchtlingsrat, sondern von ganz vielen Institutionen in Deutschland, die Kritik hat sich wahnsinnig bestätigt, dass es, also einererseits ist es gut und für ganz viele Leute war das eine, oder ist das eine riesige Chance, auf der anderen Seite schließt es total viele Menschen aus. Und es zeigt halt auch mal wieder, wie, wie unterschiedlich in der Bundesrepublik die jeweiligen Bundesländer und dann aber auch Behörden agieren, als es eine wahnsinnige Glückssache ist. Wo ist eine Person gelandet, wo ist eine, wo wurde eine Person verpflichtet zu wohnen? In welches Bundesland wurde eine Person geschickt? Weil da einher geht eben, gehen Chancen, gehen höhere Chancen auf Bleibemöglichkeiten, durchs Asylverfahren, aber auch dann durch andere Verfahren, oder eben weniger Chancen. Es hat sich da auch gezeigt, eben durch diese Frage Wer gilt als geduldet und wer nicht. Bayern sagt, na ja, bei uns gelten eigentlich nur Menschen als geduldet, die so eine Duldung in der Hand haben. Die Ausländerbehörden stellen die aber in ganz vielen Fällen nicht aus und sagt, es gibt keine Duldungsgründe. Da müsste die Person erstmal wieder das beantragen, dann dagegen Klage einlegen, dann ein bisschen warten. Also bisschen ist gut gesagt, oft mehrere Monate oder Jahre warten, bis ein Gericht entscheidet. Genau das war vorher die ganz große Kritik, dass das einfach ein riesiges Problem ist, dass da der Gesetzgeber zu unscharf dieses Gesetz formuliert hat. Und da hat es in Bayern vor allem ganz viele Leute rausgehauen, die super für diese Chancenaufenthaltsrecht in Frage gekommen wären, die zum Teil auch eine Duldung hatten, die halt kurz vorher nicht verlängert wurde. Jetzt muss man auch sagen, dass das schon sehr auffällig war, dass vielen Leuten die Duldung entzogen wurde, die aber in dieses Chancenaufenthaltsrecht gepasst hätten. Da hat es in Bayern total viele Leute rausgehauen. Das haben richtig viele Leute deshalb nicht bekommen. Gleichzeitig also quasi in einem anderen Bundesland, ähnliche Personen, ähnliche Voraussetzungen, hat es bekommen, weil da eben die Behörden die Duldung als Papier nicht so sehr vorausgesetzt haben, oder eben alle Menschen, die ausreisepflichtig sind, eine Duldung in die Hand gedrückt bekommen. #00:35:08-9#

Hannah Diemer: Das ist doch eigentlich total absurd, dass es von Stadt zu Stadt, oder am Ende SachbearbeiterIn zu SachbearbeiterIn komplett unterschiedlich ist, wie über das Leben von einzelnen Leuten bestimmt wird. Das ist total willkürlich, also wirklich Glück. Also ich finde wirklich es ist Glück und Pech, anders kann ich es gar nicht sagen und für die Leute ist das, was sie so berichten, total schwer nachzuvollziehen. "Wie kann das denn sein, dass ist so ungerecht. Ich bin ja nach Deutschland gekommen, weil ich irgendwie Rechtsstaatlichkeit gesucht habe und jetzt merke ich, dass das hier überhaupt nicht so ist und total willkürlich Entscheidungen getroffen werden.". Ein neues Gesetz hat unsere aktuelle Bundesregierung auch noch eingeführt und zwar das Rückführungsverbesserungsgesetz. Was meint das jetzt? #00:35:59-3#

Johanna Böhm: Ja, quasi sagt es ja, sagt es ja auch schon so ein bisschen der Wortlaut. Um was geht es denn da? Es geht um Rückführungen, Rückführungen oder auch Abschiebungen sollen erleichtert werden. So ganz nach Olaf Scholz, der ein paar Monate vorher auf dem Spiegel Cover gesagt hat, Deutschland muss mehr abschieben oder jetzt endlich konsequent abschieben. Ja, das ganze versucht dieses Rückführungsverbesserungsgesetz. Das gibt es jetzt seit Februar mit allerhand Schikanen, die Abschiebungen erleichtern sollen. Zum Beispiel wurden die Zeiten für die Inhaftierung von Geflüchteten verlängert, also quasi diese Abschiebehaft, die Haft für Personen, die haben sich nichts zuschulden kommen lassen, sondern es ist eine Haft, um eine Abschiebung vorzubereiten. Die Gründe für die Haft wurden in allen möglichen Verschärfungen der letzten Jahre schon abgesenkt. Also quasi kann es eigentlich fast jede Person mit einem abgelehnten Asylantrag könnte in Haft genommen werden. Ja, die Haftzeiten wurden verlängert und ganz katastrophaler Punkt dieser Verschärfung war, dass die Polizei, die ja die Abschiebung durchsetzten muss, das die, wenn sie eine Person zur Abschiebung abholen wollen, nicht nur das jeweilige Zimmer der Person, wir gehen von einer Unterkunft aus, durchsucht, nach der Person durchsuchen darf, sondern eben auch alle anderen Zimmer der Unterkunft. Also das heißt, Leute, die in einer Unterkunft für Geflüchtete wohnen müssen, leben da eigentlich immer, oder gehen jeden Abend immer mit dem Gedanken ins Bett, eigentlich kann jederzeit die Polizei bei mir im Zimmer stehen, mitten in der Nacht, um eine Person zu suchen. Das ist seit Februar möglich und wird zum Teil auch umgesetzt. #00:37:40-4#

Hannah Diemer: Das heißt, man sieht das dieser rechtspopulistische Diskurs, oder diese Verschärfung, die wir einfach haben, in unserem gesellschaftlichen Sprech echt auch echt schon Wirkung gezeigt hat. #00:37:51-5#

Johanna Böhm: Absolut. Also absolut. Letztens auch noch mal versucht, so ein bisschen so ein bisschen noch mal nachzuschauen, was gab es in den letzten Jahren für Gesetzesverschärfungen, weil wir da schon noch mal relativ viel dazu gemacht haben und ich habe mich da auch inhaltlich immer wieder mit den Gesetzten sehr ausführlich auseinandergesetzt und konnte die immer ganz gut aufzählen und habe jetzt auch so letztes Jahr und dieses Jahr gemerkt, ich weiß es einfach nicht mehr. Was gab es denn da alles? Es war so wahnsinnig viel, das zeigt ja auch dadurch, dass sich irgendwas verändert hat, also dass im Schnellschuss, zum Teil ja wirklich, Gesetze gezimmert werden, als Reaktion auf politische und gesellschaftliche Diskussionen, die aber nicht immer Diskussionen sind zu Flucht und Migration, sondern eigentlich ganz andere Sachen dahinter stecken. Die soziale Frage von die Miete ist zu teuer und viele Menschen können sich ihr Leben nicht mehr leisten und darauf Antworten gesucht werden. Und da der Rechtsruck sich ja wahnsinnig bemerkbar macht, dass die Antworten nicht nur von der extremen Rechten in der Migration gesucht werden, sondern ja mittlerweile auch von demokratischen Parteien. #00:38:55-5#

Hannah Diemer: Eines von diesen Gesetzen, über das wir noch sprechen wollten, ist das "Gemeinsame Europäische Asylsystem", kurz "GEAS", was auch im Juni 2023 reformiert worden ist und jetzt in 2026 umgesetzt werden soll. Jetzt befinden wir uns quasi nicht mehr an den bayerischen und deutschen Grenzen, sondern wirklich an den europäischen Außengrenzen. Was definiert denn dieses GEAS? #00:39:19-2#

Johanna Böhm: Genau, GEAS, hast du schon gesagt, ist quasi nochmal der Versuch, das europäische Asylsystem zu reformieren und einheitlicher zu gestalten. GEAS ist eine migrationspolitische Katastrophe, die ganz, ganz, ganz, ganz, ganz viele massive Verschärfungen plant. Unter anderem eben Asylschnellverfahren an den Außengrenzen, das heißt, dass Personen, also in der GEAS ist es formuliert mit Personen aus Ländern, deren Schutzquote unter 20 % sind, sollen in der Regel oder müssen in der Regel ihr komplettes Asylverfahren in diesen quasi Lagern an der Außengrenze durchführen. Das sind quasi so, sollen halb geschlossene Lager sein. Da ist die Frage wie kommen Personen rein oder wieder raus? Das ist so der erste massive Punkt. Der zweite massive Punkt ist, dass Abschiebungen, beziehungsweise Zurückschiebungen viel einfacher in sichere Drittstaaten, oder vermeintlich sichere Drittstaaten, viel einfacher passieren können und sollen. Also das quasi möglich ist, wenn eine Person über einen in Anführungszeichen sicheren Drittstaat einreist. Und Personen müssen ja über irgendwelche Drittstaaten nach Europa einreisen, in der Regel, dass dann gesagt werden kann, so Ah, du kamst aus diesem sicheren Drittstaat, der ist ja sicher genug, Tunesien, Marokko, Türkei etc. kein Problem, wir schieben dich dahin wieder zurück. Das sind quasi die, ganz kurz gesagt, zentrale, Punkte der der GEAS Reform, die quasi das europäische Asylsystem regeln soll, aber eben auch national umgesetzt werden kann, beziehungsweise muss. Und da gab es vor ein paar Wochen einen Entwurf aus dem Bundesinnenministerium, die GEAS Reform in nationale Gesetze umzusetzen. Dieser Entwurf wurde im Bundeskabinett bereits beschlossen und der setzt quasi nicht nur die Forderungen der GEAS Reform um, oder will sie umsetzen, sondern verschärft die auch noch. Also Tatsächlich hat er das Bundesinnenministerium auf die ja ohnehin schon wahnsinnige Zäsur, migrationspolitische Zäsur in Europa nochmal, nochmal, ja, die, die die Kirsche, die verschärfende Kirsche, die repressive Kirche auf die Sahnehaube gesetzt. #00:41:36-9#

Hannah Diemer: Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass Menschen kommen an ein EU Gebiet, oder quasi in so eine ausgewiesene Zone, gelten dabei aber nicht als eingereist in der EU, was ja eigentlich bedeutet, dass ich kein Asyl beantragen darf, weil ich das bisher so verstanden habe, Asyl darf ich dann in dem Land beantragen, wenn ich da auch angekommen bin, oder in der Botschaft von meinem eigentlichen Ursprungsland? #00:42:05-0#

Johanna Böhm: Genau jetzt braucht ihr für den Asylantrag, der muss ja persönlich passieren. Genau. Genau. Ich muss vor Ort sein. #00:42:13-9#

Hannah Diemer: Das passiert dadurch dann quasi nicht. #00:42:17-1#

Johanna Böhm: Das passiert dadurch quasi nicht, also erstmal ist es eine Fiktion der Nichteinreise, also Menschen sind befinden sich zwar auf europäischem Boden, aber befinden sich da auch nicht. Praktisch ja, theoretisch nein. #00:42:26-0#

Hannah Diemer: Und dann kommt quasi als zweiten Schritt obendrauf, dass man sich die Statistiken anschaut, wie oft werden Menschen aus diesem Land wieder zurückgewiesen, um dann zu sagen, ach, passiert eh nicht. Das heißt, wenn jetzt davor die Ausweisung in ein bestimmtes Land oder die Asylanträge aus einem bestimmten Land, aus einem politischen Sinn oder einfach aus einem Unwillen nicht genehmigt worden sind, kann ich jetzt gleich an der Grenze sagen, ach, hast eh keine Chance. #00:42:53-9#

Johanna Böhm: Quasi. Also soll es so sein, dass nur Menschen aus bestimmten Herkunftsländern, die eine Schutzquote unter 20 % haben, die sollen in der Regel ihr komplettes Asylverfahren in diesen, ich sage jetzt Haftlagern, weil am Ende, na so wie es jetzt erst mal beschrieben wurde, ist das nichts anderes, ihr Asylverfahren komplett da durchlaufen und zwar sehr, sehr schnell. Alle anderen sollen der Theorie nach dann eben nach den Verteilquoten weitergeschickt werden in die jeweiligen EU Staaten und da dann die Asylverfahren durchlaufen. Das kann auch alles wieder außer Kraft gesetzt werden und da gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass die EU relativ einfach sagen kann, doch nicht, auch die mit Schutzquoten über 20 % sollen jetzt alle hier in diesen Haftzentren bleiben. Aber das ist erstmal die Idee, ja. Und ich meine, wir müssen uns diese Lager, die gibt es ja noch nicht, also aber verglichen sind sie wahrscheinlich mit den Lagern, die wir ja auch von den griechischen Inseln zum Beispiel kennen, sind es letztlich Hafteinrichtungen, wo du als unterstützende Person nicht ohne Weiteres rein kommst, die Personen nicht ohne Weiteres rauskommen, das heißt eine Beratung quasi unmöglich ist, Beratung und Rechtsschutz quasi unmöglich ist. #00:44:03-9#

Hannah Diemer: Diese GEAS wurde von Pro Asyl und Amnesty International zum Beispiel schon ganz stark kritisiert, die damit auch die Einhaltung von den Menschenrechten in der EU in Gefahr sieht. #00:44:12-3#

Johanna Böhm: Absolut. Wir hatten das gestern habe ich mit Arbeitskolleginnen diskutiert und zwar, es gibt sogenannte sichere Herkunftsstaaten, da zählt der Westbalkan dazu. Für die Personen ist es in Deutschland viel, viel schwieriger, ein Asylverfahren zu durchlaufen, also in der Regel werden die alle abgelehnt. Und wir haben es noch mal angeschaut bei., also da ging es um Frauen, die von von sexualisierter Gewalt in den jeweiligen Ländern im Westbalkan geflohen sind, also schwerste sexualisierte Gewalt, die im Asylverfahren erstmal abgelehnt wurden und dann durch ein ärztliches Gutachten, das eine Traumatisierung attestiert hat, nochmal versucht haben, einen Asyl Folgeantrag zu stellen. Diese Gutachten sind sehr teuer, die haben wir durch ProAsyl unterstützt, die Kosten um die 1.000 €, manchmal auch sogar noch mehr, die sind ,wirklich wahnsinnig aufwendig durch FachärztInnen und die haben fast alle eine positive Entscheidung bekommen. Das zeigt aber auch, dass es eine eine wahnsinnige Unterstützung braucht, um die eigenen individuellen Fluchtgründe irgendwie geltend zu machen. Die Unterstützung ist von mehreren Beratungsstellen, von einer riesigen Menschenrechtsorganisation wie ProAsyl und eben der finanziellen Unterstützung von mehreren 100 bis zu 1.000 €, dass eine Person sagen kann, hier, ich habe mich quasi, ich habe alles, was ihr braucht und dann die Behörden sagen okay, wir erkennen deinen jeweiligen Schutzgrund an und genau das alles wird ja in diesen Außen, ist ja eh schon sehr schwierig umzusetzen und aber quasi das wird ja alles an diesen Haftlagern, das wird nicht mehr passieren, da wirst du diese Unterstützungsstruktur nicht haben, die wird da nicht gegeben sein. Und dann wird es genau solche Personen, vor allem also vor allem auch vulnerable Personen, die schwerste, schwerste Gewalt erlebt haben, die wird es dann vermutlich auch in einer komplett raushauen. #00:46:06-5#

Hannah Diemer: Und wahrscheinlich von der Gewalt, die in diesen Lagern passiert, ganz zu schweigen. #00:46:10-5#

Johanna Böhm: Genau. Ja, also das kommt ja alles noch, noch, noch dazu. #00:46:14-1#

Hannah Diemer: Alle diese Punkte deuten darauf hin, dass man Geflüchtete und MigrantInnen kriminalisiert. Was hat es für einen Effekt auf die Leute? #00:46:26-9#

Hannah Diemer: Einen sehr unterschiedlichen, auf ganz vielen verschiedenen Ebenen, würde ich sagen. Und zwar einmal kann eben diese Kriminalisierung, die findet ja nicht nur theoretisch statt, sondern ja auch ganz praktisch, zum Beispiel zu sagen, Hey, da ist doch jemand illegal eingereist, also quasi ohne das erforderliche Visum. Klammer auf (man kann gar nicht anders einreisen eigentlich, wenn man, wenn es um Asyl geht). Da ist jemand illegal eingereist. Wir eröffnen jetzt ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise, oder ein Strafverfahren wegen Passlosigkeit. Da ist die Chance, dass die eingestellt werden, total hoch, da muss man halt wissen, dass es sich lohnt, dagegen Widerspruch einzulegen. Und genau, wird es aber nicht, nicht, nicht eingestellt, dann hat die Person erstmal den Straftatbestand erfüllt, das hat die Konsequenz, dass eventuell Aufenthaltstitel nicht mehr möglich sind, wenn man über eine bestimmte Straftatgrenze kommt, dass der Zugang zur Arbeit eigentlich nur noch erschwert möglich ist, da hat es eine ganz praktische Auswirkungen. Und dann hat es natürlich eine gesellschaftliche und auch eine emotionale, seelische Auswirkungen von das zermürbt, wenn Menschen überall hören, dass das sie das Problem sind, dass ihnen unterstellt wird, kriminell zu sein, dass Leute Angst vor ihnen haben, dass Leute sie ablehnen und ausgrenzen. Das zermürbt. #00:47:40-7#

Johanna Böhm: Und mit diesen fiktiven Verbrechen, also quasi illegale Einreise, wo es nicht anders möglich ist, hat man ja direkt diesen Straftatbestand und auf der Basis kann ich ja dann wieder leichter abschieben, weil ich ja wegen diesem Strafbestand wie soll ich überhaupt, also das ist ja ein Teufelskreis. #00:47:58-9#

Johanna Böhm: Das ist ein absoluter Teufelskreis. Und auch total klar ist, wenn es da nicht, ich meine, das ist ja gesellschaftlich schon in großen Teilen ja sehr anerkannt zu sagen, na ja, schutz ist schon irgendwie wichtig, aber StraftäterInnen werden abgeschoben und, auch ein kontroverses Thema, ist ja nicht leicht, darüber zu sprechen, aber schon, wenn man sich anschauen muss, wer ist denn da alles dabei, bei den StraftäterInnen. Also erstens, natürlich aus menschenrechtlichen Gründen ein Land, wo eine Lebensgefahr herrscht, so da kann niemand abgeschoben werden, völlig wurscht, wer jetzt das ist und was die Person gemacht hat, aber man muss sich natürlich auch fragen, wer zählt denn zu diesen StraftäterInnen? Und ich meine, da stellen sich dann Leute und so wird es ja auch kolportiert von Seiten der Politik, die, die schlimmsten Verbrecher vor und am Ende sind es irgendwelche Jungs und dann halt quasi noch halbe Teenager, die genau eine Illegale Einreise nach Passlosigkeit oder halt mal der Ladendiebstahl, der Joint in der Hand, die aber dann unter das Label "Straftäter" fallen, erst mal so gesellschaftlich auch gesehen werden und dann aber auch in der Konsequenz leichter abgeschoben werden können. #00:49:05-5#

Hannah Diemer: Wie ist es denn bei Pro Asyl mit den StraftäterInnen? Habt ihr da eine Einstellung dazu oder irgendwie eine Meinung dazu? Sollen Straftäter in den abgeschoben werden? Jetzt quasi nicht Leute, die diese ganzen kleineren Sachen haben, sondern einfach Leute die Strafen in Deutschland begangen haben? #00:49:23-7#

Johanna Böhm: Wir haben uns da letztens auch erst wieder dazu geäußert. Unsere Antwort ist relativ klar "Nein". Da muss ich aber auch sofort dazu sagen, damit geht ja nicht, wie es total oft verstanden wird, eine Forderung von Straffreifreiheit einher. Das ist ganz oft, wenn wir irgendwie öffentlich auch darüber eine Diskussion entfacht, zu StraftäterInnen mit Fluchterfahrung oder Fluchthintergrund. Da bekommen wir auch wahnsinnig viele, viele Emails, Anrufe, Pöbelzeugs, wo uns immer so ein bisschen unterstellt wird. Und das sind wir so, das haben wir nicht gesagt. Es gibt da ganz gute Gründe, ganz viele gute Gründe, relativ klar und deutlich zu sagen, auch StraftäterInnen können, erst mal nicht ohne Weiteres abgeschoben werden. Also wie ich vorhin schon gesagt habe, es gibt quasi aus internationalen völkerrechtlichen Verträgen, wie der GFK, unter anderem ein Verbot, Menschen in lebensbedrohliche Situationen zurückzuschieben. Da geht es erst mal nicht darum, was eine Person gemacht hat, es geht darum, dass, Staaten haben das unterschrieben, zu sagen, wir machen das nicht, wenn da einer Person erst mal Folter, oder eben auch der Tod droht. Erstens. Zweitens eben, genau, um welche StraftäterInnen handelt es sich denn überhaupt? Und drittens ist vielfach ja auch, also es ist eine Doppelbestrafung für viele, die in Deutschland eine Strafe absitzen und dann obendrauf noch abgeschoben werden. Und vielfach ist es ja auch so, dass, wenn wir wirklich schwere Straftaten, oder wenn es um schwere Straftaten geht, also zum Beispiel eine Person, die die sexuelle Selbstbestimmung verübt haben, das den jeweiligen Behörden im Herkunftsland, dass die gar nicht wissen, was ist das für eine Person und was hat die begangen aus datenschutzrechtlichen Gründen, das heißt, eine Person muss ja vielleicht wirklich, wirklich eine Gefahr auch sein kann für die Allgemeinheit, sich Deutschland relativ einfach entledigt, die in das jeweilige Land zurückschickt, da weiß niemand was passiert ist und die Person läuft erstmal frei auf der Straße herum. Und das sind, glaube ich, das gibt es ganz, ganz, ganz viele Gründe, die das Thema auch so kompliziert machen. Und wo wir aber genau da relativ eindeutig sind und sagen "Nein", auch StraftäterInnen können erstmal nicht ohne Weiteres abgeschoben werden. #00:51:38-7#

Hannah Diemer: Weil am Schluss quasi viele von den Menschen einfach ein Unterstützungsangebot bräuchten. #00:51:44-7#

Johanna Böhm: Genau. Man birgt ja dann auch Probleme eventuell Staaten auf, die diese Unterstützungsangebote, oder auch Rehabilitationsangebote überhaupt nicht haben. #00:51:54-4#

Hannah Diemer: Und mit dieser Abschiebung macht man ja quasi eine deutsche Gesellschaft auf, sagt das Problem existiert nur bei uns und wenn der weg ist, dann tut man so, als wäre dieses Problem weg und hätte sich in Luft aufgelöst und der Mensch würde in seinem Herkunftsland ein friedliches und freies Leben führen, was aber ja in der Realität wahrscheinlich nicht der Fall ist, weil, was ja komplett dieses Bild von so einer internationalen Solidarität komplett auflöst, also weil es einfach am Schluss egal ist, was in anderen Ländern passiert. #00:52:26-0#

Johanna Böhm: Hauptsache es passiert nicht hier in Deutschland. So, so kann man es glaube ich vielleicht übersetzen. Ja, und ich finde, tatsächlich ist die Diskussion natürlich total verschoben und auch bewusst verschoben. Also ich unterstelle da PolitikerInnen ja nicht Nichtwissen, sondern das ist ja ein Großteil davon, ist ja wirklich auch bewusst so gewählt und natürlich, ich meine anstatt sich jetzt irgendwie zu überlegen, oder halt dieser Abschiebeflug nach Afghanistan, nach Solingen. Das war als erste, als erste Reaktion, in einen Staat abzuschieben, der völkerrechtlich nicht anerkannt ist durch die Talibanherrschaft. Also warum ist das dann die erste Reaktion? Und warum können wir uns nicht irgendwie allgemein über Gewalt unterhalten? Über menschliche Gewalt und Femizide und Gewalt gegenüber FLINTAs? Sind das nicht die Themen, über die wir sprechen sollten und nicht das Problem auslagern und sagen, ja, das sind nur die Personen, die neu nach Deutschland kamen. Das stimmt ja nicht. Das ist einfach eine Verschiebung und Verlagerungen von existierenden Problemen, die sich auch nicht lösen und ändern werden, wenn Deutschland mehr abschiebt. #00:53:25-7#

Hannah Diemer: Hast du noch was hinzuzufügen oder hast du noch was, was du unbedingt noch loswerden willst? Was sollen denn Menschen wissen im Thema Geflüchtetenhilfe, -unterstützung? Gibt es noch was? #00:53:39-0#

Johanna Böhm: Ich glaube, was ich grundsätzlich immer sehr wichtig finde in dem Bereich, das ist jetzt auch nicht originär der Bereich, aber der Bereich in dem ich arbeite und unterwegs bin, was ich tatsächlich wirklich wichtig finde, ist faktenbasiert so zu diskutieren und da wirklich sich auch immer wieder selbst zu hinterfragen, von weiß ich da eigentlich, kenne ich da die Fakten, oder erzähle ich gerade irgendwas? Ich finde es in dem Bereich wirklich sehr, sehr wichtig, weil es weil es immer wieder Missverständnisse gibt und die sind aber total weitreichend. So ein Missverständnis in den Bereichen, das kann gesellschaftlich genau schon so eine ganz schöne Welle auslösen. Und deswegen mein Appell jenseits von dem persönlichen Aktivismus und Engagement, mein Appell faktenbasiert, neutral und sachlich versuchen diese Diskussionen zu führen und bei Nichtwissen nachfragen. Es gibt ganz viele tolle Organisationen, Initiativen, die gefragt werden können, denen man eine Mail schreiben kann. Auch wenn es ist, ich habe mit meinem Onkel diskutiert und irgendwie wollte ich da noch mal so, wie ist das eigentlich, nachfragen, sich selber bilden und stabil bleiben. #00:54:45-9#

Hannah Diemer: Wie hältst du das aus, in diesem Bereich zu arbeiten? Das ist ja absurd. Das ist ja direkt schmerzhaft dazu zu hören. Vor allem, weil in dieser Debatte um Migration und Geflüchtete ist es immer so eine wahnsinnig hohe Flughöhe. Und wenn man dann aber wirklich mit den Leuten spricht und jedes Einzelschicksal irgendwie kennenlernt und da die Leute unterstützt, wie schaffst du das, da seit acht Jahren aktiv zu sein? #00:55:17-4#

Johanna Böhm: Das frage ich mich auch manchmal. Tatsächlich. Genau. Ach ja, keine Ahnung. Also ich glaube schon, dass bei uns zumindest im Bayerischen Flüchtlingsrat ganz viel das Team ausmacht und ich glaube, das ist aber ganz oft dabei, sei das jetzt politische Gruppen, Selbstorganisierungen, Initiativen, Organisationen, dass die mit belastenden Themen zu tun haben, dass da glaube ich auch ganz viel das Team, das jeweilige Auffangen, das gegenseitige Unterstützen ausmacht. Das ist, glaube ich, bei uns ein ganz, ganz großen Faktor. Und ich glaube schon, dass es auch die nürnberg-, beziehungsweise bayernweite, aber auch bundesweite, auch ein bisschen europäische Vernetzung ist von Leuten, die die, die was ähnliches machen, von eben den Kontakt zu all den Leuten, die tolle, tolle Arbeit machen in Selbstorganisierungen, in anderweitigen Initiativen und das immer wieder zu sehen und zu merken so, okay, dadurch bewegt sich was und man lernt so viele tolle Menschen kennen, so viele kluge Menschen kennen, so viele kraftvolle Menschen kennen und ich glaube schon, dass das einen immer wieder Kraft gibt und Mut gibt, so einen Job oder so einen Aktivismus auch weiter zu machen. Und natürlich auch der tiefe, tiefe Glaube, dass wir es ja irgendwann schaffen werden, diese, diesen ganzen, dieses ganze Narrativ von Flucht ist gefährlich, oder ist eine Gefahr, zu durchbrechen und so schon diese Hoffnung an: Wir werden es irgendwann schaffe, vielleicht nicht wir, aber vielleicht auch die, die Generationen nach uns, eine bessere Welt möglich zu machen. Eine Welt der Migrationsgesellschaft. Genau das ist die Utopie. Ich meine, klar, die hält einen irgendwie dann auch immer mal wieder so ein bisschen am Ball. Genau. Aber ich glaube ja. #00:57:12-5#

Hannah Diemer: Wo man jetzt euch und solche Utopien kennenlernen kann, ist beim nächsten "On the Move"-Festival am 6. Dezember. Was passiert da denn? #00:57:22-7#

Johanna Böhm: Genau an den Werbeblock für dieses sehr, sehr tolle, schöne Festival in Nürnberg im Zbau, auch organisiert von einer ganz, ganz, ganz coolen Crew, wo es auch zum Thema Flucht und Migration dieses Jahr mit dem Schwerpunkt Solidarität und Gemeinschaft ganz viel Input gibt. Musikalische Untermalungen, Bands, KonzeptkünstlerInnen, Diskussionen, Ausstellungen etc. etc.. Genau. Ganz große Empfehlung, da generell hinzugehen. Und am Freitag, den 6. Dezember wird im ZBau "On the Move"-Festival auch die Initiative gegen die Bezahlkarte Nürnberg da sei, das heißt ihr könnt nicht nur euch ganz viel Input und genau und gute Musik abholen, sondern eben auch einen Einkaufsgutschein. #00:58:09-7#

Hannah Diemer: Vielen Dank Johanna, für das ganz aufschlussreiche Gespräch. #00:58:15-2#

Johanna Böhm: Danke dir, Hannah! #00:58:16-1#

Dieses Projekt/Diese Maßnahme/Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, Nürnberg schrittweise inklusiver zu gestalten. Es/Sie ist Teil des Nürnberger Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Den Ersten Aktionsplan hat der Nürnberger Stadtrat im Dezember 2021 einstimmig beschlossen. Um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung in Nürnberg zu verwirklichen, wurden und werden umfangreiche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Weitere Informationen finden Sie unter www.inklusion.nuernberg.de.

Welche Möglichkeiten haben Geflüchtete? Das und weitere News vom bayrischen Flüchtlingsrat berichtet Johanna Böhm. 

In der Debatte um Migration und Flucht ist immer viel Bewegung. Johanna Böhm arbeitet seit acht Jahren beim bayrischen Flüchtlingsrat in Nürnberg und erklärt in einer guten Stunde Podcast alle aktuellen Forderungen und Gesetze. Was haben diese Gesetze und Regelungen für Auswirkungen auf die Menschen?  
Außerdem: Welche unterschiedlichen Aufenthaltstitel gibt es eigentlich und welche Rechten und Pflichten ergeben sich daraus? Legt eure Notizzettel bereit, denn hier gibt es so einige Besonderheiten.  

Links:

Foto: Gina Bolle

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Aufgenommen am: Mittwoch, 20. November 2024 
Veröffentlicht am: Dienstag, 3. Dezember 2024 
Moderation: Hannah Diemer 
Im Gespräch: Johanna Böhm 

Die Folge wurde durch die Redaktion überarbeitet

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Alle weiteren Folgen von KontaktAufnahme – der Podcast des Bildungszentrums Nürnberg finden Sie hier. Jede Woche, immer donnerstags, veröffentlichen wir ein neues Gespräch.  

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